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Seit wir im Krankenhaus sind, fühle ich mich nur noch erschöpft. Grob habe ich mitbekommen, was wegen Kaia passiert ist, aber selbst die anderen Anteile wissen nicht, was der Auslöser für ihr seltenes Erscheinen war.
Verdrängen konnte ich den Vorfall erst, als ich Felix bei mir am Bett gesehen habe. Die Freude, ihn endlich wiederzusehen, hat meine anhaltende Erschöpfung und Müdigkeit vertrieben, doch nach wenigen Minuten bin ich erneut eingeschlafen.
Das nächste Mal wache ich am frühen Nachmittag auf. Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass es bereits Dienstag ist. Felix ist leider nicht mehr da, aber da gerade Prüfungen sind, vermute ich, dass er in der Uni ist.
Ahri? Ein anderer Anteil ist mit im Bewusstsein und ich vermute, dass es sich dabei um Ahri handelt. Tatsächlich antwortet sie mir: Hallo Hyunjin, wie geht es dir? Sie versucht zwar, es nicht zu zeigen, aber ich merke, dass ein besorgter Unterton in ihrer Stimme mitschwingt.
Insgeheim ist Ahri wie eine Mutter, die sich ständig um ihre Kinder sorgt, wobei es sich in diesem Fall um mich und die anderen Anteile handelt. Mir geht es besser, erwidere ich und meine es auch wirklich so. Seit ich mich zumindest halbwegs mit meinem Freund ausgesprochen habe, fühle ich mich nicht mehr so schuldbewusst. Doch ich weiß immer noch nicht, wie ich Felix alles erzählen soll.
Kopf hoch, du bekommst das hin, ermutigt Ahri mich und fährt gleich darauf fort: Ich bin mir sicher, dass er dich unterstützen wird. Vielleicht kommen wir mit seiner Hilfe auch von ihnen los. Mit „ihnen" meint Ahri wohl unsere Erzeuger. Sie sind der Grund, warum ich in den letzten Tagen kaum anwesend war - sie und ihre absolut lächerliche Idee, mir eine Freundin aufzudrängen.
Natürlich wissen sie nicht, dass ich schwul bin. Geschweige denn, dass ich nicht die einzige Person in diesem Körper bin. Sie würden es ohnehin nicht glauben, also warum es versuchen?
Eigentlich hätte mich ihr Vorhaben nicht so sehr treffen dürfen, aber tief in mir besitze ich noch immer eine Verbindung zu diesen Menschen, weshalb es ihnen auch gelingt, mich immer wieder zu kränken. Außer mir stehen auch die Littles unseren Erzeugern emotional näher. Für die Kleinen sind sie wohl Vertrauenspersonen, einfach weil sie unsere biologischen Eltern sind - trotz der schlechten Behandlung, die sie sowohl uns als auch den Littles zukommen lassen.
Ich glaube, mit Felix' Hilfe können wir es schaffen, meint Ahri mit voller Überzeugung, was mich tatsächlich zum Lächeln bringt. Vielleicht hast du recht, antworte ich zweifelnd, aber auch hoffnungsvoll. Felix hat uns schon viel geholfen. Ich vertraue ihm und deshalb bin ich mir sicher, dass wir dieses Mal wirklich den Kontakt zu unseren Erzeugern abbrechen können.
Ahri, hast du etwas Neues wegen Kaia gehört? Automatisch umfasse ich meinen linken Arm, zucke aber sofort vor Schmerz zusammen. Bisher habe ich mich nicht getraut, den Arm genauer anzusehen. Jetzt wickele ich vorsichtig die Bandagen ab, nur so weit, dass ich sie wieder richtig anlegen kann. Als ich die erste Wunde erblicke, rebelliert mein Magen und ich atme für einen Moment tief durch.
Nein, habe ich leider nicht. Sie hat sich völlig zurückgezogen und da wir uns kaum mit ihr beschäftigen, weiß niemand, wo sie sich aufhält. Ahri klingt niedergeschlagen und spiegelt damit meine eigenen Gedanken wider. Kaia ist ein Persecutor, doch abgesehen von ihrer Rolle ist sie nur schwer zugänglich und die anderen wissen nicht, wie sie mit ihr umgehen sollen.
Dies ist erst das zweite Mal, dass sie den Körper übernommen hat. Beim ersten Mal konnten die anderen Anteile sie noch in Schach halten. Ahri hat mir erzählt, dass Kaia unberechenbar ist. Sie vermutet, dass Kaia Traumaerinnerungen besitzt und dem Körper schadet, weil sie sich nicht anders zu helfen weiß.
Was ich nun gut an den tiefen Wunden sehen kann. Die meisten der länglichen Schnitte heilen bereits gut, nur die Wunde am Rand der Pulsadern am Handgelenk sieht nicht so gut aus. Narben werden sie aber alle zurücklassen. Langsam wickele ich die Bandagen wieder um meinen Arm und lehne mich dann zurück in die Kissen.
In den nächsten Tagen bin ich fast immer anwesend. Felix kommt jeden Nachmittag, um uns zu besuchen, doch ich schaffe es einfach nicht, ihm von unseren Eltern zu erzählen. Jedes Mal, wenn ich dazu ansetze, bleiben mir die Worte im Hals stecken, was mich unglaublich frustriert.
