31 | the why
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Fassungslos starre ich auf das Chaos, das sich vor meinen Augen entfaltet hat.
»Wieso?«, ist alles, was ich hervorbringen kann.
Matt wirft die Pistole von sich, als würde er sie keine Sekunde länger als nötig in der Hand halten wollen. »Ich habe dich gewarnt. Ich habe gesagt, du sollst nichts alleine unternehmen, weil ich wusste, dass-«
Zum Prasseln des Regens gesellt sich das Geräusch mehrerer Polizeisirenen. Ich schließe die Augen für einen Moment und atme tief ein. Seltsamerweise fühle ich mich kein Stück besser als vorher. So viele Gedanken fahren in meinem Kopf Achterbahn. Jetzt erst erlaube ich mir, diese Fragen zuzulassen. Wieso ist Matt mit gefolgt? Woher wusste er, wo ich hinwollte, und wie kam er hierher? Ist Alekto wirklich tot? Wie soll ich verschwunden sein, bis die Polizei eintrifft?
»Ich bringe uns von hier weg«, sagt Matt.
»Danke, aber ich finde schon alleine raus.« Mit dem Saum meines Kleides wische ich den Griff der Pistole ab, werfe das Magazin aus und lege sie auf das Fensterbrett.
»Die Polizei wird jede Sekunde durch die Tür kommen, das schaffst du nicht!«
Ruppig drehe ich mich zu ihm um und piekse ihm mit einen Finger in den Brustkorb. »Nur weil ich das letzte Mal, als du mich ›retten‹ wolltest, unter Drogen stand bedeutet das nicht, dass mich ich dieses Mal bedingungslos von dir wegteleportieren lasse.«
»Judy...«, sagt Matt, und seine Stimme ist wieder so normal wie vorhin noch während des Tanzes.
»Geh!«, schreie ich ihn an und schlage seine Hände weg. »Was auch immer diese Kräfte mit dir machen, ich will nichts damit zu tun haben! Du predigst von friedlichen Lösungen, aber wenn es dann darauf ankommt, wirst du auf einmal zum Berserker! Ich hätte Alekto diese Kugel verpassen sollen. Was hast du schon mit ihr zu tun? Sie hat meine Mum umgebracht, und Nadias Familie, und wahrscheinlich Hundert andere!«
»Du hättest niemals abdrücken können.«
»Achja? Und das weißt du woher? Hast du seit neustem auch noch hellseherische Fähigkeiten entwickelt?«
»Die Visionen habe ich schon lange nicht mehr. Es war nur... ein Gefühl.«
Die Sache mit den Visionen, die uns letzten Sommer erst in den ganzen Schlamassel reingeritten haben, habe ich schon beinahe vergessen. Die Polizeisirenen sind nun so laut, dass die Fahrzeuge direkt vor dem Gebäude stehen müssten
»Und meine Gefühle bedeuten dabei wohl nichts?«, sprudelt es aus mir heraus. Was rede ich denn da? Ich sollte mich lieber aus dem Staub machen, solange noch Zeit dafür bleibt. Irgendwo im Gebäude höre ich schwere Schritte die Treppen hochtrampeln.
»Reden wir jetzt wirklich über Gefühle?«, fragt Matt.
»Weißt du was, vergiss es einfach. Verschwinde von hier.« Ich springe aus dem zerbrochenen Fenster und lande auf dem Gitter der Feuertreppe. Wind und Regen peitschen mir die Haare ins Gesicht. Es ist so dunkel, dass ich kaum etwas erkennen kann, doch zumindest wo die eine Treppenstufe aufhört und die nächste anfängt.
»Du kannst da nicht raus«, ruft mir Matt hinterher.
»Das bin ich doch schon, Idiot.« Mein Kleid ist innerhalb weniger Sekunden komplett durchnässt, und das zusätzliche Gewicht stört meine Gleichgewichtslage.
»Du wirst abrutschen und dann-«
»Halt die Klappe!« Ich muss hier weg. Schnell. Weg von Matt, weg von der Polizei, weg von Alektos Leiche. Hastig renne ich die rutschige Treppe runter. Ich schiebe meine Brille hoch. Noch zwei Stockwerke. Als ich um die Ecke biegen will, findet mein Fuß plötzlich keine Stufe mehr. Auch meine Hände haben den Halt des Geländers verloren, und ich schlittere geradewegs über den Rand der Feuertreppe hinweg. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Mit meiner rechten Hand schaffe ich es gerade so noch, mich am Rand festzuhalten.
Da hänge ich also. Sechs Meter über dem Boden an der Seite eines Bürogebäudes. In einem triefenden, roten Homecoming-Kleid. Schlimmer kann der Abend nicht laufen. Das ist doch alles ein schlechter Scherz. Vielleicht befinde ich mich in einem Traum, und wenn ich mich jetzt fallen lasse, wache ich zwischen weichen Kissen wieder auf.
Mein ganzer Körper protestiert als ich versuche, nach links zu schwingen und Halt für meine Hand zu finden. Weiter oben im Gebäude gibt es ein Krachen und viel Gebrüll. Ich sehe nach unten. Durch den herunterfallenden Regen entsteht ein Effekt, der in mir ein Schwindelgefühl auslöst. Ein weiteres Mal bemühe ich mich, meinen patschnassen Körper nach oben zu ziehen. Lange werde ich diese Position nicht mehr halten können. Ich spüre, wie sich meine rechte Hand vor Schmerz verkrampft. Wehe, du lässt jetzt los.
Quälend langsam, Finger für Finger, rutscht meine Hand vom Gitter ab.
Mein nächster Gedanke ist: Ich falle.
Mein Übernächster: Wo bleibt der Boden?
Ich blicke nach oben. Durch den Regen ist mein Blickfeld eingeschränkt, aber es ist einfach zu offensichtlich, wessen Hand es ist, die meinen Unterarm umklammert.
»Du solltest von hier abhauen!«, rufe ich Matt durch den Regen zu.
»Und dich deinen Dummheiten überlassen? Nie im Leben.« Mit einem Ruck zieht er mich hoch auf die Plattform. Jetzt stehen wir uns ganz nah gegenüber. So nah, dass unsere nassen Klamotten aneinanderkleben und sich unsere Nasenspitzen beinahe berühren. »Jetzt verschwinde ich.«
Einen Wimpernschlag später sehe ich ein vertrautes Backsteingebäude neben uns aus der Dunkelheit auftauchen. Wir sind zurück an der Schule, dort, wo wir eigentlich sein sollten.
»Du hast mir versprochen, nichts alleine gegen sie zu unternehmen«, sagt Matt.
»Und du hast mir gesagt, sie umzubringen würde nichts ändern. Was war die größere Lüge?«
Eine Straßenlaterne erhellt Matts Gesichtszüge. Sie sind ernst, doch in seinem Blick liegt ein milder Ausdruck. »Ich wollte nur nicht, dass du sie tötest. Wenn dir die Agentin nicht geholfen hätte - ich hätte mit dir einen Plan ausgearbeitet. Einen sicheren Plan. Vielleicht hätte ich dich bis zuletzt glauben lassen, du dürftest wenn es soweit ist die Waffe in die Hand nehmen, aber ich hätte abgedrückt.«
»Wieso? Wieso hast du mich nicht Mum rächen lassen?« Ich muss meine Stimme anheben, damit sie nicht im Geprassel des Regens untergeht.
»Ich habe drei Leute getötet. Und ihre Gesichter verfolgen mich bis heute. Das Töten selbst ist beinahe zu einfach. Ich denke es liegt an den Kräften. Es wird unkontrollierbar. Deshalb wollte ich sie gar nicht anwenden. Was auch geklappt hat. Bis - bis du wieder da warst.«
»Gibst du mir die Schuld?«, frage ich perplex.
»Nicht im negativen Sinne!«, verbessert er sich. »Es ist als - als würden meine Kräfte kontrollierbarer sein, wenn du da bist. Wenn es um dich geht.«
»Das sah damals im Sägewerk aber ganz anders aus.« Matt hatte den Kopf der Killerin so lange gegen eine Wand geschlagen, bis sie bewusstlos geworden ist.
»Das war am Anfang. Danach ist es besser geworden. Und... ich hab festgestellt, dass ich dich mag. Manchmal.«
»Manchmal?« Ich ziehe skeptisch eine Augenbraue hoch. Natürlich wird mir klar, was er da gerade gesagt hat. Dieses subtile Liebesgeständnis löst einen Schauer bei mir aus, der nicht von der Kälte kommt.
»Manchmal kannst du ziemlich nervig sein. Und störrisch. Aber trotzdem bist du irgendwie...« Er zuckt mit den Schultern. »...okay.«
»Okay?«, wiederhole ich. Jetzt grinse ich über beide Ohren.
»Kannst du nicht einmal ein Kompliment annehmen?«
»Das war kein Kompliment, Wonderboy. Das hier ist eins:« Ich ziehe sein Gesicht zu mir ran und lege meinen Mund auf seinen. Mein Herz pocht lauter als der Regen auf dem Dach der Schule. Seine Lippen sind kalt und schmecken metallisch und sauer wie der Regen, und auch ein bisschen nach Punsch und prickelnder Wärme. Wie konnte ich nur so lange warten? Wann habe ich mich das erste Mal gefragt, wie sich seine Lippen wohl auf meinen anfühlen werden? Ich weiß es nicht, und diese Fragen rücken alle in den Hintergrund, denn jetzt stehe ich einfach nur hier im Regen und küsse Matt. So kitschig. So wunderschön. So kurzweilig.
Als ich mich von ihm löse muss ich erstmal tief einatmen. Ich warte seine Reaktion ab.
»Dein erster Kuss?«, fragt er. Seine Augen glänzen im Licht der Straßenlaterne.
»So schlimm?«
Zur Antwort küsst er mich ein weiteres Mal, und diesmal ist es noch wundervoller als vorher. Ich muss grinsen. Matts warme Hände auf meiner kalten Haut erinnern mich an den Regen, der um uns herum die Straßen in Flüsse verwandelt.
»Ist dir kalt?«
Erst jetzt merke ich, dass ich am ganzen Körper vor Kälte schlottere. Kein Wunder. Alles an mir ist triefend nass. Mitte Oktober in einem kurzen Kleid im Regen herumlaufen ist wohl nicht die beste Idee, die ich jemals hatte. Ich werde mir eine fette Erkältung holen. Aber dafür hat es sich gelohnt.
Das hier ist schöner als der Tanz und doch genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Abgesehen von der Sache, die sich vor wenigen Minuten in diesem Bürogebäude abgespielt hat. Es war nicht das erste Mal, dass mir Matt aus einer heiklen Situation rausgeholfen hat. Auch wenn es mir schwerfällt, ich muss zugeben, dass ich es vielleicht doch nicht alleine geschafft hätte. Aber wenn es jemanden gibt, der mir helfen darf, dann ist es Matt. Was nicht heißt, dass ich nicht auch in Zukunft auf eigene Faust riskante Dinge unternehmen werde.
♦
Ich stehe hinter der blankpolierten Glasscheibe und knabbere an meinen Fingernägeln. Neben mir bedient Doctor Banner einige Bildschirme. Matt liegt auf der anderen Seite der Kabine, sein Kopf verschwindet in einem Computertomografen. Immer abwechselnd sehe ich zu ihm, und dann wieder zu Banner. Dieser kratzt sich am Kopf, runzelt die Stirn, kritzelt etwas auf einen Block, streicht es wieder durch, und schüttelt den Kopf.
Ich werde Matt nicht verzeihen können, dass er statt mir die Mörderin meiner Mum umgebracht hat, doch wenigstens habe ich das Warum erfahren. Das medizinische Warum erhalten wir jede Sekunde von Doctor Banner. Ich konnte Matt überzeugen, sich erneut von ihm abchecken zu lassen, da er letzten Sommer nur eine oberflächliche Untersuchung durchlaufen hat.
Schließlich stellt Banner das Gerät ab. »In Ordnung, wir sind fertig«, sagt er.
»Und was ist es, Doc?«, frage ich.
»Hm, es ist, naja, anders als bei den anderen.« Er deutet auf den größten der Bildschirme. Darauf ist in Überlebensgröße Matts Gehirn abgebildet. Oder zumindest eine Aufzeichnung der Gehirnströme, die in den letzten paar Minuten gemessen wurden.
Banner öffnet die Tür der Kabine. Da ich den Schreibtischstuhl in Anspruch genommen habe, muss Matt mit der Untersuchungsliege Vorlieb nehmen.
»Wie geht's dir?«, frage ich.
Er zuckt mit den Schultern. »Nicht anders als vorher.«
Endlich kann ich ihn schamlos die ganze Zeit angucken. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie kann ich mich einfach nicht an ihm sattsehen. Wenn er mich dabei erwischt, grinse ich ihm einfach nur zu.
Jetzt, wo Matt da ist, beginnt Banner mit der Auswertung. »Also, ich bin kein Neurochirurg, und so etwas habe ich noch nie gesehen, aber ich denke es handelt sich hier um eine Form der Alexithymie.«
Von diesem Wort habe selbst ich noch nie gehört.
Banner kreist eine Stelle im vorderen Bereich von Matts Gehirn ein. Die Animation zeigt einen wechselnden Strom aus blauen und schwarzen Flecken. »Ab und zu gibt es einen Ausfall der Strukturen der Amygdala. Und das im fortgeschrittenen Stadium. Irgendwie scheint die genetische Veränderung durch die Gammastrahlung das Gefühlszentrum im Gehirn stark beeinträchtigt zu haben.«
Matt starrt schweigend auf den Bildschirm.
»Ist das auf irgendeine Art tödlich?«, stelle ich die Frage, die ich von seinem Gesicht ablesen kann.
»Nein, zum Glück nicht. Aber wenn die Nutzung der Fähigkeiten weiterhin im hohen Maße erfolgt, kann es zu langfristigen Schäden an der Amygdala kommen.«
»Und wenn ich meine Kräfte nicht mehr anwende?«
Banner schüttelt bedächtig den Kopf. »Mir scheint eher, als wäre das Unterdrücken der Fähigkeiten ebenfalls ein Faktor zur Verschlechterung deines Zustands. Professionelle Hilfe wäre wohl das Beste.«
»Was genau wird geschädigt?«, frage ich. Matt hat Banner nicht die vollständige Liste seiner Probleme präsentiert, aber ich kenne sie.
»Das kann ich nicht genau sagen. Aber die Amygdala verarbeitet die extremen Impulse. Sie verknüpft Ereignisse mit Emotionen und bewertet und speichert diese. Je nachdem was Matthew für Erfahrungen mit seinen Fähigkeiten hatte, sollte es auf eine Störung in diesen Bereichen hinauslaufen.« Er blickt zwischen Matt und mir hin und her. »Hast du dich jetzt doch entschieden, an dem Trainingsprogramm teilzunehmen?«
»Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.«
»Dann solltest du dir das wirklich überlegen.« Banner holt eine Visitenkarte aus einem seiner Ordner. »Wenn du dich entschieden hast, ruf einfach diese Nummer an.«
Matt nimmt das Kärtchen an sich.
»Du musst das tun«, rede ich auf ihn ein, als wir kurz darauf auf den Stufen vor dem Labor sitzen. »Du weißt, ich bin selbst kein Fan von Leuten, die mir sagen was ich tun soll, aber dir wird das helfen.«
»Wie kannst du wissen, ob es tatsächlich funktioniert?«
»Du hast doch gehört, was Banner gesagt hat.« Ich tippe ihm an die Stirn. »In deinem Kopf ist irgendwas schräg. Wenn du deine Kräfte anwendest, spielen deine Emotionen verrückt. Anderseits haben deine Gefühle auch Einfluss auf die Intensität deiner Kräfte. Starke Gefühle. Angst, Hass, Liebe. Solche Sachen. Verstehst du? Und ich denke - nach einer gründlichen Analyse und unter Anwendung meiner absolut hervorragenden Menschenkenntnisse - dass das Unterdrücken deiner Fähigkeiten einhergeht mit dem Unterdrücken deiner Gefühle. Es ist doch so, oder?«
Matt fährt sich mit der Hand durch die Haare. »Du meinst ich sollte es versuchen?«, fragt er zögerlich.
Ich schüttele den Kopf. »Nicht versuchen. Nein, du sollst da hingehen und dir von den Jedi-Meistern beibringen lassen, wie du die Macht kontrollieren kannst.«
»Ich dachte du bist kein Star Wars Fan.«
»Bin ich auch nicht. Aber hier hat die Anspielung gepasst.« Matt sieht immer noch sehr unentschlossen aus. Okay, dann wird es wohl Zeit, meine Überredungskünste bis zuletzt auszuschöpfen. »Matt. Es wird dir helfen. Cass und - und der andere Typ dessen Name ich gerade vergessen habe, der mit dem Todesblick...«
»Xander.«
»...Cass und Xander, die beiden trainieren auch mit denen. Und das läuft bestimmt super.«
»Wann hast du das letzte Mal mit Cass geredet?«
»Also wir... ähm.« Es war erst letzten Dienstag, als wir uns richtig verkracht haben. Trotzdem kommt es mir vor wie Wochen. Cass war nicht mit beim Homecoming-Tanz, wir haben uns in der Schule gegenseitig ignoriert, und alles nur wegen einer Behauptung ihrerseits, die sich schließlich als wahr herausgestellt hat.
»Ich ruf diese Nummer an, wenn du Cass anrufst«, schlägt Matt vor.
»Anrufen? Damit sie auflegt sobald ich auch nur ein Wort sage? Ne, ich fürchte ich müsste schon persönlich vor ihrer Haustür stehen.«
♦
Samstagnachmittag stehe ich vor einer grünlackierten Haustür in einer Straße voller Reihenhäuser. Alle sehen gleich aus, und dieses hier unterscheidet sich nur durch das Klingelschild von den anderen. Westfield. Ich drücke drauf.
»Macht mal bitte einer von euch beiden die Tür auf!«, ruft eine Stimme von drinnen. »Leyla?«
Es verstreichen noch ein paar Sekunden, bis sich die Haustür dann doch öffnet, und mir ein Mädchen mit kritischem Blick die Tür öffnet. Sie mustert mich und verdreht die Augen. »Cass, es ist für dich!«, brüllt sie ins Haus.
Das muss dann wohl Cass' Schwester sein. Sympathische Familie. Ich höre, wie jemand die Treppe runtergelaufen kommt. »Schrei doch nicht so rum, ich hör dich doch«, sagt sie. Ihr Blick fällt auf mich im Türrahmen. »Was willst du? Und woher weißt du wo ich wohne?«
Okay, wie stell ich das jetzt am blödesten an? Am besten komme ich gleich zum Punkt. »Also, wegen letztem Dienstag... Ich sage nicht, dass nicht alles meine alleinige Schuld war, aber einige andere Dinge waren es, und das war wohl nicht so klug von mir.«
Cass sagt nichts und sieht mich abwartend an.
»Und deshalb bin ich hier, um mich zu entschuldigen«, füge ich hinzu.
Sie neigt den Kopf zur Seite.
Ich seufze. »Und um dir zu sagen, dass du eventuell Recht hast.«
»Also? Dann sag es einfach.«
Ich beiße mir auf die Lippe. »Cass, es tut mir leid, du hattest Recht«, sage ich unter extremer Mühe, den sarkastischen Tonfall zu unterdrücken.
»Womit?«
»Mit der Sache mit mir und Matt.«
»Und was tut dir leid?«
Wenn ich jetzt einfach gehe, nach Australien auswandere und dort ein neues Leben anfange, könnte ich mir das alles hier ersparen. »Dass ich so egoistisch war, und mich bei mir über meine Probleme beschwert habe, ohne ein einziges Mal an deine zu denken.«
Cass grinst zufrieden. »Das war alles was ich hören wollte. Komm rein. Ich hab noch irgendwo Popcorn, und dann erzählst du mir vom Homecoming-Ball.«
»Also sind wir jetzt quitt?«, frage ich nach. »Können wir das einfach vergessen? In Geschichte neben einer stummen Wand zu sitzen ist nämlich echt anstrengend.«
Sie schürzt die Lippen. »Kommt drauf an, was du mir zu erzählen hast.«
Ich war noch nie so erleichtert. Das restliche Schuljahr ohne Cass zu überstehen wäre zwar möglich, aber echt langweilig gewesen. Nur mit den Leuten aus meinem Academic Decathlon-Team herumzuhängen ist auch keine Dauerlösung. Mal davon abgesehen, dass ich Winston noch eine Entschuldigung schulde. Mal wieder. Vielleicht wird der arme Kerl es verkraften. Und dann muss ich auch noch Bree erklären, wieso ich plötzlich vom Homecoming abgehauen bin.
