9. Besuch in der Winkelgasse
ALS GEORGE AM Morgen nach seiner mehr oder weniger gescheiterten Therapiesitzung aufwachte, erwartete er schon beinahe, dass eine Eule mit einem knallroten Brief auf dem Fenstersims saß. Gurrend und bereit um ihm eine unschöne, morgendliche Überraschung zu überbringen in Form mütterlicher Enttäuschung. Doch er wurde überrascht.
Da war keine Eule, kein Heuler, der ihn erwartete. Keine Vorwürfe, keine Fragen, warum er die Therapiesitzung frühzeitig verlassen hatte.
Vielleicht hatte Penwick seiner Familie nichts verraten?
Nein, sicher nicht.
Das war eine der Bedingungen gewesen, unter denen Molly Weasley zugestimmt hatte, die Therapie ambulant durchzuführen. George hatte nach dem kurzen Krankenhausaufenthalt direkt wieder nach Hause zurück gewollt, ohne Abstecher auf der Station für Suchtkranke. Die Therapeuten im St. Mungos hatten seinen Wusch unterstützt, hatten erklärt, das Routine und das gewohnte Umfeld dabei helfen würde, zu rehabilitieren.
Nur deswegen hatte seine Mutter zugestimmt- und nur unter der Bedingung, dass sie ihm den besten Therapeuten heraussuchen durfte, zu dessen Termine er zuverlässig erscheinen würde.
Er musste immer erscheinen, wenn er das nicht tat, würde seine Familie informiert werden. Das war die Regel- und Mr Penwick hielt sich penibel an Regeln.
Das er nun also weder einen wütenden Brief, noch einen Heuler erhalten hatte, hätte George mehr als nur stutzig machen müssen. Aber irgendwie- war es die Müdigkeit in seinen Knochen?- machte er sich nicht allzu viel Gedanken um seine Mutter.
Stattdessen stand er auf und ging seiner gewohnten Morgenroutine nach. Anziehen, Abstecher im Badezimmer, Kaffee-trinken, Zeitung lesen, Fenster auf.
Zimt und Zucker.
Wie jeden Morgen erinnerte ihn der Duft in der Luft an Rosie. Er nahm kaum wahr, wie sich auf einmal ein schmales Lächeln auf seine Lippen setzte, nahm kaum wahr, wie er aus dem Fenster-blickend in zuckersüßen Tagträumen versank.
༄
Ein Haus weiter begann der Morgen Alles andere als friedlich. Rosie hatte verschlafen und war als andere als wach in die kleine Backstube gestolpert, wo sie das pure Chaos vorgefunden hatte. Leere, verklebte Schüsseln mit Teigresten, Eierschalen, die den Mülleimer verfehlt hatten und eine Ladung verbrannter Kekse- das Alles hatte sie in Eile gestern zurückgelassen, weil sie sonst zu spät zu dem Treffen mit Billy gekommen wäre. Sie hatte eigentlich vorgehabt diese Chaos nach dem Treffen aufzuräumen- und hatte es natürlich vergessen.
"So ein Mist", fluchte sie und schnappte sich ihren Zauberstab. Manchmal hatte sie wohl keine Wahl als die Magie, die durch ihre Adern floss, zu nutzen. Selbst wenn sie es nicht leiden konnte.
Mit einem schnellen Winken ihres Zauberstabs wanderten die Eierschalen in den Mülleimer, die leeren Teigschüsseln reinigten sich selbst und die verbrannten Kekse, folgten den Eierschalen im Gänsemarsch. Ein weiteres Mal ließ sie ihren Stab durch die Luft sausen und dann sorgte ein kleiner Wirbelwind dafür, dass der Staub und das Mehl auf dem Boden sich zu einem fein säuberlichen Haufen zu ihren Füßen sammelte. Zufrieden sah sie hinab und fegte den letzten Beweis ihrer Vergesslichkeit zusammen um auch diesen im Mülleimer zu versenken.
Das sie ihre Backstube durch Magie gesäubert hatte, hatte leider nichts an ihrem verspäteten Zeitplan verändert. Die Bäckerei würde trotzdem in eineinhalb Stunde öffnen- und sie hatte noch nicht einmal Brötchen gebacken. Natürlich verkaufte sie ohnehin eher Kuchen als Brötchen- aber wenn sie schon Kunden hatte, wollte Rosie ihnen auch wenigstens alle Möglichkeiten bieten können.
Hastig begann sie die Zutaten zusammen zu sammeln und zu backen. Es war wie ein Rausch. Wann immer sie begann Teig zu kneten, zu formen und schlussendlich aus dem Ofen zu holen, versank sie in Tagträumereien. Nirgendwo konnte sie sich und ihre Gedanken so gut treiben lassen, wie beim Backen.
Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass Rosie spät dran war und es ihr nicht mehr gelang diese Zeit aufzuholen. Als sie die Bäckerei um acht Uhr aufschloss, hatte sie noch mehrere Bleche im Ofen. Gleichzeitig musste sie auch vorne an der Theke sein, weil sie schließlich auch Kunden bedienen wollte.
Der erste Kunde des Tages war ein Geschäftsmann, der einen schwarzen Kaffee bestellte. Es war der Gleiche, wie in ihrer ersten Woche. Scheinbar hatte ihm der Kaffee geschmeckt. Mit einem nervösen Lächeln überreichte sie ihm den Kaffee. Würde dieser Mann ihr erster Stammgast werden?
Als nächstes blieb eine rothaarige, mollige Frau vor dem Schaufenster stehen. Sie war schnell gelaufen, doch bei dem Anblick der Bäckerei hatte sich ein angespanntes Lächeln auf ihren Lippen breitgemacht. Kurz inspizierte sie das Schaufenster, dann wanderte ihr Blick zu Rosie, die nervös hinter dem Tresen stand und der älteren Frau zulächelte. Durch ihr rundes Gesicht sah die Frau auf den ersten Blick noch jünger aus als sie es tatsächlich war... doch bei näherer Betrachtung erkannte Rosie die tiefen Falten, die ihr freundliches Gesicht verhärteten und die grauen Strähnen, die sich durch ihr kupferfarbenes Haar zogen. Dann kam die Frau herein.
"Guten Morgen!" Rosie strahlte. So viele Kunden schon so früh am Morgen hatte sie noch nie gehabt!
Die Frau erwiderte das Lächeln gutmütig: "Guten Morgen."
Kurz glitt ihr Blick über das Regal hinter Rosie, wo sich verschiedene Brote stapelten.
"Backen sie all' das alleine?", fragte die ältere Frau höflich.
"Ja, genau", sagte Rosie.
"Das heißt, sie sind die Inhaberin?", hakte die Rothaarige nach.
Wie immer, wenn man ihr diese Frage stellte, schwellte sich Rosies Brust mit Stolz. "Ja, das ist mein Geschäft", sagte sie lächelnd, "Nennen sie mich gerne Rosie."
"Oh, wie schön!", erwiderte die Frau. Rosie wunderte sich zwar etwas über den plötzlichen Enthusiasmus, "Ich freue mich sie kennenzulernen, Rosie. Ich bin Molly."
"Ich freue mich auch", erwiderte Rosie höflich, "Darf ich ihnen etwas zu Essen anbieten, Molly? Die Zitronentörtchen sind ganz frisch aus dem Ofen. Ich kann sie sehr empfehlen."
Nachdenklich wanderte Molly's Blick über die zahlreichen Vitrinen. "Das sieht Alles so köstlich aus- ich kann mich gar nicht entscheiden..." Dann hellte sich ihre Miene plötzlich auf: "Was hat denn mein Sohn bei ihnen schon gegessen?"
Perplex sah Rosie zu der rothaarigen Hexe: "Ihr Sohn?"
"Ach- ja, ich habe ja nur meinen Vornamen gesagt. Ich bin Molly Weasley."
Hätte Rosie gerade etwas im Mund, hätte sie sich zweifellos verschluckt. Überrascht weiteten sich Rosie's Augen: "Oh."
Sie musterte Molly ein weiteres mal, dieses Mal aufmerksamer. Und dann bemerkte sie es. Der kupferrote Haarton war fast derselbe wie der ihres Sohnes. Sie hätte es wissen müssen.
"Sie besuchen George?", fragte Rosie und versuchte sich schnell wieder zu fangen. Sie fragte sich, was er wohl über ihren Laden erzählt hatte, dass nun seine Mutter vorbei sah um etwas zu kaufen. Und was bitte hatte George bereits probiert? Er war nie in ihrem Laden, kaufte nie bei ihr ein. Nur Elaine kam ab und zu vorbei.
"Ja, genau!", Mollys Lächeln erhielt einen leichten Dämpfer. "Ich würde ihm gerne eine Freude machen und etwas mitbringen. Am Besten etwas, dass ihm gut geschmeckt hat. Er muss doch sicher ständig hier bei ihnen drüben sein", Molly lachte nervös aus, "Diesem Geruch kann wohl kaum jemand widerstehen."
"Naja... er hat die Zimtschnecken probiert, die haben ihm geschmeckt", sagte Rosie und deutete auf die Teigschnecken.
