5. Von Laurie und Beruhigungskeksen
ROSIE'S SCHÜRZE KLEBTE nass an ihr, als sie die Tür zu ihrer kleinen Bäckerei öffnete. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es nun kurz nach 12 war. Sie hatte fast eine halbe Stunde mit George geredet! Das ein so langes Gespräch mit dem doch-nicht-so-griesgrämigen George Weasley überhaupt möglich war, hatte sie nicht gedacht. Und das es sogar amüsant und unterhaltsam sein würde, erst Recht nicht.
Die Freude darüber, dass sie endlich das Eis mit ihrem Nachbar gebrochen hatte, wurde jedoch jäh erstickt, als sie bemerkte, dass es nun 12 Uhr war. Ihr Laden war immer noch leer. Die Eröffnungsfeier war offiziell seit zwei Stunden im Gange— und doch ließ sich niemand blicken.
Dabei hatte sie doch alles richtig gemacht! Oder?
Vielleicht hätte sie doch das Geld in die Hand nehmen sollen und eine Anzeige in den Tagespropheten drucken lassen sollen?
Seufzend fuhr sie sich mit dem Zauberstab über die nassen Kleider. Warme Luft bliess ihr in windeseile die Kleider trocken und ein wohlig-warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Klar, sie wollte Magie nicht für jeden schnick-schnack verwenden, aber triefend nass vor ihren Kunden zu stehen war auch keine Option.
Vor allem nicht an einem so wichtigen Tag.
Gerade als sie beschloss, sich ein Zitronen-Meringue-Törtchen zu genehmigen- denn was sollte man auch sonst tun wenn man Langeweile in einer Bäckerei hatte-, tauchte eine vertraute Silhouette im Regen vor dem Fenster auf.
Laurie. Um ihre perfekt gestylten Lockenkopf vor dem Regen zu schützen, hatte sie einen Schirm über sich auf gespannt über dessen Ränder der Regen in kleinen Wasserfällen hinunterströmte.
Sie trug einen eleganten, grauen Mantel, der ihre sportliche Figur betonte und nigelnagelneue Boots, die aussahen, als wären sie sehr teuer gewesen. Unwillkürlich fragte sich Rosie, was sie wohl eben für einen katastrophalen Eindruck bei George gemacht haben musste. In ihrer etwas zerschlissenen Lieblingsjeans, mit ihren Haaren, die sich wie immer nicht entscheiden konnten ob sie lieber lockig oder glatt sein wollten. Dazu musste der Regen diesen Effekt noch um das Zehnfache verstärkt haben. Und dann auch noch die rosafarbene Schürze, die mit Mehl und Buttercreme verschmiert war... Ursprünglich hatte sie vorgehabt an diesem besonderen Tag ihr Lieblingskleid anzuziehen: es war hellblau und mit einem zarten Blumen-Muster. Außerdem besaß es Taschen— sehr praktisch für verplante Seelen wie Rosie. Sie hatte sogar darüber nachgedacht, sich eine besondere Frisur zu machen. Vielleicht die Flechtfrisur, die ihre Mutter ihr früher immer geflochten hatte. Aber sie hatte keine Zeit gehabt.
Seit sie die Bäckerei eröffnet hatte, hatte sie überhaupt keine Zeit mehr gehabt. Für gar nichts, außer für die Arbeit.
Trotzdem wurde ihr durch ihre beste Freundin mal wieder bewusst, dass bei ihrem Anblick sicherlich niemand, dachte dass sie elegant sei. Geschweige denn attraktiv.
Als Laurie mit einem breiten Grinsen den Laden betrat, war ihr das aber völlig egal.
Strahlend fiel Rosie ihrer nassen Freundin um den Hals. Endlich. Sie hatte sie vermisst.
"Rosie!", quietschte Laurie so hoch und nah an ihrem Ohr, dass Rosie hoffte danach, noch in der Lage zu sein, überhaupt etwas zu hören, "Es tut mir so so Leid, dass ich erst jetzt vorbeikomme!"
"Ich habe dich so vermisst!", sagte Rosie und schluckte. Ihre Nase steckte in Lauries vertrauten Locken, die den Geruch irgend-eines teuren Parfüms verbreiteten. Etwas Vertrautes um sich zu haben war wirklich schön.
"Ich dich auch", erwiderte ihre Freundin und schob sie ein Stück von sich. Prüfend musterte Laurie ihre kleinere Freundin vor sich. "Ich hab' echt schon die ganze Woche meinen Idioten von einem Chef angebettelt, einen Tag Urlaub nehmen zu dürfen- aber wegen dieser beschissenen Kampagne musste ich noch länger in Zürich bleiben... So ein Armleuchter, ich sag's dir", plapperte sie drauf los und sah sich mit großen Augen in der kleinen Bäckerei um. Dann landete ihr Blick auf Rosie. "Bei Merlin, du siehst echt scheiße aus", stellte sie fest.
Rosie grinste schief: "Ich fühl' mich auch nicht so gut."
Das sie sich Nicht-so-gut fühlte, war wohl die Untertreibung des Jahrhunderts. Glücklicherweise wusste Laurie, dass ihre beste Freundin wenn sie nicht-so-gut sagte, eigentlich absolut-katastrophal-herzgebrochen meinte. Rosie fiel es schwer, schlechten Gefühlen die Oberhand zu überlassen. Und normalerweise tat sie das auch nicht. Sie wollte lieber fröhlich sein, optimistisch, die Zeit auf dieser Welt in vollen Zügen genießen... Vor allem nachdem ihr der Krieg gezeigt hatte, wie abrupt Leben enden konnten.
Aber die Welt machte es ihr wirklich nicht einfach in der letzten Zeit.
"Okay, dann setzt' du dich jetzt erstmal", entschieden drückte Laurie ihre beste Freundin auf einen der kleinen Stühle, "Und dann mach' ich dir erstmal einen Tee und du erzählst mir in aller Ruhe, was hier das Problem ist. Bei so einem Scheißwetter ist ein ordentlicher Earl-Grey sowieso eine gute Idee."
Rosie schmunzelte. Laurie's schottischer Akzent, gepaart mit ihrer vulgären Wortwahl wollte so gar nicht zu dem Erscheinungsbild der modischen, jungen Frau passen. Laurie war hochgewachsen, besaß tiefbraune, funkelnde Augen und ebenmäßige Haut, wie dunkler Wüstensand. Gepaart mit ihrem modischen Aussehen, war Rosie immer wieder überrascht, wie viel ihre Freundin fluchte.
Während Laurie sich unter Rosie's Anleitung an der Stiebträgermaschine zu schaffen machte um den Tee vorzubereiten, begann Rosie zu erzählen. Von der ersten Woche, von den wenigen Kunden und der Eröffnungsfeier, die bisher noch nicht mal ansatzweise eine Feier war.
"Und du hast Flyer verteilt? Letzte Woche schon?", fragte Laurie fassungslos.
"Ja— in den Läden hier in der Nähe, an Kunden und dann habe ich sie noch an per Eule an Jocelyn und Billy geschickt", zählte sie resigniert auf, "Billy wollte noch vorbeikommen, aber Jocelyn ist auf einer Geschäftsreise. Und an dich logischerweise."
Laurie stellte mit einem Stirnrunzeln, die Tassen auf den kleinen Tisch vor ihnen.
"Die Frage ist also, warum dann niemand da ist", fasste sie Rosie's Problematik zusammen.
Rosie nickte und wie von selbst glitten ihre Finger an das kalte Metall um ihren Hals. Das Amulett brannte sich, jetzt wo ihr Versagen deutlicher als je zuvor zu spüren war, förmlich in ihre Haut.
"Dann müssen wir irgendetwas übersehen haben", stellte Laurie fest, "Dieser Laden sieht so supersüß aus, da müsste sich doch zumindest ein wenig Laufkundschaft in deinen Laden verirren- bei Merlins Unterhose, das macht einfach keinen Sinn!"
Dann nahm sie einen Schluck vom Tee und schloss genüsslich die Augen. "Mhmm ist das gut!", seufzte sie auf.
"Vielleicht habe ich ja einfach kein Talent. Vielleicht merke ich es nur nicht", begann Rosie zweifelnd.
Laurie riss empört die Augen auf: "Wage es ja nicht auch nur so etwas zu denken, Rosemary Summers!"
"Aber was soll es denn sonst für eine Erklärung geben? Mein Laden liegt ja nicht einmal abgelegen, sondern direkt in der Winkelgasse. Hier laufen jeden Tag einen Haufen Leute vorbei."
Noch während Rosie die Worte aussprach, musste sie feststellen, dass dies nicht stimmte. Sie hatte heute noch fast niemanden in der Winkelgasse gesehen... Das war wohl der Regen... Oder?
Energisch schüttelte Laurie den Kopf und ihre schwarzen Locken wippten im Takt. "Du hast ganz Hufflepuff jahrelang mit Liebeskummer-Muffins versorgt, mit Geburtstagskuchen und Weinachtsplätzchen— wenn du nicht backen könntest, dann hätte dir das schon längst jemand gesagt. Inklusive mir. Du weißt, mein schottisches Herz verträgt keine Lügen!", mit einem schwungvollen letzten Kopfschütteln und einem ernsten Blick beendete ihre Schulfreundin den Kurzvortrag.
