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30 | just do it

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»Wenn du jetzt nicht aus deinem Zimmer rauskommst, fahre ich ohne dich!«, dringt Dads Stimme durch meine geschlossene Zimmertür.

»Bin gleich soweit!«, rufe ich zurück. In Wirklichkeit bin ich schon seit einer Ewigkeit fertig angezogen und frisiert. Ich sitze auf meinem Bett und fixiere die Waffe, die ich aus Natashas Kleiderschrank entwendet habe. So verharre ich schon seit einigen Minuten. Soll ich sie einstecken? Oder doch nicht? Werde ich mich nachher noch wegschleichen? Vor Nervosität kann ich das Wippen meiner Füße nicht kontrollieren.

Ich muss es tun. Abrupt stehe ich auf, greife nach der Pistole und versenke sie in meiner Umhängetasche. Sofort kommt sie mir um einige Tonnen schwerer vor. Ein letztes Mal betrachte ich mich im Spiegel. Trotz des Concealers schimmern meine Augenringe hervor. Nachher wird das alles vorbei sein, verspreche ich mir.

»Da bist du ja endlich«, sagt Dad, als ich schließlich in der unteren Etage vorm Fahrstuhl stehe. »Jetzt weiß ich wie sich Happy immer gefühlt hat, wenn er stundenlang auf mich warten musste.«

Feiner Nieselregen legt sich auf die Windschutzscheibe des Autos, als Dad es die Straßen Manhattans in Richtung Brooklyn navigiert. Auf der Brücke über den East River kommt noch ein zweites Gefühl der Nervosität dazu. Winston wird vor der Schule auf mich warten. Ich werde mit ihm tanzen müssen. Er ist schließlich mein Homecoming-Date. Vielleicht sollte ich spätestens jetzt Dad davon erzählen. Wovor habe ich Angst?

»Weißt du, Dad«, sage ich, »ich war eventuell nicht ganz ehrlich, als ich gesagt habe, wir würden als Gruppe von Freunden zum Tanz gehen.«

Dad hört auf, zu den Klängen von Sweet Child O'Mine im Radio mitzusummen und wirft mir einen Seitenblick zu, wobei er eine Augenbraue hochgezogen hat. »Also doch ein Date?«

»Nein, kein Date«, beteuere ich, verdrehe die Augen und lasse meinen Kopf gegen die Rückenlehne fallen. »Es ist mehr so ein... also wir gehen nur als Begleitungen.«

»Und wer ist der Glückliche?«, fragt Dad. An der Ampel schaltet er die Scheibenwischer ein. »Oder sie. Du weißt, das wäre auch okay, vollkommen in Ordnung.

»Es ist ein er«, betone ich, »und er ist in meinem Academic Decathlon Team.«

»Also nicht Wonderboy?«

»Nein.« Ich wende meinem Blick aus dem Fenster. Es ist nicht Matt.

Gerade habe ich noch Regentropfen an der Fensterscheibe gezählt, im nächsten Moment stehen wir auch schon vor der Schule. Ich öffne die Autotür.

Dad beugt sich auf die Beifahrerseite rüber. »Falls was ist, ruf mich an, ich fliege sofort hierher.«

»Fliegen

Er neigt den Kopf und grinst.

Ich verdrehe die Augen. »Bis dann, Dad.« Auf den Stufen vor dem Schuleingang steht Winston. Und er hält auch noch ein Bouquet in der Hand. Als ich auf dem Weg nach oben kurz hinter mich blicke, sehe ich Dads Auto immer noch auf der Straße stehen.

»Hey«, begrüßt mich Winston breit lächelnd, und seine weißen Zähne strahlen mir entgegen. »Das ist für dich.«

»Danke«, sage ich und nehme das Bouquet entgegen. Dad steht immer noch da. »Wollen wir reingehen?«, schlage ich vor. »Die anderen wollten bestimmt auch nicht im Regen warten.«

Alles ist voller Luftballons, Luftschlangen und glitzernder Dekoration. So bunt habe ich die Schule noch nie erlebt. Offiziell beginnt der Ball erst in zehn Minuten, aber ich höre schon Musik und Gelächter. Ich sehe Mrs. Warren, Mr. Cressel und einige andere Lehrer als Aufsichten herumstehen.

»Judy!«, winkt mir eine aufgeregte Bree zu. Neben ihr steht Sebastian, dessen Anzug sehr zerknittert wirkt. Ich winke zurück, sie kommt auf mich zu und umarmt mich zur Begrüßung. »Du siehst toll aus.«

»Du auch«, gebe ich zurück. »Mir gefällt dein Kleid.«

»Es ist wirklich schön, nicht?« Bree schwenkt mit dem leichten pastellerosanen Stoff umher.

