Hoffnung (#ZomGer)
Fortsetzung von "Freundschaft (#ZomGer)
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"Warum solltest ausgerechnet du von deiner ganzen Familie die schlechten Fähigkeiten bekommen?", überlegte ich, während mein Softeis in der Sonne schmolz. Manu hatte sich auch eins gekauft und zum ersten Mal sah er entspannt und beinahe sogar glücklich aus. Angeblich hatte er schon seit Ewigkeiten kein Eis mehr gegessen, oder war ins Kino gegangen, oder hatte einen Nachmittag im Freien genossen. Da war es gut, dass ich das alles jetzt mit ihm aufholen wollte!
"Hatte ich dir doch schon gesagt. Ich war in meiner Familie immer das schwarze Schaf. Ständig hatte ich Pech oder... oder habe wichtige Chancen verpasst. Ist halt so, da ist nichts dran zu ändern." Manuels Gesichtsausdruck verfinsterte sich, er senkte die Hand mit der Eiswaffel und seufzte resigniert. Ich schaute ihn nachdenklich an. "Wirklich? Bist du dir sicher, dass du nichts dran ändern kannst?"
Er nickte: "Siehst du doch. Ich darf keine Freunde haben, ohne Freunde verpasse ich so viel im Leben und ich kann diesen Teufelskreis nicht brechen, weil ich sonst alle in Gefahr bringe, die mir nahe sind. Es ist einfach so. Dumm gelaufen oder wie auch immer." Sein Blick klebte auf seiner Eiskugel, die langsam mit Schmelzen begann, aber er verhinderte es nicht und sah ihr bloß weiter dabei zu. "Tja, also jetzt hast du einen Freund!", sagte ich optimistisch, "Und du unternimmst gerade etwas, anstatt es zu verpassen! Das würde ich schonmal nicht Pech nennen!"
"Aber wenn du bald abkratzt-!"
"Stopp mal!", unterbrach ich ihn und hielt ihn mit einer Geste zurück, als er nochmal den Mund öffnete. "Ich glaube, ich weiß was hier los ist. Du bist extrem pessimistisch, vielleicht sogar depressiv. Alles was du sagst, fängt mit einem Negativ an. Dann ist es doch klar, dass du niemals das Gute in Dingen siehst! Du bist viel zu beschäftigt damit, die Nachteile in allem zu suchen und dich abzukapseln. Komm schon man, nicht alles in deinem Leben kann schlecht gewesen sein! Und wenn doch, dann bin ich jetzt da und wir werden das gehörig umkrempeln, alles klar?" Ich stupste ihn gegen die Schulter, als er nicht gleich reagierte und erntete dafür einen unzufriedenen Blick. Er wollte zum Sprechen ansetzen, unterbrach sich, überlegte, versuchte es erneut und kam wieder nicht viel weiter. Schließlich fiel ihm doch etwas ein: "Und meine Alpträume? Was kann daran gut sein, Monster aus meinem Schlaf in die echte Welt zu beschwören, die andere angreifen und umbringen? Wie soll ich positiv denken in dem Wissen, dass jederzeit meinetwegen jemand sterben könnte?!"
"Und was, wenn du nicht nur Alpträume real machen kannst, sondern auch gute Träume?" Die Antwort kam mir so selbstverständlich, dass ich mich im nächsten Moment wunderte, wie lange ich das unterbewusst schon vermutet hatte. Ja, was wenn Manuels besondere Fähigkeit auch jede Menge tolle Facetten besaß, die er bloß noch nicht kennen gelernt hatte? Seine Augen begannen langsam zu leuchten. "Denkst du?", fragte er, seine Stimme war nur noch ein Hauchen. Trotzdem verstand ich es und nickte überzeugt. Aber herausfinden konnten wir es natürlich nur, wenn uns irgendwann eine freundlichere Fantasiegestalt über den Weg lief als der Bestienhund vorhin. Irgendwie skurril, dass dazwischen erst zwei Stunden liegen sollten. Es fühlte sich mindestens wie ein ganzer Tag an, so viel war seitdem passiert. Auf Manuels Gesicht schlich sich zum ersten Mal heute ein Lächeln: "So habe ich noch nie darüber nachgedacht. Aber selbst wenn... Ich habe beinahe jede Nacht einen Alptraum. Wahrscheinlich ist mir deshalb nie etwas anderes aufgefallen als die Monster." Er rutschte ein wenig hin und her, bis er bequemer saß, dann wandte er sich an mich: "Michael? Was machst du gegen Alpträume? Wie wirst du deine los?"
