5. NEUE IDENTITÄT
EMILIA
Am Sonntag ist der Club immer geschlossen, daher habe ich beschlossen eine Sache zu erledigen.
Nun stehe ich vor der Adresse, die ich mir gestern aus dem Internet rausgesucht habe und überprüfe abermals ob ich richtig bin.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, klingle ich an dem einzigen Schild mit Namen. Meine Hände fangen an zu schwitzen, während ich warte, dass etwas passiert. Als der Summer für die Tür betätigt wird, erschrecke ich mich. Tief Luft holend, drücke ich die Marode Eingangstür auf.
Ein komischer Gestank weht mir im Flur entgegen. Müllsäcke und Kaputte Schranktüren stehen an der Wand. Mit gerümpfter Nase laufe ich weiter ins Treppenhaus. Die Stufen knarren unter meinen Turnschuhen und mein Herz schlägt immer schneller, als ich im ersten Obergeschoss ankomme.
„Bist du Emilia?" Ich erschrecke mich so sehr das ich anfange zu schreien. Der junge schmächtige Mann der gerade vor mir in einer Tür aufgetaucht ist, schreckt ebenfalls zusammen. Beschwichtigend hebt er die Hand.
„Tut...Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken." Stottert er und schiebt sich dabei seine Brille wieder auf die Nase. Seine hellblonden Haare stehen kreuz und quer auf seinem Kopf. Seine Klamotten bestehen aus einem Shirt mit einem Nerd Spruch darauf und einer Jogginghose. Außerdem ist er nicht gerade größer als ich. Nach meinem Anfänglichen Schreck, beruhige ich mich langsam.
„Ja. Du bist Butcher1995?" Ich lasse abermals meinen Blick über ihn gleiten. Eine leichte röte zieht sich über seine Wangen.
„Nicht was du erwartet hast oder? Kannst mich auch Finn nennen." Ich nicke und muss tatsächlich schmunzeln. Er tritt von der Tür weg.
„Komm rein." Ich nicke und trete vorsichtig in die Wohnung. Ich höre das klicken der Tür und auch wenn er nicht gerade Gefahr ausstrahlt, fängt mein Herz wieder schneller an zu schlagen.
„Du brauchst also paar Unterlagen?" Er geht vor in ein weiteres Zimmer, dass eher aussieht als würde ein zwölfjähriger darin wohnen. Überall stehen Actionfiguren herum. Mehrere Computer und Konsolen stehen wie Trophäen in Glasvitrinen. Poster von leicht bekleideten Mangafiguren zieren die kahlen Wände. Ich blicke mich in dem Zimmer um, bevor ich mich ihm zuwende.
„Ja. In dem Chatroom hieß es du würdest mir helfen können." Er setzt sich auf seinen Bürostuhl am Schreibtisch und wendet sich mir zu.
„Na ja ich bin nicht gut. Aber es reicht aus. Aber ich muss dich fragen ob du vor dem Gesetz wegläufst. Dann mach ich es nicht." Er verschränkt seine dünnen Arme vor der Brust. Schnell schüttle ich den Kopf. „Nein. Ich brauch die für meinen Arbeitgeber." Er nickt und wirkt einerseits erleichtert. „Okay. Sag mir was du brauchst. Schulzeugnis? Arbeitszeugnis? Führungszeugnis?" Ich setze mich auf die gammlige grüne Couch und betrachte ihn.
„Ich dachte eher so etwas wie ein Leben?" Verwirrt dreht er sich wieder mir zu. Seine Augenbrauen sind weit in die Stirn gezogen und abermals rutscht seine Brille auf die Spitze seiner Nase.
„Du meinst Geburtsort, Name, Schule?" Ich nicke schnell. Sein Blick gleitet über meinen Körper und er bleibt an dem weißen Verband an meinem Handgelenk hängen. Schnell schiebe ich meine Jacke darüber.
