Ein Königlicher Urlaub
Endlich falle ich mal nicht auf.
Hier sind überall Asiaten.
Micha trottet schräg hinter mir und schmollt vor sich hin.
Ich schreite energisch den mit Touristen überfluteten Hügel hinauf und keife alle paar Minuten in unser Schweigen.
"Ich mach das nur wegen dir!"
Micha hat Asthma und keucht mir zur Antwort ein entrüstetes "HNNGPFF!" in den Nacken.
Schloss Neuschwanstein ragt ein paar Höhenmeter über unseren Köpfen majestätisch zwischen Kioskbuden und dehydrierten Kleinfamilien in den Himmel.
Ich wollte Micha lediglich die verschiedenen Sehenswürdigkeiten Bayerns näherbringen.
Weil er doch aus Norddeutschland kommt und so...
Dass mein sportbegeisterter Freund jedoch beim Anblick einer mickrigen Bodenwölbung die Krise und einen obligatorischen Asthmaanfall kriegt, hätte ich nicht erwartet.
Vielleicht liegt es ja daran, dass wir heute Morgen das Frühstück verpennt haben.
Oder dass er die halbe Nacht nichts geschlafen hat...weil ich anscheinend schnarche....
....Als ob.
Naja, auf jeden Fall ist er brummig
Aber so richtig.
...Ganz ohne Frühstück und Schlaf...
Jetzt auch noch Berggehen oder was?
Das ist eindeutig zu viel verlangt!
Seit einem Tag sind wir nun schon in "Schwangau".
Kleines Dörfchen unterhalb der Schlösser "Neuschwanstein" und "Hohenschwangau".
Haben uns in einem Gästehaus am Froggensee eingemietet (mit getrennten Betten natürlich!) und uns entschlossen, heute Schlösser zu besichtigen.
Um 9 Uhr also die Mietsräder aus dem kleinen Schuppen hinterm Haus gezerrt und los gehts'.
...Naja nicht wirklich.
Ich könnte nämlich ein ganzes Kapitel allein über diese Räder schreiben.
Diese Teile verdienen weder den Titel "Fahrrad", noch sind sie die 30€ wert, die wir für einen halben Tag für sie bezahlen.
Ich habe mir das Stadtrad ausgesucht, und Micha wollte unbedingt ein Mountainbike. Weil das viel cooler ist und so.
Anscheinend sind es auch nur 5km bis zu den Schlössern.
HA! HAHAHA!
.....Genau....
Wenn man sich auskennt vielleicht.
Aber das Genie, das ich nunmal bin, und mein nichtsnutziger Freund brauchen ja keine Landkarten.
Wer bitte braucht eine Karte, wenn man das Reiseziel in der Ferne auf einem Hügel sehen kann?
Wir auf jeden Fall nicht.
...Eine knappe Stunde später...
beschwert sich Micha über einen wunden Hintern (Mountainbikesättel sind fürn Arsch) (....oder halt nicht...), während ich mit meinem ungefederten Stadtrad über Stock und Stein poltere und meine Arme nicht mehr spüre.
Meine Schaltung geht übrigens auch nur bis 3...das heißt ich strample wie ein Hamster auf Speed durch den Wald, in dem Versuch, meinen jammernden Pavianpopo auf seinem Mountainbike einzuholen.
Der kleine Waldweg, dem wir seit ...viel zu lange... folgen, endet auf einem Parkplatz...voller Touristen!!
Wir habens geschafft!! Wir sind da!!
Unsere Freude wird leider voDA WAR GRAD EIN WEBERKNECHT AUF MEINER SCHULTER!!!!! AUF MEINEM BETT!!! IN MEINEM ZIMMER!!
FLUCHT.
Muss heute wohl oder übel auf der Couch schlafen...
Hier ist es nicht mehr sicher.
Hat einer von euch Lust, mir für ein paar Wochen Obdach zu gewähren? Bis ich ne neue Wohnung gefunden habe?...
*"wo sind die Streichhölzer?"*
...Das wäre echt nett.
Wo waren wir?
Ach ja.
Unsere Freude wird leider von der Tatsache getrübt, dass wir die falsche Sehenswürdigkeit gefunden haben.
Irgendeine Seilbahn...
Wer will schon Seilbahnfahren?
Da stürzt man doch eh bloß ab.
Oder man bleibt mit seinen Skistöcken beim Aussteigen an der Tür hängen und wird knapp 10m über vereisten Teer gezerrt.
Auf dem Bauch liegend.
Und dann muss man sich den Handschuh runterreißen. Weil man mit dem in der Schlaufe vom Skistock festhängt.
