1. Von dem Geruch eines neuen Lebens und anderen Kuriositäten
DER GERUCH VON frischer Farbe und gebohnertem Holz war gleichzusetzen mit dem Beginn eines neuen Lebensabschnitts.
Rosie straffte ihre Schultern und sog den Geruch ein letztes Mal ein. Wochenlang hatte er in dem zwölfeinhalb Quadratmeter-Zimmer gehangen, subtil und doch so präsent, dass sie ihn wohl nie vergessen würde.
Doch heute, heute würde dieser Geruch ein für alle Mal verschwinden. Aus der Winkelgasse Nr. 91 würde sich von nun an der Duft von Frischgebackenem verbreiten. Von heißem Kaffee, von frischer Hefe und von Zimt und Zucker.
Sie zog ihren Zauberstab hervor und schwang ihn in einem eleganten Bogen durch die Luft. Goldgelbes Licht hüllte das Geschäft in seinen diesigen Glanz. Das dunkle Holz der Theke schimmerte auf, die leeren Vitrinen glitzerten verheißungsvoll. Eine Welle von kribbelnder Aufregung überkam die junge Hexe und plötzlich stoben Funken aus der Spitze ihres Rosenholzstabs. Sie grinste.
Nach all den Jahren der Arbeit, des vergeblichen Hoffens, hatte sie es endlich geschafft. Sie war genau dort, wo sie schon immer sein wollte.
In ihrer eigenen Bäckerei.
Stolz schwellte in ihrer Brust auf und ohne noch lange zu zögern, quetschte sie sich zwischen den zwei Tischen im Ladeninneren vorbei, hinter die Theke. Dort schlüpfte sie durch eine Seitentür in die Backstube.
Es war an der Zeit die vielen Vitrinen zu füllen. Morgen würde sie eröffnen- und sie hatte allerhand zu tun!
༄
Ein Haus weiter klingelte der Wecker eines gewissen Rotschopfs. George Weasley blinzelte. Schwache Schatten zeichneten sich in dem beinahe leeren Zimmer ab. Es war eine kleine Kammer, mit weißen, kahlen Wänden und einem schiefen Kleiderschrank, den er damals bei der Wohnungsübernahme von dem Vormieter übernommen hatte. Das Schrillen des Weckers klingelte immer noch in seinen Ohren, als er wahllos einige Kleidungsstücke aus dem Schrank pflückte und seinen Weg in das kleine Badezimmer fortsetzte. Eigentlich war die Wohnung, die er damals mit Fred angemietet hatte, wirklich schön gewesen. Das alte Holzparkett hatte ihn immer an den Boden im Fuchsbau erinnert. Die Fenster waren groß, spendeten Sonnenlicht und offenbarten einen erhabenen Blick auf die geschäftigen Zauberer und Hexen der Winkelgasse unter ihm.
Doch George hatte nie die Zeit gehabt um sich besonders viel Gedanken um die Einrichtung der ehemals so schönen Wohnung zu machen. Die Welt hatte sich im Krieg befunden- und danach hatte ihm schlicht und ergreifend die Motivation gefehlt.
Mit routinierten Handgriffen warf er seine Kleidung auf den Rand der Badewanne, fuhr sich kurz vor dem Spiegel durch das Haar und entschied, dass eine Dusche nicht vonnöten war.
Er klatschte sich etwas kaltes Wasser in das Gesicht und starrte kurz in den Spiegel. Wie immer war er blass. So blass, dass er sich selbst nicht mehr erkannte. Tiefe Schatten lagen unter den dunkelbraunen Augen und die Sommersprossen erinnerten ihn auf unangenehme Art und Weise an Blutspritzer. Die Narbe, die sich quer über seine linke Gesichtshälfte zog, tat den Rest: Er sah nicht mehr aus wie George. Und somit auch nicht mehr wie sein Bruder.
Zufrieden nickte er seinem Spiegelbild zu, dann stülpte er sich ein T-Shirt über den Kopf. Nachdem er sich fertig angezogen hatte, setzte er seinen Weg in die Küche fort. Neben einer rostigen Küchenzeile fand sich dort ein wackeliger Tisch mit einem einzigen Stuhl. Er hatte selten Besuch.
