Lost (#Stexpert)
"Bitte Timmi! Ich will mitkommen! Andauernd darfst du auf Abenteuer gehen und ich nicht!"
Ich rollte mit den Augen und schob meinen kleinen Bruder aus dem Weg: "Hör zu Stegi, das geht nicht! Das hab ich dir schon eintausend Mal erklärt! Was ich mache ist mein Job und außerdem extrem gefährlich! Kein Spielplatz für Kinder wie dich!" Doch er schmollte weiter und fing schließlich sogar an zu weinen in der Hoffnung, dass ich dadurch meine Meinung änderte. Aber es blieb dabei! Ich konnte keinen sechs Jahre alten Jungen mit auf eine Höhlenexpedition nehmen! Das ging einfach nicht und Stegi musste das langsam verstehen!
"Du bist doof!", rief er mir hinterher, als ich mit gepacktem Rucksack das Haus verließ und in mein Auto stieg. "Und du ein verdammter Nervsack! Werd erwachsen!", antwortete ich noch, dann fuhr ich lauter als gewollt an und los zum Treffpunkt meines Teams. Darüber würde ich mit ihm nochmal ein ernstes Wort reden müssen, wenn ich zurück kam!
Ich war der letzte, der eintraf, aber es wirkte nicht, als hätte der Rest schon lange gewartet. Fünf Männer und eine Frau waren es und schon seit zwei Jahren meine Kollegen auf jeder Entdeckungstour. Für morgen hatten wir uns eine noch so gut wie unberührte, hügelige Waldlandschaft in Südamerika vorgenommen, unter der laut Spekulationen ein riesiges, unerforschtes Höhlensystem liegen sollte. Und noch sehr viel besser, die dort ansässigen Leute behaupteten sogar, dass es auf den vernebelten Hängen spukte! Perfekt für unsere Kameraleute und vielleicht fanden wir ja tatsächlich etwas spektakuläres, mit dem wir richtig viel Geld machen konnten!
Unser Flug ging am Nachmittag und auf der Fahrt in unserem Van herrschte bereits ausgelassene Stimmung. Beinahe vergaß ich sogar den kleinen Streit von eben, aber halt auch nur beinahe. Dafür nagte die Situation zu sehr an mir...
"Und, meint ihr, dass es dort wirklich spukt?", fragte jetzt mein Sitznachbar aufgeregt und erntete einen bösen Blick von der jungen Frau namens Linda auf meiner anderen Seite. "Hör doch auf mit der Scheiße, natürlich spukt es dort nicht! Geister sind nur Hirngespinste, sonst nichts, und mir reicht es schon jedes Mal, wenn ihr darüber auf meinen Aufnahmen scherzt! Seid froh, dass ich meine Kamera nicht schon lange an den Nagel gehängt habe!"
"Ja Mama", kam es sarkastisch vom Fahrersitz und wir schmunzelten, als sie sich empört aufplusterte. Aber je mehr wir auf unseren Touren über seltsame Gänsehaut, frostige Windzüge und Unbehagen erzählten, desto besser kamen unsere Aufzeichnungen für gewöhnlich beim Publikum an. Und von irgendwas mussten wir ja anständig leben. Ganz davon abgesehen, dass Linda einfach nur ein furchtbarer Angsthase war und jedes Mal vor Angst zitterte, wenn wir unser Ziel erreichten und jemand begann, Geistergeschichten zu erzählen! Trotzdem war sie die beste, die wir zum Filmen hätten erwischen können und passte außerdem liebreizend auf uns Chaoten auf.
Die restliche Reise verlief vollkommen ruhig und unsere Vorfreude wuchs mit jedem zurückgelegten Meter weiter an. Besonders dann, als wir gelandet waren und uns an der Flughafeninfo nach dem zu untersuchenden Landstreifen erkundigten. Sogar die uniformierte Frau wirkte erschrocken und riet uns dringend ab, dort hinzugehen. "Peligroso! Dangerous!", rief sie aus und schüttelte vehement ihren Kopf. Aber unser Entschluss hatte schon lange festgestanden und wir bedankten uns freundlich für die Warnung und versprachen, gut auf uns aufzupassen.