Da könnte man sich doch gleich die ganze Hand abhacken. Ist effektiver und bringt obendrein vielleicht eiN PAAR LEUTE DAZU, NICHT BLOSS ZU GLOTZEN, SONDERN AKTIV ZU HELFEN!!
Das, meine Lieben, ist übrigens die Geschichte, wie Joon sich mit 12 den kleinen Finger gequetscht hat, seinem Skistock plus Handschuh fast über den Abgrund der Bergstation gefolgt ist, UND seinen Glauben in das Gute in Jedem verloren hat.
Im Großen und Ganzen sind Seilbahnen also echt scheiße.
Aber so richtig.
Wisst ihr, was noch so richtig scheiße ist? Ich kann Micha nicht mehr sehen.
Er ist mit seinem Rad einfach davongedüst.
Und Oma Joon krepiert hier mitsamt Omarad im 3. Gang.
Meine Beine fallen ab, Leute.
Hilfe.
Irgendwann kommt Micha wieder in Sicht.
Wartend und mit hochrotem Kopf.
Dachte anscheinend, der fremde Radelfahrer schräg hinter ihm wäre ich und wollte den alten Mann (der nicht Joon ist!) einfach nicht überholen lassen.
...Bis der sich lautstark beschwert hat.
Dann aber hahaha da hats' den lieben Micha fast von seinem Sattel gelassen.
Den Rest der Irrfahrt darf ich mir anhören, wie "toll" das Mountainbike ist, und dass Micha es gütigerweise mit mir teilen will.
Als ob ich meinen 2m² Couchsattel gegen das olle Stückchen Plastik tauschen würde.
Letztendlich hatte Micha ein paar ausschlaggebende Argumente, und ich überreiche ihm samaritermäßig mein Rad.
Joon hat gerade seine soziale Adern entdeckt.
Habe plötzlich das Gefühl, ich sollte sofort irgendwem ganz viel Geld spenden.
Vielleicht der PavianHilfeNational? (gesponsert von der Tour de France)
Muss über meinen eigenen Witz lachen und falle fast vom Rad.
Okay, zugegeben, nicht nur fast.
Volles Rohr. Gesicht voraus. Auf ne Wurzel.
Der Sattel vom Mountainbike ist nämlich um geschätzte 3m zu hoch.
Micha prustet ungehalten los und lässt sich zurück auf seinen (meinen!) Couchsattel fallen.
...Er stürzt geschätzte 3m in die Tiefe, bis er auf dem weichen Knautschteil landet (Sattel zu tief!) und mit einem lauten *BOINNNG* hoch in die Wipfel des Tannenwäldchens katapultiert wird.
Da hängt er gut.
So weit oben hat er wahrscheinlich ne richtig gute Aussicht.
Ein Glühwürmchen verfliegt sich in mein Ohr und mir geht ein Licht auf.
"MICHAAAA!!?!
"SCHAU MAL OB DU DAS OLLE SCHLOSS SIEHST!!!", brülle ich durch trichterförmige Hände.
Micha schwankt bedenklich laut kreischend auf seinem Ast und nickt wild.
Erleichtert lasse ich die Hände des Passanten los und er läuft verstört zurück in die Arme seiner Frau.
"WELCHE RICHTUNG, MICHA!?!", rufe ich gegen die Sonne.
"Da so...RECHTS!"
Ich trete ein paar mal gegen den Baum, bis Micha wie eine reife Kokosnuss zurück auf den Boden kracht und wir setzen unsere Irrfahrt fort.
Nach Rechts.
Wenige Minuten später rattern wir auf einen großen Kreisel zu, und die Anzahl an asiatischen Touristen kann nur eines bedeuten.
Wir sind da!
Micha sitzt wie zusammengefaltet auf einem viel zu kleinen Rad, und ich schwanke im Wind wie auf einem Hochrad daher.
Muss ein Bild für Götter gewesen sein. Oder Könige.
Das ist passender.
Wir parken unsere Drahtesel zwischen 1000 anderen ....E-Bikes.
Warum haben wir bloß keine E-Bikes genommen??
Micha meint, die Teile seien unter unserer Würde.
...Was für eine Würde?
Her mit dem blöden Seniorenrädern!
Wer braucht schon Würde, wenn man einen Elektromotor am Rad haben kann?!
Die breite Straße, die sich schattig und mit Pferdemist bedeckt durch dichten Wald hinauf zum Schloss windet, ist eindeutig machbar.
Auch ohne Motor.
