N E U N U N D F Ü N F Z I G
Faye's (P.o.v):
Endris, einer der Königswölfe, war leichter auszuknocken als man denken würde. Wie ein schlafendes Baby, lag er am Boden und ich mühte mich an seinen Schlüsselbund zu kommen. Als ich den Schlüsselmund zwischen den Zähnen stecken hatte, indem ich mich selbst halb verwandelte, versuchte ich mühsam den richtigen Schlüssel in das Schloss meiner Handfesseln zu stecken und drehen. Als meine Hände wieder frei waren, öffnete ich die Fesseln an meinen Beinen und konnte mich endlich wieder richtig ausstrecken.
Ich zögerte nicht lange und nahm die Beine in die Hände. Ich mobilisierte mein Wolfsgehör, um zu checken, ob sich andere Menschen in dem mir unbekannten Gebäude befanden. „Endris, du bist nicht die hellste Leuchte.", sprach ich zu dem schlafenden Endris am Boden. Ich riss die Türe auf und sah mich um. Ich sah viele Stiegen, die nach unten führten. Ich sprang die Treppe hinunter und landete, nach langem herunter Springen, im Erdgeschoss. Womöglich war es einer der vielen, unscheinbaren, Gebäude die Endris besaß. Die Königswölfe besitzen mehr als man denken würde. Als ich die Türe hinter mir schloss, stand ich mitten in Portland. Natürlich wo denn auch sonst, Portland war nicht nur mein und Yuna's Lieblingsort, sondern auch der von Endris.
Ich sah dem stressigen Verkehr auf der Straße zu und beschloss, mir irgendwo ein Fahrzeug aufzutreiben. Schließlich konnte ich mich nicht mitten in der Stadt verwandeln und einfach los rennen. Leider gestaltete sich die Suche nach einem Gratis-Auto nicht einfach, weshalb ich auf eher gesetzeswidrige Methoden zurückgreifen musste. Vor mir befand sich eine große ampelgeregelte Kreuzung. Der mir näherliegenste Fahrstreifen, hatte gerade rot und ich ergriff die Chance.
Ich musste in diesem Moment mein Mitleid ausschalten. Ich rannte zu dem nächsten Auto, riss die Fahrertüre auf und zerrte die Person aus seinem Wagen. Ich zog die Türe schnell wieder zu, verriegelte von innen die Türen und stieg auf das Gaspedal. Der Typ schrie draußen wie wild herum und versuchte mir noch nachzurennen. Doch ich bin schon längst mit vollem Karacho über die rote Ampel gefahren. Mondgott sei Dank, kam in diesem Moment kein Auto.
Es war seltsam. Ich verspürte ein starkes Verlangen in mir, fast wie ein Signal. Vorher konnte ich es nicht zuordnen. Doch als Endris den Namen Yuna fallen ließ, war es wie ein Knopf der in meinem Kopf aufging. Es zog mich zu ihr, ganz deutlich. Wie die Beta zu seinem oder seiner Alpha. Zusätzlich hat Endris noch seinen eigenen Vater vergiftet. Der Mondkönig ist zwar nicht gerade der wünschenswerteste, aber wenn Endris, der Nachfolger, seinen Thron einnimmt, dann geht die Welt wortwörtlich unter.
Prioritätensetzung viel mir noch nie leicht. Aber heute noch schwerer. Sollte ich die Welt vor Endris retten, oder sollte ich zu Yuna, die in ernsten Schwierigkeiten steckte. Ich musste mit mir selbst hadern. Mein Bauchgefühl zog mich ganz deutlich zu Yuna, meiner Alpha. Ich musste sie einfach sehen. Apropos Prioritätensetzung, Yuna kann ich womöglich nicht helfen, aber bei dem Gegengift für den Mondkönig bin ich mir zu 99,9 Prozent sicher. Andererseits weiß ich das Yuna die Welt vor Endris retten kann. Aber das auch nur lebendig.
Ich sah in den Rückspiegel und stellte diesen während der Fahrt noch ein. Als dieser auf meine Größe eingestellt war, entdeckte ich einen großen, schwarzen SUV hinter mir. Ich bog bei der nächsten Kreuzung rechts ab und sah nochmals in den Rückspiegel. Das schwarze Auto folgte mir immer noch. Ich beobachtete den Wagen hinter mir weiterhin, durch den Rückspiegel, und ließ zum genaueren Erkennen meine Wolfsaugen golden aufleuchten. Die Person im SUV entdeckte meine Augen und ließ seine aufleuchten. Lila. Endris.
Mit weit aufgerissenen Augen stieg ich ins Gaspedal und schnellte voraus. Die Wahl des gestohlenen Autos war eventuell nicht die klügste. Ein paar mehr Pferdestärken wären von Vorteil gewesen, da Endris mit Sicherheit dreimal so viele hatte. „Scheiße.", flüsterte ich zu mir selbst. Ich gab bereits Vollgas, doch Endris schien mir trotzdem ganz beruhigt nachzufahren, als wäre es ein Klacks. Ich schnaubte.
Wiedermals blickte ich was sich hinter mir abspielte. Doch plötzlich folgte mir ein anderes Auto. Endris war spurlos verschwunden, was mir grobe Sorgen bereitete. Die Ampel schaltete, bei meiner Annäherung, auf Grün und ich gab Gas.
Und dann geschah alles so verdammt schnell. Es krackte extrem laut und ich hatte das Gefühl, als wäre ich in einer Achterbahn. Ich sah nichts mehr und hatte etwas weiches in meinem Gesicht kleben. Das Airbag, wie sich beim Öffnen der Augen herausstellte.
Alles stand Kopf und es rauchte fürchterlich. Ich griff mit den Händen nach dem Gurt und öffnete ihn. Dann viel ich einmal sehr hart auf die Birne und musste mich selbst drehen. In meinen Händen, Oberkörper und Gesicht steckten tausende von Glassplitter. Ein Mensch hätte das nie überlebt. Ich zog einen großen Splitter aus meiner stark blutenden Schlagader, die zugleich wieder zusammenheilte. Aus der, nur noch halb vorhandenen, Seitenscheide, schlug ich das verbliebende Glas heraus. Dann nahm ich Hände und Füße und kletterte aus dem qualmenden Wagen heraus. Ich sah mich um und entdeckte Endris, der ebenfalls gerade aus seinem batzen SUV kroch. Die Menschen auf der Kreuzung beäugten uns ungläubig und hielten die Hände vor den Mund als sie die Splitter mit dem ganzen Blut sahen. Ich knurrte Endris erbost an und rannte. Ich rannte so schnell ich konnte. Wegen des starken Gegenwindes hatte ich das Gefühl, dass sich die Glassplitter noch tiefer in meinen Körper bohrten. Wortwörtlich tat mir jedes Körperteil höllisch weh. Ich hätte schreien können, doch dazu hatte ich keine Zeit mehr.
Ich wagte keinen Blick zurück und rannte einfach. Ich sah das Blut an meiner Kleidung. Sie war buchstäblich eingeweicht in Blut. Am Boden hinterließ ich womöglich schon ganze Fußabdrücke mit Blut. Ich schnaufte und hatte das Gefühl in wenigen Sekunden zusammenzubrechen. Ich rannte über den nächsten Zebrastreifen und musste mich bemühen nicht zu fallen. Dann klebte ich plötzlich auf einer Motorhaube oben. Der Wagen stoppte und zwei Männer stiegen aus. Ich lag wie ausgelaugt halb auf dem Auto und stand an der Kippe der Bewusstlosigkeit. Ich wurde hochgenommen und nach hinten geschleppt. Ich hörte einen der stämmigen Männer noch sagen: „Endris hat sie ja total zugerichtet!" Meine Augen blinzelten leicht und ich sah wie sich die Kofferraumtür sanft über mir schloss.
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