Heute war es schon zu spät und in der Dunkelheit war es sehr gefährlich, eine wohlmöglich untertunnelte Ebene zu erkunden. Zwar waren wir durch den Jetlag noch nicht wirklich müde, aber das sollte sich wie gewöhnlich in spätestens zwei Stunden ändern. Morgen früh würden wir dann schnellstmöglich von unserem kleinen Zeltlager aufbrechen, um die Umgebung zu erkunden und viele schöne Clips für das letztendliche Video zu bekommen! Und auch jetzt nestelte sie noch einmal an ihrer Kameratasche herum, zückte das teure Gerät und veränderte die Einstellungen für günstige Nachtaufnahmen. "Sobald es hell wird, geht es dann auch schon los! Wir erwarten uns wirklich viel von dieser Tour und die Menschen von hier scheinen auch furchtbar abergläubisch zu sein. Hoffentlich können wir mit unseren Entdeckungen beweisen, dass an den Spukgeschichten nichts dran ist und entdecken dabei vielleicht noch die ein oder anderen alten Tunnel! Das wär doch echt aufregend, oder Jungs?" Sie schwenkte um und wir nickten und bestätigten glücklich in die Linse. Normalerweise würde an dieser Stelle auch der erste provokative Seitenhieb von einem meiner Kollegen kommen und da war er auch schon: "Bis dahin müssen wir nur hoffen, dass uns keine rachsüchtigen Gespenster in der Nacht die Füße anknabbern. Sonst wird das Erkunden schwer werden, was Linda?"
"Haha, sehr witzig", tat sie beleidigt mit uns und filmte dann lieber das Lagerfeuer in unserer Mitte. "Wer hat Lust auf eine Gruselgeschichte?", legte ein anderer nach und es folgte gedämpftes Lachen, zusammen mit genervtem Schnalzen. Auch ich wollte mich gerade an der ausgelassenen Stimmung beteiligen, als direkt hinter mir ein leises Kichern hörte, eindeutig die Stimme eines Kindes: "Timmiii...!"
Erschrocken zuckte ich zusammen und wirbelte herum. Aber da war niemand. Keiner, der hätte flüstern können, und erst recht kein Kind. Die anderen hatten mit scherzen aufgehört und ich spürte den Fokus der Kameralinse auf mir. "L-leute? Habt ihr das eben auch gehört?"
"Was gehört?", fragte Linda verwirrt, aber auch verdrossen. Bestimmt dachte sie, ich wolle sie noch weiter necken, aber wie konnte es bitte sein, dass sie das nicht gemerkt hatte? So leise war die Stimme von eben dann auch nicht gewesen! "Oh man, ich glaub mal Tim hat gerade sein erstes Gespenst gesehen!", versuchte einer die seltsame Situation zu retten, aber es stieß auf kläglichen Anklang. Sie wussten, dass ich bei Bluffs anders reagierte.
"Was denn gehört, Tim?", murmelte einer skeptisch. Ich hatte mich derweil wieder einigermaßen gefangen und schaute unsicher in die Kamera, ein eiskalter Schauder rann mir dabei den Rücken herunter: "E-eine Stimme, ganz nah und sie hat meinen Namen gesagt... Ich verarsche euch nicht, wirklich! Versprochen!"
"Besser, du gehst gleich schlafen. Bestimmt bist du einfach nur fertig vom Flug und bildest dir Sachen ein. Kann ja passieren!" Ich knirschte mit den Zähnen, gab meinem Kollegen aber Recht. Ich war zwar immer noch nicht müde, aber um die anderen nicht noch weiter verrückt zu machen mit meinen Macken, wäre es vielleicht doch besser. Das Flüstern hatte seltsame Ähnlichkeiten mit Stegi gehabt, fiel mir plötzlich ein und insgeheim gab ich dem Mann recht. Der Abschied von meinem Bruder nagte ja möglicherweise immer noch stark genug in mir, dass ich ihn mir jetzt einbildete und eine Mütze Schlaf war bestimmt nicht das schlechteste gegen Halluzinationen.
Auf dem Weg zum Wald musste ich unausstehlich sein. Ich hatte schlecht geschlafen, war müde, am ganzen Körper verspannt und mir sicher, dass irgendjemand in der Nacht um unser Lager geschlichen sein musste. Den anderen hatte ich es nicht erzählt, weil sie das bestimmt auch nicht bemerkt hatten, so wie die Stimme von gestern. Entweder würden sie mich für komplett bescheuert halten oder die Expedition wegen mir abblasen. Und beides wollte ich nicht.