Mit einem Schlenker seines Zauberstabs dirigierte er eine halbleere Tasse Kaffee an den Tisch und erwärmte sie erneut. Beinahe zeitgleich klopfte es zaghaft an der Scheibe. George deutete mit seinem Stab auf das verschlossene Fenster, welches sich sogleich öffnete. Die Eule ließ die aktuelle Ausgabe des Tagespropheten auf den Küchentisch fallen und gurrte.
Die nächsten dreizehneinhalb Minuten war es still in der Küche. Gelegentlich zog ein Windhauch durch das geöffnete Fenster hinein und sorgte dafür das das dünne Zeitungspapier in seinen Fingern raschelte. Aus weiter Entfernung nahm er wahr wie eine Horde Angestellte neue Lieferungen Fässer in den Hinterhof des Tropfenden Kessels wuchteten. Alles war wie immer.
Der Geruch von abgestandenem, billigen Kaffee klebte in seiner Nase und sein Blick war fest auf die Sportabteilung des Propheten gerichtet. Gestern hatte Eintracht Pfützensee- das Team, dass mittlerweile unter Oliver Woods Trainingsmethoden zu leiden hatte- gespielt. Sie hatten 50 zu 340 gewonnen. Wenn das so weiterging, würde er bald schon zu einem besseren Verein wechseln können.
Normalerweise würde er nach seinen dreizehneinhalb Minuten in der Küche ohne Umschweife hinunter in den Laden gehen, um ihn für den Tag vorzubereiten. Normalerweise würde er nun hören wie der Buchladen ihm gegenüber quietschend seine Türen öffnete... Doch es war Sonntag. Sonntags war Weasleys Zauberhafte Zauberscherze geschlossen. So wie auch die meisten Geschäfte in der Winkelgasse.
George hasste Sonntage.
Es würden noch ganze vier Stunden vergehen, bis sich die Familie Weasley im Fuchsbau zum wöchentlichen Mittagessen treffen würde.
Er wusste nie, wie er die Zeit bis dahin noch überbrücken sollte.
Also entschied sich George Weasley an jenem schicksalhaften Morgen dazu, die dreizehneinhalb Minuten auf weitere zehn auszuweiten und sich ausnahmsweise auch dem Gesellschaftsteil des Tagespropheten zu widmen.
Nach fünf Minuten der Belanglosigkeiten geschah jedoch etwas Seltsames. Schleichend drang ein Geruch in seine Nase, von dem er wusste, dass er dort nicht hingehörte.
Es war der Geruch von Zimt und Zucker.
Georges Stirn zog sich in Falten als er misstrauisch das geöffnete Fenster zu seiner Rechten musterte.
Er war sich sicher, dass dieser Geruch nicht in die Routine gehörte, die er sich seit beinahe zwei Jahren so vergeblich aufzubauen versuchte.
Aufstehen, Anziehen, Kaffee trinken, Zeitunglesen, Türenquietschen und Arbeitengehen. Das war normal. Der Geruch von Zimt und Zucker gehörte nicht in die Routine.
Er beugte sich vor und sog die frische Morgenluft tief ein. Der sanfte Hauch von Zimt und Zucker blieb.
George musterte die, zu dieser Stunden noch recht leere, Gasse und runzelte die Stirn. Sie war leer. Die Geschäfte waren geschlossen.
Woher also kam dieser Geruch?
Ganz zu Beginn der Winkelgasse, gleich bei Nummer vier oder fünf gab es eine Bäckerei- das wusste er. Doch das war so weit von seiner Wohnung entfernt, dass es unmöglich sein konnte, dass der Duft bis zu seinem geöffneten Fenster dringen konnte... Oder?
Er zog den Kopf wieder hinein und schloss nach einigen Sekunden des Zögerns das Fenster.
In den folgenden zwei Stunden strich er ruhelos durch das leere Geschäft, in der Hoffnung etwas zu finden, an dem er arbeiten konnte. Doch Elaine hatte ganze Arbeit geleistet. Das Lager war aufgeräumt, ebenso wie das Labor im Hinterzimmer. Schnaubend machte er sich also daran, das Schaufenster neu zu dekorieren. Es war besser als nichts.
Tschrkkk.
George zuckte zusammen. Das schrille Gellen der defekten Klingel schien beinahe wortwörtlich sein Trommelfell zu zerfetzen.
Er rieb sich über die schmerzenden Ohren.
"Ich komme", rief er dann und stand schnell auf, bevor sich der Eindringling dazu entscheiden würde ein weiteres Mal zu klingeln und seinem Trommelfell damit den Rest zu geben.
Mit schnellen Schritten durchquerte er den Laden in Richtung Hintereingang.
Tschrkkk.
Er grummelte abfällig und beschleunigte seinen Schritt. Wenn das wieder Ron war, der sich einen Spaß daraus machte, ihn zur Weißglut zu treiben, dann würde er aber etwas erleben. Er riss die Tür auf und funkelte wütend auf die Gestalt davor hinab.
Dann stockte er.
Vor ihm stand eine Frau. Das karamellfarbene Haar war von weißem Puder bestäubt, ebenso wie die rosarote Schürze, die sie sich um die zierliche Taille geschlungen hatte. Die honigfarbenen Augen waren erschrocken geweitet als ihr Blick den seinen traf.
༄
"Oh, ähh... Tut mir leid", stammelte Rosie unbeholfen, als sie das wütende Funkeln in den Augen ihres zukünftigen Nachbars bemerkte.
"Was tut ihnen leid?" Der Mann, groß und mit breiten Schultern, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie verständnislos.
Rosie musste zugeben, dass dies eine gute Frage war- sie wusste selbst nicht so genau, wofür sie sich entschuldigte. Das geschah immer, wenn sie aus dem Konzept gebracht wurde - und diesem Mann gelang es definitiv sie aus dem Konzept zu bringen.
Er war ganz klar ein Weasley. Sie kannte die Familie noch aus Hogwartszeiten. Doch ob er der George Weasley war, dem das Geschäft gehörte? Ihre letzte Erinnerung an die Weasley-Zwillinge war die aus ihrem sechsten Schuljahr in Hogwarts, als die Zwillinge türmten, um ebenjenes Geschäft zu eröffnen, an dessen Hintereingang sie nun stand.
Es war dementsprechend sehr wahrscheinlich, dass es sich um diesen George Weasley handelte, aber eben nicht vollkommen sicher. Vorallem, wenn die Weasleys sich alle so ähnlich sahen. Ginny, die jüngste und das einzige Mädchen selbstverständlich ausgeschlossen.
Bevor sie sich jedoch weiter den Kopf über den Mann vor ihr zerbrechen konnte, bemerkte sie seinen abwartenden Blick.
"Äh, das Stören. Also es tut mir leid, dass ich störe", stotterte Rosemary unbeholfen, "Naja, eigentlich wollte ich-"
"-Ich kaufe nichts, falls es das ist, was sie mir mitzuteilen versuchen", unterbrach der Mann ihr Gestammel und wandte sich von ihr ab. Er war schon kurz davor ihr die Tür vor ihrer Nase zuzuschlagen, als er von einem viel zu lauten und hastigen "Nein!" ihrerseits aufgehalten wurde.
"Nein", wiederholte sie mit knallroten Wangen, diesmal deutlich gefasster, "Ich bin nicht hier um ihnen etwas zu verkaufen."
Der Mann- wahrscheinlich ihr zukünftiger Nachbar- zog missmutig die dunklen Augenbrauen zusammen und wandte sich ihr zu. Ihr Blick wanderte über das blasse Gesicht, aus dem die dunklen, braunen Augen wie Onyx hervorstachen, die Sommersprossen, die auf seiner Nase tanzten und das kupferfarbene Haar, dass ihm etwas zu lang auf die breiten Schultern fiel.
Doch am meisten Aufmerksamkeit erregte die Narbe, die seine linke Augenbraue in zwei Hälften teilte und bis hinunter zu seiner Wange reichte.
Auf seltsame Art und Weise vervollständigte die Narbe das Bild des Mannes vor ihr.
"Weswegen stören sie dann?", fragte der Mann mit ausdrucksloser Miene und riss Rosie aus ihrer Betrachtung. Die Kälte in seinem Tonfall holte sie auf den Boden der Tatsachen zurück und sie räusperte sich verlegen.
"Wie sie vielleicht bemerkt haben, ist in den letzten Wochen wieder Leben in die Nr. 91 eingekehrt." Sie grinste schief und machte eine ausladende Handbewegung. „Ich habe dieses kleine Schmuckstück nebenan gekauft und ab morgen werde ich dort meine Bäckerei eröffnen." Die Worte erfüllten sie noch immer mit Stolz und unwillkürlich musste sie lächeln. Der Mann sagte noch immer nichts, deswegen sprach sie weiter: "Und ich dachte, ich stelle mich schonmal vor."
