Plattenbauromantik
"Joooon! Komm mal wieder die Mama besuchen, jaaa?"
"Mama ich...."
"Du haste niiiie Zeit fur miech!"
"Okay, okay. Wann soll ich kommen?"
"Essen is schon fertig!"
"...kannst dus einfrieren?"
"Denksteduichkocheumsonst?"
So kam es, dass ich noch am selben Nachmittag ins Auto sprang und mich auf den Weg zu meinen Eltern machte.
Seit geraumer Zeit wohnen sie nun schon in der selben, kleinen 3-Zimmer Wohnung.
Der große, gelb-grüne Block, an dessen Wänden seit Generationen die gleichen Algen hausen, steht eingequetscht zwischen unzähligen anderen Seinesgleichen.
Mit ein wenig Glück würde das Haus nächstes Jahr einen neuen Anstrich bekommen. Diese Neuigkeit darf ich mir von meiner Mutter bei jedem Anruf anhören.
Die neue Farbe ist das Highlight von 2017.
Es ist schon traurig, wie sich die Gegend verändert hat, seit ich klein war. Der Spielplatz dient nur noch als Drogenumschlagplatz, die meisten Bäume wurden gefällt und der Inhalt des Müllsammelplatzes ist über den gesamten Hof verteilt.
Ganz allein die Bewohner scheinen sich nicht zu verändern. Seit ich mich erinnern kann, sitzen die gleichen Rentner, Tag für Tag, auf der immergleichen Bank und reden über die exakt selben Themen.
Seit Jahrzehnten.
Die sind da wahrscheinlich festgewachsen.
Eins mit den Algen geworden.
Von den Abgasen mumifiziert.
Haben die Bank von ihren Eltern geerbt.
Komischerweise haben sie auch schon immer die gleichen Hunde dabei. Wahrscheinlich gehen sie alle paar Jahre ins Tierheim und verlangen "Genau den selben nochmal!".
Mit ein bischen Glück kommt man unbemerkt an den Dinos vorbei. Mit ein bischen Pech wird man in ein Gespräch verwickelt, in dem man alle 3 Minuten die selben Fragen wie vor 3 Minuten gestellt bekommt.
Wenn Samir fragt, wie es mir in der Schule geht (auf der ich schon seit Jahrhunderten nicht mehr bin), wird Anika mit 100%-er Sicherheit ein wenig später das Gleiche wissen wollen.
Eine bombensichere Methode, sich von ihnen loszueisen läuft folgendermaßen:
"Sooo, Mensch, hat Spaß gemacht, mal wieder mit euch zu reden, aber meine Mutter wartet mit dem Essen auf mich.."
"Oooh klar, Essen ist wichtig! Sag der Chosi nen schönen Gruß!"
Essen ist immer ein triftiger Grund. Essen ist die beste Ausrede ever.
Man kann Leuten das Essen einfach nicht verbieten.
Und wenn man sie davon abhält, hat man sofort ein schlechtes Gewissen.
Essen ist in allen Lebenslagen toll.
Den Tipp hat mir übrigens mein Vater gegeben.
Eines Tages hat er mich mit dieser ernsten, väterlichen Miene zur Seite genommen und mir genau das erzählt, was ich gerade an euch weitergegeben habe.
Apropos Vater. Er hat mir gerade einen Kieselstein an den Kopf geschnippt.
"Schaaaatz! Hape ich dir ni gesagt, dass du keine Dekosteine von mi mehr aus die Fenster schmeißen sollst??!"
Das war meine Mutter.
Chosi.
Eigentlich heißt sie Choi. Aber das haben ihr die Deutschen ganz schnell ausgetrieben. Seit ich denken kann, wird meine Mutter von Allen nur "Tschosii!" gerufen.
Sie unterschreibt sogar manchmal mit ihrem deutschen Spitznamen auf Überweisungsformularen. Natürlich brauche ich nicht zu erwähnen, dass die Bank das gar nicht lustig findet. Ständig muss mein Vater dort anrufen und bestätigen "Jaa, das war wirklich meine Frau."
Richtig verwirrend wird es erst, wenn meine Mum auf Hangul (koreanische Schrift) unterschreibt. Aber davon will ich erst gar nicht anfangen.
Nur so viel: Das hat dazu geführt, dass in meiner Krankenakte eine akute Herzschwäche aufgeführt ist. Eine alte Koreanerin, die zur selben Zeit wie ich damals im Krankenhaus war, hat im Gegenzug einen gebrochenen Oberschenkelknochen eingetragen bekommen.... Skiunfall und so.
Sie hieß auch Choi. Und hat anscheinend auch auf Koreanisch unterschrieben. Da kann das Krankenhauspersonal schon mal schnell nen Bruch und ne Herzschwäche verwechseln...
Danke Mum. Jetzt darf ich nicht mehr zur Bundeswehr. Wie schade.
Mein Vater fand das auch schade.
Er hat 30 Jahre bei der Bundeswehr gedient, bis er mit 60 gekündigt hat. Jetzt verbringt er seine Zeit damit, Leuten, die im Hof doof herumstehen bunte Kieselsteine gegen den Kopf zu schnippen. Das ist mal eine Karrierelaufbahn sag ich euch.
"Na, Sohnemann? Komm mal schnell rauf, sonst hört deine Mutter nicht auf zu kochen.", ruft er aus dem 2. Stock.
Im Treppenhaus fällt mir eine neue Schmiererei auf.
FAHK THE SHYTEM!
Mit nem bösen Smiley zur Verdeutlichung.