Normalerweise wären solche Stories perfekt für Lindas Kamera und die späteren Zuschauer gewesen, aber die Frau hielt wegen meiner Grabesstimmung Abstand zu mir und filmte mich nur flüchtig bei ihren Panorama Aufnahmen. Mir war das Recht. Sonst war ich immer ziemlich quirlig, aber heute war mir so gar nicht danach... Hauptsache, wir fanden noch etwas tolles, bevor der Tag rum war und wir nochmal hier draußen in der Wildnis übernachten mussten!
Da hörte ich auch schon den ersten begeisterten Ausruf an der Spitze unseres Zuges und ich beeilte mich, um das letzte Stück aufzuholen. Tatsächlich, hier musste es Höhlen geben, und nicht gerade kleine! Mein Team stand um ein etwa ein Quadratmeter großes Loch in der Erde, aus dem uns Dunkelheit entgegen klaffte. Mit ein wenig Anstrengung konnte man auch einen Boden erahnen, aber er lag mehrere Mannshöhen unter uns. Jemanden hier schon zum Erkunden herunterzulassen wäre dumm, besser wir fanden einen richtigen Eingang, als auf gut Glück in einem natürlichen Labyrinth herumirren zu wollen! Und wir mussten uns zur Vorsicht ermahnen. Solche senkrechten, tiefen Gruben waren mordsgefährlich! Sie konnten sich unter dichtem Gestrüpp verbergen und ein Sturz wäre fatal bis tödlich! Doch gleichzeitig erwachte auch mein Forscherinstinkt und meine Laune hob sich. Endlich wieder eine spannende Erkundung, nachdem die letzten beiden Ziele eher Flops gewesen waren. Ein Hasenbau und eine miese Lebensmittelvergiftung waren die einzigen Dinge gewesen, die uns dort erwartet hatten, jetzt würde es wieder ein vernünftiges Abenteuer geben!
Linda neben mir schaute mich erleichtert an, als sich meine Laune so schlagartig besserte, und blubberte dann wieder munter in ihre Kamera. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich währenddessen einen meiner Kumpels, der sich verschmitzt lächelnd von hinten an sie heran schlich, um sie zu erschrecken, und hielt mich sicherheitshalber bereit, damit sie nicht durch einen dummen Zufall zu Schaden kam.
Aber sie sprang nur auf vor Schreck und begann, dem Verantwortlichen wütend nachzujagen für sein Späßchen und erleichtert lenkte ich meine Aufmerksamkeit den restlichen Jungs zu, die eine Karte ausgepackt hatten und sich beratschlagten. Aufgeregt tippten sie immer wieder auf eine Stelle und als ich meinen Hals reckte, sah ich auch wieso. Nach unserer Ankunft gestern hatten wir den Plan einem Einheimischen gegeben und er hatte kleine Notizen für uns hinterlassen, wo er mögliche Eingänge vermutete und wo es oft zu Erdrutschen kam. Dem Ort, den sie nun ansteuern wollten, hatte er sogar einen Namen gegeben. "Devils Pit", Teufelsgrube stand dort in krakeligen Buchstaben. Na, wenn das nicht positiv klang? Genauso positiv, wie das großgeschriebene "DANGER!" daneben. So hysterisch waren bisher selten Leute auf unseren Touren gewesen. Klar gabs immer wieder welche, aber die meisten nahmen sich dabei selbst nicht so ernst, wie man am Anfang ihrer Erzählungen gemeint hätte. Hier hingegen herrschte eine Stimmung, als erwarteten sie, unsere Truppe niemals lebendig wiederzusehen... Stoppen würde uns das zwar nicht, immerhin hatten wir schon ganz andere Kaliber gemeistert, aber etwas beunruhigend war es trotzdem allemal!