Er schwieg weiterhin. Unsicher hob sie den Blick und stellte erschrocken fest, dass der Blick des Mannes auf ihr ruhte wie der eines Raubvogels auf einer kleinen Maus.
Nervös fuhr sie sich durch das Haar und Mehl rieselte hinab. "Upsi", murmelte sie mehr zu sich selbst, als zu ihrem stummen Beobachter, "Mehl".
Es vergingen noch ganze vier, endlose Sekunden bis der Mann schließlich etwas sagte. "Wollten sie sich nicht vorstellen?" Er zog fragend eine Braue hoch.
Sofort brannte das Feuer in ihren Wangen. Hatte sie sich nicht vorgestellt? "Äh, doch. Genau. Ich bin Rosemary Summers", sagte sie mit fester Stimme und streckte ihm die Hand entgegen.
"George Weasley", erwiderte George und als er ihre Hand ergriff, stahl sich doch noch ein schwaches Lächeln auf seine Lippen. Das verbuchte sie zumindest als einen Teilerfolg.
George Weasley also. Er war zu Hogwarts-Zeiten so bekannt gewesen, dass selbst sie, ein Jahrgang unter ihm und aus einem anderen Haus, seinen Namen gekannt hatte. Die Zwillinge hatten ihren trüben Erinnerungen zufolge nicht nur durch ihre ständigen Scherze Aufmerksamkeit erregt, sondern auch über ihre Fähigkeiten im Quidditchspiel. Laurie hatte sich immer furchtbar über die Beiden aufgeregt, wenn Hufflepuff mal wieder gegen die Gryffindors verloren hatte.
Aber wie hätte es auch anders sein können, mit dem Auserwählten und der halben Familie Weasley im Team?
"Sonst noch was?", unterbrach George ihre Gedanken mit einem ungeduldigen Blick auf die Uhr. Als hätte sie sich verbrannt, ließ sie seine Hand los und trat einen Schritt zurück.
"Äh, ja", sagte sie und verdammte sich noch im gleichen Moment für ihr unbeholfenes Auftreten. Normalerweise verhielt sie sich deutlich professioneller.
Aber normalerweise war ihr Gegenüber auch nicht so ... so unhöflich.
Bevor sie in die Tasche ihrer pastellrosa Schürze griff, zögerte sie kurz. Doch dann tadelte sie sich selbst und griff wie selbstverständlich in ihre Tasche. Das Papier der Tüte raschelte verheißungsvoll und der angenehme Duft von Zimt und Zucker stieg ihr in die Nase.
"Hier, eine kleine Kostprobe. Ein Willkommensgeschenk", erklärte sie und drückte George die Tüte in die Hand.
Einen Moment lang starrte er die Tüte nur an, dann hob sich sein Blick. Seine Lippen kräuselten sich zu einem minimalen Lächeln. Sie gab sich ein inneres Highfive. Leute zum Lächeln zu bringen war so etwas wie ihre ganz persönliche Lebensaufgabe! Und ja, sie wusste, dass das furchtbar klischeehaft für eine Hufflepuff war, aber das war ihr egal. Was war schließlich falsch daran, Menschen glücklich zu machen?
"Danke", sagte er, "Bitte entschuldige mich, ich muss gleich los."
Rosie nickte und lächelte dann. "Kein Problem", sagte sie mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen und hob verabschiedend die Hand. "Wir sehen uns sicherlich die nächsten Tage. Bis dann."
"Bis dann", George Weasley hob ebenfalls die Hand, dann fiel die Tür zwischen ihnen ins Schloss und Rosie pustete sich erleichtert einen Strähne aus dem Gesicht.
Einen von vier hatte sie nun- blieben nur noch drei. Sie konnte nur hoffen, dass die anderen Nachbarn weniger kühl auf sie reagieren würden.
Soo, hier wären wir!
Die Idee habe ich sehr spontan umgesetzt, ich hoffe sie gefällt euch.
Ich liebe Rosie ja jetzt schon total.
Wenn es euch gefällt, hinterlasst mir gerne eure Meinung
(oder votet vielleicht) <3
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro