8. Eine Frage der Zeit
"HAT SICH IHRE Nachtruhe verbessert?" Mr Penwick klappte mit einer routinierten Bewegung das in Leder gebundene Notizheft auf. Es begleitete George's Therapiesitzungen seit Anfang an.
Zu gerne wüsste er, was sich der Therapeut darin notiert hatte. Vielleicht so etwas wie: Patient George W. weigert sich stetig über jegliche Gefühle seinen Bruder betreffend zu kommunizieren. Oder: Der Patient symbolisiert mit all seiner Kraft seine intensive Abneigung gegenüber den Therapiegesprächen.
Sowohl das Eine, als auch das Andere war wahr.
"George, haben sie immer noch Albträume?", fragte Mr Penwick, als der Angesprochene nicht reagierte.
George seufzte und wandte seinen Blick von dem schwarzen Notizbuch ab.
Ja, er hatte Albträume. Wenn er schlief, träumte er. Und wenn er träumte, dann waren es Träume schlimmer als jede Realität.
"Ja", sagte er also wahrheitsgemäß und zuckte mit den Schultern, "Jede Nacht."
Mr Penwick fuhr sich über das graue Jacket. Der graue Stoff glättete sich kaum merklich. Eine seltsame Angewohnheit seines Therapeuten, die gleichermaßen sinnlos wie prätentiös war.
"Willst du über diese Träume sprechen, George?", fragte sein Therapeut.
Es war immer das gleiche Spiel, dachte George bitter. Er konnte sich den Zweck dieser wiederholenden Gespräche immer weniger erklären. Wozu tat er das Alles, wenn er doch in einer Zeitschleife gefangen zu sein schien. Jedes Mal dieselben Fragen. Jedes Mal dieselben Antworten.
Es war ermüdend.
"Nein", antwortete George wahrheitsgemäß. Ehrlichkeit war eine der Regeln seiner Therapiesitzungen. Eine der wichtigsten Regeln im Umgang mit Suchtkranken, pflegte Penwick stets zu sagen.
Jetzt würde Mr Penwick stumm aus dem Fenster starren und ihn irgendwann nach den letzten Wochen fragen. Wie er sich fühlte, was er unternommen hatte... Das Übliche.
"George, Albträume können aus vielerlei Gründen entstehen. Aus Angst. Aber auch aus Zorn und Wut- wichtig ist zu ergründen, was diese Träume verursacht", sagte Mr Penwick und machte eine bedeutungsvolle Pause, "Und das können wir nur herausfinden, wenn du darüber sprichst."
Es war seltsam, dass der grauhaarige Mann, der ihm gegenüber saß, dieses Mal- das erste Mal seit Monaten- nicht mehr die gleichen Fragen stellte.
Es machte ihn misstrauisch. Und wütend.
Immerhin wusste Penwick woher die Albträume kamen, genau so gut wie George es wusste. Darüber reden, George hätte am liebsten abfällig mit dem Kopf geschüttelt. Als ob es helfen würde über diese Träume zu sprechen.
Es gab bereits eine Erklärung für seine Albträume- und sie hatte nichts mit Angst oder Zorn zu tun. Das war ein Fakt.
"Schwachsinn", brummte George und ihm war klar, dass er klang wie ein bockiges Kind. Aber das war ihm gleich. "Die Träume kommen von den Tränken", fügte er wütend hinzu, als Penwick nicht auf ihn reagierte. Er hasste es, wenn der Therapeut das machte. Er wollte dadurch allwissend wirken und George verunsichern- da war er sich sicher. So ein elendiger Besserwisser.
"Die Heiler-", begann George und bemerkte, dass er seine Hände in den Stoff seiner Jeans krallte. "Sie haben gesagt-", seine Stimme verebbte abrupt im Nichts. Es fiel ihm noch immer schwer es auszusprechen. Allein daran zu denken, verursachte Scham.
Scham und ein ziehendes Gefühl in der Brust, ein Vibrieren, ein verzweifeltes Sehnen. Und dieses Sehnen nach mehr, verursachte noch mehr Scham.
"Sie haben gesagt, dass Albträume eine übliche Nebenwirkung bei der missbräuchlichen Anwendung von Schlaftränken sind?", beendete Mr Penwick beinahe schon amüsiert.
"Ja, das stimmt", beantwortete der Therapeut seine eigene Frage, "Aber wenn ihre Blutanalysen nicht lügen- und das tun sie nicht- dann haben sie schon seit über einem dreiviertel Jahr nicht mehr konsumiert. Die Nebenwirkungen sollten langsam aber stetig in ihrer Intensität abnehmen."