„Okay." Er dreht sich um und fängt an einige Programme zu öffnen. „Aber wie gesagt, sobald der Name überprüft wird, wird es auffliegen. Ich kann dir nicht eine komplett neue Identität geben. Dafür habe ich einfach nicht die Mittel. Da müsstest du am Schwarzmarkt stöbern, es kostet dich nur um einiges mehr." Schnell schüttle ich den Kopf, da ich schon froh bin 100$ Aufgetrieben zu haben.
Ich beobachte ihn, wie er mehrere Formulare entwirft und so geschickt mit dem Computer umgeht, dass ich nur staune. Ab und an fragt er mich einige Sachen umso realistisch wie möglich zu bleiben. Da ich Kim schon erzählt habe in New Jersey aufgewachsen zu sein, fügt er auch dies mit in die Gefälschte Identität.
Finn ist wie die Nerds an meiner Schule. Hager, schmächtig und fasziniert von Computern. Irgendwie finde ich ihn ganz nett, obwohl wir nicht viel miteinander reden. Ich kenne mich nicht mit Computern aus, da ich nie einen besessen habe und er redet in einer Sprache die mir fremd ist.
Eine halbe Stunde später, stehe ich mit einem neuen Namen wieder auf dem Gehweg. Mein letztes Geld ist für die Bezahlung drauf gegangen. Doch ich spüre eine tiefe Erleichterung. Die Dokumente kann ich am Dienstag Tom vorlegen und hoffentlich werden sie nicht überprüft. Ich muss nur vorsichtig sein, damit die Behörden nicht auf mich aufmerksam werden. Aber das wird schon nicht passieren.
Jason darf mich nicht finden und je weniger ich meinen echten Namen verwende desto besser.
Zwar weiß ich nicht ob er mich überhaupt sucht, doch die Angst, dass er es tut und über das Melderegister von mir erfährt, ist zu hoch.
Abermals blicke ich auf den Ausweis in meiner Hand.
Emilia Williams, Geboren in New Jersey, am 19.08.1999
Da in der Bar alle meinen Vornamen schon kannten, habe ich ihn behalten. Und der Nachnahme Williams ist in Amerika sehr verbreitet. Es wird definitiv eine Emilia geben und mich so schützen.
Die Adresse habe ich vom Club angegeben.
Finn hat mir sogar Soziale Seiten eingerichtet und mit bedeutungslosen Fotos versehen. Jeder Mensch in meinem Alter hat anscheinend so etwas, meinte er. Daher habe ich nur mit den Schultern gezuckt und ihn machen lassen.
Ich lächle vor mich hin und mache mich auf den Weg zurück in meine Wohnung.
Bevor ich Dienstag zur Schicht auftauche, ruft mich Tom noch in sein Büro.
„Hey, Emilia. Komm rein." Fordert er mich nach meinem Klopfen auf. Ich betrete ein kleines schlichtes Büro, indem ein Schreibtisch mit zwei Stühlen steht.
„Jacks sagte, du willst mich sprechen." Er nickt und deutet auf einen der Stühle vor sich. Ich setzte mich nervös hin.
„Ja. Hast du deine Unterlagen dabei. Ich würde dich ja nicht drängen, aber wir müssen dich anmelden. Und außerdem möchte ich deinen Vertrag fertig machen." Ich nicke aufgeregt und mit zittrigen Fingern, fische ich meine Personalien und meine Zeugnisse hervor. Tom blättert kurz die Unterlagen durch bevor er nickt und zieht sich Kopien davon. Etwas erleichtert entspanne ich mich auf meinem Stuhl. Da hat Finn doch gute Arbeit geleistet.
„Okay, soweit sieht alles gut aus. Fehlen nur noch deine Bank unterlagen." Ich schlucke schwer. Daran habe ich nicht gedacht. Ein Konto habe ich noch nie gehabt und einfach so eins aufmachen wird nicht so leicht sein. Im Waisenhaus haben wir so etwas wie Taschengeld bekommen. Die Konten wurden von der Leitung geführt und wir Kinder mussten uns nicht darum kümmern.