Aber zuerst bin ich Cass eine Menge Erklärungen schuldig. Und ich erzähle ihr diesmal alles. Alles über Melissa, McMillan und Alekto, über ihren Mord an meiner Mum, über meine Nachforschungen. Als ich zu dem Teil mit der Jubiläumsfeier komme, beschwert sich Cass, dass wir sie nicht mitgenommen haben. Den Teil mit dem Ereignis am Abend des Homecoming-Tanzes muss ich ihr zweimal erzählen.
»Er hat sie für dich getötet?« Sie lässt sich nach hinten auf ihr Kopfkissen fallen. »Mann ist das romantisch.«
»Romantisch oder eher vollkommen durchgeknallt? Ich weiß es immer noch nicht.«
Cass setzt sich wieder auf. »Er könnte ein Serienmörder sein und du würdest immer noch auf ihn stehen.«
»Jetzt übertreib mal nicht.«
» ›Wow, wie romantisch, erst tötet er jemanden für mich und dann rettet er mich auch noch vor dem Fall in den sicheren Tod‹ «, zwitschert Cass.
»Jetzt wo du es sagst klingt es echt bescheuert«, gebe ich zu.
» ›Und dann küssen wir uns im Regen‹ «, fährt sie in einem schwärmerischen Tonfall fort.
Ich bewerfe sie mit einem Kissen.
Melissa habe ich nicht wiedergesehen. Wenn ihre Mission war, Alekto aufzuspüren und festzunehmen, hat Matt ihr einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Aus ihrer Sicht war es extrem unklug, Alekto zu töten. Denn damit ist auch die letzte der Erinnyen verschwunden, und somit auch jegliche Möglichkeit, ihre Taten zu rekonstruieren. Der neidische Zorn, die Mordrächerin, und die niemals Rastende sind endgültig verschwunden. Niemals werden alle ihre Verbrechen aufgeklärt werden können. Vielleicht ist das auch gut so. Für mich, jedenfalls. Mum ist gerächt, und niemand wird aufs Neue ihren Namen beschmutzen können. Ich muss nicht mit dem Gewissen leben, einen Menschen umgebracht zu haben, und das nur weil sich Matt, der großspurige Held, dazwischen gestellt und diese Last auf sich genommen hat. Idiot.
Dad und Pepper, und auch niemand anderes hat Verdacht geschöpft. Für sie und die Öffentlichkeit sah es so aus, als wären Unbekannte in das Bürogebäude eingebrochen und hätten die Geschäftsfrau Rowan McMillan ermordet. Ihr Tod wird wohl für immer ein Rätsel sein und irgendwann auf BuzzFeed Unsolved landen.
Die einzige Person, die noch etwas ahnen könnte, wäre Natasha. Mit Sicherheit hat sie das Fehlen der Pistole bemerkt, und sie muss gewusst haben, dass ich sie genommen habe. Aber was weiß sie sonst noch? Was auch immer es ist, sie schweigt. Und genau das tue ich auch. Bis auf Matt, Cass und mich, weiß niemand was an diesem Abend geschehen ist. Und ich hoffe, dass zumindest Dad vorerst keinen Verdacht schöpft, was Matt und mich angeht. Nicht, bevor da irgendetwas Offizielles im Gang ist.
Was genau läuft da jetzt eigentlich zwischen uns? Wie nennt man unseren aktuellen Beziehungsstatus? Das, und wie ich mit möglichst wenig Lernen durch die Examen komme, sind wohl zwei Rätsel, über die ich mir noch lange den Kopf zerbrechen werde.
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Okay, wow, ihr wisst gar nicht, wie lange ich auf diesen einen Moment gewartet habe. Slowburn Romanzen sind echt zum verrückt werden. Ist das alles authentisch? Sind jetzt endlich alle ausstehenden Fragen geklärt? Ganz ehrlich, dieser Teil hat mich so machen letzten Nerv gekostet xD
Es wird noch einen Epilog geben, und dann sind wir auch schon wieder fertig ^^
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