
3. Aller Anfang ist schwer
"ELAINE? WO IST die Lieferung für das Ministerium?", rief George über die Schulter.
Missmutig kniff er die Augen zusammen und ließ seinen Blick über die zahlreichen Kisten in den Regalen schweifen. Er hatte gleich gewusst, dass es keine gute Idee gewesen war, Elaine die Lagerräume aufräumen zu lassen.
Nichts war mehr dort, wo es hingehörte.
Seine Mitarbeiterin streckte den Kopf zur Tür herein und deutete auf das linke Regal: "Da, Chef. Steht in knallrot drauf".
Sein Blick folgte ihrer ausgestreckten Hand und ein grimmiges "Hmpf" verließ seine Lippen, als er feststellte, dass sie Recht hatte.
Ein freches Grinsen tanzte auf ihren Lippen und so schnell wie sie gekommen war, war sie auch wieder verschwunden.
Er zog den Karton mit Schildumhängen hervor und trug ihn an den Waren- und Lieferanteneingang, wo er ihn mit einem Knallen fallenließ.
"Nicht gut geschlafen?", erkundigte sich Elaine und türmte ihr langes rotes Haar zu einem Dutt auf dem Kopf auf, während sie George kritisch beäugte.
"Ich schlafe nie gut", erwiderte George trocken und verschränkte die Arme vor der Brust.
Elaine war gerade neunzehn Jahre alt, frisch aus Hogwarts entlassen und— warum auch immer— eine extrem motivierte Mitarbeiterin seit Ende September.
Irgendwie hatte er sie in sein Herz geschlossen, auch wenn sie immer furchtbar schlechte Witze riss und ihn "Chef" nannte.
"Uh, ich bin George und immer mies drauf", frotzelte Elaine und grinste.
"Wenn du nicht an die Arbeit gehst, feuer' ich dich", drohte er und verschränkte die Arme vor der Brust.
Elaine grinste: "Wirst du nicht".
Obwohl sie ihm fürchterlich auf die Nerven ging, schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen.
"Hast' Recht. Werde ich nicht. Aber wenn du so weitermachst, verrate ich deiner Tante, dass du dich noch immer nicht um deine Bewerbungen gekümmert hast", zog er sie weiter auf und blickte auf die Uhr.
In einer Minute würde der Ministeriumsabgeordnete kommen, um die Lieferungen abzuholen. Sie kamen immer um Punkt 8.
"Lügner!", flötete Elaine und tänzelte an ihm vorbei ins Ladeninnere.
Nachdem er die Kisten an den Ministeriumsangestellten übergeben hatte, folgte er seiner einzigen Mitarbeiterin in sein Geschäft.
"Übernimmst du heute mal die Kasse?", fragte er, als er den Laden aufschloss, "Ich arbeite gerade an neuen Produkten, da will' ich meine Ruhe haben."
Sofort funkelte die Begeisterung in den Augen seiner jungen Mitarbeiterin auf: "Aber klar doch, Chef! Was wird das für eine Reihe? Neue Wunderhexe-Produkte? Die kamen super an, bei mir damals in Hog—"
"—Nein, keine Wunderhexe-Produkte", unterbrach George sie und machte sich auf den Weg in die Hinterzimmer.
Elaine folgte ihm: "Wie wäre es mit Besen, die aussehen wie Drachen? Oder Minimuffs in neuen Farben? Oder-"
"Elaine!", George warf der kleinen Hexe einen scharfen Blick zu, "Was genau verstehst du nicht, wenn ich sage, dass ich meine Ruhe haben möchte?"
Gespielt beleidigt schob sie ihre Unterlippe hervor und verschwand hinter einigen Regalreihen.
George verdrehte die Augen und öffnete eine versteckte Tür in der Wand. Dort angekommen ließ er sich auf einen Stuhl sinken und starrte an die Wand.
Er musste neue Produkte auf den Markt bringen. So gut die Nasch- und Schwänzleckereien auch waren, sie waren alt und mittlerweile hatte jeder Scherzartikelladen, der etwas auf sich hielt, diese kopiert. Nasblutnougat und Co war längst nichts Besonderes mehr.
Da gab es nur ein Problem: Es mangelte ihm an Ideen.
Kurz spielte er mit Elaines "Drachen-Besen"-Idee, verwarf diese jedoch schnell wieder. Sie war kaum umsetzbar und würde das Budget eines jeden Schülers um Längen sprengen. Und Schüler waren nun mal die Zielgruppe des Scherzartikelladens.
Die nächsten Stunden verbrachte er in vollkommener Stille in seinem provisorischen Labor und starrte an die weiße Wand.
Seit Fred gestorben war, hatte er keine neuen Ideen mehr gehabt. Zumindest keine Guten.
Weasleys Zauberhafte Zauberscherze war ihr Geschäft gewesen. Ihre gemeinsame Idee.
Es war als wäre sein Kopf seit Freds Tod vollkommen leer- jeder Funken Kreativität und Erfindergeist verschwunden.
Als Elaine ihre Mittagspause machen wollte, klopfte sie an seiner Tür, damit er den Laden für die nächste Stunde übernehmen konnte.
Das mitleidige Lächeln, dass auf ihren Lippen schwebte, als sie das leere Notizbuch vor ihm erblickte, entging ihm nicht.
༄
Eine eigene Bäckerei zu besitzen, hatte Rosie sich anders vorgestellt.
Ganz anders.
Es war mittlerweile halb Neun und außer einem gehetzten Geschäftsmann, der einen schwarzen Kaffee bestellt hatte, war noch niemand in ihr Geschäft gekommen.
Missmutig schnitt sie sich ein Stück von ihrem heißgeliebten Himbeer-Schokoladen-Kuchen hinunter. Wenn schon niemand sonst etwas essen wollte, dann würde sie das einfach selbst tun.
Um halb eins musste Rosie sich zusammenreißen um ihrer Enttäuschung nicht die Oberhand zu geben.
Mit einem angespannten Lächeln auf den Lippen beobachtete sie wie ein Passant nach dem Anderen an ihrem Geschäft vorbeischlenderte. Niemand hatte mehr als nur einen kurzen Blick für ihr Geschäft übrig... Hatte sie die Schaufenster nicht hübsch eingerichtet? Mangelte es ihr an einem Sinn für Ästhetik?
Eine rothaarige, junge Frau war die Erste, die am Schaufenster stehenblieb und die Kuchen in den Vitrinen bewunderte.
Innerlich zerging sie beinahe an der Hoffnung, dass sie vielleicht endlich eine richtige Kundin haben würde. Äußerlich wirkte sie wahrscheinlich ähnlich, auch wenn sie sich das nicht eingestehen wollte. Rosie war schlecht darin, ihre wahren Gefühle zu verbergen.
Das Läuten der Tür riss sie abrupt aus ihren Gedanken und sie sah auf.
Die Rothaarige war tatsächlich hereingekommen.
"Guten Morgen!", rief die junge Frau enthusiastisch und schloss dann mit einem genüsslichen Seufzer die Augen, "Das riecht wirklich köstlich".
Das angespannte Lächeln auf Rosie's Lippen verschwand und an dessen Stelle trat ein wahrhaftiges Lächeln.
"Es schmeckt sogar noch besser als es riecht", erwiderte sie amüsiert.
"Das kann ich mir kaum vorstellen", zwinkerte die junge Frau und schlenderte durch das Geschäft.
Immer wieder lugte sie in die Vitrinen und stellte Fragen zu den verschiedenen Gebäckstücken.
Am Ende entschied sie sich für zwei Stück Apple Pie.
"Der Laden hier ist noch neu, oder? Er ist mir vorher nie aufgefallen", fragte die Kundin, als Rosie gerade damit beschäftigt war, die Kuchenstücke zu verpacken.
"Es ist mein erster Tag— Eröffnung sozusagen", unwillkürlich zog Rosie die Schultern hoch.
"Oh!", rief die Rothaarige überrascht aus. Sie sah sich um, "Oh...", wiederholte sie ihre Worte etwas leiser. Die Betroffenheit in ihrer Stimme war kaum zu überhören.
Die Reaktion verriet Rosie, dass sie mit ihrer Einschätzung der Situation vollkommen richtig lag. Es war kein guter, erster Tag.