In der Zwischenzeit haben Winston und Sebastian sich zur Begrüßung lediglich eine Bro-Fist gegeben.

»Sun ist noch nicht da, aber Sienna und Theo müssten hier irgendwo rumlaufen. Nehmt euch Getränke, ich muss kurz zur Organisation!« Damit ist Bree auch schon wieder weg, was bedeutet, dass Winston und ich alleine neben dem Eingang stehen.

Gerade will ich vorschlagen, zu den anderen zu gehen, da fällt mein Blick auf zwei Neuankömmlinge. Ich versuche nicht zu starren, aber versage kläglich. Matt trägt lediglich ein formelles, weißes Hemd und eine schwarze Hose, ein Outfit das ihm nicht weniger steht als der Smoking, den er zu McMillans Feier getragen hat. Er hat anscheinend versucht, Ordnung in seine Haare zu bringen, doch einige Strähnen trotzen immer noch der Gravitation. Zu meinem großen Missfallen muss ich feststellen, dass seine Begleitung wirklich sehr hübsch ist, so wie Cass gesagt hat. Sophia aus dem Spanischkurs trägt ein hellgrünes Cocktailkleid und offene, goldbraune Haare.

Ich reiße mich von ihrem Anblick los und ziehe Winston hinter mir her ans andere Ende des Auditoriums. Heute will ich mich von Matt so weit wie möglich entfernt halten. Theo und Sienna lümmeln auf den wenigen Stühlen rum, die neben den Tischen aufgestellt sind.

»Schicker Tuxedo«, sage ich zu Theo.

»Eigentlich hatte ich noch einen Hut, aber der ist irgendwie weg.«

»Tragisch. Eigentlich hätte ich nicht gedacht, dich heute hier zu sehen.«

Theo zuckt mit den Schultern und vergräbt die Hände in den Taschen seiner Anzughose. »Ich hatte den Tuxedo. Also wirklich, als Winston hier gesagt hat, er würde mit einem Mädchen zum Tanz gehen, hab ich ihn doch glatt für verrückt erklärt. Und dann auch noch dieses Mädchen-«

»Seid leise«, weist uns Sienna an, als Bree die Bühne betritt. Irgendwie bin ich ihr dafür dankbar. Es ist schon unangenehm genug, schweigend neben Winston herumzustehen.

Bree tippt kurz auf das Mikrofon. »Hey Leute! Danke, dass ihr alle gekommen seid. Das hier ist also unser jährlicher Homecoming-Ball, und es gibt diesmal auch einen Grund zu feiern, denn die Mid Town Tigers haben den wohl verdienten Homecoming-Sieg davongetragen!«

Sie lässt eine Pause, damit alle jubeln können, was auch reichlich getan wird. Die Gruppe um Chase Mills klatscht am lautesten, und irgendjemand ruft »Go Tigers!«

Bree umfasst das Mikro mit beiden Händen und schwenkt nach links. »Zunächst gilt unser Dank natürlich der Schulleitung, die die heutige Veranstaltung erlaubt hat. Danke auch Mrs. Warren und Mr. Mumsford, unser geliebter Hausmeister. So, und jetzt bitte einen Applaus für unseren DJ und viel Spaß heute Abend!«

Die Musik beginnt, und die Leute strömen förmlich auf die Tanzfläche. Bree kommt lächelnd auf uns zu. »Was ist los mit euch? Ihr sollt tanzen!« Sie zieht mich in die Mitte des Raumes und wippt im Takt.

Ich schunkele zunächst nur umher, doch schon nach kurzer Zeit lebe ich den Moment richtig aus. Wie heißt es nochmal? Tanz, als ob keiner zuschaut? Selbst wenn jemand zuschaut, wie ich meine Tanzfähigkeiten zum Besten gebe, was würde mich seine Meinung interessieren? Selbst Sienna, die anfänglich eher gelangweilt wirkte, wippt in unserer Gruppe hin und her. Theo versucht einen Moon Walk, doch wir anderen schütteln nur lachend den Kopf.

Irgendwann legt der DJ ein etwas langsameres Lied auf. Theo bietet Sienna seinen Arm an, sei es nur, um sie zu nerven, doch sie sagt augenverleiernd zu. Mir wird heiß und kalt als ich bemerke, dass statt Bree nur noch Winston neben mir steht.

»Wollen wir tanzen?«, fragt er lächelnd.

Ich kann ihm nur ein gezwungenes Lächeln zurückgeben, seinen Vorschlag aber nicht ablegen. »Klar«, sage ich nur.