Ganz wichtig.
Gott bin ich froh, dass ich nie durch so eine Phase musste.
Der Geruch nach scharfem Essen liegt in der Luft.
Oh Gott nein, bitte nicht. Ich kann keine scharfen Sachen essen. Ich bin eine Schande für alle Asiaten. Meine Nase fängt in Null komma nix an zu weinen und der Rotz läuft mir aus den Augen. Normalerweise weiß meine Mum das, aber zur Feier des Tages - wir hatten uns schon eine Zeit lang nicht mehr gesehen - kocht sie heute traditionell.
Im 2. Stock wartet mein Vater bereits auf mich. Frustriert runzelt er die Stirn und scannt mit den Augen das leere Treppenhaus hinter mir.
"Immer noch keine Freundin.", stellt er fest.
"Gut beobachtet.", keife ich genervt zurück.
Er schnalzt missbilligend mit der Zunge, klopft mir ein wenig zu fest auf die Schulter und zerrt mich in die Wohnung
Was auch immer meine Mutter kocht, die Dämpfe treiben mir Tränen in die Augen.
Sie schlüpft mit einem Handtuch um die Hüfte gebunden ums Eck - mit einem Badehandtuch - das macht sie schon immer so beim Kochen.
"Keine Frau?", fragt sie vorsichtig mit vorgerecktem Kinn.
Ich beiße mir auf die Lippe. "Nein, keine Frau."
"Aaaaach, dann bringst du einfa nächste Mal eine Mann mit, ist doch ni schlimm!"
Sie wirft meinem Vater einen warnenden Blick zu.
"Ich sag nichts.", murmelt er mit erhobenen Armen und verschwindet ins Wohnzimmer.
Mit ein wenig Glück würden wir heute dieses Thema nicht ansprechen.
Mit ein bischen Pech schon.
Ich drücke mich so lange es geht in der kleinen Küche herum, bis mich meine Mutter genervt mit einem Kochlöffel auf den Balkon jagt.
Hier sitze ich nun und bewundere mein altes Zuhause.
Die Rentnerfraktion auf der Bank, die schon wieder über die neue Wandfarbe diskutiert.
Die ausgehölten Schaukeln, von denen irgendwer dachte, sie wären das perfekte Versteck.
Die Vogelhäuschen meiner Mutter, in denen noch nie ein Vogel genistet hat, weil sich sogar Vögel zu schade sind, mit einem Häufchen Zigarrenasche auf dem Dach aufzuwachen.
Die BMWs und Audis, feinsäuberlich auf den nummerierten Parkplätzen geparkt. Wie Fremdkörper. Sie wirken wie der verzweifelte Versuch, sich selbst einen gewissen Lebensstandart vorzugaukeln. Dass das Auto nur im Hof stehen kann, weil das Haus drum herum langsam aber sicher von der Zeit zermalmt wird...
Diese ganze Atmosphäre macht mich krank. Dieses Hamsterrad; die Menschen, die seit Jahren auf der Stelle treten. Die den Zahn der Zeit mit offenen Armen willkommen heißen. Die nicht einmal merken, dass um sie herum alles verfault. Die Luft, die Ziegelsteine, ihre Träume.
Einmal Plattenbau, immer Plattenbau.
Einmal Sozialviertel, immer Sozialviertel.
So ist es doch, oder?
Dann fällt mir auf, wie hochnäsig ich mich anhöre.
Immerhin gibt es hier Menschen, die zufrieden sind.
Ich beobachte meinen Vater auf der Couch.
Ob er zufrieden ist? Oder ob er es einfach nicht besser weiß?
Woher soll man wissen, dass man langsam versteinert, wenn man den ganzen Tag auf dem Sofa sitzt und das Highlight des Tages ist, dass man Leuten bunte Steinchen gegen den Kopf werfen kann?
Trotzdem glaube ich, dass er zufrieden ist. Er verspürt ja auch keinen Drang dazu, etwas zu verändern.
Unzufriedenheit wird ausgelöst, wenn man etwas sieht, das man haben will. Also hält man sich an die Dinge, die man kennt.
Ich muss schmunzeln. Die Bankbesetzer sind zu dem Schluss gekommen, dass das Haus einfach wieder in der gleichen Farbe überstrichen werden soll - gelb. Das hat sich bewährt. Gelb ist eine dankbare Farbe.
Ein Mann schlendert betont lässig zu seinem BMW. Bevor er sich hinters Steuer fallen lässt, mustert seinen Wagen stolz.
Mir fällt auf, dass aus einem der Vogelhäuschen eine Kletterpflanze rankt, und ein junger, hellgrüner Arm sich der Hauswand entgegenstreckt.
Es ist schwer zu beschreiben, aber diese Tristesse hat auch seine liebenswerten Seiten. Das wird mir seit vielen Jahren wieder klar. Fast wie eine verschrobene, ruppige, engstirnige, alte Frau.
Ich schaue durchs Fenster in die Wohnung.
Mein Vater hilft meiner Mutter den Tisch zu decken. Sie flüstern angestrengt miteinander.
Ich spitze die Ohren.
"Heute keine Worte über Frauen, jaah?"
"Hmpff."
Ich weiß, dass er sich nicht daran halten wird.
Ich verdrehe die Augen und muss mir ein Lachen verkneifen.
Dann öffne ich die Balkontür, betrete das Wohnzimmer und klopfe meinem Vater ein wenig zu fest auf die Schulter.
"Wir reißen uns einfach beide zusammen, jah?"
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