Die fünfzehnte Narbe
"Haben wir irgendeinen Anhaltspunkt, wohin wir müssen?", schnaufte Dane und keuchte laut auf.
Hatte der Typ Asthma oder warum rühmte er sich so ein toller Spezialist zu sein, wenn er nicht einmal einen Marsch wie diesen schaffte?
Riven hatte Dane einmal gemocht. Jedenfalls hatte es ihm gefallen, wie Dane zu ihm aufgeblickt und ihn bewundert hatte. Er hatte, ohne es zu hinterfragen, seine Spielchen gespielt. Mit Dane. Und mit Beatrix. Er vermisste sie. Sehr. Nur wusste er nicht, ob er für sie irgendeine Bedeutung gehabt hatte. Vielleicht war er auch nur ein Spielchen gewesen. So wie Dane für Riven.
Nichts davon war zwingend echt gewesen, oder? Beatrix hatte ihn zwar gemocht, aber doch nicht ihn um seiner selbst willen. Oder? Niemand schätzte ihn dafür, dass er Riven war.
Er vertrieb die Gedanken.
Die Truppe hatte das Luftfahrtzeug in sicherer Entfernung vom Berg abgestellt, war losmarschiert und mittlerweile im Berg angekommen. Sie hatten sich bei irgendeinem Loch durchgezwängt, wahrscheinlich ein Fuchsloch oder was auch immer.
"Nein.", knirschte Riven mit den Zähnen. "Wir finden einen Weg."
"Ich möchte ja nicht deinen Anflug von Idealismus und Hoffnung zerstören, tut einmal gut, wenn du nicht so pessimistisch drauf bist, nur verspreche ich dir, dass wir drauf und dran sind uns zu verirren.", murmelte Terra in seine Richtung.
Riven erwiderte nichts und ging voran. Die anderen folgten ihm etwas niedergeschlagen. Ihm war es egal, was sie dachten. Er wusste, dass im Berg die Lösung zur ganzen Mission lag. Er schüttelte den Kopf. Sein Spezialistenverstand hatte ernsthaft noch die Mission im Sinn? Es gab keine Mission mehr. Silva und Dowling würden nichts tun. Sie waren Feiglinge oder etwas weitaus Größeres lag im Busch, was sie ihm nicht mitteilten.
Riven holte Luft. Er war hier wegen Musa. Einzig und allein Musa zählte jetzt.
Ihr Wohlbefinden.
Ihr Überleben.
Sein Brust verkrampfte sich bei der Überlegung, was alles schief gelaufen hätte sein können, seitdem er sie bei Laurin auf ihr Flehen hin gelassen hatte und nach Alfea zurückgekehrt war.
Er spürte, wie sein Herz brechen würde, bis nur mehr ein Loch in seiner Brust wäre.
Nur warum kümmerte es ihn?
Flora holte zu ihm auf und musterte ihn: "Wir finden sie."
"Ich hoffe es.", wisperte er verzweifelt.
WARUM würde er jeden Moment die Nerven hinwerfen? Ihm glitt alles aus den Händen. Er hatte keine Kontrolle. Machtlos. Er konnte nur weitergehen und hoffen.
Riven hasste Hoffnung. Hoffnung war etwas Scheußliches. Sie ließ dich flehen, betteln, auf die Knie gehen.
"Ich würde auch gerne wissen, wo sie steckt.", lachte jemand und trat der Truppe entgegen. Riven lenkte die Taschenlampe, ein Teil der Ausrüstung vom Luftfahrzeug, in die Richtung der Stimme. Ehe der Lichtschein die Silhouette vor ihnen beleuchtete, wusste Riven ohnehin, zu wem sie sprachen.
Er bebte.
"Laurin.", knurrte Riven voller Hass, "Wo ist Musa?"
Seine goldenen Haare fielen ihm ins Gesicht. Er wirkte gar nicht mehr so königlich, sondern einfach nur ausgelaugt. Seine Kleidung war schmutzig, sein Gesicht zerkratzt und die Haare hingen ihm wie gesagt auch herunter.
Riven musste schmunzeln: "Ah, sie hat dich ziemlich fertig gemacht, nehme ich an? Steht dir."
"Deine kleine Feenfreundin ist ein Biest!", fauchte Laurin und ballte die Fäuste. Sein Blick fiel auf die anderen: "Du hast Verstärkung mitgebracht, wie schön. Unserer Zusammenkunft liegt jetzt nichts mehr im Wege."
"Von was redet der Typ?", rief Terra verwirrt aus.
"Keinen Schimmer.", flüsterte Dane und hustete.
Riven kochte vor Wut. Es kümmerte ihn nicht, was Laurin schon wieder plante.
"Bist du taub? Ich habe dich etwas gefragt, wo ist sie?", Riven packte Laurin am Kragen seiner schwarzen Jacke.
"Das würdest du gerne in Erfahrung bringen, nicht wahr? Zerfrisst es dich? Glaub mir, jemanden zu lieben, bringt dir nur Schmerz.", hauchte Laurin, so dass nur Riven es hörte.
DARUM ALSO.
"Spiel keine Spielchen.", warnte ihn Riven und schleuderte ihn gegen eine Seite der Höhlenwand.
Liebe. Fast hätte er gelacht. Liebe war ein gefährliches Spiel und Riven hatte sich geschworen, nie mehr zu spielen. Nicht so. Nicht darum. Nicht, wenn jemand dein Herz aus der Brust reißen konnte.