Ein sehr unangenehmes Gefühl des Unbehagens macht sich in mir breit. Ich vermeide es, ihn direkt anzusehen. Auf irgendeine Weise tut er mir schon leid. Er war nur mein Plan B, und genau so behandele ich ihn auch. Das ist unmoralisch und egoistisch von mir, aber hey, er kann ja nichts dafür, dass Matt mich abserviert hat.

Während ich unbehaglich mit Winston weitertanze, erwische ich mich immer dabei, wie ich verstohlene Blicke zu Matt werfe, der in der Nähe des DJ-Pults Sophia am Arm kleben hat.

»Ich hole mir was zu trinken«, sage ich zu Winston, da ich es kaum noch aushalte, die Tanzenden länger zu beobachten.

Mit einem Becher alkoholfreien Punsch stehe ich, alleine, am Buffet und überprüfe die Zeit auf meinem Armband. Zehn vor acht. Die Party hat zwar gerade erst richtig begonnen, aber ich werde mich in wenigen Minuten davonstehlen. Bei der Menge an Leuten sicher kein Problem. Den leeren Becher in den Mülleimer werfend mache ich einen Schritt Richtung Ausgang - und werde prompt von jemandem angerempelt.

»Hey«, beschwere ich mich, bevor ich aufsehe und im schummrigen Licht Matt ausmachen kann. »Hey«, sage ich in einem ganz anderen Tonfall. Ich kralle eine Hand in meine Umhängetasche. »Amüsierst du dich auch?« Das kommt vielleicht bissiger rüber als es gemeint ist, aber Matt übergeht meine Frage.

»Sophia ist im Bad«, informiert er mich, obwohl mich nichts auf der Welt weniger interessieren könnte.

»Schön für euch beide, dass ihr doch noch einen Partner für den Tanz gefunden habt.«

Matt dreht den Kopf. »Du bist mit Winston hier.«

»Ja, weil er mich gefragt hat.«

»Und Sophia hat mich gefragt.«

Bree steigt auf die Bühne und greift sich das Mikrofon. »So Leute, genug herumgeschunkelt, jetzt beginnt die Unterhaltung! Schnappt euch die Person neben euch, ganz egal wer, und wenn das Lied wechselt, wechselt euren Tanzpartner!«

Fast hätte ich die Augen verdreht. Ist das hier ein Kindergeburtstag? Zu meiner Überraschung wird das ›Spiel‹ mit wohlwollendem Gegröle angenommen. Ich sehe ein Mädchen aus dem Jahrgang unter uns, das sich bei Winston einhakt und mir wird bewusst, dass nur Matt in meiner Nähe ist. Demonstrativ stecke ich meine Hände in die Taschen meines Kleides. Ich werde ganz bestimmt nicht mit Matt tanzen.

Matt allerdings hat nicht einmal den Anstand, zu fragen.

»Was soll das werden?«, zische ich ihm zu, als er mich auf die Tanzfläche zieht.

»Wir tanzen.«

»Das hättest du dir vorher überlegen können. Zum Beispiel in der ganzen letzten Woche, in der du Tausend Gelegenheiten hattest, mich zu fragen.«

Matt kratzt sich am Kopf. »Ich dachte du hättest schon jemanden.«

»Wen denn?«, gebe ich schnaubend zurück.

»Ich hab Chase reden gehört.«

Ungläubig ziehe ich eine Augenbraue hoch. Ich unterdrücke ein Lachen. »Chase. Chase Mills. Der Idiot in der Ecke da drüben.«

»Ich dachte nur-« Matt stoppt von selbst, nachdem er wohl erkannt hat, wie bescheuert seine Aussage klingt.

»Klar gehe ich mit jedem Kerl aus, der mehr Muskeln als Gehirnzellen besitzt, das ist einfach mein Typ, du hast Recht.« Ich fange Brees Blick auf, die Tanzbewegungen macht und dabei ausdrücklich auf Matt deutet. Seufzend platziere ich meine Arme auf Matts Schultern.

»Was genau hast du jetzt vor?«, fragt er milde überrascht.

»Wir tanzen«, äffe ich ihn nach. Mein anfängliches Ärgernis ist verschwunden, sobald wir zu dem langsamen Song hin und her wippen. Tanzen kann man das eher nicht nennen. In Matts Gegenwart spüre ich eine andere Art von Unbehagen als bei Winston. Während ich letzterem kaum ins Gesicht sehen konnte, muss ich mich jetzt davon abhalten, nicht zu lange in Matts zu starren. Als das Lied wechselt, macht keiner von uns beiden Anstalten, einen neuen Partner zu suchen. Wieso geht er nicht? Also nicht, dass ich das wöllte. Oder doch?