"Wir gehen weiter, hört schon auf, hier an der Kante so herumzualbern!", rief einer den beiden Spaßvögeln zu und murrend ließ Linda ihren Gefangenen laufen. So zogen wir weiter, unsere Blicke stets nach unten gerichtet und die zusätzlichen Go Pros umgeschnallt. So bekamen wir auch alles mit in die endgültige Aufnahme, was die Kamera nicht erfasste. Die Dinger hatten uns schon so manches Video gerettet, obwohl ihre Bildqualität so viel schlechter war, als von dem Profigerät. Auch ich hatte eine und pfriemelte sie andauernd zurecht, eine meiner dummen Angewohnheiten, während wir weiterkraxelten.
Die Hänge wurden zunehmens steiler und verwurzelter, dazu kam leichter Nebel auf und machte das nackte Holz allmählich glitschig. Nur noch diese Steigung und wir sollten in der Teufelsgrube angelangt sein. Vorfreudig schulterte ich meinen Rucksack neu, als mich wieder das unangenehme Gefühl überkam, beobachtet zu werden. Irgendwo zwischen den Baumstämmen hindurch, mein Team konnte es nicht sein, ich war der letzte und auch Linda konzentrierte sich gerade eher aufs Klettern, als aufs Filmen. Vielleicht war es bloß ein Tier, aber mir wurde trotzdem furchtbar unwohl. Andauernd drehte ich mich um und bildete mir ein, etwas im Schatten herumschleichen zu sehen.
"Leute, seid ihr euch sicher, dass-"
"Tiiimmiii...!"
Vor Schreck stolperte ich und wirbelte herum. Niemand, dabei war es wieder so nahe bei meinem Ohr gewesen und diesmal sogar so laut, dass die anderen es gehört haben mussten! Hastig tat ich mehrere panische Schritte rückwärts. Irgendwas war hier definitiv faul, ob Spuk oder irgendein alter Fluch oder weiß der Geier was!
"Vorsicht Tim!"
Die Warnung meiner Kumpels kam zu spät. Ein kleiner Erdrutsch löste sich durch mein Gewicht direkt unter mir, warf mich um und riss mich mit sich. Ich schaffte es nicht einmal mehr, mit meinen rudernden Armen ihre ausgestreckten Hände zu erreichen. Ein Loch tat sich unter dem losen Nadelboden auf und verschluckte mich, zusammen mit immer mehr Erde, Dreck und Steinchen. Ich wurde taub, blind und bewegungsunfähig in der Lawine aus Schutt, fiel bestimmt zehn Meter tief und kullerte nur aus Glück noch aus der Gefahrenzone, ehe sich dort eine undurchdringliche Mauer auftürmte und mich von der Außenwelt abschnitt. Mit einem Mal wurde es totenstill und ich blinzelte. Bis auf einen winzigen Lichtstrahl war es stockdunkel und Staub wirbelte durch die Luft, sodass ich husten musste. Verdammt... genau so etwas hatte ich befürchtet!
"Tim?! Tim, geht es dir gut?", rief Linda schrill von oben und ich hob meinen Kopf ein Stück an. "J-ja, ich denke schon! Ich lebe jedenfalls noch und bin nicht verschüttet! Könnt ihr mir raushelfen?"
"Keine Chance, jeder Schritt könnte noch etwas loslösen und dich weiter in Gefahr bringen! Kannst du noch laufen? Oder hast du dir etwas gebrochen?"
Ich rappelte mich ächzend auf und winkelte prüfend nacheinander meine Arme und Beine an. Alles noch heil, immerhin! Das Licht kam aus einem schmalen Spalt, der noch zwischen Erde und Oberfläche geblieben war, und hastig reckte ich mich in seine Richtung. "Alles gut, ich glaube, ich hab eine Höhle gefunden! Vielleicht sogar das Tunnelsystem, dann können wir nach einem anderen Loch oder einem Ausgang suchen!"
Während sie sich berieten, schaute ich mich in meinem Gefängnis um. Man konnte kaum etwas erkennen, nur schemenhafte Umrisse durch den aufgewirbelten Dreck in der Luft, aber als ich mich an den Wänden entlang tastete, fand ich einen etwa ein Meter breiten Spalt in der kalten Felswand. Die Tunnel! Sie konnten mich so erreichen!
"Leute! Hört ihr mich?", rief ich durch den ganzen Raum und erhielt eine gedämpfte Antwort: "Ja, aber schlechter als davor! Hast du dich bewegt?"
