Alte Bande
38-Alte Bande
Zeit: Spätherbst 79 / Ort: Capitol City
Tag zehn – oder waren es schon elf? Es war schwer in diesem Loch die Zeit nicht aus dem Blick zu verlieren, wenn man nicht sehen konnte, ob es Tag oder Nacht war. Aber der Raum hatte kein Fenster, nur eine Notbeleuchtung an der Decke, die in regelmäßigen Abständen leise surrte, blinkte, ausging und wieder ansprang. Blinken, aus, an, wie ein Morsecode. Das sprach dafür, dass die Stromversorgung heikel war und das wiederum sagte mir, dass ich mich nicht im Stadtzentrum befand. Irgendwo in den Randbezirken vermutlich, denn immerhin gab es hier überwiegend Strom.
Am Essen konnte man es auch nicht festmachen, denn man brachte mir nur einmal am Tag etwas und es war immer kalt, auch wenn es gekochtes Essen war, war es kalt. Also war es ihnen egal, wann sie mir was brachten, oder der Weg war lang genug, dass alles kalt wurde. Mit diesem Essen bekam ich immerhin auch eine kleine Flasche Wasser. Eine Flasche wohlgemerkt, nicht mehr. Sie war immer unverschlossen und das Plastik so weich, dass man es fast zerknüllen konnte, ohne es zu beschädigen. Das Wasser schmeckte alt und brackig, vielleicht war es Regenwasser und ich dachte lieber nicht so genau darüber nach, welche Parasiten ich mir damit einfangen könnte. Einen halben Zoo, wenn man so wollte. Der Teller, oder besser die Schüssel, war aus Holz und damit, genau wie die Flasche, unzerstörbar, ich wusste das, weil ich versuchte hatte, das Geschirr zu zertreten, um vielleicht in den Bruchstücken eine mehr oder weniger brauchbare Waffe zu finden. Aber egal was ich versucht hatte, es war nicht kaputtzukriegen. Besteck gab es keins – sie waren nicht dumm.
Die ersten ein oder zwei Tage hatten sie mir nicht mal die Fesseln abgenommen und mich einfach hier liegen gelassen, wie ein Stück totes Fleisch, aber dann hatte sich etwas verändert und ich befürchtete, dass es mit meiner Identität zu tun hatte. Ab dem Moment war ich jedenfalls die Fesseln losgeworden und man brachte mir Essen.
Und Prügel gab es auch.
Die von Anfang an, weil sie wissen wollten, wohin das Mädchen gebracht worden war – Pearl. Ich hoffte wirklich, dass Sun und das Mädchen es geschafft hatten.
Seit der letzten Befragung – gestern oder vor ein paar Stunden? – hatte ich Schmerzen bei jedem Atemzug und ich ging davon aus, dass eine Rippe gebrochen war, eine oder mehrere. Außerdem wohl auch ein Mittelhandknochen meiner linken Hand. Ich konnte die Finger nicht wirklich bewegen, weil dieses verdammte Arschloch auf meine Hand getreten war, als er mich mitsamt dem Stuhl, an den sie mich immer banden, umgestoßen hatte.
Wo ist das Mädchen, wo ist euer Versteck, wer hat dir geholfen, woher habt ihr die Informationen?
Jede Frage wurde von einem Fausthieb begleitet, in meine Rippen, in meinen Bauch, ins Gesicht. Das ging seit Tagen so. Sie hatten mich getreten, geschlagen, mein ganzer Körper war übersät von Blutergüssen und gleich in den ersten Tagen hatte ich mir eine Platzwunde oberhalb meiner Schläfe eingefangen. Das Blut war mir über das halbe Gesicht gelaufen und hatte meinen Pulli auf der einen Seite durchtränkt, sodass vom Hals bis zur Schulter der Stoff ganz steif war. Vielleicht hatte sie das erschreckt, denn die nächsten zwei bis drei Tage hatte sie sich auf meinen Körper beschränkt. Eigentlich ging ich aber davon aus, dass sie wussten, was sie taten.
