wordless ~ #Kostory
PoV Marik
Erschöpft lehnte ich mich gegen die kalte Steinwand, während Tommy den Reißverschluss seiner Hose richtete. Kurz beäugte er mich kritisch, bevor er sich zu mir herunterbeugte und mir die Wange tätschelte.
"Man sieht sich, Kleiner", meinte er und wollte gerade schon weggehen, als ich ihn am Ärmel zurückhielt.
"Schatz?", versuchte ich seine Aufmerksamkeit zu bekommen und nach all den Jahren hörte das Wort sich inzwischen so fremd an. Als er sich wieder umdrehte und zu mir herunter sah, stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, wie genervt er war, wedhalb ich meine Entscheidung, ihn aufgehalten zu haben schon fast wieder bereute.
"Das war schön gerade.", murmelte ich bloß mit gesenktem Kopf und sowohl er als auch ich wussten, dass das eine Lüge war. Der Sex gefiel mir schon lange nicht mehr und seine grünblauen Augen, die kalt auf mich herabsahen, machten mir das wieder mehr als nur deutlich. Tommy nickte bloß und als er seinen Arm meinem Griff entzog, ließ ich meine Hand kraftlos zu Boden fallen, während er wortlos verschwand.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich mich irgendwann aufrappelte und durch die Gassen mir meinen Weg auf die belebteren Straßen suchte.
"Junge, hau ab. Bleibt wo ihr herkommt aber verdreckt uns nicht unser Geschäft!"
Ohne es zu merken hatte ich vor einem Restaurant innegehalten, das seine Tische und Stühle auf den Gehweg hinausgestellt hatte und wurde natürlich sofort von einem der Mitarbeiter verscheucht. Mir war das relativ egal. Mir war bewusst, wie verwahrlost ich und meinesgleichen wirkten und es wunderte mich wirklich nicht, dass wir in keinem der Geschäfte erwünscht waren. Da ich aber eh nie geplant hatte, mich hier niederzulassen hob ich bloß wortlos den Mittelfinger in Richtung des Mannes, der mich verscheucht hatte und ging weiter meinen Weg durch die Straßen, bis ich irgendwann mich einfach an der Wand eines Hauses niederließ. Immer mehr Leute kamen an mir vorbei, es musste inzwischen gegen halb Acht Uhr morgens sein, die Leute gingen in die Arbeit und die Jugendlichen zur Schule. Die meisten beachteten mich nicht, ignorierten mich, darauf bedacht, nicht einmal ausversehen in meine Richtung zu schauen. Ich fragte mich schon lange nicht mehr, warum sie das taten. Ich wollte weder Geld noch irgendetwas anderes von ihnen, also blieb es für mich unerklärlich. Vielleicht aber wollten sie bloß die Schattenseite dieser Stadt, die obdachlosen Kinder und Jugendlichen und all die Straßengangs nicht wahrhaben. Aber ich wurde nicht nur ignoriert. Manche der Jugendlichen kamen sich cool vor, wenn sie kleine Steine in meine Richtung warfen oder mir vor die Füße spuckten, doch sie waren die Ausnahmen. Heute begegnete ich niemanden von ihnen, nur ein paar Blicke wurden mir ab und zu zugeworfen. Ich beobachtete die Leute um mich herum, manche der Passanten hatte ich schon einmal gesehen, viele kamen jeden Morgen hier vorbei auf ihrem Weg zur Arbeit oder Schule. Ob sie mich wohl auch erkannten? Wahrscheinlich nicht, sie hatten wohl kaum Zeit, einen obdachlosen Jungen wahrzunehmen, der ab und zu an einer Hausecke lehnte und die Menschen beobachtete.
