Was für ein Geburtstag
═══════☆♡☆═══════
⋇⊶⊰ ZEITSPLITTER ⊱⊷⋇
═══════☆♡☆═══════
1-Was für ein Geburtstag
New Jersey, April 2020
„Ich fahre." Mit einem schiefen Grinsen rupfte mir Gino die Autoschlüssel aus der Hand und lachte leise auf meinen vagen Protest hin. Er versteckte die Schlüssel hinter seinem Rücken und die kindliche Geste brachte mich ebenfalls zum Lachen.
„Hey!", maulte ich trotzdem und zog einen Schmollmund. Meistens konnte ich ihn damit weichkochen, heute allerdings nicht. Er lachte schon wieder.
„Keine Chance, Schatz, du hast definitiv zu viel getrunken."
„Du willst doch nur den Wagen fahren", hielt ich dagegen. Gino schielte über die Schulter in Richtung das BMWs und kräuselte dabei die Nase.
„Ahh, erwischt, das auch."
Ich versuchte, nach dem Schlüssel zu schnappen, schlang dabei einen Arm um seine Mitte, und musste gegen meinen Willen ebenfalls lachen, weil Gino eben doch nochmal ein gutes Stück größer war, den Schlüssel nun in die Höhe hielt und ich vor ihm hüpfte wie ein kleiner Junge vor dem Süßigkeitenstand.
„Gino!"
Er grinste breit und schob sich mit einer nachlässigen Geste die schwarz glänzenden Haarsträhnen aus den Augen.
„Sag: Ich..."
Augenrollend gab ich auf, ließ ihn los und schob die Hände in die Taschen meines Kurzmantels. Den Kopf geneigt sah ich ihm in die Augen. „Ich..."
„...liebe..."
„liebe", wiederholte ich gehorsam und grinsend.
„...dich."
Bevor ich das wiederholen konnte, hatte er sich zu mir gebeugt und küsste mich sanft, sodass ich das Gerangel um den Autoschlüssel für den Moment vergaß. Stattdessen schlang ich beide Arme um seinen Nacken, verschränkte die Hände und lehnte mich an ihn. Als er sich wieder von mir löste, seufzte ich leise.
„Du hättest auch fahren dürfen, wenn du mich einfach gefragt hättest."
„Das weiß ich doch." Er betrachtete mein Gesicht, dann glitt sein Blick über meinen Kopf hinweg und seine Finger fuhren durch meine Haare, glätteten ein paar der wirren braunen Strähnen. „Ich wollte trotzdem, dass du es hörst."
Unsere Blicke trafen sich erneut und Ginos Lächeln verschwand.
„Ich liebe dich", sagte er, so leise, so ernst, dass mir ein wohliger Schauer über den Rücken lief. Auch jetzt kam ich zu keiner Erwiderung, denn plötzlich begann er zu grinsen und dann zu lachen. „Und ich werde nie vergessen, was für ein verkniffenes Gesicht dein Vater gemacht hat, als du da oben auf dem Podium gestanden und das Mikrofon umklammert hast. Ich glaube, da hat er schon geahnt, dass das eine historische Rede wird."
Nun musste ich selbst grinsen, denn es war auf seine Weise tatsächlich historisch gewesen. Ich hatte kein öffentliches Outing geplant und ganz sicher lag mir nicht daran, irgendjemand vor den Kopf zu stoßen, aber als ich dort oben neben meinen Eltern gestanden und Ginos Blick quer durch den Raum getroffen hatte, war das alles, was noch in meinen Gedanken Platz gehabt hatte. Selbstverständlich wussten meine Eltern schon lange Bescheid und dass ich mit einem Mann liiert war, war auch kein Problem. Gino gehörte längst zur Familie und ging in unserem Haus ein und aus. Aber dass ich das Event, welches mein Vater zu meinem 23. Geburtstag geplant hatte, um mich gleichzeitig offiziell in die Firma zu integrieren, dazu nutzen würde, meine Beziehung öffentlich zu machen, war vermutlich nicht in seinem Sinne. Der unorthodoxe Schluss meiner Dankesrede würde morgen in allen Zeitungen stehen, aber auch diese Vorstellung ließ mich nur dümmlich grinsen.
„...bleibt am Ende eigentlich nur noch eine Frage übrig..." Jeder sieht mich erwartungsvoll an, meine Eltern leidlich irritiert und Gino lächelt nur.
„Gino", meine Finger krampfen sich um den Wohnungsschlüssel in meiner Hand und ich muss beinahe über mich selbst lachen, weil ich plötzlich doch so unglaublich nervös bin. Noch einmal presse ich die Finger fest um das kleine Stück Metall, bevor ich die Hand ausstrecke und die Finger öffne. „Willst du dein Leben mit mir teilen?"