"Hab ich! Könnt ihr herausfinden, in welche Richtung? Hier führt tatsächlich ein Tunnel weg und wenn ihr mir folgen könnt, finden wir sicherlich den Ausgang!"
"Äh... Moment noch! N-Nordosten glaub ich. Wir versuchen, Hilfe zu rufen!"
Das würde vergeblich sein! Wir hatten seit gestern Abend keinen Empfang mehr gehabt und die nächsten Hilfskräfte würden sicherlich Ewigkeiten brauchen! Trotzdem stimmte ich zu und tastete mich dann schonmal langsam in den Riss im Gestein vor. Ich musste dringend wissen, ob er mich weiterführte oder schon nach wenigen Metern zu schmal für mich wurde. Es sah gut aus, schon bald weitete sich der Tunnel sogar noch und ich konnte wieder aufrecht stehen und stieß nicht länger mit meinen Armen an beiden Seiten gegen den Stein. Okay, dann musste ich jetzt nur noch die Ruhe bewahren, obwohl es hier schon so dunkel war, dass ich meine Hand nicht mehr vor Augen sah. Mein Handy mochte mir zwar nicht mehr viel zum Hilfe rufen nützen, aber als provisorische Taschenlampe reichte es sicher! Zu blöd, dass Linda die richtigen alle in ihrem Rucksack hatte und wir unser Equipment für gewöhnlich immer erst vor dem Eingang zu solchen Grüften verteilten...
Die Wände glänzten nass und leicht bläulich im Schein des ungewohnten Lichts und ich konnte in der Ferne eine Abzweigung ausmachen, an der sich mein Weg teilte. Nordosten... also einer nach Nordwesten und einer nach Osten. Keiner von beiden sah aus, als würden sie zur Oberfläche führen, schlimmer noch, ich glaubte, sie neigten sich sogar abwärts, noch weiter hinunter ins Erdreich. Und an der Kreuzung angekommen, bemerkte ich sogar noch einen weiteren, steil wegführenden Tunnel schräg hinter mir! Ohje... vielleicht hatten die anderen ja eine Idee, wohin ich mich jetzt wenden sollte.
"Linda? Der Weg gabelt sich in wenigen Metern auf! Kann einer von euch sich vielleicht umschauen, ob es nördlich von hier nochmal ein Loch nach unten gibt?", rief ich sofort, als ich zurück in der kleinen Höhle hinter dem Erdrutsch war. Aber ich erhielt keine Antwort, von niemandem. "Leute? Seid ihr noch da? Hallo!" Egal wie oft und wie laut ich noch rief, sie antworteten nicht. Sie mussten weitergegangen sein und ich hoffte, sie suchten nach Möglichkeiten, um mich hier raus zu bekommen. Nur... sollte ich dann an dieser Stelle auf ihre Neuigkeiten warten, oder mich auf mich selbst verlassen und das Tunnelsystem eigenhändig unter die Lupe nehmen? Hätte nicht wenigstens einer vom Team auf mich warten können, um mir das zu sagen?
Mit einem Schlag bekam ich plötzlich eine Gänsehaut. Es war zwar kalt hier unten, aber daher rührte sie nicht. Ich wusste, ich wurde wieder beobachtet, von einer greifbaren Macht, und hier im Untergrund hatte es eine noch entsetzlichere Wirkung. Unruhig presste ich mich gegen die Wand, stierte hoch zu dem einzigen Lichtstrahl von draußen und begann schließlich sogar manisch, alleine mit meinen Händen die Schuttwand abtragen zu wollen. Zwecklos, was ich beiseite schob, rutschte sofort von oben wieder nach. Und noch schlimmer, das Loch, meine einzige noch bestehende Verbindung zur Außenwelt, wurde dabei immer kleiner. Fuck, fuck! Ich hatte nie Angst vor engen Räumen gehabt, aber jetzt krochen mir die eisigen Finger der Furcht doch meinen Körper hinauf und ließen mich immer schneller und verzweifelter nach Luft schnappen. Sie fühlte sich bereits verbraucht an... Ob ich hier ersticken würde? Das wollte ich nicht! Ich war doch erst dreiundzwanzig und hatte mein ganzes Leben noch vor mir! U-und außerdem wollte ich meine Familie wiedersehen! Ihnen sagen, dass ich sie lieb hatte, ganz besonders Stegi! Ich wollte nicht sterben und ihn in unserem letzten Gespräch einen Nervsack genannt haben...
"Tiiimmiii!", hörte ich die seltsame Stimme in diesem Moment wieder und brüllte zurück: "Wer bist du? Was willst du verdammt nochmal von mir?!"
"Du weißt wer ich bin...", säuselte sie und schien sich dabei langsam zu entfernen. Wütend folgte ich ihr, ohne nachzudenken. Wenn sich hier jemand einen dummen Scherz mit mir erlaubte, dann würde er es gleich mit mir zu tun bekommen! Scheiß auf die anderen, ich musste meinen Weg hier raus selbst finden! Und sollte mir dabei der Spaßvogel begegnen, wegen dem ich überhaupt erst verschüttet wurde, wäre das umso besser!
"Komm doch und such miiich!", verhöhnte er mich weiter und kopflos stürmte ich ihm hinterher, so lange bis ich nicht mehr wusste, aus welcher Richtung ich gekommen war und wie tief er mich schon gelockt hatte. Ich hielt an, rang um Atem und versuchte, wieder klar zu denken. F-fuck...! Ich hatte jeden denkbaren Fehler gemacht, den ich hätte machen können! Wäre ich nur ruhig in der kleinen Höhle geblieben, da wären meine Chancen auf eine Rettung deutlich höher gewesen als hier im Nirgendwo! Stattdessen jagte ich verdammten Hirngespinsten nach und-
"T-timmi?" Dieses Mal wirkte die Stimme noch viel realer als davor. Weniger wie ein Schreckgespenst, ein Echo oder eine Spinnerei von mir. Sie war ganz aus der Nähe gekommen und ich war mir todsicher, würde ich diesmal ihre Quelle erreichen, dann konnte ich meinen Verfolger auch zum ersten Mal sehen. Nur klang er dadurch auch noch mehr wie mein kleiner Bruder... Aber das konnte doch unmöglich wirklich er sein, oder?
Der Anblick erschreckte mich, als ich um die Tunnelbiegung trat und sich eine Sackgasse vor mir auftat. Denn genau im hintersten Winkel von ihr kauerte ein zusammengesunkener, wimmernder Körper. Blonde, schmutzige Haare, zerrissene Klamotten und- war das darunter etwa Blut? Er wandte mir zitternd den Kopf zu und ich musste feststellen, dass es tatsächlich Stegi war. "Bitte hilf mir, Timmi! Die haben mich hier runter geschleppt! I-ich hab Angst und mir ist k-kalt!"
Und obwohl mir hätte klar sein müssen, dass er es nicht sein konnte, setzte sofort mein Beschützerinstinkt ein und ich sank neben ihn auf die Knie, um ihm meine Jacke zu geben und ihn beruhigend an mich zu ziehen. Was auch immer er erlebt hatte, um so zugerichtet zu sein, es war jetzt vorbei! Ich würde nicht zulassen, dass man ihm weiter weh tat! Zusammen würden wir sicher bald auch einen Ausweg finden!
Stegi klammerte sich ebenfalls an mir fest. "Danke!", murmelte er und presste seinen Kopf fest gegen meinen Bauch. Vorsichtig strich ich ihm durch die Haare und gab einen gedämpften Laut von mir, als er noch stärker zudrückte, fast als wolle er mit mir verschmelzen. "Hey Dino, du zerquetschst mich fast! Ich pass auf dich auf, du brauchst keine Angst mehr haben, ja?"
Er nickte bloß, lockerte seinen engen Griff aber um keinen Müh. Angestrengt und mit vor Schmerz verzogenem Gesicht schaute ich mich um. Wen hatte Stegi eigentlich mit "Die" gemeint? Wer waren seine Entführer und woher wussten sie von uns beiden so genau?
Der Kleine kicherte plötzlich: "Ihr Menschen seid doch alle sooo doof und berechenbar! Aber du bist echt der dämlichste von allen!" Ich zuckte zusammen bei diesen Worten. Das war nicht wirklich Stegi! Er hatte mich ausgenutzt und reingelegt! Hastig versuchte ich, aus seiner Klammer zu entkommen, aber es war zwecklos. Er zog den Kreis nur noch enger zu und entlockte mir das nächste japsende Geräusch. "Hör auf so stur zu sein! Du kannst ja eh nicht flüchten!"
