31. VERSCHWUNDEN
DAMIAN
Den ganzen Tag über habe ich schon ein seltsames Gefühl. Doch einordnen kann ich es nicht. Seit Mittag bin ich im Club und kämpfe mich durch die Unterlagen auf meinem Schreibtisch.
Heute Morgen habe ich mich erst bei Tom losgeeist. Der Todestag seiner Frau ist für ihn immer noch ein tiefes Loch. Sarah ist dann meistens bei Richard. Tom und ich betrinken uns und reden. Ich habe ihm heute frei gegeben, doch Tom hat nur den Kopf geschüttelt und darauf bestanden zu kommen. Ablenkung ist besser als zu Hause herumzusitzen.
Richard hat sich vorhin noch gemeldet, dass er heute nicht bei Emilia vorbeischaut, wegen Sarah. Aber ich denke mal das wird in Ordnung gehen.
Am Abend erhalte ich einen Anruf von Tom, dass ich mal runter in den Club kommen soll. Schnell lege ich die letzten Blätter Lohnabrechnungen weg und verlasse mein Büro. Auf dem Monitor habe ich schon gesehen, wie voll der Club heute ist. Kim und Tom sind an der Bar und rotieren.
Die Theke ist voll von Gästen, die auf ihre Getränke warten. Tom sieht mich und ich bewege mich auf ihn zu.
„Kumpel. Kannst du uns kurz helfen?" Ich nicke schnell und kremple mir die Ärmel des Hemdes hoch. Schnell trete ich hinter die Bar.
„Was soll ich machen?" Frage ich über die Lautstärke hinweg.
„Wäre klasse, wenn du die rechte Seite bedienst." Ich nicke schnell und bewege mich ans andere Ende der Theke.
Die Zeit vergeht wie im Fluge und weit nach Mitternacht, lichtet sich endlich die Anzahl der Gäste. Mir hat es Spaß gemacht, wieder hinter der Theke zu stehen und die Gäste zu bedienen. Dafür habe ich diesen Club aufgemacht, weil mein Herz daran hängt. Vielleicht sollte ich öfter meinen Schreibtisch verlassen und meinen Angestellten unter die Arme greifen.
Um vier Uhr morgens, sind auch die letzten Gäste weg und wir schließen den Club. Ausgelaugt setze ich mich auf einen der Barhocker. Tom stellt mir ein Bier auf die Theke und gönnt sich ebenfalls eines.
„Was für ein Abend." Ich nicke nur und stoße bei ihm an.
„Ja. Aber ein klasse Abend." Ein Schmunzeln legt sich auf Toms Gesicht. Dass er letzte Nacht nicht geschlafen hat, sieht man ihm an. Dunkle Augenringe zieren sein Gesicht. Er sieht blass und ausgelaugt aus.
„Es hat dir gefehlt, oder?" Ich nicke und trinke einen Schluck meines Biers. Jacks taucht in meinem Blickfeld auf.
„Hey Boss. Ich habe gehört, dass du die Bar gerockt hast." Ich muss schmunzeln, als er mir auf die Schultern schlägt. „Schön, dass du wieder da bist." Tom schiebt ihm ebenfalls ein Bier über die Theke und wir stoßen an.
„Es ist schön wieder hier zu sein." Ein Stöhnen lässt uns aufblicken. Kim schleicht um die Ecke und sieht mehr als fertig aus. Plump lässt sie sich neben mich fallen.
„Meine Füße bringen mich um." Ich sehe wie sie die Ballerina von den Füßen streift und wunder mich sie nicht auf hohen Schuhen, wie sonst, zu sehen. Tom schiebt ihr auch ein Bier über die Theke, doch sie winkt ab.
„Nein, heute nicht." Tom zieht die Augenbrauen hoch, stellt das Bier aber zurück in den Kühlschrank.
„Lasst uns Feierabend machen." Schlägt er vor und alle nicken.
„Komm Kim, ich bringe dich nach Hause." Bietet Jacks ihr an und Kim nickt nur schwach, bevor sich die beiden auf den Weg machen. Eine kurze Weile sitze ich mit Tom noch an der Bar.
„Warst du an ihrem Grab?" Breche ich das Schweigen. Tom spielt mit seiner Flasche rum und eine Traurigkeit liegt in seinem Blick.
„Nein." Bringt er schwach heraus. Ich weiß wie hart das immer für ihn ist.
„Ich habe heute nichts mehr vor. Wie wäre es, wenn wir gemeinsam hinfahren." Ein schwaches Lächeln legt sich auf seine Lippen bevor er nickt.
„Danke."
Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Friedhof. Schweigend treten wir durch das Schmiedeeiserne Tor. Jeden Schritt den wir, auf das Grab zugehen, verspannt sich Tom mehr. Der Kies knirscht unter unseren Füßen, während die ersten Sonnenstrahlen den Friedhof erhellen. Wir biegen immer wieder ab, bis wir irgendwann vor einem netten kleinen Grab ankommen. Tom hat den ganzen Weg über geschwiegen und ich kann mir nur teilweise vorstellen, was ihm durch den Kopf geht. Ein weißer Marmorstein, steht über dem Grab. Mit Goldenen Lettern ist Sandras Name eingraviert, sowie ihr Geburtstag und Todestag. Tom starrt lange das Grab an, bevor er langsam in die Hocke geht. Ich bleibe im Hintergrund, um ihn nicht in seiner Trauer zu zerstören.
„Hey meine Hübsche." Zärtlich streicht er über den weißen Marmor und ich sehe eine Träne über seine Wange laufen. „Es tut mir leid, dass ich erst jetzt komme." Ich schlucke, da es mir in der Seele weh tut meinen besten Freund so zu sehen. Langsam trete ich einige Schritte weg, um ihm seine Privatsphäre zu lassen.
Ich stelle mich zu einer Dreiergruppe Nadelbäume und schiebe mir meine Sonnenbrille auf die Nase, da der neue Tag anfängt. Langsam tauchen immer mehr Menschen auf dem Friedhof auf, die ihre Liebsten besuchen. Ein neues Loch wird ausgehoben, Blumen werden gegossen und eine Witwe trauert um ihren Mann.
Leise höre ich Tom mit Sandra sprechen, wie er von Sarah erzählt und dass sie bald in die Schule kommt. Ein trauriges Lachen dringt an meine Ohren und beklemmend blicke ich auf den Boden. In Gedanken versunken überlege ich am Sonntag zu meinen Eltern zu fahren. Auch wenn mir die Vorstellung missfällt, muss ich mit meinem Vater reden. Ich muss wissen wer dieser Tommes Johnson ist und was er damit zu tun hat.
Das Knirschen des Kieses dringt an meine Ohren und ich blicke auf, als Tom auf mich zukommt. Seine Augen sind rot, doch ein Lächeln ziert seine Lippen. Es ist seltsam ihn so zu sehen. Tom war und ist emotional immer der Stärkere von uns beiden gewesen. Sandra zu verlieren hat ihn in ein Loch gezogen. Nur für Sarah ist er noch so stark.
Er legt mir eine Hand auf die Schulter.
„Danke, Kumpel." Ich nicke ihm lächelnd zu.
„Wie wäre es jetzt mit einem Frühstück?" Wir wenden uns ab und gehen Richtung Ausgang.
„Gerne. Lass uns in das Diner an der Ecke gehen. Der Kaffee ist zwar grauenhaft, dafür sind die Pancakes ganz lecker." Wir verlassen den Friedhof und machen uns auf den Weg zum Diner um die Ecke.
Nach einer Mütze voll Schlaf, stehe ich am späten Nachmittag im Club. Tom hat mir geschrieben, dass er später kommt, dafür ist Kim schon hinter der Bar am Vorbereiten. Ich geselle mich zu ihr, um ihr etwas unter die Arme zu greifen.
Während ich die Getränke auffülle, schneidet sie an der Theke Obst für die Cocktails.
„Damian?" Ich blicke auf, da ich auf dem Boden hocke und die Getränke in den unteren Kühlschrank räume.
„Ja?" Sie blickt mich mit ihren großen Augen an und wirkt etwas nervös.
„Hast du etwas von Emilia gehört?" Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen nach unten. Hat sie etwa Kim von uns erzählt. „Ich mache mir Sorgen. Sie geht nicht an ihr Telefon." Sie streicht sich über den Arm und langsam richte ich mich auf.
„Mmh. Vielleicht hört sie es nicht, oder sie genießt die Ruhe." Kim rümpft die Nase, als wäre sie nicht davon überzeugt, nickt aber langsam. Ich räume weiter die Getränke ein, muss aber an Emilia denken. Vielleicht schaue ich heute Abend mal vorbei.
Der Club ist mal wieder Rappel voll. Ich helfe den beiden an der Bar und auch Cassy springt im VIP Bereich herum. Der DJ legt klasse Musik auf und unsere Gäste sind in trink und Feier Laune. Das Tagesziel haben wir schon weit vor Mitternacht in der Kasse.
Mit guter Laune bediene ich die Gäste und bereue es sooft im Büro zu sitzen über irgendwelche Rechnungen.
Um vier Uhr fühle ich mich schlapp und müde. Die Bar ist aufgeräumt, die Gäste weg. Es hat mir wirklich Spaß gemacht und ich nehme mir öfter vor zu helfen.
Wir sitzen zusammen an der Bar und trinken unser Feierabend Bier, wie es hier zur Tradition wurde. Kim blickt zum wiederholten Mal auf ihr Handy und auch mir gefällt die Sache zunehmend weniger.
„Immer noch nichts?" Frage ich sie und ihre grünen Augen treffen meine. Sie schüttelt den Kopf.
„Nein. Sobald ich anrufe geht die Mailbox ran." Wieder ist dieses seltsame Gefühl in mir, dass mich nicht loslässt. Die Gespräche mit Emilia gehen mir durch den Kopf. Sie hat uns ihre Identität verschleiert und ihre Angst gegenüber Gewalt hat bei mir damals schon alle Alarmglocken klingeln lassen. Was ist, wenn ihre Vergangenheit sie eingeholt hat. Was ist, wenn sie vor jemanden weggelaufen ist.
Ruckartig stehe ich vom Barhocker auf und ernte alle Blicke der Anwesenden.
„Ich geh zu ihrer Wohnung und sehe nach." Bevor einer der anderen Antworten kann, verlasse ich schon den Club durch den Hintereingang. Mit schnellen Schritten eile ich zu ihrer Wohnung.
An ihrer Wohnung angekommen, springe ich die Treppe nach oben. Laut klopfe ich an ihre Tür.
„Emilia. Ich bin es." Kurz lausche ich auf eine Antwort, doch es kommt keine. Daher klopfe ich noch stärker gegen die Tür, die schon zu wackeln anfängt.
„EMILIA. Mach die Tür auf. Bitte." Abermals eine Stille die mich unruhig werden lässt. Mein Herz beginnt schneller zu pochen.
„EMILIA. Ich zähle bis drei, dann breche ich diese Tür ein." Stille.
„EINS." Nichts.
„ZWEI." Mein Herz bricht mir gleich die Rippen.
„DRE..." Weiter komme ich nicht, da ein Geräusch hinter mir mich stocken lässt.
„Damian?" Ich drehe mich um und sechs Augenpaare blicken mich von der Treppe aus an.
„Was macht ihr hier?" Kim tritt einen Schritt auf mich zu.
„Sie ist auch unsere Freundin und wir machen uns ebenfalls sorgen." Ich muss schlucken.
„Sie macht nicht auf." Bringe ich panisch hervor und merke wie Angst sich in mir ausbreitet. Tom überwindet die Stufen und hält mir den Ersatzschlüssel der Wohnung unter die Augen. Schnell schnappe ich ihn mir und öffne die Tür. Luft anhaltend betrete ich die dunkle Wohnung. Eine unangenehme stille liegt im Raum und ich spüre sofort, dass etwas nicht stimmt. Das Licht wird angemacht und ich sehe wie Kim durch die Räume flitzt, während ich wie angewurzelt im Wohnzimmer stehe.
„Sie ist nicht da." Kim taucht im Wohnzimmer wieder auf und schüttelt den Kopf.
„Boss. Hier ist Blut." Ich folge der Stimme und blicke zu Jacks der am Boden neben der Couch hockt und auf eine rote Stelle am Teppich zeigt. Langsam trete ich näher und erkenne ebenfalls Blutspritzer. Nicht genug, dass jemand tot ist, doch genug, um größere Verletzungen nicht auszuschließen. Ich höre Kim scharf einatmen.
„Oh nein." Tief einatmend versuche ich die Situation zu begreifen. Emilia ist weg und Blut ist auf den Boden. Mein Kopf rast und langsam setzt sich ein Bild darin fest, was mir Angst macht.
Ich blicke in die Runde und jeder scheint in Gedanken zu sein. Mein Kopf dreht sich und schnell schiebe ich die Panik weg. Ich kann mich jetzt nicht von der Angst leiten lassen. Schnell lege ich einen Schalter in mir um und logisch versuche ich alles zu analysieren.
„Jackson ruf alle Umliegenden Krankenhäuser an. Frag nach ihr." Jackson richtet sich auf und nickt, bevor er nach seinem Handy greift.
„Tom. Mrs. Krings..." Weiter muss ich nicht reden, da er schon nickend durch die Tür verschwindet.
„Kim..." Ich höre sie schluchzen. „Höre auf zu weinen. Wir werden sie finden." Sie wischt sich über ihr Gesicht. „Durchsuche ihre Sachen im Schlafzimmer. Such alles, dass uns helfen wird sie zu finden." Sie nickt und verschwindet nach hinten. Seufzend fahre ich mir über mein Gesicht. Langsam blicke ich mich in der Wohnung um. Wieso habe ich nicht nachgehakt. Ich wusste, dass ihr jemand Schaden zugefügt hat. Doch ich dachte nicht, dass es noch so real ist.
Ich mache mich daran, jede Schublade und jeden Schrank zu durchstöbern. Wie in einem Film leere ich die Inhalte aus und durchsuche sie. Doch wie erwartet ist Emilia ordentlich, sogar in ihren Schubladen. Alles hat seinen Platz. Ein Zeitungsausschnitt am Kühlschrank fordert meine Aufmerksamkeit. Er ist sehr alt und wurde oft gefaltet. Es zeigt das Empire State Building aus irgendeiner Illustrierten. Ich streiche über das Gebäude, bevor ich mich weiter auf die Suche mache.
Nach einer gewissen Zeit höre ich Tom die Wohnung betreten und fragend blicke ich ihn an. Doch mein Freund schüttelt den Kopf.
Seufzend mache ich mich wieder dran jede Ritze im Sofa zu durchkämmen. Dabei versuche ich nicht auf das Blut zu achten, dass immer noch verteilt auf den Boden liegt.
„Boss." Jackson betritt den Raum, sein Handy immer noch in der Hand. Er hält die Sprechmuschel zu. „Im New York Hospital liegt eine junge Frau, die auf Emilias Beschreibung trifft." Ich blicke ihn an, doch bevor ich ihm anweise zu fragen, weiß ich, dass sie es nicht ist.
„Frag sie nach dem Schnitt in ihrer linken Hand. Es müssen noch die Fäden drinnen sein." Jackson nickt und gibt die Frage an die Person am anderen Ende des Telefons weiter. Ich beobachte ihn und kopfschüttelnd legt er auf. Auch wenn ich wusste, dass es nicht Emilia gewesen sein konnte, bin ich enttäuscht. Frustriert setzte ich mich auf die Couch und schlage die Arme über den Kopf zusammen.
„Damian." Kim kommt um die Ecke und hält etwas in der Hand. „Ich habe etwas, in den Taschen ihrer Jeans, gefunden. Doch es ist nicht leserlich." Sie reicht mir den Zettel und ich erkenne ein Zugticket. Es sieht aus, als wäre es Mehrmals gewaschen worden. Das Ausstellungsdatum ist Mitte Januar. Zielort New York. Doch von wo sie gestartet ist, ist zu sehr verwischt. Ich schnaufe und fahre mir abermals durchs Gesicht.
„Boss. Was ist hier los?" Ich blicke aus dem Fenster, wo die ersten Sonnenstrahlen hineinbrechen.
„Emilia hat uns angelogen, was ihre Herkunft und ihren Namen angeht." Meldet sich Tom zu Wort. Ich blicke in die Runde. Immer noch auf der Couch sitzend, sehe ich jeden nacheinander an. Tom steht zu meiner linken, die Armeverschränkt. Tiefe Augenringe zieren sein Gesicht, das vor Sorge verzerrt ist. Jackson, immer noch sein Handy in der Hand, steht vor mir und auch ihn sieht man an das ihn die Sache nicht kalt lässt. Kim ist den Tränen nahe und fragendblickt sie mich an.
„Sie ist vor etwas weggelaufen. Besser gesagt vor jemanden. Und dieser jemand wird sie wahrscheinlich gefunden haben." Die Erkenntnis trifft mich hart. Ich hätte für sie da sein sollen. Hätte ich nur mehr für sie getan. Wäre ich Donnerstag nur nicht gefahren. Ich wusste, dass sie etwas verheimlicht und habe trotzdem nicht weiter nachgefragt. Ich wollte ihr die Zeit geben, es mir selbst zu erzählen.
„Warum hat sie uns angelogen?" Kims Stimme bricht und ich höre sie schluchzen.
„Sie hatte Angst. Emilia wollte, vor wem auch immer sie weggelaufen ist, nicht gefunden werden."
„Wir sind Freunde. Sie hätte mir alles erzählen können. Ich hätte ihr doch geholfen." Kim schluchzt und Tränen laufen über ihre Wangen. Jackson geht auf sie zu, um sie in seine Arme zu ziehen. Zärtlich streicht er ihr übers Haar.
„Beruhige dich. Wir finden sie." Mein Blick wandert zu Tom, der ebenfalls verspannt wirkt.
„Wir müssen sie finden." Keucht Kim zwischen zwei Schluchzern und langsam nicke ich. Ja, wir müssen sie finden.
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