Bei den nachfolgenden Attacken hatte ich mich zweimal übergeben und hatte einmal das Bewusstsein verloren, eine Kombination aus Hunger, Dehydration, Schlafmangel und Schmerz. Aufgeweckt wurde ich durch ein paar kräftige Schläge ins Gesicht, dabei ging wohl auch meine Brille verloren, zumindest hatte ich sie seitdem nicht mehr. Bei den letzten drei Befragungen war ein neuer Kerl dazugekommen, der eine deutlich brutalere Gangart vorgab und ich erkannte ihn meistens nur an der Stimme. Mein rechtes Auge war fast zugeschwollen, mein ganzer Kiefer schmerzte und meine Zunge fuhr immer wieder über die blutigen Stellen in meinen Mund. Ich hatte mir in die Wange gebissen, meine Lippe war aufgeplatzt und wieder war überall Blut. Dieses Mal rann es aus meinem Mund auf meine Brust. Der metallische Geschmack hielt mich wach, während ich in der Ecke kauerte und mich möglichst nicht bewegte. Irgendwann würden sie wiederkommen, mit einem Essen, und wieder wäre ein Tag um. Unruhig glitt meine Zungenspitze über die verschorfte Stelle auf meiner Lippe, tastend, reibend, während über mir die Leuchte wie ein Uhrwerk weitermachte. Blinken, aus, an.
Die dumpfe Lichtquelle war dank der fehlenden Brille nur ein verschwommener Fleck und ich ertappte mich dabei, wie ich sie anstierte, mit einem Auge, verkniffen, um zu sehen, ob sich das verschwommene Bild schärfen ließ. Der neue Kerl hatte die Fragen auch in eine andere Richtung geleitet und längst war klar, es ging niemanden mehr um das Mädchen. Das hieß dann wohl, meine Zeit lief langsam ab. Wenn sie wussten, wer ich war, war ihnen sicher auch klar, dass es sich lohnen konnte, mich zu verschachern und ich zweifelte nicht daran, dass es längst bis in den hintersten, finstersten Winkel bekannt war, wen sie sich geschnappt hatten.
Auch wenn ich immer noch nicht wirklich verstand, wie es hatte geschehen können. Es roch nach Verrat. Wir waren vorbereitet gewesen, jeder Schritt war geplant und Sun war geschickt in diesen Dingen. Also hatte uns jemand ans Messer geliefert? Ich konnte mir nicht vorstellen wer und meine Gedanken drehten sich in einem schmerzhaften Kreis... rund um diesen diffusen Lichtfleck, der ständig vor meinem Blick verschwamm. Blinken, aus, an.
Wie lange würden sie brauchen, von New Haven bis hierher? Sieben Tage, acht, wenn ich Glück hatte und Informationen reisten noch schneller. Das machte zusammen vielleicht zwei Wochen und der Großteil der Zeit war um. Womöglich waren sie schon näher, als ich glaubte, oder längst hier. Und wen würde Khai schicken? Kam vielleicht drauf an, wie angepisst er immer noch war. Es hatte ja immer geheißen, er wäre nachtragend. Ein Lennister, dachte ich, begleicht immer seine Schulden, vielleicht war Khai auch ein Lennister. Und dann musste ich lachen, als mir klar wurde, dass niemand hier diese Anspielung verstehen würde. Niemand außer Jonah vielleicht. Mein leises Lachen verstummte wieder und plötzlich brannten meine Augen, scheiße ehrlich.
Jonah.
Gerade bereute ich es ziemlich, nicht mehr um ihm gekämpft zu haben, dass ich immer versuchte anständig zu sein – immer noch – niemanden bedrängen wollte. Niemandem eine Last sein wollte. Und jetzt gab es niemanden, keinen Fixpunkt, keinen Anker, zu dem ich zurückkehren wollte... konnte.
Nein, so war das natürlich nicht ganz richtig. Da waren all die Leute im Lager, die Kinder, ich würde jeden einzelnen von ihnen vermissen – aber das war nicht dasselbe. Mit einem schweren Seufzen lehnte ich den Kopf an die Wand, atmete ein wenig tiefer und fluchte in Gedanken, während der Schmerz durch meinen Brustkorb zuckte. Aber Schmerz war gut, er hielt mich auch wach, weswegen ich auch hin und wieder die Finger bewegte. Ich wollte nicht einschlafen und von diesen Typen überrascht werden. Halb im Delirium aus meinem Kerker gezerrt und verhört werden. Ihnen in die Hände spielen... auch wenn der rhythmisch aufleuchtenden Lichtkegel über mir mich allmählich mürbe machte.