Mr Penwick musterte George intensiv, so als ob er ihn mit einem einzigen Blick durchschauen könnte. Doch das konnte er nicht- sonst würde George nicht noch immer in dem stickigen Büro herumsitzen.
"Die Albträume könnten medizinisch gesehen verschwinden", fuhr Penwick ernst fort und stand auf, "Wenn sie das jedoch nicht tun, dann müssen wir von einer psychischen Ursache ausgehen- was uns wiederum auf den Kern deiner Sucht zurückbringt. Und wenn du dich nicht mit diesen Ursachen auseinandersetzen wirst, wird deine Sucht nie verschwinden. Es ist nur eine Frage der Zeit bis es wieder von Vorne losgeht."
Der Therapeut hatte ihm während seiner Ausführung den Rücken zugedreht und sah aus dem Fenster. Es ist nur eine Frage der Zeit. Dieser Satz jagte George eine Heidenangst ein- auch wenn er das niemals zugeben würde. Schon gar nicht seinem Therapeuten gegenüber. Er folgte dem Blick des älteren Mannes.
Das Fenster der kleinen Praxis war mit einem Zauber belegt.
Man konnte hinaussehen und die wenigen Passanten vorbeieilen sehen, die Hände in den Manteltaschen vergraben, ein gehetztes Funkeln in den Augen. Allerdings konnten die Passanten nicht hineinsehen und George auf dem gepolsterten Stuhl sehen.
George fand es irgendwie gruselig, dass ihn die Menschen vor dem Fenster nicht sehen konnten. Es ließ ihn noch einsamer fühlen- und gleichzeitig war es eine perfekte Möglichkeit ohne viele Worte zu erklären, wie er sich fühlte seit sein Bruder gestorben war.
Wie hinter einer Glasscheibe, gefangen, unsichtbar für den Rest der Welt. Ein stiller Beobachter, der selbst wenn er die Kraft aufbringen würde etwas zu tun oder etwas zu sagen, nie gehört oder gesehen werden würde. George war unsichtbar.
Mr Penwick wandte sich von der Scheibe ab, an der Regentropfen hinunterliefen und sah seinen Patienten ernst an.
"Glauben sie mir, George, wenn wir nicht endlich auf die Ursache ihrer Sucht zu sprechen kommen, dann wird es einen Rückfall geben. Ich habe schon mit vielen Suchtkranken gearbeitet. Ich kenne die Muster."
Zorn flackerte in ihm auf, so plötzlich, dass ihm die Intensität beinahe den Atem nahm.
"Mein Bruder ist keine Ursache", presste er beherrscht hervor, "Und schon gar nicht für das."
Etwas blitzte in den Augen seines Therapeuten auf- war das Triumph?
Dann zog er abwartend eine Augenbraue hoch.
"Was hatten wir gesagt?", tadelte ihn Penwick vorwurfsvoll.
Wütend funkelte George den Grauhaarigen an. Er würde alles tun, nur sicherlich nicht eine der dämlichen Regeln des Therapeuten wiederholen.
Er war vielleicht süchtig, aber geistig beschränkt war er definitiv nicht. Dafür hatte er nicht lange genug konsumiert.
Er presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.
"Wir nennen Alles beim Namen", forderte Mr Penwick ihn auf und wirkte auf eine seltsame Art und Weise zufrieden. Er legte das Notizbuch auf seinem Schreibtisch ab und sah George danach abwartend an.
"Ich warte, George", sagte Penwick ruhig, aber mit einer Spur Ungeduld in der Stimme. Der Therapeut faltete die Hände im Schoß und warf George einen auffordernden Blick zu.
Bittere Galle stieg George in den Hals, so hoch, dass er sich nicht sicher war, ob es ihm gelingen würde, die Worte auszusprechen ohne sich direkt vor die Füße des Therapeuten zu übergeben.
"Fred ist keine Ursache", würgte er den ersten Teil des Satzes hervor. Seine Hand umklammerte die Stuhllehne, bis seine Knöchel weiß hervortraten. Es war lange her, seit er Fred's Namen laut ausgesprochen hatte.
"Und weiter?" Die Panik in George's Ohren sorgte dafür, dass die Welt rauschte und Penwick's Worte fast unmöglich zu hören waren.
Er wollte nicht.
Er konnte nicht.
Atmen.
Hilfe.
"George", verlangte der Therapeut scharf, "Sagen sie es."