Die nächsten Stunden verbrachte ich damit, zu dösen, die Anwesenheit von fremden Menschen störte mich dabei schon lange nicht mehr. Erst eine kurze Berührung an meinem Arm ließ mich die Augen erneut öffnen und mit verschlafenem Blick nahm ich einen Jungen wahr, der direkt neben mir Platz genommen hatte. Er sah mich nicht an, sprach nicht mit mir und hätte ich nicht die Wärme gespürt, die von seinem Arm direkt neben dem meinen ausging, hätte ich ihn wohl nicht einmal bemerkt. So aber setzte ich mich ein Stück weit gerader hin, was den Jungen dazu brachte, mich anzuschauen. Seine Augen waren von einem warmen Braun und passten erstaunlich gut zu seinen verwuschelten Haaren, während auf seinen Lippen ein angedeutetes Grinsen lag. Ich wusste nicht, wie lange er mich einfach nur ansah und obwohl mir die Blicke der Leute schon lange nichts mehr ausmachten, war es mir bei ihm irgendwie unangenehm. Unschlüssig sah ich weg und trotz der merkwürdigen Situation wollte ich nicht einfach aufstehen und weggehen. Als der verstruppelte Junge dann irgendwann seinen Blick löste, stand er nicht wie erwartet auf, um wieder für immer aus meinem Leben zu verschwinden, sondern begann, in der Tasche zu kramen, die zu seinen Füßen stand. Immernoch wortlos zog er ein in Butterpapier eingepacktes Päckchen hervor und hielt es mir hin, bis ich es unschlüssig entgegennahm. Er beobachtete, wie ich das Papier entfernte und etwas überfordert auf das Brot schaute, das darin eingewickelt gewesen war. Auf seinen auffordernden Blick biss ich irgendwann zaghaft hinein und bekam mit gemischten Gefühlen mit, dass er beobachtete, wie ich das Brot bis zum letzten Bissen aufaß. Tatsächlich hatte ich etwas Hunger gehabt und auch wenn ich auch ohne die Hilfe des merkwürdigen fremden Jungen an Essen gekommen wäre, bewahrte seine Tat mich doch vor einem Diebstahl, den ich unweigerlich hätte begehen müssen. Genauso wortlos wie er gekommen war stand der Junge irgendwann auf und ging, nachdem er sich ein letztes Mal zu mir umgedreht hatte, die belebte Straße entlang, bis ich ihn aus dem Blick verlor. Zurück ließ er blos meine kreisenden Gedanken und die Verwirrung über sein Verhalten.
Im Stillen hatte ich damit gerechnet, den merkwürdigen fremden Jungen nie wieder zu sehen und am nächsten Tag bereits mit der Geschichte abgeschlossen, doch irgendetwas in mir schrie danach, den Nachmittag trotzdem am selben Platz zu erwarten, an dem ich am Vortag diese merkwürdige Begegnung gehabt hatte. So kam es also, dass ich jetzt wieder hier auf der Straße saß, kaum zwanzig Meter von meinem gestrigen Platz entfernt und die Leute im Auge behielt. Als ich tatsächlich in der Menschenmenge den Jungen von gestern sah, war ich gleichzeitig überrascht und nicht überrascht. Dieses Mal beobachtete ich jeden seiner Schritte, während auch er mich bemerkte und wieder genau auf mich zukam. Wie am Vortag ließ er sich wortlos neben mir nieder und nachdem wir uns kurz gegenseitig beäugt hatten, gingen beide dazu über, stumm die Menschen zu beobachten, die an uns vorbeizogen. Ich hätte nicht sagen können, wie viel Zeit vergangen war, als der Junge erneut ein in Papier eingeschlagenes Brot aus seiner Tasche zog und mir entgegenhielt. Ich versuchte mich an einem kleinen Lächeln, doch diese Bewegung fühlte sich so fremd und gekünstelt an, dass mir wieder einmal bewusst wurde, wie selten es hier auf der Straße Anlass zum Lachen gab. Gerade als ich das Brot auspacken wollte, bemerkte ich, dass auf dem leicht durchscheinenden Papier Buchstaben und Wörter waren und sah fragend zu dem Jungen, der wieder ein leichtes Lächeln auf den Lippen hatte. Anders als meines wirkte es wie selbstverständlich und nicht gekünstelt, sondern einfach echt. Ohne, dass ich meine stumme Frage ausgesprochen hätte, formten die Lippen des Jungen Wörter und eine Stimme, die ich nicht hätte beschreiben können, wenn man mich gefragt hätte, sprach sie aus: "Glück ist relativ" Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, stand der Junge auf und warf wieder nur einen einzigen Blick zurück, bevor er die Straße entlang verschwand.