Überhaupt kein guter, erster Tag.
Rosie seufzte: "Dann ist es wohl wirklich so schlimm wie es sich anfühlt."
"Soll ich ehrlich sein?", schmunzelte die junge Frau.
"Ich bitte darum!", sagte Rosie mit einem angespannten Lächeln.
"Selbst an unseren schlechtesten Tagen ist mehr los als bei dir hier", ein mitleidiges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, "Sorry."
"Schon okay", Rosie machte eine abwinkende Handbewegung, "Ich habe einfach keine Erfahrung, was die Geschäftsführung anbelangt."
"Hm", machte die Kundin, "Das merkt man, um ehrlich zu sein. Wird es noch eine Art Eröffnungsfeier geben?"
"Ja, aber erst am Wochenende", lächelte Rosie, "Ich habe gestern schon ein paar Flyer verteilt."
"Immerhin etwas", schmunzelte die junge Frau auf der anderen Seite der Theke, dann streckte sie Rosie ihre Hand entgegen, "Ich bin übrigens Elaine Delacroix. Ich arbeite im Geschäft nebenan."
"Freut mich. Ich bin Rosie- oder Rosemary, wie es dir lieber ist", lächelte Rosie. Dann riss sie beeindruckt die Augen auf: "Delacroix wie in Madame Delacroix? Dir gehört der Friseursalon nebenan?"
Elaine verzog das Gesicht zu einer Grimasse: "Zum Glück nicht. Madame Delacroix ist meine Tante. Ihr gehört das Geschäft. Ich arbeite aber nicht dort, sondern bei Weasleys zauberhaften Zauberscherzen."
"Puh, ich dachte schon, dass ich der falschen Madame Delacroix das Willkommensgeschenk überreicht habe...", grinste Rosie und schob das Päckchen mit den Kuchenstücken über den Tresen.
"Keine Sorge", lächelte Elaine während sie klimpernd einige Münzen hervorkramte, "Hier, es sind 15 Sickel und 8 Knuts, richtig?"
"Genau. Lass es dir schmecken und richte deiner Tante beste Grüße aus!", Rosie tippte den Betrag in die Kasse ein und ließ die Münzen hineinfallen. Dann wandte sie sich wieder Elaine zu, die verabschiedend die Hand hob, bevor sie aus der Tür heraustrat.
"Danke dir- ich richte es aus!"
Mit einem letzten Klingeln der Tür kehrte wieder Ruhe in Rosies Geschäft ein. Die Ruhe blieb ihr den ganzen Tag erhalten.
༄
Müde rieb sich Rosie über die Augen. Die erste Woche war unglaublich anstrengend gewesen— und das, obwohl der erwartete Andrang auf ihr Geschäft ausgeblieben war. Trotz weniger Kunden hatte sie natürlich immer frisch backen müssen, damit ihre Gebäckstücke immer frisch verkauft werden konnten. Außerdem hatte sie in jeder freien Minute, die Eröffnungsfeier geplant: Flyer verteilt (überall, nur George's Laden hatte sie dabei wie zufällig ausgelassen), Freunde eingeladen, kleine Willkommensboxen zusammengestellt und eine Hexe für die musikalische Untermalung angeheuert.
Dazu hatte sie natürlich noch Kunden gehabt. Nicht viele, aber immerhin.
Die wenigen Kunden, die sich in der ersten Woche, in ihre Bäckerei verirrt hatten, ließen sich an einer Hand abzählen. Elaine war noch einige Male in ihrer Mittagspause vorbeigekommen und hatte sich durch das Sortiment probiert, ebenso wie ein paar andere Geschäftsinhaber aus der Winkelgasse.
Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass Rosie am Ende der Woche mit einem Korb voll übriggebliebenem Kuchen durch die Winkelgasse lief um sie an die benachbarten Geschäftsinhaber zu verteilen.
Der Kuchen konnte nicht mehr verkauft werden, aber das war schließlich kein Grund um ihn wegzuwerfen.
Rosemary hatte wirklich jedem ein paar Stückchen ihres Kuchens gebracht, jedem... bis auf George Weasley.
