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TW: Blut
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Vor mir steht nicht Hyunjin. Ich weiß nicht, welcher Anteil es ist, aber die Person vor mir strahlt eine unheimliche und beängstigende Aura aus.
Der durchdringende Blick jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken und lässt meinen Körper erstarren. „Wer bist du?", bringe ich schließlich über meine Lippen und zucke leicht zusammen, als sich die Person plötzlich nähert.
„Ich heiße Kaia", säuselt sie, legt ihren Kopf schief und lächelt mich süßlich an, was die Situation nur noch gruseliger macht.
Mein Körper ist nach wie vor wie erstarrt, weshalb ich nicht zurückweichen kann, als Kaia ihre Hand hebt und mir fast schon liebevoll durch die Haare streicht. „Rot steht dir", kichert sie und tritt wieder einen Schritt zurück. Ich weiß nicht, was sie damit meint, aber Kaia scheint sich sehr über ihre eigenen Worte zu amüsieren.
Als sie aufhört zu lachen, bemerke ich, dass sich zu dem Ticken der Küchenuhr ein neues Geräusch gesellt hat. Es ist ein ebenso gleichmäßiges, dumpfes, fast schon plätscherndes Geräusch, das deutlich näher klingt als die Uhr. Viel näher. Fast so, als befände sich die Quelle des Geräusches direkt neben mir.
Mein Blick, der bisher nur auf Kaias Gesicht gerichtet war, wandert langsam an ihr hinunter. Als ich ihren linken Arm genauer betrachte, verkrampft sich mein Magen. Riesige, dunkelrote Flecken bedecken den strahlend weißen Stoff ihres Pullovers und das Blut, das sich am Ärmelsaum sammelt, tropft in regelmäßigen Abständen auf den hellen Parkettboden.
„Was ist passiert?", hauche ich entsetzt und nehme vorsichtig ihre Hand in meine. Kaia lacht erneut fröhlich und antwortet: „Ich wollte nur ein wenig Farbe haben. Es ist alles so hell und langweilig hier."
Das Zittern meines Körpers überträgt sich auf ihre Hand in meiner. Immer noch fühle ich mich wie erstarrt, mein Gehirn hat die Situation noch nicht verarbeitet und ich versuche einfach, das zu tun, was ich als Arzt in Notfällen tun sollte: meinen Patienten versorgen.
Langsam ziehe ich den blutdurchtränkten Ärmel hoch und offenbare damit die Quelle des Blutes. Tiefe Wunden zieren den gesamten Arm von der Schulter bis zum Handgelenk. Die dunkelrote Flüssigkeit quillt aus den länglichen Schnitten hervor und sammelt sich in Kaias Handfläche, wo sie sich nun auch an meinen Finger festsetzt.
Der durchdringende, eisenhaltige Geruch des Blutes erfüllt die Luft und wird mit jeder Sekunde intensiver, bis ich ihn fast schon schmecken kann. Mein Magen dreht sich um, nicht weil ich kein Blut sehen oder riechen kann, sondern weil mich die schiere Grausamkeit der Wunden überrumpelt.
Zum Glück scheinen die Pulsadern größtenteils unbeschädigt, aber abgesehen davon ist die Situation schrecklich. „Fuck, ich kann das nicht!" Meine rationale Gehirnhälfte hat sich soeben verabschiedet.
Jetzt begreife ich erst, dass vor mir nicht irgendwer steht. Kaia ist ein Anteil des Systems, zu dem auch mein fester Freund gehört und sie ist ein Persecutor. Sie teilen sich den selben Körper, was bedeutet, dass jeder, der frontet, diese unfassbaren Schmerzen erleiden muss.
Am ganzen Körper zitternd lasse ich Kaias blutverschmierte Hand los und sinke zu Boden. Es kümmert mich nicht, dass sich meine Hose mit Blut vollsaugt. Hyunjin und alle anderen, die ich in den letzten Wochen liebgewonnen habe, werden leiden. Ich kann und will sie nicht leiden sehen.
Doch gleichzeitig sträubt sich mein Körper dagegen, Kaia zu helfen. Natürlich braucht sie Hilfe. Aber meine Hände zittern so stark, dass ich nicht einmal mein Handy aus der Jackentasche holen könnte, geschweige denn aufstehen, um zu meiner Jacke zu gelangen.
„Chan... Chan... hilf mir", wimmere ich und vergrabe verzweifelt mein Gesicht in meinen Händen. Kaias schrilles Lachen hallt in meinem Kopf wider und treibt mich fast in den Wahnsinn. Ich fühle mich hilflos, hoffnungslos, ängstlich und verloren. Hyunjin... ich brauche dich...
Ein lautes Geräusch ertönt, gefolgt von einem schmerzerfüllten Keuchen. Sofort nehme ich meine Hände vom Gesicht und registriere nebenbei, dass ich mir das Blut nun auch ins Gesicht geschmiert habe. Doch meine Aufmerksamkeit richtet sich auf den reglosen Körper vor mir.
Ein Adrenalinschub durchfährt mich und geistesgegenwärtig bringe ich den Körper in die stabile Seitenlage. „Kaia? Kannst du mich hören? Kann mich irgendjemand hören? H-Hyunjin..." Zum Ende hin schluchze ich nur noch und während ich den Puls überprüfe, erschüttern Schluchzer meinen Körper. Meine Sicht verschwimmt immer mehr und ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Der Herzschlag ist kaum spürbar und noch immer fließt viel zu viel Blut aus den tiefen Wunden. Verzweifelt lege ich den verletzten Arm auf meinen Schoß und versuche, die Blutung mit meinem Shirt zu stoppen, indem ich es zerreiße und mit einem Streifen den Arm abbinde.
Doch das Blut fließt weiter und vermischt sich mit meinen Tränen, die auf die Wunden tropfen. Alles in mir ist darauf fokussiert, zu helfen und den Körper zu schützen. Immer noch zitternd richte ich mich langsam auf, wobei der leblose Arm von meinem Schoß rutscht. Ich muss Chan anrufen.
Mit diesem Gedanken mobilisiere ich meine gesamte Kraft, um zu meiner Jacke zu gelangen und das Handy aus der Tasche zu holen. Ein kleiner Hoffnungsschimmer keimt in mir auf, als ich es endlich in den Händen halte. Hastig wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und rufe Chan an.
Erleichtert lasse ich mich auf den Boden sinken und beobachte den reglosen Körper, um kein Lebenszeichen zu verpassen. Es tutet einmal, zweimal, dreimal.
Angst, dass Chan nicht drangehen könnte, macht sich in mir breit. Schnell krieche ich zurück zu Kaia und ergreife ihren linken Arm, um den Puls zu überprüfen. Kaum spürbar und viel zu unregelmäßig. Angstschweiß bedeckt meine Stirn und ich drücke das Handy noch fester an mein Ohr, um nichts zu verpassen.
„Hey Felix, ist alles-", meldet sich Chan endlich und ich unterbreche ihn sofort. „Ruf einen Krankenwagen", flüstere ich und umklammere den Arm noch fester. „Was ist passiert?" Chan klingt besorgt und ich höre durch die Leitung, wie er die Haustür aufreißt und die Treppe hinaufstürmt.
„Einen Krankenwagen", wiederhole ich eindringlicher, dann rutscht mir das Handy aus meinen blutverschmierten Fingern und fällt auf den Boden. Ich kümmere mich nicht mehr darum. Das Einzige, was ich tue, ist, das Handgelenk mit beiden Händen zu umklammern und den Herzschlag zu erspüren.
Auch als Chan in die Wohnung stürmt, während er mit dem Notruf telefoniert, schaue ich nicht auf. Die nächsten Minuten ziehen sich endlos hin. Chan sitzt neben mir und spricht mit mir, aber seine Worte prallen an mir ab. Ich nehme nichts wahr, außer den kaum spürbaren Herzschlag, an den ich mich klammere.
Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass fremde Leute versuchen, mich von dem leblosen Körper wegzuziehen. Ich weiß, dass ich mich gewehrt habe und laut meiner Erinnerung habe ich auch geschrien und um mich getreten, aber der Herzschlag wurde mir dennoch genommen. Danach wird alles verschwommen und durcheinander.
Das Geräusch eines Krankenwagens vermischt sich mit dem aufdringlichen Piepen eines Geräts und dem hektischen Gemurmel mehrerer Personen. Irgendwann verliere ich das Bewusstsein und falle in einen traumlosen, tiefen Schlaf.
Als ich wieder aufwache, liege ich nicht in meinem vertrauten Bett. Um mich herum ist alles strahlend weiß und für einen Moment muss ich die Augen schließen, weil ich vom Licht geblendet werde. Mein Kopf fühlt sich merkwürdig an, als wäre ich unter Wasser.
Alles bewegt sich träge hin und her, was mein logisches Denken stört. Ein Fenster kann sich nicht bewegen und doch sehe ich es vor mir, als würde das Glas flüssig sein und jemand es mit seinen Fingern anstupsen. Von dem Anblick wird mir schwindelig, weshalb ich die Augen wieder schließe und tief durchatme.
„Das legt sich wieder. Sind nur die Nachwirkungen einer Beruhigungsspritze", dringt eine vertraute Stimme an mein Ohr. Vorsichtig öffne ich die Augen wieder und setze mich auf, wobei mir schon weniger schwindelig ist. „Chan?", krächze ich und bemerke erst jetzt, wie staubtrocken mein Hals ist.
„Ja, du bist im Krankenhaus, Felix", erwidert mein Cousin mit erschöpfter Stimme, doch er lächelt mich trotzdem erleichtert an. Es sieht so aus, als wäre er schon lange wach gewesen, so tief wie die Augenringe sind, die sein Gesicht zieren. Hat er gerade gesagt, dass ich im Krankenhaus bin? Aber warum?
Der letzte Schwindel verfliegt und endlich kann ich wieder klar denken. Sofort strömen tausende Bilder auf mich ein. Blutige Bilder, die einen leblosen Körper zeigen.
„HYUNJIN!"
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Ich bin gespannt, was ihr von diesem Kapitel haltet 👀
Falls Fragen aufkommen, fragt mich immer gerne :)
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