„Ähm... also. Ich dachte wir können das Bar machen." Tom blickt zu mir auf und runzelt die Stirn. „Mmh. Da muss ich tatsächlich den Boss fragen. Ich sag dir morgen Bescheid, da er heute nicht im Haus ist." Erleichtert Atme ich aus. „Kannst du schon mal mit der Bar anfangen, ich muss noch kurz die Getränke Bestellung erledigen." Ich nicke und verlasse den Raum um nach unten zu gehen.
Heute ist kaum etwas los und Tom hat sich wieder in sein Büro verzogen. Kim ist heute immer noch nicht da und langsam mache ich mir Gedanken ob sie Probleme hat. Doch diese Frage möchte ich nicht stellen, da ich kein Recht dazu habe.
Jacks steht auch seit geraumer Zeit an der Bar und wir unterhalten uns nett. Ich erfahre, dass er in einem Armen Viertel in New York aufgewachsen ist und seine Karriere fast als Drogendealer begonnen hatte. Verblüfft starre ich ihn an.
„Was? Und wie hast du es daraus geschafft?" Er lächelt mich an während sein Blick über die wenigen tanzenden Gäste schweift.
„Ich hatte Glück. Wir hingen oft in einem Jugendcenter herum und der Chef dort war sehr religiös. Als einer meiner Kumpels bei einer Schießerei zwischen zwei Rivalisierenden Gangs erschossen wurde, hat er mir einen Weg zu Gott gezeigt. Anstelle auf die Straße, bin ich in Kirchen gegangen." Scharf hole ich Luft.
„Oh nein. Das tut mir leid." Jacks winkt ab, bevor er fortfährt. „Es ist schon Jahre her. Es hat mir damals den Arsch gerettet." Er lacht traurig. „Erzähl mir von deiner Jugend?" Fordert er mich auf und jegliche Farbe verlässt mein Gesicht. Ich hatte mir schon eine Geschichte zurechtgelegt, sollte die Frage irgendwann kommen. Doch jemanden dann ins Gesicht zu lügen, ist eine andere Sache und nichts anderes würde ich jetzt tun. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. Jacks hat nichts von meinem Mulmigen Gefühl mitbekommen, da er sich wieder den Gästen zugewandt hat.
„Sie ist nicht sonderlich Spannend. Ich bin mit meiner Mutter aufgewachsen. In einem kleinen Häuschen in New Jersey. In der Schule lief es nicht wirklich gut und als meine Mutter starb letztes Jahr, stand ich ohne etwas da." Jacks Gesichtsausdruck verändert sich und Mitleidig blickt er mich an.
„Oh Emilia. Das tut mir leid mit deiner Mutter." Irgendetwas rührt sich in mir, als er mich so anblickt. Ich fühle das Mitgefühl und ich bemitleide mich selbst. Nicht weil ich meine Mutter letztes Jahr verloren hatte. Nein, weil ich sie nie hatte. Weil sie mehr an Drogen interessiert war, als an mir.
Ich schlucke die Träne hinunter und bin froh, als ein Gast an der Bar etwas bestellt, damit ich mich von ihm abwenden kann, bevor er die Veränderung meiner Stimmung bemerkt.
Als um 1 Uhr Tom nach unten kommt, sind schon viele Gäste weg.
„Emilia. War alles gut heute?" Er lehnt sich an die Theke.
„Ja. War alles kein Problem." Er nickt.
„Klasse. Würde es dir etwas ausmachen, heute mit Jacks zusammen abzuschließen? Ich würde heute etwas früher abhauen." Ich lächle ihn an und fühle mich geehrt, dass er mir nach kurzer Zeit schon so viel Verantwortung übergibt.
„Klar. Kein Problem. Ich weiß ja wie alles funktioniert." Er strahlt mir entgegen.
„Danke dir. Wir sehen uns dann morgen." Damit verabschiedet er sich von mir.
Nach einer weiteren Stunde sind keine Gäste mehr im Club. Der Kronleuchter ist an und wir haben alles sauber gemacht. Ich poliere gerade den letzten Gläserkorb, als Jacks sich mir zuwendet.
„Ich bring den Müll und die leeren Flaschen noch raus und mach anschließend noch einen Rundgang." Ich nicke und stelle die Gläser zurück ins Regal.