Sie wusste nicht, ob sie ihm tatsächlich geschmeckt hatten- aber ihres Wissens nach, war das das einzige Produkt, dass er je gegessen hatte. Abgesehen von den Kuchen, die sie vorbeigebracht hatte natürlich. Aber die waren schließlich auch nicht mehr so frisch gewesen.
"Oh, das sieht aber köstlich aus!" Molly strahlte. "Das heißt also er ist öfter hier?" Rosie entging das hoffnungsvolle Funkeln in Mollys Augen nicht.
Was hatte George seiner Mutter erzählt, dass sie diese Art von Fragen stellte?
Überrumpelt von der Frage, hob sie die Schultern. Sie wollte nicht lügen... andererseits hatte sie den Eindruck, dass sie keine Wahl hatte als genau das zu tun.
„Naja, wir sind Nachbarn", erwiderte sie schließlich vage und lächelte schief.
„Kein Wunder!", sagte Molly und nun strahlte sie Rosie gutmütig an, „Wissen sie, Zimtschnecken hat er auch als Kind schon immer gerne gegessen."
"Ich kann ihn mir kaum als Kind vorstellen", gab Rosie zu. Sie wusste, dass er früher anders gewesen war. Aber den George, den sie kennengelernt hatte- den konnte sie sich nicht einmal mit einem Lächeln auf den Lippen vorstellen.
"Ach... ja", Mollys Miene verdüsterte sich kaum merklich, "Er hatte es nicht leicht in den letzten zwei Jahren. Wir alle..."
Sofort wurde Rosie von einem bohrenden, schlechten Gewissen durchbohrt. Jetzt hatte sie Molly an einem eigentlich ganz gewöhnlichen Morgen die Laune verdorben, indem sie den Tod ihres Sohnes erinnert. Na, toll.
"Es tut mit leid... ich wollte keine schlechten Erinnerungen hervorrufen", stammelte sie überfordert.
Molly lächelte schwach und machte eine abwinkende Handbewegung: "Es vergeht kein Tag an dem ich nicht an meinen Sohn denke."
"Ich kannte Fred kaum, weil ich ein Jahr unter den Beiden war- aber er war ganz wundervoll. Wo immer die Beiden waren, haben sie gute Laune verbreitet", sagte Rosie bedrückt. „Er war ein ganz besonderer Mensch- nicht jeder beherrscht es so viel Freude zu verbreiten."
"Das höre ich so oft und jedes Mal wieder macht es mein Herz ein wenig leichter", sagte Molly und Rosie bemerkte ein verräterisches Glänzen in den braunen Augen. Dann straffte Molly ihre Schultern: "Gut, also dann nehme ich schonmal vier dieser Zimtschnecken!"
"Gerne doch", lächelte Rosie und machte sich sofort daran die Gebäckstücke zu verpacken. In einem Anflug von Mitgefühl, legte sie Molly ein Zitronentörtchen zu ihrer Bestellung.
Als Molly den Laden verließ, sah Rosie ihr nach. Sie überwand den kurzen Weg zwischen der Bäckerei und dem Scherzartikelladen, öffnete die Tür und dann war sie verschwunden. Sie hatte eine seltsame Art der Traurigkeit in Rosie's Laden zurückgelassen. Die Trauer war ganz anders als die von George. Während er beinahe schon wütend wirkte, schnitt einem Molly's Trauer förmlich in die Seele. Es war die Trauer einer Mutter.
Rosie fragte sich unwillkürlich wie wohl ihre eigene Trauer auf die Menschen wirkte.
༄
"Mum", stellte George fest. In dem Moment, in dem er ihren rotgrauen Haarschopf vor dem Schaufenster gesehen hatte, war ihm wieder eingefallen, dass dieser Konflikt noch ausstand. Offensichtlich wollte sie dieses Mal keinen Brief schicken, kein Gespräch über das Flohnetzwerk- nein, sie war persönlich vorbeigekommen.
"Ich habe dir etwas mitgebracht", sagte Molly und wirkte zu George's Erstaunen alles Andere als wütend oder enttäuscht.
"Komm' doch erstmal und setz' dich", sagte er und nickte mit dem Kopf in Richtung seines Hinterzimmers, in dem ein wackeliger Tisch mit zwei Stühlen stand. Ursprünglich war das der Pausenraum- allerdings fand Elaine diesen Raum "todes-deprimierend" und verbrachte ihre Pause stattdessen lieber überall, nur nicht dort. In letzter Zeit bemerkend oft auch in Rosies Bäckerei nebenan...
"Danke, George-Schatz", säuselte seine Mutter und marschierte geradewegs voraus. Er folgte ihr. Während sie einen Kessel aufsetzte, ließ er sich auf einen der wackeligen Stühle sinken.
"Ich war eben bei deiner neuen Nachbarin", sagte Molly in einem bemühten Plauderton, "Sie ist nett."
Normalerweise hätte ihn dieser erneute Verkupplungsversuch mehr als nur wütend gemacht - doch weil er gestern die Therapiesitzung frühzeitig verlassen hatte, konnte er sich es nicht leisten unhöflich zu werden. Seine Mutter erwartete sicher eine Entschuldigung.
"Ja, sie ist nett", sagte George also stattdessen.
Mit einem Klirren stellte Molly zwei Tassen Tee auf den Tisch: "Und sie scheint sehr gut zu backen. Das duftet wirklich ganz wundervoll."
Sie packte die Zimtschnecken aus dem dünnen Papier und legte zwei auf einen Teller. Der süße Geruch erreichte auch George.
"Ja, das stimmt", pflichtete George seiner Mutter bei. Er wusste, was sie versuchte. Er wusste jedoch auch, dass jeglicher Widerspruch vehement ignoriert werden würde — und deswegen spielte er mit.
„Schön, schön", säuselte Molly abwesend und goss nun den Tee auf. Sie stellte einen dampfenden Becher vor ihm ab. Einige lose Teeblätter schwammen in der hellbraunen Flüssigkeit umher, wirbelten durch das heiße Wasser wie Blätter im Wind. George starrte konzentriert in den Dampf, umklammerte den Becher mit beiden Fingern. Die Wände des Keramikbechers waren zwar dick, jedoch nicht dick genug um die Hitze vollständig abzudämmen. Seine Finger brannten. Es war schmerzhaft, aber loslassen konnte er nicht.
Er wusste, dass seine Mutter hier war um über die Therapiesitzung zu sprechen. Und diese Tatsache lag ihm wie ein Stein im Magen.
Statt einer typischen Mum-Predigt erwartete George jedoch etwas völlig anderes.
„Du kannst sie gerne mal mitbringen", sagte Molly betont beiläufig, „Zum Familienessen, meine ich."
Einen Moment lang wunderte George sich, ob die Dämpfe des Tees vielleicht halluzinogen auf ihn wirkten. „Wie bitte?", fragte er überrumpelt.
„Rosie", erläuterte seine Mutter mit einem belustigten Kopfschütteln. „Deine Nachbarin."
„Zum... Familienessen?", wiederholte George, noch immer schwer verwirrt.
„Genau", Molly strahlte, „Sie ist herzallerliebst... ich hatte den Eindruck, sie könnte deine Freundin sein."
Freundin? George verstand die Welt nicht mehr. Natürlich waren ihm die nachdrücklichen Verkupplungsversuche und Andeutungen seiner Mutter nicht entgangen. Das sie jedoch so weit gehen würde... und inwiefern hatte er angedeutet, dass sie seine Freundin sein könnte?
„Ist sie nicht", erwiderte er schließlich knapp, „Definitiv nicht."
Nervös lachte Molly auf: „Ich dachte nur..."
„Du dachtest?"
„Nachdem sie erzählte, dass du gelegentlich bei ihr einkaufst...", sagte Molly nachdenklich, „Sie wirkte unsicher, was sie sagen sollte. Ich dachte vielleicht..." Der Rest von Mollys Satz blieb zwischen ihnen hängen. Doch George wusste, was sie damit ausdrücken wollte. Unwillkürlich schwappte wieder diese Wut in ihm auf.
Warum hatte Rosie so etwas gesagt?
Warum hatte sie gelogen - er war nicht ein einziges Mal in ihrem Geschäft gewesen. Und eigentlich hatte er auch nicht vorgehabt, das zu tun. Allerdings wusste er, dass er diese Dreistigkeit auf keinen Fall ignorieren konnte. Sobald seine Mutter sich von seinem Gesundheitszustand (und Geisteszustand) überzeugt hatte, würde er dieser kleinen, viel zu freundlichen Frau einen Besuch abstatten...
So, wie versprochen, geht es nun regelmäßiger mit Rosie und George weiter. Ich liebe es einfach in ihrer Welt einzutauchen — auch wenn George aktuell noch Welten von dem George entfernt ist, den wir kennen und lieben.
Andererseits stelle ich ihn mir genau so nach Fred's Tod vor. Ugh, es bricht mir jedes Mal das Herz.
Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen - wenn ja, hinterlasst mir gerne ein Vote oder einen Kommentar!
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