Dann schmunzelte sie: "Ach ja, und nicht zu vergessen, Harvey, der nur mit dir zusammen sein wollte wegen deiner Erdnussbutter-Schokoladen-Kekse."
"Oh, Harvey", murmelte Rosie bedrückt und ihr Gesicht wurde ganz blass, "Das war echt gemein von ihm."
"Ja, das war gemein- aber das ist gleichzeitig auch der beste Beweis dafür, dass du sehr wohl backen kannst", bekräftigte Laurie ihre Aussage und nahm Rosie's Hand. Mit einem aufmunternden Lächeln drückte sie sie. Eine Geste, so vertraut, dass Rosie beinahe die Tränen in die Augen stiegen.
Laurie kannte ihre beste Freundin und wusste, das der schimmernde Glanz in den karamellfarbenen Augen ihrer Freundin nicht nur auf ihre Motivationsrede zurückzuführen war.
"Weißt du die Erdnussbutter-Schokoladen-Kekse sind total einfach, die könnte echt jeder backen. Nur ein bisschen Backpulver und—", begann Rosie traurig.
Mit einem energischen Fingerschnipsen brachte Laurie ihre Freundin zum Verstummen.
"Eh-Eh", machte sie, "Rede dir jetzt nicht so einen Müll ein. Du backst fantastisch!"
Traurig beobachtete Rosie wie ihre Freundin aufstand und sich ihren Mantel über die Schultern warf.
"Wie wäre es, ich nehme mir jetzt ein paar von deinen Flyern und stell' mich ganz nach vorne in die Winkelgasse", schlug Laurie mit einem breiten Lächeln vor, "Da fange ich direkt ein paar Leute ab und drücke ihnen die Flyer in die Hand. Du machst es dir so lange gemütlich und isst erstmal einen von diesen göttlichen Erdnussbutter-Keksen. Und glaub' mir, danach sieht die Welt schon ganz anders aus."
༄
Als George etwa 15 Minuten zu spät am Fuchsbau eintraf, saß die ganze Familie im Esszimmer. Kein Wunder, bei dem Regen. Leider führte das dazu, dass jeder— inklusive Klein-Teddy— mitbekam, dass er zu spät dran war.
Wenn die Familie wie letztes Wochenende im Garten sitzen würde, dann hätte er sich vielleicht unauffällig unter seine Geschwister mogeln können. Doch nachdem der Kamin nicht sehr unauffällig knallgrün aufgeleuchtet war und kurz darauf George ausgespuckt hatte, war es schwer ihn nicht zu bemerken.
"Onkel Gog!", brabbelte Teddy begeistert und klatschte in die kleinen Hände. Ein sanftes, ehrliches Lächeln setzte sich auf seine Lippen.
Dann fiel sein Blick auf Molly.
Sie hatte eine Augenbraue skeptisch hochgezogen, konnte ihren Unmut nur schwer verbergen. "Du bist spät dran, mein Lieber!", sagte sie vorwurfsvoll und ihr Ton ließ vermuten, dass sie eine Erklärung erwartete. Bei jedem anderen wären 15 Minuten Verspätung überhaupt kein Problem gewesen. Nur bei ihm nicht.
Weil sie ihm nicht vertraute. Aber um ehrlich zu sein, verstand er sie.
Wahrscheinlich würde er sich auch nicht mehr vertrauen.
"Es ist auch schön dich zu sehen, Mum", sagte er gespielt heiter, "Ich hab' die Zeit vergessen, tut mir Leid."
"Du bist sonst nie zu spät", beharrte die Matriarch in mit zitternder Stimme, "Nie!"
Die Gespräche, die mit seinem Auftauchen verstummt waren, hinterließen eine unangenehme, beinahe vorwurfsvolle Stille in dem sonst so gemütlichen Esszimmer. Einzig Teddy verstand nicht was vor sich ging und brabbelte und kicherte vor sich hin, während er sich den Kartoffelbrei in die Haare schmierte. Während Andromeda ihren Enkel peinlich berührt von dererlei Unsinn abzuhalten versuchte, waren die Blicke der Anderen auf ihn gerichtet. Besorgt und unsicher, ob sie ihm glauben konnten... Unsicher, ob sie sich diesen Fehler ein zweites Mal erlauben durften.
George hasste es, dass sie ihn so ansahen. Aber gleichzeitig wusste er auch, dass es ganz allein seine Schuld war, dass es jemals so weit gekommen war.