"Naja, ich hab nur ganz selten welche. Das kommt wahrscheinlich mit der Zeit, wenn du tagsüber fröhlich bist und schöne Sachen erlebst. Dann träumst du eher von sowas, anstatt etwas gruseliges!", erklärte ich ihm. Ob ihm das half, wusste ich nicht, mich hatte noch nie jemand gefragt, was man gezielt gegen Alpträume unternehmen konnte. Träume kamen doch eher zufällig, man konnte sich nicht wünschen, wovon man die nächste Nacht träumte! Aber bestimmt konnte man die grobe Richtung dieser Fantasien auf diese Art ein wenig lenken. Und selbst wenn nicht, gute Laune und glücklicheres Denken würden Manuel sicher nicht schaden! Wir würden das hinkriegen und er sollte sehen, dass er sich nicht mehr von seinen Mitmenschen abkapseln musste!
Eine Woche später hatten wir zwar noch keine Ergebnisse, die meine Theorie bestätigten, aber angegriffen hatte uns zwei seitdem auch nichts mehr, kein Ungeheuer und keine andere fiese Figur aus Manus Einbildung. Dafür war mein Kumpel aber über sich hinaus gewachsen. Er war viel offener für seine Mitschüler geworden, hielt sich nicht mehr zwangsweise aus allem heraus und hatte sogar ein paar lockere Freundschaften von früher wieder aufgenommen! Seitdem sah ich ihn immer häufiger lächeln und hätte beinahe sogar vergessen, das etwas an ihm nicht stimmte und ihn und seine Familie von uns anderen unterschied.
Wir hatten noch zwei Schulstunden vor uns nach der Mittagspause, danach wollten wir zu mir nach Hause und zusammen ein wenig zocken. Manu besaß keinerlei Spielekonsolen und hatte sehr interessiert geklungen, als ich ihm davon ein wenig erzählt hatte. Er würde sicher seinen Spaß haben, ich hatte vorsichtshalber immer einen Reservekontroller griffbereit und eine Menge verschiedener Spiele, die man zusammen spielen konnte.
Wir standen draußen auf dem Schulhof und es waren vielleicht noch zehn Minuten Zeit bis zum Anfang der nächsten Stunde, als Manu kurz von einem Fuß auf den anderen trat: "Ich muss nochmal. Nimmst du beim Vorklingeln meinen Rucksack mit rein?"
"Klar!", versprach ich und schaute ihm noch kurz nach, bis er vor den Eingangstüren des Schulhauses angelangt war. So hätte ich beinahe den anderen Jungen übersehen, der jetzt zu mir geschlendert kam und mich frech angrinste. "Na, ihr versteht euch aber gut! Obwohl er so ein Miesepeter sein kann. Respekt!"
Ich guckte den Kerl eine Weile verständnislos an. Er ging weder in unsere Klasse oder Stufe, noch hatte ich ihn je in unserer Schule gesehen. Woher kannte er uns dann und besonders Manu? Oder hatte ich ihn bloß nie wirklich wahrgenommen? Ich kannte schließlich nicht alle Schüler hier persönlich. Schließlich antwortete ich ihm wage: "Er brauchte nur einen netten Anstoß, eigentlich ist Manuel ganz okay. Und wer bist du?"
"Oh, sorry. Ich bin der Patrick. Manu und ich kennen uns von früher." Dann hielt er mir seine Hand hin, aber nicht zum Highfive, sondern zum altmodischen Händeschütteln. Okay, welcher Jugendliche machte das denn heutzutage noch bei Gleichaltrigen? Trotzdem erwiderte ich seinen Gruß. "Und was machst du dann jetzt hier?", wollte ich wissen. Patrick grinste wieder. "Ach, ich war in der Gegend und dachte, ich guck mal nach ihm. Aber ich hab mir wohl umsonst Sorgen gemacht, hier scheint er ja guten Anschluss gefunden zu haben!"
Ich nickte lahm. Irgendwas an dem Jungen verunsicherte mich. Er war... seltsam. Aber bevor ich länger darüber nachdenken konnte, klingelte bereits die Schulglocke und ich schnappte mir meine und Manus Sachen. "Nagut, ich richte ihm aus, dass du da warst und dich nach ihm erkundigt hast, okay?", fragte ich Patrick über meine Schulter hinweg, während ich loslief. Aber ich war keine fünf Meter weit gekommen, als er mich am Handgelenk zurück hielt. "Warte noch kurz, ich muss dir noch was wichtiges über Manuel sagen!"