Als ich den Jungen am nächsten Nachmittag wieder sah, wunderte ich mich schon nicht mehr. Nein, ich war ehrlich genug um mir selbst einzugestehen, dass ich sogar hier auf ihn gewartet hatte. Wieder ließ er sich wie selbstverständlich neben mir nieder und wir blickten schweigend auf die vielen Leute, die es eilig haben zu schienen, nach Hause oder zu irgendwelchen Terminen zu kommen. Dieses Mal jedoch hatte ich beschlossen, das Schweigen zu brechen und so sah ich irgendwann von den fremden Menschen weg und zu dem Jungen, der meinen Blick sofort erwiderte.
"Wer bist du?", fragte ich ihn leise, so, dass nur er es hören konnte, und wieder lächelte er.
"Kostas", erklärte er irgenwann mit einem Wort und das Lächeln, das sein Gesicht dabei zierte, brachte mich so aus der Fassung, dass ich bloß perplex nickte. Kostas also. Erst Sekunden später fiel mir auf, dass ich mich wohl auch vorstellen sollte und verwirrt murmelte ich auch meinen Namen.
"Marik"
"Mik?", fragte der Junge nach und ich wurde sofort rot. Warum musste ich so undeutlich sprechen, dass man noch nicht einmal meinen Namen verstand?
"Marik", verbesserte ich ihn verlegen, doch der Junge lachte nur.
"Mik gefällt mir besser.", erklärte er grinsend und faszinierte mich damit, dass er wohl immer glücklich zu sein schien. Für den Jungen schien das Thema damit abgeschlossen, denn er stand wortlos auf, bevor er erneut ein Brot aus seiner Tasche zog und mir zuwarf. Mehr aus Reflex fing ich es auf, während ich dem Jungen verwirrt dabei zusah, wie er erneut in der Menge verschwand, mir nur noch einen letzten Blick zuwerfend.
"Mik", begrüßte mich der braunhaarige Wuschelkopf mit dem Namen, den er für mich behalten zu haben schien, während er sich wieder neben mich setzte. Ich versuchte mich erneut an einem Lächeln, während ich ein "Hallo, Kostas", entgegenbrachte. Wieder schwiegen wir uns eine Weile lang an, doch während er mir erneut eines seiner Brote gab, fing er dieses Mal an zu sprechen.
"Du kannst nicht lesen, oder?", fragte er gerade heraus. Vielleicht hätte mir die Situation peinlich sein sollen, doch aus irgendeinem Grund war mir nicht im geringsten unwohl, als ich verneinend den Koof schüttelte. Der Junge nickte nachdenklich, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. Schweigend legte ich das Brot zur Seite.
"Wie lange lebst du schon auf der Straße?"
Ich zuckte nichtssagend mit den Schultern. Eine genaue Zahl an Jahren konnte ich ihm eh nicht nennen. Als der Junge merkte, dass nichts mehr folgen würde, schien er das zu akzeptieren und nickte erneut. Eine Weile noch blieb er neben mir sitzen, bis er wieder wortlos verschwand, nicht ohne sich ein letztes Mal nach mir umzudrehen.
Erstaunlich schnell wurden Kostas' Besuche für mich Alltag und ich verbrachte von nun an meine Nachmittage damit, in dieser Straße, die im Stillen zu unserem Treffpunkt erklärt worden war, auf ihn zu warten, um dann die meiste Zeit über gemeinsam zu schweigen. Und obwohl wir nie viel redeten, erfuhr ich von Tag zu Tag mehr von ihm und er von mir, immer nur ein paar Sätze. Warum er sich damals zu mir gesetzt hatte wusste er selbst nicht genau. Kostas ging hier in der Nähe zur Schule, stand kurz vorm Abitur und diese Straße hier lag auf seinem täglichen Heimweg. Irgendwann einmal hatte er mich, stumm wie immer, an der Hand genommen und mit sich durch die Menschenmengen gezogen, bis wir vor einem Haus zum Stehen gekommen waren. Er hatte darauf gezeigt und erklärt, dasser dort wohnen würde, zusammen mit seinen Eltern und seiner Schwester. Seine Eltern stritten sich oft und auch deswegen verbrachte er die Nachmittage lieber draußen als Zuhause. Mit den meisten Menschen wollte er nichts zu tun haben, was ihn automatisch zum Alleingänger machte und trotzdem hasste er die Einsamkeit. Von diesem Tag an wartete ich jeden Morgen eine Straßenecke weiter auf Kostas und gemeinsam gingen wir schweigend bis zu seiner Schule, wo er dann jedes Mal wortlos in dem Gebäude verschwand, nicht ohne sich noch ein letztes Mal zu mir umgedreht zu haben. Irgendwann begann ich auch, jeden Nachmittag vor seiner Schule auf ihn zu warten und die Freude, die jedes Mal, wenn er mich dort sah, in sein Gesicht geschrieben war, war für mich ebenso unbegreiflich wie schön anzusehen. Und inzwischen konnte sogar ich wieder lächeln, ohne dass es sich falsch oder künstlich anfühlte. Meistens gingen wir dann schweigend ein Stück, an irgendeinen Platz, wo wir uns dann wortlos hinsetzten. Nein, Kostas war kein Anhänger der vielen Worte und auch ich begann, die Stille mehr zu genießen als all die Worte der anderen. Und genau diese Stille machte Kostas' Stimme zu etwas besonderem, seltenen, wertvollem. Es vergingen Tage, an denen wir kein einziges Wort sprachen, doch irgendwie brauchte es keine Worte. Die Begegnung mit Kostas hatte mein Leben verändert. Mein ganzer Tag richtete sich inzwischen nach ihm und auch wenn ich nicht bei ihm war begann ich, immer weniger zu sprechen. Außer Kostas und mir schien niemand diese Stille verstehen zu wollen, alle um mich herum begannen, über mich zu spotten und erklärten mich für verrückt, weil ich kaum mehr den Mund aufkriegen würde und sogar Tommy meinte, wenn ich nicht wieder wie früher werden würde, würde er nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Doch so sehr ich früher vor diesen seinen Worten Angst gehabt hatte, so lösten die Worte meines Freundes rein gar nichts mehr in mir aus. Ich brauchte Tommy nicht mehr.
Wie jeden Morgen wartete ich an der Straßenecke gegenüber des kleinen Kiosks, dessen Verkäufer gerade seine Zeitungen auslegte und mir grüßend die Hand entgegenstreckte, auf Kostas und als der Wuschelkopf pünktlich wie immer um die Ecke trat, legte sich sofort ein Lächeln auf meine Lippen. Zur Begrüßung brauchte es nichts weiter als dieses Lächeln von ihm und wortlos gingen wir nebeneinander die Straßen entlang, den Weg, der mir inzwischen so bekannt war. Wie immer blieb ich vor seiner Schule stehen und kurz umarmte ich den Größeren, bevor er auf das Gebäude zuging. Bewegungslos verharrte ich an Ort und Stelle, bis der Junge sich noch einmal zu mir umdrehte und mir ein leichtes Lächeln schenkte, erst dann ging ich meinen Weg, ziellos durch die lebende Stadt. Schnell wurde es wieder ruhiger und anhand der abnehmenden Zahl an Menschen um mich herum konnte ich erahnen, dass es inzwischen gegen Mittag gehen musste und die meisten Leute in Schule und Arbeit waren. Wäre ich einer von ihnen würde ich jetzt gerade wohl auch in irgendeinem Unterricht oder einer Vorlesung sitzen. So aber streifte ich gedankenverloren durch die Stadt, ohne Ziel, bis eine bekannte Stimme mich aufschauen ließ.
"Marik!", rief ein Mädchen auf der anderen Straßenseite meinen Namen, der mir inzwischen so fremd vorkam, so gewohnt war ich den neuen Namen, den Kostas mir gegeben hatte. Ich nickte dem Mädchen, das gerade über die schwach befahrene Straße auf mich zukam und das ich von früher kannte, bloß wortlos zu, was sie in der Bewegung innehalten ließ.
"Jetzt lass doch diesen Quatsch", schimpfte sie, "Du hast doch einen Mund zum sprechen. Du bist doch nicht mehr du!"
Ja, sie hatte recht. Ich war nicht mehr Marik, der obdachlose Junge. Ich war Mik, der Junge, der mit Kostas schweigend durch die Stadt zog. Ohne das Mädchen zu beachten, drehte ich um und ging in die andere Richtung, dieses Mal mit einem Ziel. Zwar hatte ich keine Uhr aber mein Tagesablauf war genug daran angepasst, dass ich tatsächlich kurz bevor Kostas aus dem Schultor trat, vor der Schule stand. Zur Begrüßung umarmte der braune Wuschelkopf mich wie immer still, bevor er nach meiner Hand griff und mich hinter sich her durch die Straßen zog. Irgendwann kamen wir an einen kleinen Platz am Fluss und ließen uns dort auf den Boden sinken, im Schneidersitz gegenüber. Wir beobachteten abwechselnd uns gegenseitig und unsere Umgebung, während stets ein leichtes Lächeln auf Kostas' Lippen lag. Irgendwann trafen sich unsere Blicke wieder und obwohl wir uns viel zu lange in die Augen sahen, war es keinem von uns beiden unangenehm. Als Kostas sich zu mir vorbeugte und in der nächsten Sekunde seine Lippen auf meinen lagen, war ich nicht einmal mehr überrascht. Kaum eine Sekunde dauerte der unschuldige Kuss, als Kostas sich auch schon wieder zurückzog und verlegen auf den Boden unter unseren Beinen sah. Obwohl er es nicht aussprach wusste ich, dass er Angst hatte, etwas falsch gemacht zu haben. Wortlos hob ich die Hand und begann, sanft durch seine wuscheligen Haare zu fahren, die seine Augen so schön hervorhoben, bis er zögernd den Koof hob und meinen Blick erwiderte. Mit einem Finger fuhr ich leicht die Konturen seiner geschlossenen Lippen nach, bevor ich das selbe bei mir tat und ihm symbolisch zulächelte. Und obwohl ich spürte, wie verlegen Kostas war, lächelte auch er. Als ich mich schließlich zu ihm beugte und langsam meine Lippen auf seine legte, verbreiterte sich sein Lächeln und wir beide genossen das Gefühl, das sich so gut und so richtig anfühlte.
Sanft lächelnd blickte ich vom Boden gegenüber des Kiosks auf, wo ich wie immmer auf Kostas wartete. Obwohl ich keine Uhr hatte, wusste ich, dass Kostas spät dran war. Der Verkäufer am Kiosk hatte die Zeitungen längst verteilt und auch die restliche Ware ausgelegt, die zwei Tische mit den Stühlen waren aufgestellt und er schien nur noch auf die erste Kundschaft zu warten. So spät war Kostas noch nie dran gewesen. Er würde wohl zu spät zur ersten Stunde kommen. Mit jeder Minute, die verstrich, machte ich mir mehr Sorgen, doch mein Verstand befahl mir, ruhig zu bleiben. Wahrscheinlich entfiel einfach nur seine erste Stunde und er schlief eine Stunde länger. Oder er musste früher da sein und war losgegangen, bevor ich hier gewesen war.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich irgendwann sah, dass der Kioskverkäufer mir zuwinkte. Zögernd ging ich zu der kleinen Holzbude, in der der etwas bäuchige Mann stand.
"Kommt nicht, wa?", wollte er mit einer bassigen Stimme wissen und ich nickte wortlos. Er schien nachzudenken.
"Ruf ihn halt an.", schlug er vor, doch ich zuckte nur mit den Schultern. Ich kannte ja noch nicht einmal Kostas' Nummer.
"Bist nicht sonderlich gesprächig, wa?", stellte der Verküfer fest, "Redet nie miteinander, du und dein Freund." Ich stimmte ihm mit einem Kopfzeichen zu, was auch ihn schwerfällig nicken ließ. "Versteht euch ohne Worte", murmelte er leise und ich hatte das Gefühl, dass er mehr zu sich selbst sprach. Wieder zuckte ich bloß mit den Schultern und als der Mann nichts mehr sagen zu wollen schien, hob ich die Hand zum Abschied und ging wieder über die Straße, wo ich mich an die Hauswand lehnte, an der ich immer wartete. Dort verweilte ich einige Stunden, stets in der Hoffnung, dass Kostas noch kommen würde, wobei meine Sorge um ihn mit jedem Moment wuchs. Irgendwann fasste ich einen Entschluss und bog um die Ecke in die Straße ein, in der Kostas' Haus stand, vor dem ich auch schließlich stehen blieb. Ich atmete einmal tief durch, bevor ich darauf zuging und die Klingel drückte. Noch bevor die Haustür wenige Sekunden später geöffnet wurde, räusperte ich mich kurz, um meine inzwischen so selten benutzte Stimme aufzuwecken. Als die Tür aufging, stand ich einem hochgewachsenen Mann gegenüber, der bis auf die Haarfarbe keine Ähnlichkeit zu Kostas hatte.
"Entschuldigen Sie. Könnte ich Kostas sprechen?", versuchte ich so höflich wie möglich zu bleiben und sofort regte sich etwas in dem Gesicht des Mannes. Trauer.
"Der ist mit seiner Mutter weg. Ich habe eigentlich in der Schule bescheid gegeben deswegen.", erklärte er und seine Stimme hörte sich unglaublich gebrochen an.
"Weg?", wiederholte ich ungläubig und der Mann nickte.
"Wohin?"
"Meine Frau und ich haben und getrennt. Sie ist mit Kostas nach Potsdam.", erklärte er und ich nickte dankend, bevor ich mich auf der Ferse umdrehte und losrannte.
Potsdam. Mehr brauchte ich nicht zu wissen, meine Entscheidung war schon lange gefallen. Wenn Kostas umgezogen war, wenn er jetzt in Potsdam lebte, dann würde ich ihm folgen.
Die Auswahl an Schulen in Potsdam war nicht riesig und seitdem ich hier hergekommen war, hatte ich jeden Nachmittag vor einer anderen Schule verbracht. An einer von ihnen musste Kostas sein und ich würde ihn finden. Das hier war die vierte Schule, der vierte Tag, der vierte Versuch. Gerade kam ein neuer Schwung Schüler aus dem Tor und ich suchte die Menge mit den Augen nach dem bekannten Gesicht ab. Und tatsächlich, dort, relativ am Ende, alleine, ging Kostas. Mein Herz machte einen freudigen Sprung und schnell ging ich auf die Schülergruppe zu, bis ich mich zu meinem Freund, der bloß den Boden im Blick hatte, vorgekämpft hatte. Kurz bevor ich direkt vor ihm stand hob er den Blick und ich erschrak kurz, so traurig wirkte der sonst immer lächelnde Junge. Mitten in der Bewegung hielt ich inne und es dauete einen kurzen Moment, bis Kostas mich zu erkennen schien. In diesem Moment aber hellte seine Miene sich augenblicklich auf und seine Augen begannen zu strahlen, während er mir glücklich un den Hals fiel. Wortlos drückte ich ihn an mich und ignorierte die Blicke, die uns von allen Seiten zugeworfen wurden, während ich einfach Kostas' Nähe genoss. Wir brauchten keine Worte um zu wissen, dass wir uns vermisst hatten. Wir verstanden uns auch so. Ich würde diesem Jungen nicht mehr von der Seite weichen. Wo auch immer er sein würde, ich würde ihn begleiten und bei ihm sein. Es gab nichts mehr, was mich in meiner alten Heimatstadt hielt, ich hatte dort keine Freunde mehr und kein Zuhause. Das alles hatte ich nur hier, bei Kostas. Kostas war all meine Freunde und mein Zuhause. Ich brauchte nichts außer ihn in meinem Leben.
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[3432 Wörter]
Hayho, Leute!
Ja, einige von euch fanden die Idee einer Oneshot-Sammlung gut und hier habt ihr sie. An alle neuen unter euch, die mich noch nicht kennen; Herzlich willkommen, ich hoffe, euch gefällt, was ich hier mache.
Mit diesem Oneshot bin ich selbst ziemlich zufrieden, die Wandlung der Stimmung vom Anfang zum Ende gefällt mir recht gut. Ich hoffe, euch geht es auch so. Hat es euch gefallen? Feedback?
Liebe Grüße, minicat3
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