38. GEHEIMNIS
DAMIAN
Es sind mittlerweile weitere zwei Wochen vergangen. Tom wird am Wochenende umziehen und ist schon voll in der Planung für den Um- und Ausbau des Waisenhauses.
Sarah ist ebenfalls schon aufgeregt. Regelmäßig sind sie nun nach Rixford gefahren um dort alles zu eruieren. Dabei haben sich Marie und Sarah angefreundet und sind kaum noch auseinander zu bekommen. Ich glaube Tom denkt darüber nach sie zu Adoptieren.
Mit Emilia läuft alles bestens. Sie ist ganz anders als Elena und wir harmonieren mittlerweile wunderbar zusammen. Jeden Tag der Vergeht, blüht sie mehr auf. Ihre Blessuren sind verschwunden und ihre Narben heilen. Nachts schlafen wir immer noch mit einem kleinen Licht doch immer seltener schreckt sie aus dem Schlaf und lässt sich viel schneller beruhigen. Auch wenn sie mit mir noch nicht darüber reden möchte was passiert ist, bin ich für sie da. Außerdem redet sie mit Kim über ihre Probleme und besucht auch regelmäßig einen Therapeuten.
Doch ich hoffe immer noch, dass sie sich mir ebenfalls irgendwann öffnen wird.
Ich blicke nach oben zu dem alten großen Gemäuer. Seit geschlagenen zehn Minuten stehe ich auf der Steintreppe und traue mich nicht zu klingeln. Bis auf Richard und einige der Angestellten die mich aufzogen haben, sind diese Gemäuer nur düstere Erinnerungen an meine Eltern. Doch ich möchte ebenfalls mit meiner Vergangenheit abschließen und Elena gehört dazu.
Schwer atme ich die klare Luft ein. Es ist noch früh am Morgen und ein leichter Nebel liegt auf dem Weitläufigen Wiesen des Anwesens. Die Grenzen sind mit Bäumen gesteckt, die in einen Wald enden.
Damals als Kind bin ich oft dorthin geflüchtet und habe mich im Schutz der großen Eichen niedergelassen. Mein Vater kam meist nicht so weit raus. Bis auf sein Büro und dem Schießstand im hinteren Teil des Geländes, war er selten unterwegs. Ich kann mich nicht mal Erinnern, dass er das Anwesen je verlassen hat. Seine Geschäftstermine hat er in seinem Büro abgehalten. Er hat Köche aus aller Welt beschäftigt die ihm alle Speisen aufgetischt haben. Und wenn es doch etwas gab, wurde ihm der Wunsch von den Angestellten erfüllt.
Sogar meine Mutter ist um ihn herumgeschwänzelt und hat alles getan um ihn Glücklich zu machen. Auch wenn das hieß mir, ihrem einzigen Kind, in den Rücken zu fallen.
Abermals atme ich die kühle Luft ein und zitternd betätige ich die Klingel. Keine Sekunde später wird die Tür aufgerissen und ein bekanntes Gesicht blickt mich an.
„Mr. Evans. Schön sie wieder zu sehen. Sie haben ganz schön lange gebraucht um zu klingeln." Der Butler meiner Eltern lächelt mich breit an. In den Letzten zwölf Jahren, wo ich nicht mehr hier war, ist er gealtert. Seine grauen Haare sind mittlerweile ausgefallen und nur noch wenige befinden sich auf seinem Haupt. Die Grauen Augen müde und die Wangen eingefallen. Er sieht dünn und ausgelaugt aus.
„Conner. Du bist alt geworden." Ich schließe ihn in eine Umarmung. Die Angestellten waren mehr Eltern, als es meine je sein werden.
„Danke Damian. Sie sehen auch gut aus." Antwortet er mir lächelnd, bevor er sich löst um einen Schritt zurück zu treten.
Mit Herzklopfen betrete ich die Eingangshalle aus weißem Marmor. Stuck besetzte Meter hohe weiße Wände und helle Möbel zieren den Raum. Meine Mutter war immer schon Akkurat Ordentlich und alles musste an seinem Fleck sein. Von Schmutz hat sie sich immer Geekelt. Da passte auch kein Kind, das am liebsten draußen gespielt hatte, ins Bild.
„Die Herrschaften sind im Teezimmer." Conner hat seine Butler Haltung eingenommen und manchmal frage ich mich, wie sein Kreuz das Aushält.