Ich hielt an. Was denn wichtiges? Wusste er von den Alpträumen und Manus Fähigkeit? Hatte mein Kumpel ihm auch schonmal davon erzählt? Das schien es aber nicht zu sein, denn Patrick begann hastig in seiner hinteren Hosentasche zu kramen. "Die Sache ist die, ein Freund von Manuel zu sein kann sehr gefährlich werden... Weil ich mit Konkurrenz keinen Spaß verstehe!!"
Sein Arm schnellte hinter seinem Rücken hervor und offenbarte, wonach er eben gesucht hatte: Ein Taschenmesser. Mit einer einzigen flinken Handbewegung hatte er die Klinge ausgeklappt und schwang sie in meine Richtung. Mir gelang es nur noch in allerletzter Sekunde, mich unter ihm hindurch zu ducken und dem Streich auf meinen Hals zu entgehen. "ALTER!", japste ich, sobald ich den Ernst der Situation wirklich kapiert hatte. Der Junge hatte mich umbringen wollen! Und er hätte es auch geschafft, wäre er mir nicht von Anfang an ein wenig verdächtig vorgekommen. Patricks Augen durchbohrten mich todbringend: "Manuel hat nur einen Freund, und das bin ich! Ich, ich ganz alleine!!" Wieder holte er weit nach mir aus, aber ich hatte mich bereits aus seinem Griff um meinen Unterarm befreien können und stolperte schnell außerhalb seiner Reichweite. Was war Patricks verdammtes Problem?! Das hier war doch kein Wettstreit oder sowas in der Art! Ich hatte Manu bloß helfen wollen! Doch das schien diesem Verrückten egal zu sein. Er gluckste, wobei es seinen ganzen vornüber gebeugten Oberkörper einmal durchschüttelte, dann richtete er die Messerspitze auf mein Herz. "Stehen bleiben!", zischte er, aber ich dachte gar nicht daran. Mit Manus Schultasche noch immer fest umklammert drehte ich mich um und rannte, so schnell wie ich nur konnte. Ich wusste nicht, wie nahe Patrick mir auf den Fersen war, aber als ich das erste Mal wieder hinter mich guckte, konnte ich ihn schon nicht mehr sehen. Nur zögerlich verlangsamte ich mein Tempo, ging ein paar Schritte rückwärts und prallte prompt gegen jemanden hinter mir. Patrick! Erschrocken drehte ich mich um und atmete auf. Nein, es war Manu. Gott sei Dank!
"Micha? Scheiße, du siehst ja schrecklich aus!", begrüßte mein Kumpel mich und erst da bemerkte ich, wie außer Atem ich war und wie heiß meine Wangen glühten. "D-da war wer-", fing ich konfus an, während ich weiter den Gang im Blick behielt, "Kennst du einen Patrick?"
Manu sog scharf Luft ein: "Hast du ihn gesehen?" Als ich ihm zunickte, kniff er seine Lippen fest zusammen und ballte seine Hände zu Fäusten. "Schon wieder so ein Alptraum-Monster..."
"Aber irgendetwas war anders an ihm. Ich hab ihn nicht sofort als Alptraum erkannt. Beinahe hätte er echt sein können...", seufzte ich und reichte Manu seinen Rucksack. Schien so, als wäre Patrick verschwunden, jedenfalls vorerst. Dann konnten wir uns ja zum Klassenraum aufmachen. Aber Manu folgte mir nicht, als ich losging. "Alles gut?", fragte ich ihn besorgt. Nach kurzem Zögern bestätigte er: "Ähm, ja. Passt schon."
Trotzdem beschäftigte ihn noch etwas und kurz vor der Tür zu unserem Klassenraum erfuhr ich auch, was es war. Er hielt mich zurück und räusperte sich leise. "Patrick... hat mal gelebt. Er war mein einziger Freund, bevor er durch meine Kraft ermordet wurde. Ab und zu träume ich noch von ihm, aber in diesen Träumen ist er ganz anders als er früher war. Er ist wie...-"
"-eine Yandere", beendete ich seinen Satz für ihn und seufzte leise. Manu nickte mit knallroten Wangen. "M-hm, könnte man wohl so sagen... Tut mir leid, dass du das erleben musstest."
Statt einer Antwort klopfte ich ihm ermutigend auf die Schulter. War doch alles gerade nochmal gut gegangen! Zwar würde ich mich diese Stunde wohl kaum auf den Unterricht konzentrieren können, aber das würde schon gehen. Heute Nachmittag beim Zocken konnte ich mich wieder abregen und den Schock von eben vergessen. Und Manu auch. Er sah genauso fertig aus, wie ich mich fühlte...
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Ein Teil kommt hiervon noch als Auflösung der ganzen Geschichte (:
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