"Lass mich!", schrie ich auf und strampelte jetzt stattdessen wie wild um mich. Der blonde Junge, der meinem Bruder so täuschend ähnlich sah, grinste mich böse an. W-was hatte er mit mir vor?! "Weißt du, ich bin hier schon seit Jahrhunderten gefangen und kann diesen Ort nicht verlassen. Aber du kannst es! Du darfst hier wieder raus und das Sonnenlicht sehen. Davor hätte ich jedoch noch eine kleine Sache zu tun!"
Kurz war mein Herz erleichtert zur Ruhe gekommen, als er angedeutet hatte, dass er mich gehen lassen würde, doch jetzt schmerzte es umso mehr, wie es erneut hektisch und voller Furcht von innen gegen meinen Brustkorb hämmerte und schlug. Mit übermenschlichem Schwung riss das Ding mich aus der Hocke in die Höhe, ließ mich einen halben Meter weiter entfernt auf dem Boden aufschlagen und setzte sich dann auf mich. Sein Gesicht nahm kurzzeitig mein gesamtes Blickfeld ein und verdunkelte es, dann spürte ich, wie er meinen Mund aufzwang und sich etwas schweres, massiges wie eine Python plötzlich in meinen Rachenraum zwängte, dick wie ein ganzer Unterarm, aber so erschreckend flink, dass ich nur noch die Augen aufreißen konnte, ehe es sich auch schon meinen Hals hinunter wand. Ich würgte, versuchte mit aller Macht zu verhindern, was da gerade mit mir passierte, aber ich kam nicht dagegen an. Dieses schlangenähnliche Etwas wühlte sich weiter durch mein Inneres, bis es schwer wie ein kalter Stein in meiner Magengegend zum Ruhen kam und ich mich endlich übergeben konnte. Schwarzer, glibschiger Schleim ergoss sich vor mir auf dem dunklen Fels und ich krümmte mich ächzend zusammen. Es war noch immer in mir drinnen! Verzweifelt presste ich mir die Hände auf den Bauch, schlug sogar zu und steckte mir schließlich noch die Finger so tief in den Mund wie möglich, um es doch noch loszuwerden, aber bis auf einen widerlichen Hustenanfall geschah nichts. W-was war das?! Ich wollte das nicht in mir haben! Und wo war diese Erscheinung von Stegi hin verschwunden? W-war er das etwa eben gewesen? Mich schüttelte es bei dem Gedanken und verstört rollte ich mich an Ort und Stelle zusammen, als auch schon die Tränen kamen.
Ich wachte in vollkommener Finsternis auf. War ich etwa eingeschlafen? U-und war ich immer noch in diesem Höhlensystem gefangen? Schwerfällig rappelte ich mich auf und schaute an mir herunter. Ich fühlte mich... wieder seltsam normal. Dieses... Ding in meinem Magen war verschwunden! Ein Glück! Vielleicht würde es mir ab jetzt auch fern bleiben und ich konnte diesen Ort so schnell wie möglich wieder verlassen! Nur nichts wie weg von hier!
Spontanen Eingebungen folgend suchte ich mir meinen Weg in der Dunkelheit und staunte nicht schlecht, als ich nach nicht einmal einer Stunde den Nachthimmel über mir erblickte. Ein Ausgang, endlich! Und ich konnte die Kante sogar geradeso erreichen und mich hochziehen! Was hatte mein Team denn nur so lange gemacht? Ich sah sie nirgendwo, weder sie noch die Lichter ihrer Taschenlampen oder eines nächtlichen Zeltlagers. Sie hatten mich doch nicht etwa zurückgelassen?
Jedenfalls musste ich wissen, was passiert war! Es war zwar unwahrscheinlich, aber was, wenn ich dort unten einen ganzen Tag verschlafen hatte? Dann war mein Flug schon lange weg und ich würde in Südamerika festsitzen! Am besten, ich machte mich auf den Weg zur nächsten Siedlung und fragte mich dort herum. Dafür mussten meine eher kläglichen Sprachkenntnisse ausnahmsweise mal ausreichen!