„Gut. Ab in die Höhle der Löwen." Versuche ich zu scherzen, doch ich spüre selbst wie meine Stimme zittert. Ich sollte mich zusammenreißen. Ich bin keine 12 Jahre alt mehr, sondern 30 Jahre.
„Viel Glück." Conner lächelt mir aufmunternd zu, bevor er durch eine unscheinbare Tür auf der Rechten verschwindet. Die Angestellten Gänge, waren immer ein Abenteuer für mich und dort hat mich weder meine Mutter noch mein Vater gesucht. Das Personal war immer weit unter ihren Hochnäsigen Nasen.
Schnaufend durchquere ich das Wohnzimmer. Der Parkettboden knarzt unter meinen Füßen.
Als ich die Flügeltür aufschiebe um ins Teezimmer zu gelangen, wo sich meine Eltern meist nach dem Frühstück aufhalten, sammle ich nochmal meinen ganzen Mut um ihnen entgegen zu treten.
Der Raum ist größer als mein Loft und nur wenig Möbel stehen darin. Meiner Mutter engt zu viel Mobiliar ein. An der Wand steht ein Digestif Wagen, mit Bernsteinfarbener Flüssigkeit gefüllten Glaskaraffen und ein Teeservice.
Langsam betrete ich den Raum. Ich erblicke meine Eltern auf dem hellblauen Sofa mitten im Raum. Meine Mutter sitzt mit dem Rücken zu mir und Häkelt, während mein Vater auf einem Sessel ihr gegenübersitzt und eine Zeitung liest.
Beide sind in ihre Tätigkeit vertieft und bemerken mich nicht.
Langsam trete ich um das historische Sofa herum und bleibe an dem Gläsernen Couchtisch stehen. Da sie mich immer noch ignorieren, räuspere ich mich laut.
Meine Mutter ist die erste die hochblickt. Als sie mich sieht, reißt sie ihre braunen Reh Augen weit auf. Ihr rot geschminkter Mund zu einem Stummen Wort verzogen. Sie ist ebenfalls alt geworden. Doch ihre Haare hat sie immer noch in einem Blond ton gefärbt. Make up verdeckt ihre Altersflecken. Sie hat es immer schon gehasst zu altern und hat jedes Mittel dafür verwendet um den Prozess zu stoppen, doch letztendlich holt es jeden ein.
„Damian." Haucht sie und wackelig erhebt sie sich. Bei der Nennung meines Namens, faltet auch mein Vater die Zeitung.
„Mutter." Ich nicke ihr zu, bevor ich mich ihm zuwende. Sein Gesichtsausdruck ist nicht wie der meiner Mutter, überrascht. Er ist zornig. „Vater." Ich nicke ihm ebenfalls zu. Seine grauen Haare sind kurz geschnitten und auch ihn hat das alter eingeholt. Dieselben Augen, wie meine Blicken mich wutverzerrt an.
„Was willst du hier?" Knurrt er mich an, was sogar meine Mutter zucken lässt. Wütend erhebt er sich und stößt dabei an den Glastisch. Die darauf befinden Tassen klirren, als sie umstürzen und den Teeinhalt darauf vergießen. "Verschwinde. Du bist hier nicht willkommen." Blafft er mich an. Ich balle die Hände zu Fäusten. Als Kind habe ich unter ihm gelitten, als er mir mit Härte seine Regeln eingebläut hat. Mit seinem Ledergürtel hat er auf mich eingebügelt, bis ich seine gewünschte Form eingenommen habe. Doch ich lasse mich nicht mehr von ihm Formen oder Einschüchtern. Ich bin nicht mehr der kleine Junge, der Angst vor ihm hat. Ich bin hier, da ich Antworten brauche und ich werde sie mir holen.
„Oh, glaub mir. Ich bin genauso gerne hier wie du mich hier haben willst." Ich trete einen Schritt auf die beiden zu. „Doch ich muss etwas herausfinden und dadurch hatte ich keine andere Wahl." Mein Vater wedelt mit seiner Hand, als würde er eine lästige Fliege verscheuchen.
„Pah, was interessiert es mich. Verschwinde von hier." Er deutet mit dem Finger auf die Tür, während sein Gesicht immer röter wird.
„Liebling..." Versucht meine Mutter ihn zu beruhigen, doch mit einer kurzen Handbewegung bringt er sie zum Schweigen. Dafür habe ich sie immer mehr verachtet, als ihn. Sie hatte nie den Mut meinem Vater entgegenzutreten um mir beizustehen. Immer hat sie seine Taten schön geredet auch wenn ich mit roten Rücken und heulend zu ihr rannte, hat sie ihn verteidigt.
„Halt dich da raus, Charlotte." Mein Vater tritt ebenfalls einen Schritt auf mich zu und nur noch eine Armeslänge trennt uns. „Du hast Schande über unsere Familie gebracht. Du wurstest aus unserem Stammbaum entfernt, du bist nicht mehr unser Sohn und auch nicht willkommen. Verschwinde oder ich hole mein Jagdgewehr." Brummt er gefährlich. Doch ich lasse mich nicht mehr einschüchtern. Ich bin nicht mehr der kleine Junge, der vor ihm erzittert. Mit meinen 1,95m Höhe überrage ich ihn sogar und er muss den Blick heben. Daher baue ich mich nochmal mehr vor ihm auf. Durch meinen Trainierten Körper, wirkt es umso mehr, was ich kurz an dem Zucken seiner Gesichtsmuskeln erkennen kann.
„Ich werde nicht gehen, bevor ich nicht meine Antworten habe. Danach siehst du mich nie wieder." Seine Kieferpartie fängt zu zucken an. „Ich will wissen wer Tommes Johnson ist." Meiner Mutter entfährt ein spitzer Schrei, als ich seinen Namen nenne und auch in der Mimik meines Vaters ändert sich etwas. Kurz ist entsetzten zu sehen.
„Ich will diesen Namen hier nie wieder hören." Seine Stimme ist zu einem flüstern geworden, bevor er sich umdreht und stürmisch den Raum verlässt. Mit einem lauten Knall wird die Tür zugeworfen.
Meine Mutter blickt mich immer noch ängstlich an und ist in eine Starre verfallen, daher gehe ich auf sie zu und helfe ihr sich zu setzten.
„Ihr kennt den Namen?" Frage ich vorsichtig und lasse mich auf den Stuhl nieder, in den zuvor mein Vater saß. Ihre Atmung wird flacher und nachdem sich ihre Starre löst nickt sie. Ich lege meine Arme auf meine Knie und blicke sie an.
„Ja." Haucht sie mir leise zu, als sie merkt wie der Tee vom Tisch auf den Boden tropft. Hektisch springt sie auf. „Oh je. CONNER." Brüllt sie und keine Sekunde später betritt er den Raum.
„Ja Madam?" Immer noch versucht meine Mutter den Tee aufzufangen, der unaufhörlich über den Glastisch auf dem Parkett läuft.
„Einen Lappen Conner, schnell." Panisch wedelt sie in der Luft umher, da wischt Conner schon den Ausgeschütteten Tee weg. „Und bringen sie mir neuen." Er blickt mich kurz an um still zu fragen ob ich auch einen Wunsch habe, doch ich schüttle den Kopf.
Während meine Mutter langsam beruhigt, bringt ihr Connor neuen Tee. Als sie zu der weißen Porzellan Tasse greift, zittern ihre Hände noch so, dass der Inhalt gefährlich zum schwanken gerät.
„Mutter. Erzähl mir von ihm." Fordere ich sie auf, da ich keine Lust habe Vater mit einem Gewehr zu sehen. Sie schweigt lange Zeit, bevor sie mir mit bebender Stimme antwortet.
„Eines Tages vor neun Jahren stand eine Frau vor unserer Tür und beschuldigte uns des Todes ihres Sohnes. Sie Forderte Gerechtigkeit und Schadenersatz. Dein Vater lachte sie nur aus und jagte sie vom Anwesen." Sie atmet hörbar ein, während ich ihrer Geschichte lausche und in meinen Gedanken wühle. Wieso weiß ich davon nichts? In der Zeit war ich dank Richard untergetaucht. Habe mein Leben hinter mir gelassen. Ich hatte mich zurückgezogen in eine verlassene Hütte an einem kleinen See. Nur Richard und Tom wussten wo ich war. Meine Wunde musste heilen und ich brauchte die Ruhe um wieder klar denken zu können. Mir Gedanken zu machen, was ich mit meinem Leben anfangen möchte. Dabei hat mir Richard sehr geholfen. Er hat mich auf den Richtigen Weg gebracht und dieses eine Jahr ohne Einfluss von außerhalb, hat mir gutgetan.
Meine Mutter nimmt einen Schluck aus ihrem Tee. Ihre Hände hat sie mittlerweile besser unter Kontrolle und das Zittern ist kaum noch zu sehen.
„Die Frau gab nicht auf und jagte uns die Polizei sowie einen Anwalt auf den Hals. Sogar die Presse stand auf unserem Grundstück." Das ich darüber nie etwas gelesen habe, oder einer der beiden mir erzählt hat, wundert mich doch. „Du bist an seinem Tod schuld und wir mussten dafür büßen." Fährt meine Mutter mit purer Verachtung in der Stimme fort.
„Ich bin an seinem Tod schuld?" Frage ich nochmal deutlich nach, da ich mir nicht sicher bin es verstanden zu haben. Meine Mutter nickt.
„Ja." Sie stellt die Teetasse auf den kleinen Glastisch zwischen uns.
„Als du uns den Rücken gekehrt hast um in diese... diese Drogen Gang zu gehen, hast du unsere Familie in den Schmutz getreten. Alle wussten es." Meine Mutter fängt zu schniefen an und vergräbt ihr Gesicht in den Händen. Ihr war es schon immer wichtiger was andere über sie dachten. Ihr Ansehen bei den anderen reichen Familien dieser Stadt. Schnaufend versuche ich meine Wut zu unterdrücken. Ich muss mehr erfahren.
„Mutter." Ich berühre sie am Arm was sie kurz zucken lässt. Doch als sie mich ansieht ist ihr Blick eiskalt.
„Hättest du nicht ganz verschwinden können? Um uns das alles zu ersparen? Wir waren in der Zeitung wegen dir. Weißt du wie peinlich das war. Wie erniedrigend?"
„Was ist mit der Familie von Tommes passiert?" Frage ich sie, um endlich eine Antwort zu erhalten. Ein kaltes Lächeln bildet sich auf ihren roten Lippen.
„Sie hatten keinerlei Beweise und unsere Anwälte zerschmetterten sie." Sie wedelt mit der Hand. „Ich weiß nicht was mit den beiden passiert ist. Ist mir auch relativ egal. Sie gehören nicht zu unserer Schicht. Wahrscheinlich sind sie in das Loch zurückgekrochen, von dem sie gekommen sind." Sie rümpft die Nase, als würde sie etwas widerliches Riechen. Innerlich kämpfe ich die Wut hinunter, die wie Galle in mir emporsteigt. Für meine Mutter war jeder unter ihrer Würde, der nicht Millionen auf dem Konto hatte und Adliges Blut. Das habe ich immer an meiner Familie gehasst. Ihre herabschauende Art.
„Was ist mit ihm passiert?" Frage ich weiter und ignoriere ihre Hetzrede.
„Er wurde erschossen." Sie greift wieder zu ihrem Tee, doch ich halte sie auf.
„Mutter. Wer war er?" Ich blicke sie eindringlich an und kurz blickt sie mich ängstlich an, bevor sie ihre Gesichtszüge schnell wieder im Griff hat.
„Ein Niemand." Antwortet sie kalt.
Ein lautes Krachen ertönt, als mein Vater die Flügeltüren aufschlägt.
„Du hast unserer Familie Schande gebracht." Seine Stimme donnert durch den Raum, als er wutverzerrt, mit seinem Jagdgewehr in der Hand, in unserer Richtung stürmt. „Jeder wusste darüber Bescheid. Deine Mutter und ich wurden gemieden und für deine Tat verachtet die du begangen hast. Verschwinde von hier. Du bist nicht mehr unser Sohn." Ich erhebe mich und blicke ein letztes Mal zu meiner Mutter herab. Doch wie immer, wenn sie zwischen uns entscheiden muss, wählt sie seine Seite. Ihr Blick ist nach unten gerichtet, doch ich erkenne ihre Abneigung gegenüber mir.
„Gut ich gehe. Ihr werdet mich nie wiedersehen." Auch wenn ich noch nicht alle Informationen habe, sind es mehr als ich von meiner Familie erwartet habe. Ein letztes Mal blicke ich zu dem Mann der mich gezeugt hat. Sein wütender Blick hält meinem Stand, als ich an ihm vorbeigehe und das Teezimmer verlasse.
Conner steht an der Tür und hält sie mir auf.
„Ich wünsche Ihnen alles Gute Damian." Ein aufrichtiges Lächeln liegt auf seinen Lippen und ich ziehe ihn in eine kurze Umarmung.
„Ich Ihnen auch Conner."
Damit verlasse ich das Haus meiner Eltern ohne zurückzublicken.
Ich werde meine Antworten irgendwann erhalten. Von wem und wann, weiß ich noch nicht. Aber ich werde sie mir holen.
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