Das Blut hatte so sehr in meinen Ohren gerauscht, dass ich Ginos Antwort kaum gehört hatte. Sekunden später war er jedoch bei mir, hatte wohl den Schlüssel genommen, denn meine Hand war nun leer gewesen. Dafür hatte er mich stürmisch geküsst und rund um uns war gejohlt, geklatscht, gepfiffen worden.
„Er wird es überleben", erklärte ich zuversichtlich und schmunzelte dabei. „Er wird morgen die Zeitungen lesen, wird schimpfen und knurren, dass sie wohl nichts Besseres zu drucken hätten und wenn du abends zum Essen kommst und ihn vorher noch zu einer Partie Schach herausforderst - die du dann höflicherweise verlierst - wird er schon vergessen haben, dass er sich eigentlich über uns beide ärgern wollte. Du wirst sehen."
„Hm", Gino schmunzelte und schob sich an mir vorbei. „Wenn du das sagst." Er hatte keine Angst vor meinem Vater, das wusste ich, hatte er nie gehabt und dafür liebte ich ihn noch ein wenig mehr. Zeit meines Lebens war ich umgeben von Menschen, die in Gegenwart meines Vaters parierten wie dressierte Affen und wenn ich es als Kind nicht verstanden hatte, war es mir als Teenager verhasst gewesen. Ich wollte keine Leute um mich haben, die nur mit mir befreundet waren, weil ich der Sohn meines Vaters war: Resa Young, der Tycoon in der Baubranche. Und ganz sicher wollte ich niemanden, der mich nur glücklich machen wollte, um meinen Vater glücklich zu machen.
Ich war gerade erst 19 geworden, als ich Gino auf einer dieser schrägen Partys getroffen hatte, die Dice - mein bester Freund - ständig organisierte. Und eigentlich war treffen zu viel gesagt, denn er war der typische Freund eines Bekannten eines Freundes, der Kerl, den man über drei Ecken kannte, oder eben eigentlich gar nicht kannte. Von dem man nur den Namen wusste und der zufällig den eigenen Weg kreuzte. An jenem Abend war er der Fahrer, gelangweilt von Anfang an, womöglich sogar genervt von uns, die wir lautstark kundtaten, wie toll und vor allem erwachsen wir waren. Als ich ihm vorgestellt wurde und man ihm erklärte, wer ich war, nickte er mir zwar zu, aber auf mein - wie ich damals glaubte - überlegenes Lächeln und mein hingeworfenes „Jonah", lautete seine Antwort lediglich: „Schön für dich."
Und ab da hatte er mich. Acht Jahre älter und absolut unaufgeregt in Gegenwart eines so prominenten Sprösslings, war er mit Abstand der aufregendste Kerl, den ich je getroffen hatte und er war kein bisschen interessiert an meinem Namen, meiner Herkunft oder auch an mir. Er war der erste Mensch, der mir von Anfang an klar zu verstehen gab, dass es mein Vater war, der sich mit den aufwändigen Restaurierungen historischer Gebäude einen Namen gemacht hatte, nicht ich. Für ihn war ich nur der Junge, der zufällig einen bekannten Namen trug, millionenschwerer Erbe, aber ohne eigene Leistung und demnach nichts, worauf ich stolz sein könnte. Okay, vielleicht fand er mich ganz nett anzusehen, aber das war's wohl von seiner Seite auch schon, ganz im Gegenteil zu mir. Ich war wie vom Blitz getroffen. Total verknallt in einen Kerl, der mir kaum mehr als höfliches Interesse entgegenbrachte und zum ersten Mal im Leben auf der anderen Seite von haben wollen und nicht kriegen können. Ab da tat ich wirklich alles, um ihm wieder zu begegnen, arrangierte ein zufälliges Treffen nach dem anderen, bis er mich endlich wahrnahm. Und dann brauchte ich beinahe ein weiteres halbes Jahr, um ihn davon zu überzeugen, dass ich nicht das verwöhnte, überprivilegierte Söhnchen war, für das er mich hielt.
Wir küssten uns zum ersten Mal nach einer Kinospätvorstellung von „The First Avenger: Civil War" unten am Hafen und ich wusste noch, dass ich es furchtbar kitschig fand, den Nachthimmel, die Sterne, die Lichter überall. Furchtbar kitschig und wunderschön. Es gab jede Menge erste Male mit Gino, und viele, wenn auch nicht alle, lagen in einem höchst intimen Bereich. Meine Vorerfahrung mit Männern war, auch wenn mein keckes Auftreten anderes vermuten ließ, nicht so üppig, wie viele dachten. Aber das einprägsamste erste Mal war wohl der Moment, wo ich ihn meinen Eltern vorstellte. Gino war nicht nervös, ich dafür umso mehr. Ich hätte meine Seele verkauft, hätte ich damit garantieren können, dass sie ihn mögen würden, so wichtig war er mir geworden. Dieser Mann bedeutete mir alles und ich hatte schlichtweg Angst, dass das, was zwischen uns entstanden war, abrupt enden würde, wenn meine Eltern, vor allem mein Vater, dies verlangten. Dabei war meine Angst völlig unbegründet. Gino eroberte die Herzen der weiblichen Familienhälfte - meiner Mutter und meiner kleinen Schwester - im Sturm. Meine Mutter war verzückt, meine Schwester Linya geradezu verrückt nach ihm (was ich gut verstand). Mein Vater war so angetan von dem scharfsinnigen Junganwalt, dass es sogar meine Eifersucht schürte. Bis heute hatte sich daran kaum etwas geändert. Gino war derjenige, der jedes Mal, wenn er unser Haus betrat, von meinem Vater begrüßt wurde, als wäre er der verlorene Sohn, der heimgekehrt war und ich rutschte mit beständiger Regelmäßigkeit auf Platz 2. Dafür war ich auf Ginos persönlicher Hitliste die unangefochtene Nummer 1 und das versöhnte mich mit allem.
Gerade öffnete er schwungvoll die Beifahrertür des Wagens. Der BMW war mitternachtsblau, brandneu und eines dieser völlig überzogenen Geschenke, die meine Eltern gerne machten. Die einfache Erklärung meines Vaters dazu, warum er das tat, war: Weil ich es kann. In diesem Fall hatte ich mich allerdings auch nicht wirklich lange gesträubt, denn der Wagen bewegte sich auf einem Level, dass mir schlicht die Worte gefehlt hatten. Ich fuhr ihn seit vier Tagen, also seit meinem tatsächlichen Geburtstag, dessen Feier heute mit viel Getöse nachgeholt worden war. Vier Tage, in denen ich Gino nicht mal probeweise hinter das Steuer gelassen hatte, einfach weil es so schön war, ihn zappeln zu sehen.
Gerade nickte er mir jedoch zu, der Autoschlüssel baumelte neckisch von seinem Finger und ein freches Funkeln ließ seine Augen leuchten.
„Na los, steig ein, ich glaube, wir sollten diese Party ganz privat beenden."
„Oh! Denkst du an etwas bestimmtes?" Breit grinsend schob ich mich an ihm vorbei, strich dabei mit der Hand langsam über seinen Bauch und ließ mich in den Sitz fallen.
Gino lachte laut auf und seine Augenbraue zuckte. „Allerdings", raunte er heiser, küsste mich flüchtig, dann warf er meine Autotür zu und umrundete den Wagen. Er schlüpfte hinter das Steuer, startete den Wagen und sah mich an. „Alles klar?"
Immer noch grinsend stupste ich Paulchen Panther an, der vom Rückspiegel baumelte. Gino hatte ihn hingehängt, als Glücksbringer. Alles bestens. Ich nickte stumm, lehnte mich jetzt zufrieden in den Sitz und Gino lenkte den Wagen die lange Auffahrt hinab. Als wir auf der Straße waren, machte er Musik an - Klassik, er liebte Klassik und ich hatte gelernt, mich darauf einzulassen. Es hatte eine beruhigende Wirkung auf mich, womöglich fielen mir sogar die Augen zu.
Es war warm im Wagen und ich schreckte wieder auf, als Gino nach meiner Hand griff.
„Hase, schläfst du?"
Seine Stimme war ganz sanft und ich brauchte einen Moment, um mich zu orientieren. Blinzelnd warf ich einen Blick durch das Fenster hinaus in die Nacht. Wir waren bereits auf der Küstenstraße und es hatte zu regnen begonnen.
„Eingenickt", gab ich rau zurück, leckte mir dabei die Lippen und setzte mich etwas auf. Ein Blitz zuckte über den Himmel, erhellte für Sekunden die Nacht und ich fuhr erschrocken zusammen. Gino drückte meine Hand, dann hob er sie an und küsste meine Finger. „Schon gut", hauchte er.
Ich hatte Angst vor Gewittern und das war mir peinlich, weil es absolut nicht rational war. Gino wusste das, aber er hatte sich nie darüber lustig gemacht. Im Gegenteil, er versuchte mich immer abzulenken, aufzufangen. Genau wie jetzt. Er redete, sprach von den Dingen, die wir morgen tun wollten und solange ich mich auf seine Stimme konzentrierte, klappte das auch ganz gut. Mit dem nächsten Blitz zerriss jedoch ein gewaltiger Donner die Stille und ich fuhr erneut zusammen und umklammerte Ginos Hand.
„Oh Mann, ich hasse das", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und stieß schließlich den angehaltenen Atem aus. Mein Herz schlug ein wenig zu schnell.
„Ich weiß", murmelte Gino, küsste erneut meine Finger und drosselte das Tempo etwas, weil der Regen jetzt so stark wurde, dass die Scheibenwischer den Wassermassen kaum mehr Herr wurden.
„Ich mag Regen", erklärte ich mit einem verbissenen Grinsen. „Ich mag nur den Lärm dazu nicht."
Unterdessen hatte Gino meine Hand losgelassen und konzentrierte sich stärker auf die Straße. „Ich habe auch nichts gegen Regen", sagte er und warf mir einen kurzen Seitenblick zu. „Vor allem wenn ich mir vorstelle, dass wir dabei in der Badewanne liegen, Champagner schlürfen, dann darf es gerne aus allen Schleusen gegen die Fenster hämmern."
Ich musste kichern. „Du magst doch gar keinen Champagner", wandte ich ein und drehte mich schmunzelnd ganz zu ihm um.
„Nein, aber ich mag das Bild in meinem Kopf von dir und mir in der Badewanne, mit viel Schaum und..."
„..und wann bist du überhaupt so schrecklich dekadent geworden?", unterbrach ich lachend seine Anzüglichkeiten.
„Ach, keine Ahnung. Ich glaube das war dieser kleine, freche, reiche Schnösel, den ich mal getroffen habe. Ich glaube, ich habe dir von ihm erzählt, oder?"
„Der gutaussehende?"
Ginos Grinsen wurde breiter. „Der, der mich verführt hat."
Laut lachte ich auf und plumpste zurück in meinen Sitz. Ich hatte ihn nicht verführt, ich war ihm nachgelaufen wie ein kleiner Hund, das traf es eher. „Na herzlichen Glückwunsch", gab ich amüsiert zurück.
„Danke." Er schmunzelte, streckte kurz die Hand aus und strich mir durch die Haare. Debussy perlte aus dem Radio, Clair de lune, und ich rutschte mit einem leisen zufriedenen Seufzen noch etwas tiefer in den Sitz. Dabei rutschte mein Smartphone vom Sitz auf den Boden und ich rappelte mich grummelnd wieder auf, um danach zu angeln.
Halb in den Fußraum gebeugt fluchte ich leise, als ein weiterer Donner alles andere übertönte.
„Ah scheiße!" Ich zuckte zurück, das Handy glitt mir erneut davon und Gino legte eine Hand in meinen Rücken.
„Alles gut. Noch zehn Minuten, dann sind wir-"
Und in diesem Moment explodierte die Welt.
Mit einem Ruck wurde ich zur Seite gerissen, knallte gegen den Türholm und im selben Moment, warf ein Blitz sein zuckendes Licht über den bleischweren Himmel, sodass ich fast geblendet war. Für den Bruchteil einer Sekunde riss er damit einen riesigen Umriss aus der Dunkelheit, der direkt auf uns zu raste, dann war da ein gleißendes Licht, ein donnerndes Brüllen und das ohrenbetäubende Kreischen von Metall. Dem folgte nur einen Atemzug später der Aufprall, der mich in den Gurt schleuderte und die Airbags auslöste. Vielleicht schrie ich auch. Aber all das ging unter in dem gewaltigen Tosen, das über uns hinwegzufegen schien. Die Luft war plötzlich erfüllt von dem Gestank nach Öl und Benzin und es roch nach verbranntem Gummi. Ich konnte nicht mehr richtig atmen, hatte einen seltsamen metallischen Geschmack im Mund und für einen Moment überlagerte ein atmosphärisches Knistern alles andere. Der Wagen schlitterte unkontrolliert über die Fahrbahn, das Heck brach aus und durchschlug die Leitplanke. Das Auto schoss über die Böschung hinaus, rutschte über Geröll und überschlug sich mehrmals. Ein Splitterregen aus Glas ging auf mich nieder. Gleichzeitig sackte der Boden unter uns weg, der Wagen fiel jetzt - ungebremst - wie es sich anfühlte und mit einem Mal schien die Schwerkraft außer Kraft gesetzt. Für den Augenblick eines Wimpernschlags war ich im freien Fall, dann endete es abrupt und wieder wurde ich mit voller Wucht nach vorn gerissen. Sicherheitsglas zerplatzte, ich wurde durch die Frontscheibe geschleudert und verlor schließlich das Bewusstsein.
ೃ⁀➷
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro