Patient X
45-Patient X
Zeit: Spätherbst 79 / Ort: Capitol Distrikt
„Zieht ihn aus", forderte der scharfe Reiskuchen und ich konnte nicht anders, als breit zu grinsen. Wahrscheinlich wusste sie warum, denn ihr Blick traf den meinen und ihre Augenbraue zuckte. Unterdessen zerrten mein Lieblingsrusse und der mürrische Lockenkopf bereits an meinen Klamotten.
„Hey", raunte ich und hielt für einen Moment den Atem an. Zimperlich waren die beiden schon mal nicht. „Nicht... kaputtmachen... Ich mag mein Zeug, hm?"
„Halt die Klappe", knurrte mich der Russe an, bugsierte mich dabei halb auf die Seite, was ein reißendes Ziehen in meiner verletzten Seite auslöste und in alle Richtungen durch meinen Körper schoss. Die Zähne zusammengebissen kniff ich die Augen zusammen und tat ihm den Gefallen, zumindest für diesen Moment.
Der Untergrund, auf dem ich lag, war etwas, das gut und gerne eine Werkbank sein konnte und was ich von meiner Position aus sah, glich am ehesten einer Wäschekammer. Zumindest türmten sich überall Wäscheberge und es roch so stark nach Seifenlauge, wie ich es sonst nur von den Hinterhöfen diverser Wäschereien kannte.
Nur zwei Atemzüge später rollte er mich wieder auf den Rücken und ich traf Jax' Blick. Grinste er? Für gewöhnlich war Jax selten zu irgendwelchen Emotionen zu bewegen und schon gar nicht in der Form, dass er sie auch zeigte, aber gerade – ja – grinste das Aas, offensichtlich mehr als belustigt über die Behandlung, die sie mir zugedachten.
„Was ist?" Ich nickte ihm zu. „Was grinst du so dämlich, macht dich das an?"
Jax zuckte nur die Schultern. „Dich?", fragte er zurück und da musste ich tatsächlich lachen, was die Sache mit den Schmerzen nicht besser machte. War jetzt nicht die Welt, ich konnte Schmerzen gut ab, manchmal – ok meistens – machte mich das tatsächlich an, aber mein favorisierter Reiskuchen tat ja kein bisschen dafür, um diese Prozedur hier auch nur im Ansatz interessant zu gestalten.
Wenn sie mich wenigstens mal anfassen würde...
„Huu!" Überrascht zuckte ich, als sie es genau in dem Moment doch tat und sah erneut breit grinsend zu ihr hin. „Wir kommen der Sache näher, Lotosblüte."
Aber der scharfe Reiskuchen war wohl heute nicht sehr gesprächig, dafür umso zielstrebiger. Mit zwei Handgriffen hatte sie meine Hose offen und den ganzen Stoff so weit hinabgeschoben, dass es durchaus noch hätte spannend werden können, aber nein, wirklich schade, dabei blieb es. Dafür fuhr ihre Hand jetzt über meinen Bauch, dann hin zu meiner Seite und wieder hielt ich einen Moment den Atem an, wenn auch jetzt aus anderen Gründen.
„Hast verdammt weiche Hände, Lotosblüte", ließ ich sie wissen, aber auch das wurde konsequent ignoriert.
„Was habt ihr gemacht?", fragte sie stattdessen Jax, „habt ihr die Kugel herausgebissen?"
„So ähnlich", raunte Jax. Daraufhin verzog der Reiskuchen das Gesicht und murmelte etwas, das ich nicht verstand. Wahrscheinlich nichts, was besonders ladylike war, ich mochte sie immer mehr.
„Ich muss das nochmal aufmachen", erklärte sie mir. „Die Wundränder glätten, damit ich es nähen kann, sonst heilt das nicht ordentlich." Jetzt erst sah sie mich an und ich musste zugeben, in dem Moment beneidete ich den Russen tatsächlich. Was für eine wunderschöne Bambusfee, sie war schon etwas Besonderes, das stand fest.
„Du willst mir wehtun, hm, Samtpfötchen?", gab ich grinsend zurück. „Deine Augen glitzern ja schon ganz aufgeregt, also nur zu, tu, was immer du tun musst."
Reiskuchen lächelte dünn. „Du bist ein ganz harter Hund, oder?" flüsterte sie, dann nickte sie den beiden anderen zu. „Die dreckigen Fetzen runter und desinfizieren. Ich hole die Sachen."
Bevor ich überhaupt richtig mitbekam, was hier abging, hielt Jax den Großteil meiner Klamotten im Arm, während stattdessen ein frisches, weißes Tuch über meine untere Körperhälfte gebreitet wurde. Unterdessen kam die Bambusfee zurück, drückte dem Russen eine dunkle Glasflasche in die Hand und nickte ihm zu.
„Desinfizieren." Das machte der Russe und so wie es schien auch mit besonderer Freude, denn er grinste breit, während er ekelhaft stinkendes braunes Zeug über meine Seite kippte, was wiederum brannte wie Feuer. Ich atmete zischend ein, hielt den Atem an und blinzelte, dann atmete ich langsam wieder aus. Watruschki grinste immer noch, allerdings nur kurz. Als sich unsere Blicke trafen, wurde er schlagartig ernst.
„Du bleibst jetzt ganz ruhig liegen, verstanden? Kein Mucks mehr von dir." Er beugte sich zu mir und sein Atem streifte mein Ohr. „Und wenn dein Schwanz auch nur zuckt, schneide ich ihn dir ab, klar?"
„Klar... Victor...", schnurrte ich und leckte mir die Lippen. Gut, im Moment bestand wenig Gefahr, dass ich irgendwelche wichtigen Körperteile verlieren würde, es sei denn Reiskuchen rutschte mit ihrem Skalpell ab, aber...
Sie drehte sich um zu mir, stellte eine Schale mit irgendwelchem medizinischen Krempel neben mir ab und griff sich eine Spritze.
„Du bist doch nicht ungeschickt, oder? Lotosblüte..."
Sie antwortete nicht, dafür jagte sie mir die Spritze in die Seite und als ich überrascht zusammenzuckte, lächelte sie dünn.
„Ja, wusste ich", sagte sie zufrieden, „ein wirklich ganz harter Hund..."
Eine halbe Stunde später war ich mit dem mürrischen Lockenkopf allein, der mir schweigend Klamotten zuwarf, die nicht mir gehörten und mich dann von der Werkbank herunter, in eine Ecke beorderte, wo sie wohl eine Notfallpritsche für mich aufgestellt hatten. Damit war auch klar, dass sie eigentlich nicht wussten, wo sie uns unterbringen sollten, aber immerhin gewillt waren, den Deal einzuhalten.
„Du bleibst hier", war alles, was er zu sagen hatte und für den Moment fügte ich mich. Zum einen, weil Samtpfötchen gesagt hatte, ich solle mir ja nicht einfallen lassen, herumzuhüpfen sonst würde alles wieder aufgehen und dann würde sie mich einfach blutend in der Ecke liegen lassen, zum anderen, weil sie mir irgendwelche Medikamente aufgezwungen hatten, die meinen Kopf mürbe machten und mein Denken verlangsamten. Es war ein seltsames Gefühl, eins, das mir nicht gefiel, aber mir war auch klar, dass ich dagegen gerade nicht viel ausrichten konnte.
„Ja, Sir..."
Jetzt hob er doch den Kopf und musterte mich misstrauisch. „Was denn?", spottete er. „Sind dir die klingenden Namen ausgegangen?"
„Wie soll ich dich denn nennen, kleiner Mustang? Hast du irgendwelche Präferenzen?", nuschelte ich dumpf.
Daraufhin schüttelte er den Kopf und verschwand um das Wäscheregal. Ich schloss die Augen, denn ich gab mich nicht der Illusion hin, dass sie mich unbewacht ließen. Das Zeug, das sie mir gegeben hatten, machte echt groggy und darum begriff ich zu spät, was auf der anderen Seite der Wäschekammer los war.
„Was willst du hier?", hörte ich den Lockenkopf knurren und gleich darauf eine Frauenstimme.
„Ich bringe nur das Essen."
„Du solltest nicht hier sein."
Etwas klapperte, dann war wieder das Mädchen zu hören, lautstark und ziemlich giftig. „Ezra! Spiel dich nicht so auf, ich krieg das schon hin."
Der Lockenkopf hieß also Ezra, wieder eine Information mehr. Und dann tauchte er doch wieder in meinem Sichtbereich auf. Ezra starrte mich wütend an, während unter seinem Arm ein Mädchen durchschlüpfte, ein Tablett in den Armen, und mich neugierig musterte. Etwas zu aufgeweckt vielleicht und Scheu kannte die Kleine wohl auch nicht, denn ich sah wie ihre Mundwinkel leicht zuckten.
Ich blinzelte und grinste sie an. „Na, Sternchen... dich habe ich ja noch gar nicht gesehen..." Zumindest jetzt wurde sie rot, wie ich zufrieden feststellte.
„Halt die Klappe", fauchte das Wildpferd sofort. „Sprich sie nicht an."
Noch während mein Blick zu ihm glitt, sagte sie plötzlich: „Mina..." Überrascht sah ich sie wieder an. Ihr Beschützer platzte fast vor Wut.
„Herrgott Mina! Stell das verdammte Essen ab und verschwinde! Du sollst dich nicht mit ihm anfreunden, okay?"
„Du hast mir gar nichts zu sagen", fauchte Mina und dann sah sie mich erneut an, blinzelte verlegen, als ich zu grinsen begann und stellte nun doch, wie gefordert, rasch das Tablett ab. Lockenkopf sah dafür so aus, als könne er sich nicht entscheiden, ob er erst sie hinauswerfen oder mich erwürgen sollte und schob sie mit einem Augenrollen an, als es ihm nicht schnell genug ging.
So oder so, Mina hatte wohl ihren eigenen Kopf, denn bevor sie um die Ecke verschwand, drehte sie sich rasch um und schmunzelte verschmitzt. Was für ein kleines Biest.
Fast hätte ich gelacht. Na das würde auf alle Fälle interessant werden.
Am Ende waren es wohl doch die Medikamente, die mich ausschalteten, denn ich wachte erst wieder auf, als jemand an mir herumgrabbelte und brauchte viel zu lange, um zu begreifen, was das bedeutete. Dann packte ich blitzschnell zu und fing mir dafür prompt eine Ohrfeige, was mich so überraschte, dass ich meinen Griff wieder etwas lockerte.
„Lass mich sofort los..."
„Lotosblüte!"
„Wenn du deine Hand behalten willst, lässt du mich jetzt los."
Etwas an dieser Drohung fühlte sich echt an, vielleicht weniger die Worte, als der Tonfall, in dem sie gesprochen worden waren. Also ließ ich sie tatsächlich los, blinzelte in das diffuse Dämmerlicht, konnte das hübsche Ding allerdings nicht fixieren. Lag vielleicht auch daran, dass sie sich so irre schnell bewegte. Sie huschte hierhin, dorthin, war mal links, mal rechts und wieder dauerte es eine kleine Ewigkeit, bis ich das in einen vernünftigen Zusammenhang bringen konnte. Ein kurzes, schmerzhaftes Ziehen in meinem rechten Arm gab den Hinweis. Ich konnte den Arm nicht richtig bewegen und wusste nicht wieso. Fühlte sich an, als wäre er mit Blei ausgegossen und während ich so hinsah und das seltsame Gebilde neben mir betrachtete, formten sich die Worte in meinem Kopf.
Eine Infusion. Eine Spritze, ein Medikament.
„Was..." Neue Watte wurde in meinen Kopf gestopft und trennte die Gedanken offenbar von meinem Sprachzentrum. Mit unfassbarer Trägheit schaffte ich es, sie aneinanderzureihen. „...ist das?"
„Ein Schmerzmittel." Ihre Stimme klang mittlerweile wie glockenheller Singsang und jemand lachte. Es dauerte, bis ich begriff, dass das Lachen von mir selbst stammte.
Schmerzmittel? Im Leben nicht. Aber was sich in meinem Kopf durchaus logisch zusammensetzen ließ, konnte ich kaum in Worte kleiden. Die Worte türmten sich in meinen Kopf, aber sie kamen nicht aus meinem Mund.
„Nein", wurde es also nur. Nein, für: Nein, das ist kein Schmerzmittel! Wollt ihr mich eigentlich verarschen? Denkt ihr, ich kapiere nicht, was ihr vorhabt?!
„Nein, du willst kein Schmerzmittel?" Als würde sie singen, wirklich.
Dieser verdammte Reiskuchen... „Nein", raunte ich wieder, als einziger Ausdruck für einen weiteren Schwall an Worten, der sich in meinen Kopf zusammenknäulte. Sie stellten mich ruhig – diese verdammten Hunde knockten mich mit einer Spritze aus. Das war doch ziemlich raffiniert.
Als ich das nächste Mal aufwachte, herrschte erneut – oder noch immer? – diffuses Licht in dem Raum, in dem ich lag. Vielleicht etwas dunkler als zuvor, wobei das schwer zu sagen war. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, auch dafür hatten die Medikamente, dank des permanenten Halbschlafes gesorgt, aber mein Kopf war wieder etwas klarer.
Was ich allerdings auch sofort bemerkte, ohne es konkret festmachen zu können, war, dass ich nicht allein war. Jemand war hier, jemand, der sich so still verhielt, dass nicht mal sein Atmen zu hören war. Es war etwas, das man weder sehen noch hören konnte und trotzdem deutlich zu spüren. Eine ganze Weile konzentrierte ich mich nur auf dieses Gefühl, aber es veränderte sich nicht, auch wenn in den Schatten, die mich umgaben, absolut nichts auszumachen war.
„Ich weiß, dass du hier bist." Meine Stimme klang ungewohnt rau und brüchig. Wieder lauschte ich, mein Blick glitt über die Schatten, auf der Suche nach einer Bewegung. Und just in dem Moment, wo ich beinahe überzeugt war, meine Wahrnehmung hätte mir einen Streich gespielt, regte sich doch noch etwas. Ein kleiner, schmaler Schemen, der sich aus einer der Ecken löste.
Immerhin, mein Gespür hatte mich noch nie betrogen und hatte mich bis jetzt am Leben gehalten, es funktionierte also noch.
Erst als sie nah genug war, erkannte ich das Mädchen mit den ungebändigten Haaren, das in ihrer Latzhose und dem viel zu weiten Pulli wirkte, als wolle sie sich vor der Welt verstecken.
„Na sieh einer an, kleines Sternchen. Weiß Papa, dass du hier herumschleichst?"
Dazu sagte sie nichts, wischte sich nur trotzig die wilden Locken aus der Stirn und funkelte mich verärgert an.
„Autsch..." Ich schmunzelte vage. „Hab ich dich etwa verletzt? Warum bist du dann hier?" Als ich überraschend nach ihr griff, wich sie mir so blitzschnell aus, dass ich lachen musste, was eine Welle des Schmerzes durch meine Seite jagte.
„Verfluchte Scheiße!", knurrte ich und ließ die Hand wieder sinken. „Also Sternchen, was ist? Wolltest du dir den großen bösen Wolf ansehen? Keine Angst, dass er dich frisst?"
Und dann kam etwas, womit ich ganz sicher nicht gerechnet hatte.
„Ich wollte danke sagen", murmelte sie. „Dafür, dass du Jess wieder heimgebracht hast. Ich glaube, das hat keiner sonst getan, oder?"
Leidlich überrascht betrachtete ich die Kleine, die neben meiner Pritsche stand, zwar gerade weit genug weg, dass ich sie auch mit einem schnellen Griff nicht berühren konnte, aber immerhin mit wenig Angst, wie es aussah. Sie sah mich einfach nur an, mit diesen großen, runden Augen, sonst nichts. Auf ihre Weise war sie durchaus beeindruckend.
„Wie heißt du gleich nochmal, Sternchen?"
„Mina." Wieder heftete sich ihr Blick auf meine Augen, neugierig, fast ein wenig herausfordernd. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Was für ein keckes, kleines Ding. Oh, ich mochte kleine, taffe Mädchen.
„Komm mal her", murmelte ich, winkte sie heran und war überrascht, als sie der Geste tatsächlich folgte und an mein provisorisches Krankenbett trat.
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