Manches mehr, anderes weniger - Harry
Ich saß im Salon vor dem bodenebenen großen Fenster und blickte auf die Straße unter mir. Im trüben Licht der Dämmerung wuselten die ersten Muggel durch die Gassen auf dem Weg ins Büro, in den Supermarkt oder taten das, was Muggel ebenso taten um diese Uhrzeit.
Ich genoss meinen Kaffee, schwarz und ungesüßt und so stark, dass es mir die Nackenhaare kräuselte. Langsam legte ich meinen Kopf an das kühle Glas der Fensterscheibe und seufzte wohlig auf, als die Wärme von dem bitteren, nachtschwarzen Getränk sich in meinem Innern ausbreitete.
Es war kurz vor sechs Uhr am Morgen und ich war schon seit gut und gerne einer Stunde wach.
Das Schlafen bereitete mir Mühe. In meinen Träumen hatte ich keine Kontrolle über meine Gedanken und die Empfindungen dabei. Alles stürmte ungefiltert und mit voller Wucht auf mich ein und wenn ich aufwachte, musste ich diesen Mist verarbeiten. Ich hatte mir erträumt, dass nach Riddles Abgang alles besser werden würde, ich nicht mehr schlecht träumte, eine Chance auf Glück und Liebe hätte, es allen meinen Freunden gut ginge und ich mein Leben genießen könnte. Doch aus jedem gelösten Problem, bildeten sich neue. Neue Aufgaben, neue Schrecken, neues Leid.
Ich hatte den schrecklichsten aller Zauberer besiegt und doch war ich nicht froh oder glücklich. Ich war erleichtert, ja, denn niemand trachtete mir jetzt noch ernsthaft nach dem Leben. Aber glücklich?
Nein, glücklich war ich nicht. Viel zu viel war zerstört, zu viel war kaputt und zu viele waren tot.
Fred's Tod war einer der schlimmsten, zusammen mit dem von Remus und Tonks. Denn diese bekam nicht nur ich zu spüren, sondern ich musste auch meinen Freunden zusehen, wie sie litten und an den Schmerzen beinahe zerbrachen. Im Moment machte ich mir große Sorgen um Hermine, denn obwohl wir ihre Eltern in Australien gefunden hatten, löste diese Tatsache noch lange nicht das Problem mit der fehlenden Familie. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie die irrwitzige und absolut nicht Hermine typisch, logische Hoffnung gehegt hatte, dass, wenn sie ihre Eltern erst einmal fand, sich der Rest regeln würde. Doch der Zauber, den sie auf ihre Familie gelegt hatte, war stark und konnte nicht so einfach umgekehrt werden. Wie denn auch, sie selbst hatte ihn gewirkt. Hinzu kam, dass Ron nicht mehr er selbst war. Er schien in seine eigene Welt abgedriftet zu sein, seitdem er Freds Leichnam gesehen hatte. Ich selber hatte nur ein, zwei Mal mit ihm gesprochen und mich dann dazu entschieden meinem besten Freund die Zeit zu geben, die er brauchte.
Hermine verstand seine Situation, konnte ihm aber weder helfen, noch ließ er sie an sich ran und so nahm ich Rons Platz ein. Zumindest was den Freund anging, den sie so dringend brauchte.
Sie wohnte auch jetzt noch bei mir im Hause der Blacks und so wie es aussah, würde sich das auch eine ganze Weile lang nicht ändern. Ihre Eltern waren zwar wieder in England, doch die Lage war verfahren und so wird ihr wohl nur die Zeit zeigen können was die Zukunft ihr bringt.
"Harry, Harry wo bist du?" "Salon!", schrie ich. "Welcher?" Ich musste schmunzeln. "Dritter Stock.", rief ich glucksend. Hermine kam völlig außer Puste bei mir oben an. "Ich... phuh, war unten und du... nicht." Sie schnaufte. "Ja, denn ich bin hier.", meinte ich und zeigte überflüssigerweise auf mich und dann auf meinen Kaffee. "Gut, dann hätten wir das ja geklärt." Sie setzte sich mir gegenüber auf den Boden und mopste mir dann die Tasse mit meinem Lebenselixier aus meinen Händen. "Hey...Mine." Ich wollte nach meinem Kaffee greifen, doch sie schlug meine Hand weg und nahm einen tiefen Zug der noch warmen Brühe. "Frechheit...", murmelte ich und angelte noch einmal nach meiner Tasse. Ich bekam sie zu fassen und entwand sie schließlich aus Hermines Klauen. Diese rümpfte die Nase. "Schwarz? Seit wann denn das?" "Weiß nicht...", antwortete ich kleinlaut. Naja, ich wusste es doch, aber das hatte sie nichts anzugehen. Es war kindisch und das brauchte sie nicht zu wissen.