Vielleicht liegt es auch daran, dass ich es nicht über mich bringe, die entspannte Atmosphäre zwischen uns zu zerstören. Zum ersten Mal seit Tagen kann ich mich wieder unbeschwert mit meinem Freund unterhalten. Trotzdem muss ich Felix davon erzählen, auch weil ich ihm nichts verheimlichen möchte. Er soll wissen, dass ich ihm genauso vertraue, wie er mir vertraut.
Fünf Tage nachdem wir ins Krankenhaus gekommen sind, schaffe ich es endlich, den Mund zu öffnen. „Felix? Ich möchte dir gerne erzählen, was genau los war", beginne ich zögernd. Felix setzt sich aufmerksam hin und nickt mir ermutigend zu. Schluckend wende ich den Blick auf die Obstschale, die auf dem kleinen Regal gegenüber meinem Bett steht.
„Wir haben ein schwieriges Verhältnis zu unseren Erzeugern. Sie waren an unseren Traumata beteiligt, was unsere Beziehung stark belastet." Ich lache kurz bitter auf - das war noch eine ziemliche Untertreibung. Ich weiß zwar nichts Genaueres über die Traumata und was unsere Erzeuger genau getan haben, allerdings weiß ich genau, wie ich mich in ihrer Nähe fühle: klein, verängstigt, unterdrückt und panisch.
Ich will gar nicht wissen, wie sich die Anteile fühlen, die die Traumata erlebt haben.
„Vor drei Wochen haben sie uns besucht..." Ich erzähle Felix, dass sie mir eine Freundin vermitteln wollen und wie mich ihr Besuch und diese Forderung psychisch erdrückt haben. Felix hört die ganze Zeit zu und als ich stocke, nimmt er meine Hand. Am Ende sitzen wir beide stumm da - ich, weil ich fertig erzählt habe und Felix, weil er das Gesagte verarbeiten muss.
„Wir machen das jetzt kurz und schmerzlos", sagt er entschlossen, woraufhin ich ihn fragend ansehe, da ich nicht weiß, was er meint. „Kannst du mir dein Handy geben?" Ohne zu zögern, händige ich ihm das gewünschte Objekt aus. Felix tippt etwas, verzieht kurz das Gesicht, tippt wieder und runzelt seine Stirn dabei.
Ein kleines Lächeln huscht über mein Gesicht, als ich ihn dabei beobachte - mein Freund sieht wirklich süß aus. Meine Beobachtungen werden von selbigem unterbrochen, als er mir das Handy unter die Nase hält.
„Ist das so in Ordnung?", fragt er und ich lese überrascht die Nachricht. Felix hat den Chat mit unseren Erzeugern geöffnet und eine Nachricht an sie formuliert:
Ihr könnt eure Bemühungen einstellen, mir eine Freundin zu suchen. Ich bin bereits vergeben. Haltet euch in Zukunft von mir fern. Solltet ihr noch einmal unangekündigt in meiner Wohnung auftauchen, rufe ich die Polizei. Ich wünsche keinen weiteren Kontakt zu euch. Lasst mich einfach in Ruhe - das ist das Beste, was ihr für mich tun könnt.
Sprachlos schaue ich auf und blicke direkt in Felix' erwartungsvolle Augen. Er grinst und auch auf meinem Gesicht formt sich ein breites Grinsen. „Das ist das höflichste 'Fickt euch', das ich je gelesen habe", meine ich und kann mein Lachen nicht mehr zurückhalten.
Felix stimmt in mein Lachen ein und wir schaffen es kaum, uns zu beruhigen. Mit Tränen in den Augen halte ich meinen Bauch, der schon vor Lachen schmerzt und gebe das Handy dann wieder zurück an Felix. „Die Nachricht ist perfekt, aber ich kann sie nicht abschicken. Könntest du das bitte machen?" „Gerne", entgegnet mein Freund und drückt auf „Senden".
Erleichterung macht sich in mir breit und vor Freude ziehe ich Felix an mich, um ihn fest zu umarmen. „Danke, das hätten wir schon vor Jahren tun sollen", murmele ich ein wenig beschämt, aber Felix ist so verständnisvoll wie immer. „Ich verstehe, dass ihr es nicht gemacht habt. Bitte frag mich, wenn ihr Hilfe braucht. Du weißt, dass ich alles für dich und die anderen tun würde."
Er löst sich von mir, gibt mir einen sanften Kuss auf die Lippen und umfasst meine Wangen mit beiden Händen, sodass ich gezwungen bin, Felix in die Augen zu sehen. „Ich liebe dich, Hyunjin!", flüstert er eindringlich, küsst meine Nasenspitze und lächelt mich so glücklich an, dass ich für einen Moment vergesse, wie man atmet.
Dann erwidere ich sein Lächeln ebenso glücklich und zeichne mit meinen Fingern seine Sommersprossen nach, die ich so sehr an ihm liebe. „Ich liebe dich auch", flüstere ich und ziehe Felix näher zu mir, um ihn richtig zu küssen.
Ihr seid so süß, quietscht Ahri auf einmal und ich verdrehe belustigt die Augen, bevor ich sie schließe und das Gefühl von Felix' weichen Lippen auf meinen genieße.
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Manchmal lassen sich Probleme auch ohne großes Drama lösen (selbst in Wattpad-Geschichten 🙃)
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