Das Blut rauschte in seinen Ohren. Sein Herz schlug, heftiger als in der Schlacht von Hogwarts.
Als er sich endlich überwand, keuchte er auf.
"Und schon gar nicht für meine Sucht."
Die Worte auszusprechen bereitete ihm beinahe physische Schmerzen. Sucht. Das Wort hatte einen bittersüßen Beigeschmack.
Dann stieg ihm abermals die Galle in den Hals und er sprang auf, rannte auf die Toilette und übergab sich.
War es ein Zufall das die Toilette der kleinen Praxis direkt neben dem Büro lag?
Übergaben sich öfter Patienten während einer Sitzung?
Bei diesem Therapeuten bestimmt, dachte George während er seinen Mund mit Leitungswasser ausspülte. Das war keine Therapie, das war Folter. Mit seinem Stab verpasste er sich einen minzfrischen Geschmack im Mund, dann fuhr er sich kurz durch das rote Haar. Sein Haar war lang geworden.
Zweimal seit Fred gestorben war, hatte Molly es nicht mehr ausgehalten und die Haare notdürftig mit einem Zauber gekürzt. Das letzte Mal war nun einige Monate her und das sah man George auch an. Ein letzter, schmerzhafter Blick in das Spiegelbild, dass ihm so fremd geworden war, dann öffnete er die Tür der kleinen Toilette.
Doch anstatt wieder zurück in Penwicks Büro zu gehen, lief er geradewegs an der Tür vorbei hinaus in den Regen.
༄
"Jamie ist so groß geworden- so süß, wie er die ganze Zeit brabbelt!", Rosie's Augen strahlten, als sie sich vor dem grün-leuchtenden Kamin niederließ, "Als ob er einem etwas mitteilen wollte."
"Bei Merlin, sabbert er jetzt wenigstens nicht mehr?", seufzte Laurie von der anderen Seite des Flohnetzwerkes.
Rosie verdrehte die Augen. Laurie mochte Kinder nicht besonders- oder um es in Lauries Worten zu sagen: Sie konnte den kleinen Schleimbeuteln einfach nichts abgewinnen. Etwas, dass für Rosie so unverständlich wie Arithmantik war.
"Er ist noch nicht einmal drei Jahre alt- natürlich sabbert er!", verteidigte Rosie den Sohn ihres gemeinsamen Freundes kopfschüttelnd. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass ein leichtes Lächeln an ihren Mundwinkeln zupfte.
"Ihhh", machte Laurie und wenn Rosie ihre beste Freundin nun sehen könnte, dann hätte sie sicherlich das Gesicht verzogen. Da das Flohnetzwerk jedoch nur den Ton, nicht jedoch das Bild übertrug, war das nicht möglich.
"Kinder sind süß, Laurie", versuchte Rosie ihre Freundin zu überzeugen und legte sich bäuchlings auf den Teppich vor dem Kamin, "Man muss sich nur die Zeit nehmen um mit ihnen zu spielen und dann öffnen sie einem ihr Herz."
"Naja, auf Kinderherzen kann ich verzichten", kicherte Laurie.
Abermals verdrehte Rosie die Augen.
"Du bist unmöglich...", murmelte sie.
"Ich weiß", flötete Laurie unbekümmert und ein Gähnen ertönte.
"Vielleicht müsstest du einfach ein bisschen mehr Zeit mit Kindern verbringen, dann würdest du es verstehen", sagte Rosie diplomatisch und dachte an den Moment zurück, als der kleine Jamie mit leuchtenden Augen die Juxzauberstäbe ausgepackt hatte. War das nicht absolut herzerwärmend gewesen?
"Heute zum Beispiel, habe ich ihm ein kleines Geschenk mitgebracht. Juxzauberstäbe, kennst du die? Ich kannte sie nicht", mit leuchtenden Augen begann Rosie zu erzählen, "Zuerst dachte ich, vielleicht wäre es zu riskant einem Kleinkind eine Zauberstab-Nachahmung zu schenken, aber George meinte, es bestünde keine Gefahr. Und als Jamie dann später mit den Zauberstäben-"
"-George?", unterbrach Laurie ihre Freundin. "Wer ist Geeeooorgee?", fragte sie und zog George's Namen absichtlich lang. Auch in diesem Moment wusste Rosie genau, wie ihre Freundin aussah: mit einem zweideutigen Grinsen auf den Lippen und wackelnden Augenbrauen.
"Nur mein Nachbar. Der von Weasley's Zauberhafte Zau-", wollte Rosie abwinkend sagen, doch sie wurde wieder unterbrochen.
"Oh, verdammte Scheiße, im Ernst?", rief Laurie aus und Rosie zuckte zusammen.
"Du meinst George fucking Weasley?", keuchte Laurie, "Den Treiber aus dem Gryffindorteam?"
"Ja, natürlich. Du kennst ihn doch wohl gut genug um zu wissen, dass es genau der George ist", Rosie verstand den Aufstand nicht so ganz.
Laurie war immerhin ein langjähriges Mitglied im Hufflepuff-Quidditchteam gewesen. Sie hatte die Zwillinge gut gekannt, immerhin hatten sie mehrmals im Jahr gegeneinander gespielt. Und wie sagte man nicht so schön? Kenne deinen Feind?
"Oh, shit", sagte Laurie, "Der sieht jetzt bestimmt noch besser aus."
Ja, das tat er. Eindeutig.
"Ja, und?", fragte Rosie bemüht locker, "Dann sieht er eben gut aus. Viele Menschen sehen gut aus."
"Ich glaub' ich hatte mal was mit seinem Bruder Fred, weißt du noch?", fragte Laurie gedankenverloren und ging gar nicht auf Rosie ein.
"Nein, das war Ginny. Du hattest was mit ihrer kleinen Schwester", verbesserte Rosie ihre Freundin amüsiert, "Als sie damals ins Gryffindor-Quidditchteam aufgenommen wurde, weißt du noch?"
"Ah, fuck, ja. Es war seine Schwester, nicht sein Bruder. Naja, attraktive Familie, dass muss man ihnen lassen...", sagte Laurie gedehnt, "Aber zurück zu George- wenn er doch gut aussieht, wieso probierst du es nicht mal mit ihm? Du sagst doch immer, du wünschst dir einen Mann mit Humor- und wenn jemand Humor hat, dann wohl der Besitzer eines Scherzartikelladens."
"Gott, nein, ich glaube, er hasst mich", rutschte die Worte Rosie hinaus, bevor sie sie genauer überdenken konnte.
"Rosie, es ist quasi unmöglich dich zu hassen", sagte Laurie ernst, "Du bist wie ein Katzenbaby, flauschig und hilflos, so dass man dir am liebsten über dein weiches Fell streicheln wollen würde."
"Ich bin kein Katzenbaby!", verteidigte Rosie sich empört, "Und das jeder mich mag ist auch eine Lüge: Ich wurde in meiner ganzen Schulzeit von hochnäsigen Reinblütern beleidigt, die mich nicht einmal kannten und mich trotzdem gehasst haben."
"Na, siehst du: sie haben dich nicht gekannt. Hätten sie sich die Zeit genommen, hätten sie dich geliebt", kicherte Laurie.
Rosie schnaubte frustriert: "Genau und Professor McGonagal hört heimlich Eminem."
"Eminem?", wiederholte Laurie verwirrt, "Naja, egal- Fakt ist, dass jemand wie George dich nicht hassen könnte. Er ist ein Gryffindor und kein muggelhassender Slytherin."
"Eminem ist ein Muggelmusiker", erläuterte Rosie knapp und stützte sich auf die Ellbogen, "Und ja, er hasst mich vielleicht nicht wie die Slytherins es getan haben, aber das ist dann auch alles."
"Ach, das ist auch nur eine Frage der Zeit. Gib' ihm zwei Wochen und der ist total verknallt in dich. Oder gib' ihm diese leckeren Erdnussbutter-Kekse, dann geht's schneller."
Empört ließ Rosie die Luft aus ihren Wangen entweichen: "Also erstens, nein, zweitens, nein und drittens: Wer sagt denn, dass ich überhaupt will, dass er mich mag?"
"Süße, mein Instinkt sagt mir das nicht nur- er schreit es mir quasi ins Ohr", Laurie kicherte diabolisch und dann legte sie auf. Einfach so. Die grünen Flammen erloschen und ließen Rosie in der Dunkelheit ihres Apartments zurück, nur in der Gesellschaft einiger verwirrenden Gedanken...
Und, seht ihr das auch wie Laurie?
Und was haltet ihr von den neuesten Enthüllungen rund um George und seine Vergangenheit? Ich hatte große Angst davor, dieses Kapitel zu veröffentlichen, denn nun weicht "mein" George noch mehr von dem Buch-George ab... Allerdings gibt es für all' das ja auch Gründe, die ich euch Schritt für Schritt verraten werde.
Ich hoffe es hat euch gefallen!
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