Micha und mich stören auch die vielen Kinder nicht. Oder die Hunde. Oder der Gestank. Oder die ganzen alten Leute, die plötzlich direkt vor einem abrupt stehen bleiben um diesen einen Baum zu photographieren...!
MANN!
Mir pfeifft schon fast der Dampf aus den Ohren und Micha hat, wie am Anfang des Kapitels bereits beschrieben, schlechte Laune.
Kurzum entscheide ich, dass wir unser Ziel spontan von "Schloss Neuschwanstein" auf "Marienbrücke" ändern.
Keine Ahnung, was so besonders an dieser Brücke ist, aber NIEMAND nimmt die Abzweigung dort hin.
Der Pfad ist menschenleer.
Also auf zur Mariabrücke...Marienbrücke....is doch egal; wen interessierts.
Schon bald wird uns klar, warum niemand zu der doofen Brücke will.
Es ist steil.
Und volle Kanne in der Sonne.
Ich zerfließe.
Vor Selbstmitleid und Schweiß.
Micha pfeift bereits nach 10min aus dem letzten Rohr und beschwert sich immer noch über seinen Hintern.
Nirgends finden wir Schilder, wie lange wir zu dieser Brücke noch haben.
10min oder 3h?
Micha will kehrt machen, doch mein Ehrgeiz ist geweckt und ich pflüge entschlossen den Berg hinauf.
Bis ich fast von einem Shuttlebus überfahren werde.
Das ist relativ demotivierend...
Vor allem, wenn man 50 alte Leute in nem klimatisierten Fahrzeug mit 60 Sachen an sich vorbeibrettern sieht.
Micha will sich vor den nächsten Bus stürzen.
Halte ihn davon ab, indem ich ihm verspreche, dass er auf der Heimfahrt mein bequemes Rad bekommt.
Das erinnert ihn daran, dass wir nachhause radeln müssen.
Jetzt will er sich vom nächsten Felsen stürzen...
Und dann passiert es.
Eine koreanische Familie, Oma und Opa inklusive, stapfen an uns vorbei.
In Crocs.
Gummipantoffeln.
Wenn das nicht inspirierend, oder ein Zeichen ist, dann weiß ich es auch nicht.
Wenn die mit ihren Crocs da rauf kommen, dann wir mit unseren 150€ Bergschuhen auch!
Micha hat neuen Mut geschöpft, und ich folge einfach dem Geruch nach Essen (genau genommen dem Geruch nach Pommes und Cheeseburger, der aus dem Rucksack von Papa-Crocs kommt.
Ganze 5min später finden wir den Shuttelbus samt Brücke.
Und vergiss es.
Auf dieses Wackelteil bringen mich keine 5 Pferde.
...Ne Horde Senioren aus Hessen tuts auch.
Von Günthers und Helgas umringt schwanken wir im Wind, und die Holzbretter unter meinen Füßen knatschen und knarrzen fröhlich das Lied vom Tod.
Die Aussicht ist aber trotzdem toll.
Man kriegt die volle Breitseite des Schlosses ab.
Ist das nicht beeindruckend?
Und der See da im Hintergrund, das ist der Froggensee aka da wohnen Micha und ich.
Und wir haben eine ganze Stunde gebraucht, um von A nach B zu kommen.
Das finde ich auch beeindruckend.
Und diese Geschichte, meine Lieben, ist so ziemlich das aufregendste, das uns in diesem Urlaub passiert ist.
Mal ganz abgesehen von Michas katastrophalem Sonnenbrand.
Oder der Katze namens Pete vom Nachbarhof, die man wie ein Baby halten konnte, und die wie ein Weltmeister in kürzester Zeit ganze TShirts vollgesabbert und -gehaart hat.
Oder der Mückenstich, den ich mir aufgekratzt habe, wegen dem ich schon 3x beim Doktor war, weil er sich entzündet hat....und den mir heute unter Narkose ein Chirurg aufschneidet, weil ich sonst ne Blutvergiftung riskiere.... *Daumen hoch*
Außerdem kann ich kaum laufen, weil mein Bein so wehtut.
In 3 Stunden gehts los, dann kommt Joon unters Messer.
Was lernen wir daraus?
Keine Mückenstiche aufkratzen.
Oder am Besten erst gar nicht das Haus verlassen.
Und wenn, dann nur in eine Wolke aus Anti-Brumm gehüllt.
Ich glaube, ich lege mir morgen so nen Imkeranzug zu. Oder ich baue mir meine eigene Iron Man Blechtrommel...
Falls ich die OP überlebe.
Wir werden sehen 😁
- kratzend und humpeld -
Euer Joon 💉✂🐝
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