Blinken, aus, an.
Vielleicht, wenn ich den Gedanken an Jonah festhielt, an den Moment, dort draußen am See, als wir uns geküsst hatten. Auch wenn das ebenfalls schmerzte. Weniger körperlich, als... okay doch körperlich. Irgendwo in diesem kleinen Winkel meines Herzens, den er aufgebrochen hatte, um sich dort einzunisten. Jonah...
... nicht der Schmerz.
Oder – beide.
Ich seufzte, schloss die Augen, aber das zuckende Licht blieb.
Blinken, aus, an.
Ich musste doch eingeschlafen sein, denn ich wurde rüde aus einem wirren Traum gerissen, der sofort zu verblassen begann, kaum dass ich blinzelte.
„Jonah...", dachte ich, aber schon in der nächsten Sekunde wurde mir schmerzhaft bewusst, dass ich den Gedanken vielleicht doch hörbar gemurmelt hatte.
„Was? Was hat er gesagt? Hast du ihn verstanden?" Jemand schlug mir ins Gesicht, einmal, zweimal und da ich nicht reagierte, bekam ich noch einen Hieb, dieses Mal in die Seite, auf meine ohnehin schon lädierten Rippen. Der Schmerz zuckte wie ein Blitz durch meinen Körper, ich stöhnte, kippte zur Seite, würgte.
„Ah, scheiße", hörte ich wie durch eine Wand aus dicker Watte und nur einen Augenblick später, wurde diese Wand gewaltsam weggerissen, als ein Eimer eiskaltes Wasser über mir ausgegossen wurde.
Mit einem dumpfen Röcheln fuhr ich wieder in die Höhe, würgte, und der klägliche Rest meiner letzten Mahlzeit brach aus mir heraus. Das Krampfen meines Körpers machte den Schmerz nicht besser und schon drehte sich alles um mich. Mit einem leisen Wimmern beugte ich mich vor, stützte die unverletzte Hand auf den Boden und bemühte mich, flacher zu atmen, nicht so hektisch, während Wasser aus meinen Haaren lief, über mein Gesicht rann, von meinem Kinn tropfte. Nur langsam wurde es besser.
„Mein Gott, das ist so erbärmlich", sagte einer der beiden Kerle, der andere packte meinen Arm und zerrte mich in die Höhe, was mich erneut schmerzerfüllt aufstöhnen ließ. „Jemand sollte ihn saubermachen, so können wir ihn nicht übergeben."
„Rocco kann das machen", hörte ich, wurde dann trotzdem von beiden gepackt und aus dem Raum geschleift. Sie schleppten mich den Flur entlang, den Weg, den ich schon kannte, in Richtung des Raumes, den sie für jedes Verhör genutzt hatten. Glatte Wände, gefliester Boden, nur ein Stuhl. Auch dieser Raum hatte keine Fenster, nur zwei Türen jeweils gegenüber. Dieses Mal erfuhr ich, was sich hinter der anderen Tür verbarg. Etwas, das aussah wie der schäbige Sanitärraum eines aufgegebenen Schlachthofs. Fliesen an Boden und Wänden, primitive Wasseranschlüsse mit Schläuchen und Bodenabflüsse.
Ich wurde hineingestoßen, stolperte und fiel prompt auf die Knie. „Ausziehen", lautete die Anweisung außerdem und weil ich ihnen nicht unbedingt einen Grund liefern wollte, wieder handgreiflich zu werden, fügte ich mich. Mit einer Hand zerrte ich umständlich an meinen Klamotten, wand mich irgendwie aus dem dreckigen, blutigen Stoff. Ich schaffte es, die Schuhe abzustreifen, die Hose, die fast von selbst herabfiel, was dafür sprach, dass ich wohl ziemlich an Gewicht verloren hatte. Ich musste es also als gutes Zeichen werten, dass ich immer noch Hunger hatte, dass mein Körper sich nicht längst umgestellt und aufgegeben hatte.
„Alles", kam die nächste Anweisung, bevor ich überhaupt taumelnd auf die Füße kommen konnte. Vielleicht war es nur ein verbaler Hinweis auf eine weitere Demütigung, aber das war ohnehin schon egal. In meinem momentanen Zustand gab es nicht mehr viel, was mir noch peinlich gewesen wäre. Meine Gedanken drifteten im Kreis, immer nahe am Delirium, immer nahe an der Verlockung, einfach nachzugeben. Aber noch war ich wach und die Kerle – oder jetzt auch nur der eine – würden sicher dafür sorgen, dass das so blieb. Anfangs hatten sie sich nicht wirklich genähert. Erst als klar war, dass ich zu schwach war, um noch irgendeine Form von Bedrohung zu sein, hatten sie jegliche Zurückhaltung verloren. Und genau so wurde ich jetzt behandelt.
Kaum richtete ich mich jetzt auf, wurde ich bereits wieder vorwärts gestoßen. In eine der Nischen dieses Mal, so dass ich gegen die geflieste Wand taumelte und mich dort irgendwie aufrecht zu halten versuchte. Nur einen Augenblick später traf mich ein harter Wasserstrahl schmerzhaft in den Rücken und ich stöhnte verhalten auf. Das Wasser war kalt und brannte eisig auf meiner Haut. Obwohl dieser Rocco sich alle Mühe gab, jede einzelne empfindliche Körperstelle zu treffen und sichtlich Spaß daran hatte, mir zuzusehen, wie ich mich wand ohne entkommen zu können, gönnte ich ihm nicht die Genugtuung zu betteln. Das wäre die wahre Erniedrigung gewesen und hätte mir überhaupt nichts gebracht.
Bis er mich endlich als sauber genug, oder einfach nur langweilig einstufte, war mir so kalt, dass ich schlotternd an der Wand lehnte und kaum mehr zu einer Bewegung fähig war. Aber da mich kein Wasser mehr traf, sank ich irgendwann auf die Knie und blieb dort in der Ecke zusammengekauert hocken. Meine Zähne klapperten so hart aufeinander, dass es wehtat, aber ich konnte auch das nicht unterdrücken. Schließlich kam der Neue heran, packte mich am Arm – am rechten, er war wohl aufmerksam genug – und riss mich in die Höhe.
Handtuch bekam ich keines, was vielleicht auch nicht nötig war, weil das Wasser mittlerweile ohnehin fast auf meiner Haut getrocknet war.
„Wenigstens stinkst du jetzt nicht mehr so erbärmlich", ließ mich Rocco wissen und schleifte mich zurück in einen Raum, der dem letzten Verhörraum ziemlich ähnlich war. Kahle Wände und Boden, nur die eine Tür, keine Möbel, keine Pritsche, nichts, nur ein vergitterter Abfluss im Boden eingelassen. Er stieß mich vorwärts, sodass ich strauchelte und fiel, währenddessen schlug hinter mir dröhnend die Tür ins Schloss.
Der Raum war sauberer als meine Zelle und er wirkte so, als würde er für gewöhnlich nicht benutzt. Abgesehen davon war es hier aber ebenso kalt und ich kroch erneut zitternd und bebend in eine der äußeren Ecken, wo ich mich so klein wie möglich zusammenrollte und die Arme um meine Knie schlang. Meine Haare waren immer noch nass und in regelmäßigen Abständen lösten sich Wassertropfen aus den wirren Strähnen, tropften auf meine Schulter, meine Arme, meinen Rücken und zogen von dort feuchte Spuren über meine Haut. Mittlerweile war mir so kalt, dass sich mein Zittern etwas verlor. Das war kein gutes Zeichen, das wusste ich. So wie ich wusste, dass ich aufstehen und mich hätte bewegen sollen, aber ich fühlte mich so ausgelaugt, dass ich es nicht schaffte. Ein bisschen Ironie war schon dabei, dachte ich, dass sie mich so lange gequält hatten, ohne mich tatsächlich umzubringen und ich ihnen jetzt womöglich doch unter den Händen wegsterben würde, nur weil sie nachlässig waren.
So knapp vorm Ziel.
Das würde Khai sicher nicht-
Das Schloss knirschte, die Tür öffnete sich behäbig und gleich darauf fiel etwas auf mich. Noch ein Scheppern, dann war der Lichtkegel, der durch den Türspalt gedrungen war, wieder verschwunden.
Kleidung. Sie hatten mir tatsächlich Kleidung gebracht und es war nicht mal meine eigene, sondern tatsächlich etwas Frisches. So schnell, wie ich es in meinem desolaten Zustand schaffte, zog ich mich an, aber die Finger meiner rechten Hand waren so kalt und steif, dass ich weder Reißverschlüsse, noch Knöpfe händeln konnte. Egal, für den Moment ging es auch so. Eingehüllt in etwas trockenen Stoff wurde es allmählich besser. Ich war zwar immer noch so müde, dass ich kaum den Kopf heben konnte, aber das Zittern setzte wieder ein und schließlich quälte ich mich doch auf die Beine und zwang mich, mich zu bewegen. Wenn ich es schaffte, ein paar Mal auf und ab zu laufen...
Der Raum schien plötzlich unendlich lang zu sein. Mühevoll schleppte ich mich an der Wand entlang, setzte einen Fuß vor den anderen und blieb dabei ständig an meinen eigenen Schuhen hängen, sodass ich mehrmals strauchelte und beinahe hinfiel. Die kalte Mauer hielt mich aufrecht und an ihr hangelte ich mich entlang, fast bis zur Tür. Da erst entdeckte ich das dünne Metalltablett mit dem Essen.
Essen! Ich musste nur daran denken und sofort begann mein Magen zu knurren. Seufzend rutschte ich also neben der Tür an der Wand zu Boden und zog das Tablett an mich heran. Es war egal, was in dem Napf war, ich hätte alles gegessen, selbst Hundefutter.
Es war Brühe, oder etwas, das aussah wie Brühe. Kalt, der Geschmack nicht einzuordnen, aber immerhin ein wenig salzig. Ein paar undefinierbare Brocken schwammen darin, sicher kein Fleisch und wenn doch, dann vielleicht Ratte. Wahrscheinlich war es aber irgendeine Form von Gemüse. Wurzeln, etwas in der Art oder auch nur der Abfall von ihrem Essen. Auch das war mir egal und ich kaute langsam und bedächtig auf einem dieser Brocken herum, die sicher so lange in Wasser geschwommen waren, dass sie jeglichen Geschmack verloren hatten. Hunger war in dieser Welt etwas Allgegenwärtiges und man könnte meinen, ich hätte mich in all der Zeit daran gewöhnt. Tatsache war, dass Hunger das eine Gefühl war, dass mir immer noch am meisten zusetzte, das mich viel stärker als jeder Schmerz zermürbte. Ich hatte weinende Kinder im Arm gehalten, die vor Hunger nicht schlafen konnten, ich hatte Menschen sterben sehen, ausgemergelt und völlig entkräftet und ich wusste, was dieser nagende, bohrende Schmerz im Inneren aus einem Menschen machen konnte. Dennoch zwang ich mich, jetzt ganz langsam zu essen, damit mir ja nicht übel wurde. Wenn ich das bisschen hier zu schnell hinunterschlang, würde ich hinterher nur alles erbrechen und das wollte ich auf keinen Fall.
Beim zweiten Brocken angekommen, wurde mir prompt schlecht und ich machte eine kleine Pause, hielt das Wurzelstück in den Fingern, bis das flaue Gefühl nachließ, dann knabberte ich das zweite Stück langsam klein. So beschäftigte ich mich eine ganze Weile mit dem Essen, trank die ganze Schale aus und lehnte mich am Ende seufzend an die Wand. Ich hatte immer noch Hunger, aber eine Mahlzeit hieß, es war wieder ein Tag vergangen. Lange würde es jetzt nicht mehr dauern.
Und ich sollte auch damit recht behalten. Ich verblieb in diesem neuen Raum, bekam weder eine Decke noch sonst irgendwas und obwohl ich darum kämpfte wach zu bleiben, schlief ich irgendwann vor Erschöpfung ein. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, wusste nicht einmal mehr, ob es morgens oder abends war, was aber am Ende auch keine große Rolle mehr spielte.
Jemand schob mir unsanft eine Schuhspitze in die Seite und das nachfolgende „Na wen haben wir denn da?", zerrte mich nur halb aus meinem Dämmerzustand.
Ich hätte mehr Angst haben sollen, hatte aber auch dafür keine Energie mehr. Meine Zeit war endgültig abgelaufen und es war beinahe eine Erleichterung.
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