Nachdem Jacks verschwunden ist, fange ich an die Theke zu säubern, als sich ein Mann an die Bar setzt. Erst bemerke ich ihn nicht, doch als er sich laut räuspert wende ich mich ihm zu.
„Schenk mir einen doppelten Wodka ein." Schafft er mir mit einem Befehlshaberischen Ton an. Perplex bleibe ich an Ort und Stelle stehen und frage mich wie er in den Club gekommen ist. War er noch hier als Jacks oben abgeschlossen hat? Haben wir ihn übersehen?
Mein Blick gleitet über ihn. Seine schwarzen Haare hängen ihm frech in die dunklen Augen. Seine Augenbrauen sind zusammengezogen und blicken mich wütend an. Er hat ein markantes maskulines Gesicht und einen beeindruckenden Kiefer, der im Moment zu mahlen anfängt. Unter seinem blauen Hemd erkenne ich schemenhaft seine Trainierte Brust. Er ist Attraktiv und regt etwas in mir was ich seit Jason nicht mehr gespürt habe. Doch so schnell wie es aufkeimt ersticke ich es wieder.
„Wird das heute noch was?" Blufft er mich an und als ich mich immer noch nicht rühre, schnauft er verächtlich.
Der fremde Mann an der Bar funkelt mich an und erhebt sich. Einen kurzen Moment denke ich, er würde verschwinden, doch anstelle das zu tun, stapft er hinter die Bar und greift sich die Flasche Wodka und ein Glas. Geschockt blicke ich ihn an.
Es gibt hier einige Kunden, die unverschämt werden, wie der Mann am Freitag, wenn man sie nicht schnell genug bedient. Andere flirten ungeniert mit einem, wenn der Alkohol fließt. Letzte Woche, waren einige junge Männer stark Alkoholisiert und haben an der Bar herumgebrüllt, doch versucht hinter der Bar Alkohol zu klauen, hat noch keiner.
Perplex betrachte ich den Mann, bevor ich wütend auf ihn zu stapfe. Tom vertraut mir heute und wenn er dann erfährt, dass ich einem Kunden das durchgehen hab lassen ist das Vertrauen schnell weg.
Ich springe in seine Reichweite und baue mich vor ihm auf.
„Hey. Das dürfen Sie nicht." Ich entreiße ihm die Flasche und funkle ihn wütend an. Diesmal ist er es, der kurz perplex sich zu mir umdreht, bevor sich sein Gesichtsausdruck ebenfalls wütend verzieht. Ich lege meinen Kopf in den Nacken um ihm Mutig entgegen zu blicken. Er ist um mindestens zwei Köpfe größer als ich und die breite seines Körpers ich auch nicht zu verachten. Wie vorhin schon erahnt, ziehen sich kräftige Muskelstränge über seine Brust, die sich in diesem Moment anspannen. Das Hemd wölbt sich an seinen Oberarmen.
Ich spüre wie die Angst langsam die Oberhand übernimmt. Vielleicht habe ich mich überschätzt. Er könnte mich mit Leichtigkeit niederschlagen, bevor Jacks wieder hier ist.
Meine Hände fangen an zu zittern und meine Härchen stellen sich im Nacken auf. Mein Mut schwindet, während sein stechender Blick mich immer noch fixiert. Plötzlich fühle ich mich klein und verletzlich. Als er seinen Arm ausstreckt, zucke ich zusammen.
Er entreißt mir die Flasche mit einem kräftigen Ruck und funkelt mich wütend an.
„Ich darf und ich werde. Der Laden gehört mir nämlich." In diesem Moment entgleitet mir jeglicher Gesichtsausdruck und mit weit aufgerissenen Augen starre ich meinem Chef entgegen.
Immer wieder öffne ich den Mund und versuche einen Ton heraus zu bekommen. Doch nichts. Stumm blicke ich ihn an und versuche nicht gleich in Tränen auszubrechen.
Ich höre ihn wie ein Tier knurren und gerade als er weiterreden möchte, taucht Jacks hinter ihm auf und rettet mich aus dieser peinlichen Situation.
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