Er hatte wohl keine Wahl, als die Wahrheit zu sagen.
"Es- es ist nicht wie ihr denkt", sagte er und schluckte. Es war selten, dass er so offen mit seiner Familie sprach. Aufmerksam lagen die zahlreichen Augenpaare auf ihm. Sein Magen verknotete sich, als er abermals bemerkte, dass ein Augenpaar fehlte. Fred fehlte.
"Wenn ihr es unbedingt wissen müsst", seufzte er, "Meine Nachbarin hat heute ihre Bäckerei offiziell eröffnet mit einer Feier, ich habe mit ihr geredet und die Zeit vergessen— das ist Alles", sagte er und suchte den Blick seiner Mutter. "Du weißt schon, Mum, die neue Nachbarin, über du mich letzte Woche so ausgequetscht hast", fügte er hinzu.
Etwas Molly's Augen flackerte auf. Sie nickte langsam. Dann machte sich ein angespanntes Lächeln auf ihren Lippen breit.
"Ich schätze, dann muss ich nächste Woche mal in der Winkelgasse vorbeischauen, um mir dieses Geschäft anzusehen", sagte sie dann mit zittriger Stimme.
Damit war das Thema, zumindest für die anderen erledigt. Sie glaubten ihm. Langsam wurde sich wieder dem Essen zugewandt, nur George stand da und starrte seine Mutter fassungslos an.
"Mum, du musst nicht kontrollieren ob ich dir die Wahrheit sage", sagte er und ein Anflug von peitschender, funkenströmender Wut machte sich in ihm breit.
"Aber ich will doch nur, dass es dir gut geht", verteidigte sich seine Mutter und die Verzweiflung in ihrer Stimme, hätte ihn vor zwei Jahren noch innehalten lassen. Doch George hatte sich verändert.
"Mir geht es gut", sagte er etwas zu heftig. "So gut wie es euch allen ebenfalls geht."
Die Stille, die seinen Worte folgte, war so bedrückend, dass er das Gefühl hatte sämtlicher Sauerstoff wäre aus dem Esszimmer verschwunden. Wieder sahen alle ihn an. Doch dieses Mal glaubten sie ihm nicht.
"Ihr müsst endlich aufhören mich zu behandeln als ob ich krank wäre!", fügte er wütend hinzu und ließ sich auf den letzten freien Stuhl fallen. Zwischen Bill und Audrey. Na toll. Ignorant gegenüber der Stille, nahm er— aus Mangel an Alternativen— die Wasserkaraffe und goss etwas in das leere Glas vor ihm.
Als er seinen Blick wieder hob, schwammen in Molly's Augen Tränen. Bestürzt stand Ginny, die ihrer Mutter von allen am nächsten war, auf und legte ihre Arme um das Familienoberhaupt. Während Ginny beruhigend auf Molly einredete, wandte George seinen Blick ab und starrte auf den leeren Teller, der an seinem Platz gedeckt war.
Percy, schon immer ein Meister der höflichen Konversation, räusperte sich.
"Wir sollten uns alle beruhigen", sagte er diplomatisch und George bemerkte, wie er unter dem Tisch die Hand seiner Verlobten umgriff, "Es ist doch so schön hier zusammen zu sein."
Mit einem bitteren Gefühl in der Magengrube, bemerkte George wieder einmal wie fehl am Platz er war. Hier wollten sie alle die glückliche Familie spielen, mit ihren Partnern und Kindern und Freunden. Dass einer fehlte, immer fehlen würde — das wollten sie hier vergessen in der vermeintlich-fröhlichen Sonntagsrunde.
Es war kein Platz für George, kein Platz für seine Trauer, die ihn seit fast zwei Jahren im Klammergriff die Luft abschnürte.
Immer weiter, so lange, bis George irgendwann ersticken würde.
Es war nur eine Frage der Zeit.
George tut mir so leid. Ich liebe die Weasleys ja total, aber ich glaube auch, dass er schon irgendwie Recht hat. Dem Rest fällt es einfacher Freds Tod zu verarbeiten, da sie Partner, vielleicht bald Kinder oder in Molly's Fall ihr erstes Enkelkind haben /erwarten. Das Leben hat sich ihrer angenommen.
Nur George bleibt irgendwie zurück.
Übrigens erstelle ich gerade eine Playlist zu dieser Story. Wenn euch also Songs einfallen, die entweder vom Text her oder vom Vibe zu dieser Story passen- immer her damit. Ihr findet die Playlist unter 'zimt und zucker' auf Spotify!
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