Kapitel 1 (2018) 16 Jahre später
Nach der Schule kam ich müde nach Hause. Um eins nachmittags ging ich in die Küche. Den Rucksack ließ ich achtlos in eine Ecke fallen.
Mein Vater saß am Küchentisch. Kekse standen vor ihm auf einem Teller, aber ich hatte keine Lust darauf.
Ich war nicht hungrig, denn es gab Wichtigeres zu erledigen, und Essen wäre nur Zeitverschwendung.
„Schön, dass du wieder da bist, Liv Sinclair." Bitte nicht.
Wenn mein Vater meinen Nachnamen sagt, weiß ich, dass Ärger droht. Ich setzte mich zu ihm.
„Was ist?" fragte ich genervt, während ich genau auf seine Bewegungen achtete. „Ich habe einen Anruf von deiner Lehrerin bekommen", sagte er mit einer enttäuschten Stimme.
Ich schloss die Augen und hoffte, dass dieses Gespräch schnell vorübergeht. Als ich sie wieder öffnete, sah ich Tränen in den Augen meines Vaters. Sie warteten nur darauf, herauszukommen.
So hatte ich ihn noch nie erlebt. Normalerweise verbarg er seine Gefühle, aber jetzt konnte ich alles in ihm lesen, wie in einem offenen Buch.
„Ich habe gehört, dass du wieder Streit mit Arianna hattest. Und dass deine Noten immer schlechter werden", sagte mein Vater.
„Um mich zu verteidigen, muss ich zugeben, dass ich nur in Mathe schlechter geworden bin", erwiderte ich. Mein Vater schüttelte den Kopf. „Nein, Liv, nicht nur in Mathe. Auch in den meisten anderen Fächern."
Ich schluckte den Kloß hinunter, der sich in meinem Rachen gebildet hatte. Traurigkeit schaute ich ihn an. „Glaubst du mir etwa nicht? Wie gesagt, ich bin nur in Mathe schlechter geworden."
„Wie dem auch sei, jedenfalls hat mir das Mrs. Holt berichtet. Außerdem bin ich noch nicht ganz fertig. Der Grund, warum ich trauere, ist, dass wir beschlossen haben, dass ich dich heute noch auf ein Internat schicke. Es kann so nicht weitergehen, Liv. Ich weiß, es ist schwer ohne deine Mutter aufzuwachsen, aber ich schaffe es nicht mehr, mich um dich zu sorgen. Du bereitest mir nur Ärger, und das schon seit langem."
Eine unangenehme Stille legte sich zwischen uns. Das Einzige, was zu hören war, war das Ticken unserer Uhr, die an der Wand unserer Küche hing.
Nach einigen Minuten durchbrach mein Vater die Stille. „Ich habe schon deinen Koffer gepackt, damit wir bald losfahren können. Er liegt im Kofferraum unseres Autos."
Ich schüttelte den Kopf. Das konnte er doch nicht ernst meinen, oder? Mein ganzes Leben hatte ich bei ihm zu Hause gewohnt. Hier bin ich aufgewachsen und habe Freunde gefunden. Freunde, die ich vielleicht nie wiedersehen würde, wenn er seinen Plan in die Tat umsetzen sollte.
Warum wollte er mich jetzt auf dieses Internat schicken? Ich wusste, ich habe Fehler gemacht, aber jeder verdient mehr als nur eine Chance. Doch anscheinend sah er das anders. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es nicht der einzige Grund war, warum er mich auf dieses Internat bringen wollte.
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