7. Mit Chiron -äh- Charon unterwegs
"NEIN! ICH KÄMPFE!" hörte ich Sofia verzweifelt schreien.
"Wenn, dann wirst du mit mir kämpfen. Aber nein, Sofia. Du passt auf die kleinen auf." Otreras unbarmherzige Stimme ließ mich erschaudern. "Das geht einfach nicht. Du darfst, und kannst das nicht."
"DOCH! ICH SCHAFFE DAS!" Ihre Stimme wurde immer verzweifelter. Ich schaute durch die durchlöcherte Holztür, und sah wie Sofia mit geröteten Wangen und gefährlich blitzenden Augen vor Otrera stand. "Was ist denn los?" fragte ich.
Otrera atmete tief ein. "Sofia will unbedingt mitkämpfen. Das geht aber nicht. Sie darf das nicht." Ich runzelte leicht die Stirn. "Wieso nicht?"
Mit müdem Gesichtsausdruck wandte sie sich mir zu. "Sofia ist noch zu jung." Neben mir schnaubte Sofia wütend. "Bin ich nicht!" sagte sie bestimmt. "Ich habe beinahe mein fünfzehntes Lebensjahr erreicht. Ich bin nicht jung."
"Doch." widersprach Otrera entschieden. "Zu jung, Mord zu begehen. Zu jung, bei einer Schlacht dabei zu sein. Du bleibst im Haus."
Ich sah beide an, und merkte schnell, wie Sofia nachgab. Offenbar wurde diese Diskussion schon seit Tagen geführt, was Otreras müde Miene neuerdings erklären würde.
"Ich bleibe doch auch im Haus, Sofia. Die anderen werden das schon schaffen." sagte ich ermutigend, allerdings fand ich meinen Enthusiasmus selber ein wenig seltsam. Sofia und ich hatten die übrigen Frauen gelehrt zu kämpfen, und jetzt durften wir nicht mitkämpfen?
Anderseits konnte ich Otrera auch verstehen. Mord, egal an was für einer Person, würde eine schwere Last im Leben werden. Und es war klar, dass Otrera sich als eine Art Beschützerin für Sofia sah, und ihr keine Last auftragen wollte.
"Hey Sofia." sagte ich versöhnlich. "Wir können im Haus trainieren, ja?" Sie nickte halbwegs zufrieden, und legte einen Arm um meine Schulter. "Na gut. Aber wenn die anderen in Gefahr sind, dann - "
Plötzlich näherten sich dumpfe Schritte, und Otrera sog scharf die Luft ein. "Raus. Jetzt sofort." befahl sie. Dieses mal rannten wir ohne jegliche Widerrede nach draußen. Allerdings kamen wir nicht weit, denn vor dem Haus stand ein ziemlich betrunkener Typ mit blutunterlaufenen Augen.
"Hinterausgang, schnell." zischte Sofia. Wir liefen raus in den Hof und versteckten uns unter den Mehlsäcken. Überraschenderweise rochen sie nicht so schlimm wie der Boden. Außerdem gab es in der Nähe nichts anderes, wo wir uns hätten verstecken können.
"Weib!" brüllte der Typ, der anscheinend in das Haus gekommen war. "Bring mir was zu trinken, aber schnell! Weib! Hast du gehört, He!? Beeil dich, du kleine - "
Sofia und ich warfen uns einen Blick zu. Was Otrera jetzt wohl machen würde? "Ja, mein geliebter Ehemann." hörte ich sie sagen, darauf folgten eilige Schritte, die definitiv von ihr stammten.
W-was?! Was hatte Otrera gerade gesagt?! Geliebter Ehemann?
Na gut. Ich musste mich wieder beruhigen, sonst würde der geliebte Ehemann uns noch finden. "Putz mir die Schuhe." Seine ölig-betrunkene Stimme lallte, und ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie Otrera ihn dabei ansah.
Zu meiner Überraschung schien sie das zu tun. Sofia und ich sahen uns verwirrt an. Wieso tat sie das? Otrera verabscheute ihren Ehemann wie die Pest. Obwohl, gab es die Pest im antiken Griechenland bereits? Ich hatte keine Ahnung.
"Weib! Hast du gekocht?" lallte ihr Ehemann. "Ja." erwiderte sie mit einer lieblichen Stimme. So kannte ich sie überhaupt nicht. "Hier, Lieber. Das habe ich extra für dich gekocht."
"Setz dich zu mir, Schätzchen." hörten wir ihn befehlen. Mir wurde so richtig kotzübel, und Sofia wahrscheinlich auch. "Sehr gut. Ich erzähle dir jetzt etwas, also hör still zu. Heute - "
Seine immer noch lallende Stimme verstummte plötzlich, und ich bekam ein wirklich ungutes Gefühl. "Das ist für all das, was du mir in den letzten Jahren angetan hast." Definitiv Otreras Stimme, doch es war nur ein zischen, und kaum zu hören. "Auf Nimmerwiedersehen."
Dann war es absolut still, kein Mucks war zu hören. "Ihr könnt reinkommen." hörten wir Otrera rufen, und krochen aus dem Versteck. "Der war aber nervig."
Ich starrte sie geschockt an. "Wo ist er denn?"
"Mit Charon unterwegs." erwiderte sie. Ihre Stimme klang wieder so, wie ich sie kannte. Das gefährliche Zischen von vorhin war aber auch wirklich beängstigend gewesen. Charon lenkte die Fähre, die von der einen zu der anderen Seite des Styx' führte. Was im Endeffekt bedeutete, dass Otrera ihren Ehemann umgebracht hatte.
"Okay, lass uns die Verteidigungslinien der Stadt überprüfen." schlug Otrera vor, und ich sah sie fassungslos an. "Otrera! Du hast gerade Mord begangen und - "
"Das ist jetzt nicht wichtig." unterbrach sie mich. Otrera trat raus, und stieß ein rabenartiges Krächzen aus. Das war das Zeichen, was wir unter den Frauen abgemacht hatten. Es kam zwar keine Reaktion, doch ich wusste, dass alle etwas mitbekommen hatten.
"Sofia? Kannst du den Westen absuchen? Und Leo, du den Osten?" fragte sie. Wir nickten langsam. Vermutlich war selbst Sofia noch davon geschockt, was Otrera soeben getan hatte.
"Das ist..." murmelte sie, als wir durch die mit Männern überfüllte Stadt gingen, "Einfach..." Ihr fehlten wohl die Worte, genau so wie mir. "Wir ziehen das jetzt durch. Wir haben keine andere Wahl." sagte ich, als unsere Wege sich trennten. Sie nach Westen, ich nach Osten.
"Ja." erwiderte sie kurz, und lächelte mich an. Dann gingen wir in die entgegengesetzte Richtung. Während ich eine Abkürzung durch die dunkle Gasse nahm, die Otrera mir ein paar Tage zuvor gezeigt hatte, verfluchte ich mich in Gedanken.
Hätte ich nichts besseres sagen können?! Immer nachdem ein Moment vorübergezogen war, fielen mir tausend andere Antworten ein. Das brachte mir ja auch wirklich viel.
In Gedanken versunken merkte ich nicht, wie sich eine dunkle Gestalt von hinten näherte. "Hey, Süße." ertönte plötzlich eine fremde Stimme. "Was suchst du hier, he?"
All das Wissen über Selbstverteidigung in meinem Gehirn verflog von einem Moment auf den anderen. Das war wohl das, was die Leute Panik nannten. "LASS DAS!" schrie ich mit voller Kraft, während ich um mich trat. Doch dann spürte ich eine große Hand auf meinem Mund.
Gleichzeitig fing mich ein dicker Arm an zu würgen. Ich versuchte, ein letztes mal tief Luft zu holen, und trat dabei kraftlos um mich herum. Mein letzter Gedanke war, dass das eine bescheuerte Art war, zu sterben.
Dann legte sich Dunkelheit über mich.
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