13| Peter blinzelt
Sein Kreislauf spielte nicht lange mit. Er hatte kaum die Hauptstraße verlassen, da versagte seine Lunge. Panisch sah Hector sich um.
Wo war die Klinik, die er gerade verlassen hatte? Er wusste, wo er war, doch ein Krankenhaus gab es weit und breit nicht. Stattdessen fiel sein Blick auf das Bermuda-Building, das bedrohlich und verfallen in den Himmel ragte.
Habe ich das geträumt? Halluziniere ich? ...Immer noch?
Eine ältere Dame blieb stehen und musterte ihn. Hector trat einen Schritt zur Seite, um sie passieren zu lassen. "Vor einigen Jahren, da hätte ich alles gegeben, um auf ein Date mit dir zu gehen", sagte sie plötzlich.
"Wie bitte?" Er verstand die Welt nicht mehr.
"Es ist lange her, junger Mann. Aber ich bin mir sicher, dass es bei dir auch heutzutage noch läuft."
"Was, wovon reden Sie denn?"
Die Dame setzte ihren Weg fort, ohne ihm zu antworten. "Warten Sie!", hielt Hector sie auf.
"Wissen Sie vielleicht, wo ich das Henry-Heimlich-Klinikum finde?"
Sie zögerte. Eine Weile lang starrte sie ihn einfach nur an. Dann sagte sie: "Tut mir Leid, das kenne ich nicht."
"Es muss hier irgendwo sein", setzte er an, doch die Dame unterbrach ihn.
"Ich lebe seit vierzig Jahren an dieser Straße. Glaubst du wirklich, ich würde nicht jedes Gebäude hier kennen? Besonders ein Klinikum ist ja wohl kaum zu übersehen. Mir scheint, du hast die falsche Adresse, mein Junge."
Hector schluckte. "Okay, danke Ma'am."
Er warf einen letzten Blick über die Schulter auf das Bermuda Building in seiner ganzen Pracht. Und kurz hatte er das Gefühl, etwas blitze hinter einem der zerschlagenen Fenster auf. Dann machte er sich auf den Heimweg. Es war ein kürzerer Weg, als er erwartet hatte.
Schnellen Schrittes marschierte er die Straßen entlang, immer wieder drehte er sich um. Ihn beschlich ein unheimliches Gefühl der Verfolgung, obwohl er der Einzige weit und breit war.
Als er endlich in die Sackgasse einbog, stand die Sonne bereits tiefer als zuvor. Die letzten Meter war er gerannt, bevor er erblickt hatte, was seinen Sorgen einen weiteren Ansporn gab. Alyssas Van stand nicht vor dem Haus. Dabei mussten Stunden vergangen sein. War sie etwa immer noch in der mysteriösen Klinik?
Aus dem Briefkasten ragten zwei Flyer.
Stirb, Echsenmensch, lauteten die Zeilen über einem Bild von ihm. Es musste entstanden sein, kurz bevor er am Vortag zu Alyssa in den Van gestiegen war, zumindest krallte sich eine Hand, die eindeutig nach Lolas aussah, in seinen Oberarm.
Keuchend stieß Hector die Haustür auf und schleppte sich in sein Zimmer. Sofort ließ er den Rolladen nach unten sausen. Zwar hatte seine Tante es ihm verboten, da sie befürchtete, er würde die Jalousie im Falle eines Feuers nicht mehr alleine aufbekommen, doch er fühlte sich beobachtet.
Ein mal noch atmete er durch, dann wandte er sich seinen Eltern zu. "Mum, Dad, ihr glaubt mir nicht, was gerade passiert ist."
Es kam keine Antwort zurück. Natürlich nicht.
"Ich wurde unter Drogen gesetzt. Zumindest glaube ich das. Nein, wahrscheinlich hat der Hausmeister mir schon die Wahrheit gesagt. Ich hatte eine Panikattacke. Die Ärztin wollte mir vermutlich nur helfen, aber ich bin weggelaufen. Das Verrückte daran ist, dass ich mich gar nicht daran erinnern kann. Vielleicht war ich allergisch gegen den Impfstoff oder sowas in der Art. Ich weiß es nicht, glaubt ihr, dass ich verrückt werde?"
Er überlegte kurz. Dann sagte er: "Ich glaube, dass ich halluziniere. Ich bin mir so sicher, dass all das passiert ist, aber als ich wieder so richtig zu mir gekommen bin, da stand ich auf einer Straße und um mich herum war nichts. Keine Klinik, kein Hausmeister...Was ist, wenn ich mir das alles nur eingebildet habe? Was ist wenn Alyssa auf der Suche nach mir ist und die Polizei auch, weil sie denken, ich sei mental nicht in der Lage, mich selbst durchzuschlagen?"
Hector seufzte. Das ergab doch alles keinen Sinn. Er musste wahnsinnig sein, eine andere Erklärung gab es nicht. Dann erschrak er.
"Was ist, wenn Jona nicht real ist? Was ist, wenn ich ihn mir nur ausgedacht habe? Er war surreal, ich habe doch gewusst, dass da etwas nicht stimmt."
Sein Eltern lächelten stumm.
"Aber ich will, dass er existiert. Denn wenn er es täte, dann würde er mir doch alles erklären können, oder nicht?" Hector rieb sich die Augen. Ihm saß ein dicker Kloß im Hals, der ihn daran hinderte, rational zu denken. Bis ihm schließlich auffiel, dass er Jona vermutlich nie wieder sehen würde. Selbst, wenn er real war, dann hatte er ihn doch woanders getroffen, als in einer Klinik, oder nicht? Denn diese gab es auf diesem Planeten erst recht nicht.
Er lebte in einer Lüge seiner eigenen Gedanken. War das überhaupt möglich?
"Habt ihr euch auch schon mal gefragt, ob ihr in einer Illusion leben könntet?...inzwischen vermutlich nicht mehr."
Hector seufzte schwer, in einem Versuch, die Lasten auf seiner Seele auszuatmen. Doch es half nichts. Und plötzlich setzte sein Herz fünf Schläge zu viel aus. Denn ihm war, als hätte Peter Mendel ihm zugezwinkert.
"Das war's, ich werde verrückt. Wo ist Alyssa?", murmelte er, ohne den Blick von seinen Eltern abzuwenden. Er wagte es nicht, sich auch nur zwei Zentimeter zu bewegen, aus Angst, er könnte weiteres Zucken seines Vaters verpassen.
Vor seinen Augen drehte es sich wieder, fast so, als wäre er erneut in der Klinik gefangen.
Nach rund zwei Minuten des Starrens, kurz bevor er sich hätte fassen können, passierte es wieder. Sein Vater zwinkerte. Ein Foto, das Hector sein ganzes Leben lang im Schlaf beobachtet hatte. Und es blinzelte.
Nun entfuhr ihm doch ein heiserer Schrei. Hastig schlug er sich die Hand vor den Mund. Wer immer die Flyer in seinen Briefkasten gesteckt hatte, mochte ein Spinner sein. Doch es bestand durchaus noch die Möglichkeit, dass er gefährlich und vollkommen desillusioniert war.
Hatte Hector die Haustür abgeschlossen?
Er rutschte etwas näher an das Foto heran, ängstlich, als würde es ihm jeden Moment ins Gesicht springen. Wieder ein blinzeln, aber nein, Hector hatte sich geirrt. Sein Zimmer war nicht von einer tödlichen Entität heimgesucht.
Was er zuvor für Bewegung gehalten hatte, war nur ein rotes Blinken, das hinter dem Foto hervorgeleuchtet hatte. Eine Rage hatte von Hector Besitz ergriffen. Er riss das Bild von seinem Nachttisch und blickte in etwas viel schlimmeres, als paranormale Aktivität.
Hinter dem Foto, eingebaut in den Schrank, starrte ihm ein Kameraauge entgegen. Es blinkte rot.
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