Magie pur (#Stexpert)
"Hast du das Haar dabei Stegi?"
Mit einem etwas schiefen Lächeln hielt ich das dunkelbraune, streichholzlange und kräftig gerade Haar in die Höhe und schaute zu meiner Sitznachbarin: "Hab ich. Es ist sicher von ihm, Luna. Wollen wir das wirklich machen?"
Das Mädchen mit den schwarzen Haaren und den zwei Lippenpiercings schnalzte. Hätte man sie nicht besser gekannt, konnte man denken, sie wäre vor drei Jahren in ihrer Gothik-Phase hängengeblieben. Doch ich wusste, wieso sie sich so präsentierte. Sie hatte von ihrer Großmutter, einer erfahrenen Heilpraktikerin und "Kräuterhexe", alles über okkultistische Rituale gelernt, was sie gewusst hatte, und probierte diese Sachen natürlich am liebsten sofort selber aus. Einen aus unserer Klassenstufe hatte sie vor vielen Jahren schon einmal von einer extrem hässlichen Warze befreit und einige Mädchen schworen auf ihre Tipps, was das Haare färben zu verschiedenen Mondphasen anging. Doch insgesamt war Luna wegen ihrer leicht verschrobenen Art eher ein Außenseiter und hatte wenige gute Freunde. Genau wie ich. Wir kannten uns allerdings schon seit frühesten Kindertagen und galten als unzertrennlich. Unter anderem, weil ich auf ihre Bitten hin nie hatte 'Nein!' sagen können und oft das Opfer ihrer Versuche mit Heilsalben und Zauberformeln geworden war. Aber heute war ausnahmsweise ich mal mit einer Bitte zu ihr gekommen.
"Stegi, hörst du mir zu? Egal wie lange du sein Haar anstarrst, her teleportieren kannst du Tim damit nicht!", meckerte Luna und ich schreckte hoch. Hastig nickend reichte ich es ihr und sie ließ es in den kleinen Kessel gleiten, der zwischen uns köchelte und die dunkle Flüssigkeit darin Blasen schlagen ließ. Ich gab es nicht gerne zu, aber ich war seit mehreren Wochen unsterblich in einen Jungen aus der Oberstufe verliebt. In Tim, den gut aussehenden Spitzensportler und Mädchenschwarm! Luna hatte das schnell bemerkt und mir angeboten, einen Liebestrank zu brauen, der ihn angeblich auf mich aufmerksam machen sollte, sobald er ihn an die Lippen angesetzt hatte. Das Haar hatte ich mir vor zwei Tagen von seinem Basketballtrikot stibitzt, als unsere Klassen zusammen Sport hatten und ich unter dem Vorwand, auf Toilette zu müssen, nochmal zurück zu den Umkleiden gelaufen war. Das Rezept hatte meine Freundin in einem uralten Buch gefunden, dass ihrer Oma gehörte. Und obwohl ich Luna und ihrem Plan vertraute, wurde ich skeptisch. Momentan war die Masse in dem Kessel extrem zähflüssig und unter unserer kleinen Zeltplane roch es irgendwie merkwürdig. Ob Tim das wirklich trinken würde? Nicht einmal ich hätte das angerührt, wenn man mir nicht zu einhundert Prozent dessen Harmlosigkeit versichert hätte!
Während ich so grübelte, rührte das Mädchen ohne Unterlass, mit und gegen den Uhrzeigersinn, stoppte kurz, bröselte getrocknete Kräuter oder andere Zutaten hinein und hielt mir schließlich nochmal ihre Hand entgegen. "Wir brauchen zum Schluss noch ein Haar von dir, dann wären wir fertig. Ich muss das noch bis morgen köcheln lassen und dann stecke ich dir ein wenig davon in der Mittagspause zu, okay?"
Mit einem flauen Gefühl im Magen nickte ich und zupfte mir eines meiner blonden, gewellten Haare vom Kopf. Luna lächelte. "Perfekt! Dann wäre deine Arbeit hier getan. Bis morgen!"
Am nächsten Tag war ich müde und nervös. Ich hatte Luna noch nirgendwo gesehen und die Uhr tickte erbarmungslos. Nur noch fünf Minuten bis zur Mittagspause und ich hatte noch keine Ahnung, wie ich meinem Schwarm diese ekelhafte Pampe schmackhaft machen sollte. Oder wie ich ihm überhaupt ein Getränk anbieten sollte. In meiner Vorstellung gestern hatte ich es ihm einfach im Vorbeigehen in die Hand gedrückt, aber das würde ja wohl kaum funktionieren! U-und was würde er zu mir sagen, wenn das Zeug so widerlich war, dass er fast kotzen musste? Dann war ich doch erst recht unten durch bei ihm!
Die Schulklingel ertönte und hastig stopfte ich meine Sachen in den Rucksack. Ruhe bewahren, das war das wichtigste! Der Trank würde schon nicht gammlig werden, also konnte ich auch so lange wie ich wollte auf die optimale Chance warten.
Doch Luna, die bereits hinter der Tür von meinem Klassenraum wartete, machte mir einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. "Er ist fertig Stegi, schau mal!", erschreckte sie mich mit ihrer vor Begeisterung lauten Stimme, packte mich am Handgelenk und zog mich ein Stück beiseite, ehe sie mir ein kleines Reagenzglas und eine Colaflasche hinhielt. Nachdem ich mich von meinem Schock erholt hatte, konnte ich auch beides genauer beobachten und staunte nicht schlecht! Das Zeug war dünnflüssiger geworden und sah wirklich beinahe gleich wie der Inhalt der Plastikflasche aus. Vielleicht würde das ja tatsächlich funktionieren!
"Na los, worauf wartest du noch?", drängelte sie und drückte mir beides in die Hände und sah mir gespannt zu, wie ich den Liebestrank vervollständigte, "So, und jetzt auf in die Cafeteria!"
"W-was?", quiekte ich auf, doch Luna ließ sich schon nicht mehr stoppen und schob und zerrte mich an unzähligen verwirrt schauenden Mitschülern vorbei zur Mensa. Meine Wangen, Ohren und meine Stirn hatten zu glühen angefangen und ich konnte mir gut vorstellen, wie mein komplettes Gesicht rot angelaufen war. Ich konnte jetzt doch nicht einfach zu Tim gehen! Das ging nicht! Er würde mich auslachen! Aber meine Freundin duldete kein Flehen und keine Ausreden und schubste mich ein letztes Mal unsanft, bevor sie sich neben der großen Flügeltür mit verschränkten Armen an die Wand lehnte und mich wachsam beobachtete. Ich schluckte hart. Sie würde mich nicht eher gehen lassen, als dass ich Tim die Cola untergejubelt hatte, nicht wahr? Oh nein... dafür war ich dann doch viel zu feige! Wieso konnte Luna das nicht auch noch für mich übernehmen?
Jemand rempelte mich leicht an und beinahe hätte ich vor Schreck meine Flasche fallen gelassen. Als ich zu demjenigen aufguckte, drehte er sich gerade um und dunkelbraune Augen trafen auf meine, so heftig wie ein Kometenhagel! "Oh, sorry", meinte Tim mit einem entschuldigenden Lächeln und ging weiter, doch mein Herz drohte bei seiner Geste beinahe zu zerspringen! Er hatte mich bemerkt! Mich angesprochen! Mich nicht ausgelacht!
Beflügelt von dieser Tatsache trippelte ich ihm mit einigem Abstand nach. Mit einem Tablett in der Hand wollte er sich zu seinen Freunden setzen, doch es war kein Platz mehr für ihn und schulterzuckend setzte er sich stattdessen an einen leeren Tisch ein wenig abseits. Das war meine Chance!
"K-kann ich m-mich zu dir setzen?", stotterte ich und deutete vor Aufregung leicht zitternd auf einen Stuhl neben ihm. Er schaute auf, erkannte mich scheinbar von eben wieder und brummte kurz bestätigend, dann wandte er sich wieder seinem Mittagessen zu. Schnell ließ ich mich auf den Stuhl plumpsen und spielte nervös mit der Flasche. Okay, ich musste da jetzt durch! Eine bessere Möglichkeit als heute bekam ich niemals wieder!
"Willst du?", fragte ich ihn und bemühte mich, den Blickkontakt zu ihm zu bewahren, während ich ihm die Cola zuschob, "Ich hab auch noch nichts daraus getrunken!"
Tim schnaubte belustigt: "Wirklich? Willst du die nicht selbst behalten?" Ich schüttelte den Kopf. "Hab ganz vergessen, dass ich mir für heute schon etwas mitgenommen hab", stammelte ich verlegen als Erklärung.
"Okay, danke! Ich hatte grade eh höllischen Durst!", meinte Tim cool, öffnete die Flasche und trank ein paar große Schlucke. Ein wenig ängstlich schaute ich ihm dabei zu, doch meine Sorge schien unbegründet! Das Gebräu schmeckte also auch ganz neutral, denn der große Junge beklagte sich in keinem Wort bei mir. Stattdessen schien jetzt tatsächlich die Wirkung einzusetzen und er lächelte mich von der Seite an. "Sag mal, wie heißt du eigentlich?"
"Und dann hat er mir sogar seine Nummer gegeben und mich gefragt, ob wir die Woche etwas zusammen unternehmen wollen! Dankeschön nochmal Luna! Du warst spitze!" Mein ganzer Körper kribbelte noch immer aufgeregt und mein Herz schlug Purzelbäume! Es hatte funktioniert! Nie wieder würde ich an Lunas Magie zweifeln! Aber das Mädchen winkte ab: "Ich hab doch gar nichts gemacht! Du hast nur einen Stupser in die richtige Richtung gebraucht!"
Ich streckte ihr die Zunge raus. "Von wegen nichts gemacht! Ohne dich hätte ich niemals den Trank bekommen und Tim würde immer noch nicht wissen, dass es mich gibt!"
"Welcher Trank denn Stegi? Ich weiß nicht, was du meinst!" An der Art, wie Luna mich angrinste und überlegen an ihren langen Haarsträhnen drehte, wusste ich sofort, das etwas faul war. Abrupt blieb ich stehen, meine Kinnlade klappte herunter und meine Augen wurden groß wie Teller. "Du... hast mir heute gar nicht den Liebestrank gegeben, oder?"
"Nö, hab ich nicht. Es gibt sowas wie einen Liebestrank gar nicht, ätsch! Das einzige Rezept dafür heißt bis heute, selber Mut zu fassen und auf den anderen zuzugehen!"
Nur langsam schaffte ich es, ihre Worte zu verdauen und mich zusammenzureißen. Dafür fing ich an zu lächeln. Dann hatte ich das eben ja ganz alleine geschafft und mir all die Wochen zuvor echt unnütz den Kopf zerbrochen mit 'wenns', 'abers' und 'vielleichts'. Ich konnte stolz auf mich sein! Sehr viel befreiter und glücklich lachend legte ich Luna einen Arm um die Schultern und schlug zusammen mit ihr den Weg nach Hause ein. Tim mochte mich so wie ich war und das war das aller-allerbeste Gefühl der Welt!
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Ein kleines glückliches Phara wird morgen 18, ach ja... Wenn ich Zeit habe, werde ich dann auch die "Alien"-Fortsetzung veröffentlichen und mich noch an den "Gewinner und Verlierer"-Nachfolger setzen ;)
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