Laurin lachte. Er schien nicht im Geringsten besorgt zu sein. War ihm Musa nicht entflohen, wie er implizierte? Oder verlief alles nach Plan für ihn? Riven hasste es, dass er nicht wusste, was vor sich ging.
"Riven, weißt du was? Oder sollte ich Kyle sagen? Ich bin auch nur ein Glied in der Kette. Ich führe nur den Teil aus, der mir zusteht. Ich habe mir diesen Teil zwar anders vorgestellt, aber das Schicksal hat Wege, die sich erst mit der Zeit offenbaren. Es passiert so, wie es vorherbestimmt ist. Musa wird Osiris befreien.", plapperte Laurin vor sich hin.
"Osiris?", kam Flora nach vorne. "Wie Isis und Osiris?"
Laurin nickte: "Man kennt sie aus der Menschenwelt. Isis wurde ein Planet und Osiris zum Berg. Es wird prophezeit, dass Osiris befreit wird. Sein Geist wird auferstehen und Isis in ein neues Zeitalter führen."
"Ist Osiris nicht der Herrscher über die Unterwelt?", hakte Flora nach.
"Warum glaubst du, dass wir unter einem Berg sind?", lächelte Laurin.
"DAS HAT NICHTS MIT MUSA ZU TUN!", schrie Riven ihn an. Er verlor die Geduld. Endgültig. "ICH MUSS SIE FINDEN!"
Darum.
Darum.
Darum.
Darum.
Darum.
Darum.
Darum.
Riven schaffte es nicht, sich dagegen zu wehren. Gegen diese Angst, sie zu verlieren. Er zog eine Pistole aus seiner Jacke. Menschenwaffen waren effizient als Schwerter. Der Schaft der Waffe fand Laurins Schläfe. Riven sah ihn todernst an.
"Sie hat eine unglaubliche Macht, Riven. Wir können sie dir nicht zurückgeben.", entgegnete Laurin seelenruhig.
Wir? Wer? Der Berg/Osiris und er? Das wurde zu verrückt für seine Vorstellungskraft.
Er wollte Laurin nicht töten, aber er aktivierte mit einem Knopfdruck die Waffe.
"Du hast nur eine Chance. Kooperiere oder...", fing Riven an.
Terra schnappte entgeistert nach Luft: "Riven, du kannst ihn nicht umbringen!"
"Nicht? Was schlägst du stattdessen vor? REDEN?!", rief er über seine Schulter, jedoch ließ er Laurin keine Sekunde aus den Augen.
Gut, er würde ihn nicht töten. Nur ein wenig verletzen? Ein Schuss in die Beine? Ein Schuss in die Schulter? Ein wenig Folter für eine Information?
Laurin lachte, als hätte Riven einen Witz gemacht. Er hielt diesen Psychopathen nicht aus. Dann lachte Laurin nicht mehr. Er schrie. Riven hatten den Abzug betätigt und in seinen rechten Oberschenkel geschossen.
"Ups.", zuckte Riven mit den Schultern.
Laurins Schreie verstummten. Er stürzte sich auf Riven und schlug ihm die Waffe aus der Hand. Fäuste flogen. Die beiden stürzten den Tunnel hinunter. Terra eilte ihnen nach.
"Verdammt, wartet! Da unten ist ein Abgrund. Ich kann die Senkung der Erde wahrnehmen. JUNGS!", ihre Stimme überschlug sich panisch.
Weder Riven noch Laurin hielten an.
Der Rest der Truppe rannten zur Klippe, die mitten im Berg aufgetaucht war. Riven und Laurin waren längst nicht mehr da. Eine schattenhafte Figur schwebte stattdessen über dem Abgrund. Flora presste verstört die Lippen aufeinander und versuchte nicht zu schreien. Sie kannte die Gestalt aus den Mythen. Osiris. Eine der einflussreichsten Magier der Anderswelt. Sogar die Menschen kannten ihn als ägyptischen Gott.
Doch er war nur ein Schatten... Er war im Berg gefangen. Eingekerkert für die Ewigkeit.
Er bewegte seine bleiche, knochige Hand über den Abgrund. Zwei Lichter blitzten auf.
Ich traute meinen Augen nicht, als ich Flügelschläge hörte und daraufhin zwei Gestalten auf mich zurasten.
Ich war eingeschlafen, nachdem die versklavten Menschen mich einfach eingesperrt hatten. Das kleine Kind hatte mich in meiner Ohnmacht zu den anderen gebracht. Dafür hatten diese mich sofort in eine riesige Zelle, die nach oben hin offen war, verfrachtet. Ich wollte sie RETTEN, aber sie schienen loyal gegenüber Laurin zu sein. Es war mir nicht möglich gewesen mit jemanden zu sprechen. Ich war hier aufgewacht, hatte inzwischen eine Mahlzeit bekommen und sonst nichts. Wenn ich jemand an mir vorbeikam, ignorierten sie mich. Sie sprachen kein Wort mit mir. Das Kind war auch nicht wieder erschienen.
Ein weißer und ein schwarzer Rabe kollidierten mit dem Boden. Ich presste mich an die Wand und wollte schreien, aber der Schock saß zu tief für jegliche Reaktion.
Die Raben verwandelten sich.
Vor mir lag Laurin.
Und Riven.
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