So saßen wir dort, vertrauter als jemals zuvor, auf dem Boden vor dem großen Fenster und sahen den Muggeln zu, wie sie, im Licht der aufgehenden Sonne über London, ihren Tätigkeiten nachgingen. Hermine hatte sich an meine Seite gekuschelt und stibitzte mir ab und an meine Tasse und trank in kleinen Schlucken, nur um immer wieder angewidert das Gesicht zu verziehen. Sie hatte lieber Tee und die Tatsache, dass sie sich keinen machte, verhieß nichts Gutes. Sie wollte reden und zwar über mich und Professor Fledermaus. Sie konnte es einfach nicht lassen! Ja gut, es betraf auch sie. Trotzdem wusste ich nicht, ob ich jetzt schon darüber reden wollte. Sie stellte die leere Tasse neben uns auf den Boden. Ihr Blick richtete sich in die Ferne, meiner lag auf ihr. Die aufgehende Sonne verlieh ihrem Gesicht einen überirdisch schönen Glanz. Wie gern ich diese kleine, aufmüpfige, kluge Hexe doch hatte. Und in dem trüben Licht des anbrechenden Tages sah sie wunderschön aus. Sie hätte Australien auch ohne mich gestemmt, da war ich mir sicher. Doch bei allem, was wir erfahren haben, war ich froh, dabei gewesen zu sein. "Lass es raus, Mine. Sag schon, was dich beschäftigt." "Ich wollte nicht... naja eigentlich schon, aber ich dachte, ich warte noch etwas damit, bis du bereit bist."
Ich seufzte: "Ich bin bereit, reden wir darüber." Das war gelogen und das wusste sie. Dennoch, es wurde Zeit, darüber zu reden, was in Australien passiert war. Denn Hermines, wie auch mein Leben, hatte auf dieser Reise eine nicht umkehrbare Wendung genommen.
"Alles ist miteinander verbunden. Manches mehr, anderes weniger." "Mhm...", brummte ich zustimmend. Sie zitierte Thau, den Bruder von Lenath, die Aborigine Zwillinge, die wir in der Nähe von Gladston auf einer Farm kennengelernt hatten. Wir fragten uns gerade durch die Gegend, ob jemand die Familie Granger kannte und wollten an unserem dritten erfolglosen Tag eigentlich schon aufgeben, doch da kam uns Lenath mit einem großen Stoffbeutel in den Armen entgegen. Ich hätte erst gar nicht auf sie geachtet, doch der Beutel, den sie trug, bewegte sich und sie murmelte beruhigend, in einer der vielen Sprachen der Aborigines auf den Stoffklumpen ein. Hinter ihr lief Thau, wie wir später erfuhren. Aus seinem Klumpen lugten zwei lange, braun graue Ohren hervor und als die zwei unsere, ohne Zweifel sehr verdatterten Gesichter sahen, kamen sie lachend auf uns zu. Sie sprachen English und erklärten uns, dass dies hier eine Känguru-Auffangstation sei. Sie luden uns ein, zu bleiben und uns die Farm anzusehen. Es stellte sich schnell heraus, dass die zwei Geschwister, wie auch wir, magisches Blut in sich trugen. Während unseres Aufenthalts im Land der Regenbogenschlange, besuchten wir die Zwillinge auf ihrer Farm noch einige Male. Hermine war fasziniert von ihrer Kultur und ihrem Glauben und nachdem wir ihre Eltern tatsächlich ausfindig gemacht hatten, war sie mit ihren Fragen nicht mehr zu bremsen. Die Kinder der Traumzeit, wie sie sich nannten, wurden zu unseren Freunden und am Abend vor unserer Abreise fiel uns, naja vor allem Hermine, die sich mit Lenath wirklich gut zu verstehen schien, der Abschied schwer. Sie schenkten jedem von uns ein Armband. Ein grobes Lederband, an dem zwei Anhänger baumelten. Ein Känguru, geschnitzt aus irgendeinem hellen Holz und ein Stein. Der Stein war weiß, wie das Innere einer Muschel, doch bei genauerer Betrachtung viel mir auf, dass er, im Licht der Sterne und der Lampen auf der Veranda, in allen nur erdenklichen Farben zu schimmern schien."Das ist ein Traumstein oder ein Seelenstein, wenn ihr wollt.", sagte Thau und als ich ihn fragend anstarrte, lachte er. "Na, ihr seid beide schon euren Zwillingsseelen begegnet, deswegen ist das doch der passende Stein." Mein Blick glitt von dem Stein in meiner Hand zu Hermine und ich kam mir plötzlich vor wie in Snapes Unterricht, wenn ich etwas nicht verstand und mir von Hermine Hilfe erhoffte. Aber auch auf ihrem Gesicht prangte ein seltenes, aber jetzt riesengroßes Fragezeichen. Thau bemerkte unsere Ratlosigkeit: "Euer Traumgefährte...? Eure Gemini-Seele...? Phuu, mhm... euer Yin zu eurem Yang?" Er wollte sich gerade weiter in Rage reden, als Lenath ihn unterbrach. "Bruder, sie kennen die Geschichten nicht, sie sind zu modern." Zu modern? Mir war schon bewusst, dass sie mich in keinster Weise beleidigen wollte und doch lösten ihre Worte in mir ein Unbehagen aus, dessen ich mich schämte. Ich fühlte mich wie der letzte Greenhorn, ein naiver Großstadtjunge, ein reicher Schnösel, obwohl ich das ja nie war. "Was ist eine Zwillingsseele?" Hermines Frage durchbrach mein Unbehagen und ich musterte die Geschwister nun interessiert. Thau öffnete seinen Mund und wollte zu einer Antwort ansetzten, schloss ihn dann aber wieder und überließ Lenath das Wort. An diesem Abend und auch noch in dieser Nacht unter den Sternen, die uns so vertraut schienen und doch nicht unsere waren, erfuhren wir viel über die Traumzeit, die drei großen Tiere und über die Geisterwelt der Aborigines. Alles ist miteinander verbunden. Manches mehr, anderes weniger. Sie erklärten uns, dass jede Seele nur ein kleines Stück der großen Traumzeit sei. Jede Seele habe einen Gemini, einen sich ergänzenden Teil, der das Gleichgewicht und die Ruhe in die Träume bringt. Familie gehöre auch dazu und laut den Aborigines waren es nicht die Blutsbande, die in diesen Familien vorherrschten oder wichtig waren, sondern die Träume oder die Seelen, wie sie es nannten.
"Wir beide haben unsere Zwillingsseele gefunden, Harry. Wir sind ihnen schon begegnet." "Ich weiß.", seufzte ich und stieß betrübt die Luft aus meinen Lungen. "Was ich aber nicht weiß ist, wer es ist.", brummte ich trotzig. "Ach komm schon, Harry! Sei ehrlich zu dir. Du hast einen Verdacht." Sie löste sich von meiner Schulter und grinste mich spitzbübisch an. Ich gähnte herzhaft und als sie mich danach immer noch mit blitzenden Augen musterte, gestand ich mir ein, es war nicht nur ein Verdacht, sondern ich hegte auch die Hoffnung, dass sich dieser Verdacht bestätigen würde. Es war irrational und dumm und definitiv selbstzerstörerisch und mir war bewusst, dass ich keine Ahnung hatte, auf was ich mich einlassen würde. Wahrscheinlich auf einen Kampf, nein, eher eine Schlacht, ein Gemetzel. Aber wenn es stimmte und er mein Yang zu meinem Yin war, was sollte da noch schief gehen? So ziemlich alles, da war ich mir sicher und trotzdem fühlte ich mich auf unerklärliche Weise zu diesem geheimnisvollen und stoischen Mann hingezogen. Ich verlor in seiner Gegenwart beinahe meinen Verstand und mein Körper reagierte mit solch einer Heftigkeit auf ihn, dass ich mich immer noch darüber wunderte, dass damals im Verhörraum niemand etwas von dieser beinahe greifbaren Spannung mitbekam. "Ja... du hast Recht, Mine", sagte ich mit mehr Bitterkeit in der Stimme als ich eigentlich wollte. "Immer, wenn ich an dieses Gefährten-Ding denke, blitzt automatisch das Bild des Giftmischers in meinen Gedanken auf." "Nenn ihn nicht so." "Aber ich hab doch recht...!", empörte ich mich.
Sie lehnte sich wieder an mich und verschränkte meine Finger mit ihren. "Severus Snape... Severus, Sev?", murmelte ich vor mich hin. Der Name fühlte sich komisch an auf meiner Zunge, doch die Gefühle, die er tief in meinem Innern auslöste, waren nun mal da und daran wollte und konnte ich nicht rütteln. Ich ließ mich von Wärme, die sich in meinem Herz ausbreitete, durchfluten und dachte zurück an den Endkampf. Wie sollte ich es anstellen? Wie konnte ich Severus Snape näher kommen? Mit Charme? Den hatte ich nicht. Mit Hartnäckigkeit? Ja, das wird es wohl sein. Aus jedem gelösten Problem entsteht ein neues, wie wahr.
"Ich hoffe, meiner ist Ron." Ich erstarrte und nahm dann aber die kleine Hexe in meinen Arm. Ich war mir sicher, dass nicht Ron ihr Gefährte war, doch das konnte ich ihr jetzt noch nicht sagen, es musste warten.
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