Lange Zeit begegnete ich absolut niemandem, obwohl da bereits der Morgen hereingebrochen war und ich schätzte, dass es sieben oder acht Uhr war. Nicht einmal in der nahen kleinen Siedlung war eine Menschenseele unterwegs, erst nachdem ich die Hoffnung fast aufgegeben hätte, entdeckte ich einen fremden Mann, der eilig in einiger Entfernung seinen Weg ging. Gesehen hatte er mich wahrscheinlich noch nicht, also folgte ich ihm einfach, bis ich ein wenig aufgeholt hatte. "Hey, Mister! I need some help if you don't mind!" Der Mann mittleren Alters drehte sich um und stolperte vor Schreck, als er mich sah. Schreiend lief er davon, als hätte er den leibhaftigen Teufel gesehen, und ließ mich verwirrt alleine zurück. Was war los? Sah ich durch meine Höhlentour so schrecklich zugerichtet aus? Aber so gründlich ich auch an mir heruntersah, mein Gesicht befühlte und auf Wunden untersuchte, ich fand nichts. Keine blutenden Schrammen, Kratzer oder ähnliches. Was war dann los? Ich musste einen Spiegel oder etwas ähnliches finden, damit ich es herausfand! Nur was? Hier draußen würde ich garantiert keinen finden! Etwas hilflos streunte ich durch die ausgestorbenen Straßen, als mein linker Fuß plötzlich einsackte und völlig durchnässt wurde. Eine Pfütze, aber natürlich! Schnell machte ich einen Schritt rückwärts und wartete ungeduldig, bis sich das aufgewühlte Wasser wieder glättete und ich mich betrachten konnte.
Der Anblick, der sich mir schließlich bot, erschreckte mich, wie auch den Kerl von vorhin. Ich... glühte irgendwie. Mich umgab eine dunkel brodelnde, violett leuchtende Aura, bedrohlich pulsierend und mein hilfloses Inneres verbergend. Hastig hob ich meine Hände, drehte sie und verglich mein Aussehen wieder mit der Reflektion. Ich selber konnte dieses Zeug nicht sehen! Meine Haut sah ganz normal aus! Nur für andere schien es sichtbar zu sein. War das... War ich verflucht worden...?
In meinem Spiegelbild legte sich eine krallenbewehrte Hand auf meine Schulter und ich hörte wieder das vertraute Kichern. "Verstehst du es endlich? Du hast mich aus der Höhle befreit! Deine Freunde können dich auch nicht mehr retten, ich habe sie weit davon gelockt! Menschen sind echt armseelige Kreaturen. Und ich kann jetzt mit dir tun und lassen, was ich möchte! Du bist Mein, für immer!"
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Es ist... etwas! Ein wenig cringy an der einen Stelle wieder, aber ich hoffe dass sich das bald wieder gibt und ich das Beschreiben wieder besser hinkriege :)
Bei der neuen längeren Geschichte bin ich auf ein Hindernis gestoßen: Und zwar sollte Micha als Hauptcharakter eher arrogant und selbstverliebt sein, aber ich hab bemerkt, dass ich das auf Dauer nicht so überzeugend rüberbringen kann, wie ich das gerne möchte. Also hier meine Frage:
Soll ich das trotzdem so weiterschreiben? Es wäre mal etwas anderes, anstatt dass ich immer aus der Sicht der Lieben und Netten schreibe und vielleicht gibt sich das Problem ja bald auch!
Oder soll ich das Shipping von #ZomGer auf #Zomdado ändern und die genau selbe Geschichte aus Dados Sicht (weiter)schreiben? Wäre bei gerademal 3 1/2 vorgeschriebenen Kapiteln kein Beinbruch und ich würde mich sicher ein wenig wohler fühlen, aber es würde den anderen Geschichten stark ähneln und vor allem dem Vorbildmanga Orange, in dem die Protagonistin auch SEHR schüchtern und zurückhaltend ist.
Was wäre euch recht? Ich könnte mich an beiden Ideen gleichgut versuchen und hoffe einfach, dass ihr das Ergebnis unabhängig von dieser Entscheidung mögt! Ich weiß nur noch nicht, wann ich damit fertig sein werde, weil bald Abiturzeit ist und ich in den Osterferien viel lernen muss :S Ich versuch natürlich wie immer, Zeit für euch zu finden, versprochen!
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