Sie hatte gehofft, dass am Ende einfach nichts mehr übrig war, dass sie dem Besitzer des Scherzartikelladens hätte vorbeibringen können. Doch auch in diesem Fall hatte sie das Glück verlassen.
Kurz spielte die ehemalige Hufflepuff mit dem Gedanken, den übrigen Kuchen anderweitig loszuwerden- doch sie war ein gutmütiger Mensch. Ein freundlicher Mensch. Ein Mensch, der Kuchen verschenkte anstatt ihn wegzuwerfen.
Ganz im Gegenteil zu George Weasley. George Weasley war ein undankbarer Griesgram, der sich nicht einmal über selbstgebackenen Zimtschnecken freuen konnte...
Allein der Gedanke daran ein weiteres Mal mit ihrem missgelaunten Nachbar konfrontiert zu werden, bereitete ihr Magengrummeln.
Der einzige Lichtblick war Elaine. Immerhin war sie bei George angestellt— wenn sie Glück hatte war sie noch im Laden.
Es war kurz nach sieben als sie vor dem knallig-bunten Geschäft stand und zögerlich die Tür öffnete.
Die Türglocke läutete und es dauerte exakt zweieinhalb Sekunden, bis George aus einem Hinterzimmer hervorkam.
Als er sie erblickte, zog er fragend eine Augenbraue hoch.
"Hi!", sagte Rosie unsicher und umklammerte den Korb mit dem Kuchen.
"Wir haben seit-", er warf einen Blick auf sein Handgelenk, "vier Minuten geschlossen."
"Ich bin nicht hier um etwas zu kaufen", stellte Rosie klar und biss sich auf die Unterlippe.
"Das hätte ich auch nicht gedacht", erwiderte George und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick schien sie geradezu zu durchbohren.
Rosie warf ihm einen irritierten Blick zu: "Was soll das denn heißen?!"
"Du bist nicht der Typ für Juckpulver und Stinkbomben. Du bist eines von diesen Mädchen, dass die Hausaufgaben noch an dem Tag erledigt, an dem sie aufgegeben werden", George zuckte mit den Schultern.
Sie prustete empört auf: "Wie bitte?!"
"Habe ich nicht Recht?" Es war das erste Mal an diesem Abend, dass ein dünnes Lächeln auf seinen Lippen lag.
Sie verdrehte die Augen: "Darum geht es doch gar nicht."
"Nicht?", herausfordernd sah er sie an, "Worum denn dann?"
"Eigentlich darum, dass ich Kuchen dabei habe, den ich dir vorbeibringen wollte", sagte Rosie mit einem leicht schnippischen Unterton, "Aber wenn du so weitermachst, dann verfüttere ich den Kuchen lieber an die Tauben da draußen."
George wusste einen Moment lang nicht, was er darauf antworten sollte. Offensichtlich war die stotternde Frau mit Mehl in den Haaren nur stotternd und unsicher, wenn sie nicht wusste, was sie erwartete.
Das sie nun schon beinahe schlagfertig war, dass hatte er nicht erwartet.
"Ich schätze Elaine würde mich umbringen wenn ich das Angebot nicht annehmen würde", sagte er also und musterte die junge Frau eindringlich.
Ein breites Lächeln setzte sich auf ihre Lippen und mit dem Korb unter dem Arm geklemmt lief sie bis zur Ladentheke, wo sie selbigen abstellte.
"Dann lass ich den mal hier- das sind vier Zimtschnecken, zwei Kirschtörtchen und ein Stück Schokoladentorte", zählte sie auf und fuhr sich fahrig durch das hellbraune Haar.
Er wurde einfach nicht schlau aus ihr.
Hatte er ihr nicht eindeutig zu verstehen gegeben, dass er keinen Besuch gebrauchen konnte? Dass er ihre Geschenke nicht wollte?
Konnte sie ihr strahlendes Lächeln nicht mal für einen Moment ausknipsen, wie ein normaler Mensch?
"Hmm. Danke", rang er sich schlussendlich zu einigen Abschiedsworten durch.
"Gerne doch", rief seine Nachbarin über ihre Schultern und war verschwunden.
Das Klingeln der Tür verstummte und zurückblieb nur noch George und die Stille.
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