Unerwarteterweise kommt Matts Gesicht plötzlich millimeternah an meins heran. Einen Augenblick bitte, wo kommt das denn plötzlich her? Wenn ich gleich umkippe liegt es daran, dass ich aufgehört habe zu atmen.

»Was hast du über meinen Vater herausgefunden?«, flüstert Matt in mein Ohr.

Ich räuspere mich, einerseits um meine Enttäuschung zu überspielen, andererseits um die Luftzirkulation in meinem Gehirn wieder in Schwung zu bringen. »Nicht viel«, murmele ich zurück. Keine Lüge.

»Weißt du, wo er ist?«

»Verschwunden. Seitdem er nach Europa ausgewandert ist, ist er unauffindbar.« Die Lüge kommt mir so leicht über die Lippen, dass es mir selbst fast unheimlich ist.

Enttäuscht zieht Matt den Kopf zurück. Ich kann wieder normal atmen. Im Lügen bin ich normalerweise spitze, doch irgendwie wünsche ich mir diesmal, Matt hätte nachgefragt. Es fühlt sich so falsch an, ihn zu belügen. Doch was sich richtig anfühlt, genau in diesem Moment, ist die kaum messbare Distanz zwischen uns. So nah war ich ihm das letzte Mal, als wir uns von Toronto zurück nach New York teleportiert haben. Und ich habe es genossen. Nicht das Teleportieren, kein bisschen, aber jedes verdammte Mal, wenn er seinen Arm um mich gelegt hat und wir uns auf eine lebensgefährliche, unergründliche Reise durch die Teleportations-Dimension gewagt haben.

Vielleicht hat Cass Recht.

Vielleicht wünsche ich mir, dass sie Recht hat.

Vielleicht, aber nur vielleicht, bin ich in Matt verschossen.

Aber wie sieht er das? Er ist immerhin freiwillig mit Sophia zum Homecoming-Tanz gegangen, und so unglücklich sah er über seine Wahl nicht aus. Unsere Blicke treffen sich, und sofort läuft mir ein Schauer über den Rücken. Keiner dieser Angst- oder Kälteschauer, nein, so ein richtig schönes, süß-kitschiges, wohliges Kribbeln. Seit wann tanzen wir so nah beieinander? Mein Herz pocht so laut, dass es jeder im Raum hören müsste.

Wer auch immer auf die Idee kam, Patsy Cline auf die Songliste zu setzen, ihre Stimme bemerke ich erst, als mich ein Gedanke wieder aus dem Augenblick auftauchen lässt.

Wie spät ist es?

Ein Blick über Matts Schulter auf die Uhr, die über dem Eingang zum Auditorium hängt, reißt mich vollends aus diesem Moment. Fast zeitgleich löse ich mich von Matt, halte meine Umhängetasche an mich gepresst, und dränge mich durch die Tanzenden zum Ausgang.

»Wo willst du hin?«, fragt Matt.

Ich schüttele den Kopf. »Ich... brauch nur ein wenig frische Luft, das ist alles. Bin gleich wieder da.«

Ich lasse ihn stehen.

Das Bouquet werfe ich vor dem Schuleingang in die Büsche. Sorry, Winston. Aber zusätzlichen Ballast kann ich nicht gebrauchen. Regentropfen erschweren mir die Sicht, doch ich brauche Tess, die mir den Weg leitet. Zehn Minuten zu Fuß. Oder fünf Minuten Rennen im Regen. Vor dem Bürogebäude komme ich zum Stehen.

»Das Unternehmen befindet sich in der vierten Etage«, informiert mich Tess.

»Feuerleitern?«

»Auf der linken Seite des Gebäudes

»Ist McMillan noch da?«

»Das kann ich nicht mit Gewissheit sagen

Verdammt. Der Tanz mit Matt hat mich viel zu lange aufgehalten. Mein Outfit ist auch nicht gerade optimal dafür geeignet, im Dunkeln eine regennasse Feuertreppe hochzuklettern. Die Handtasche fest an mich gepresst steige ich Stufe um Stufe nach oben. In der vierten Etage brennt noch Licht. Als einziges Hindernis steht mir jetzt nur noch die alarmgesicherte Notausgangstür im Weg, aber das wäre doch gelacht, wenn ich sie nicht aufkriege. Natürlich bin ich auch darauf vorbereitet. Ich befördere eine winzige Bombe aus meiner Tasche zu Tage, die SHIELD nutzte, um Türschlösser aufzusprengen. Die Tür gibt ein dumpfes Geräusch von sich, dann stoße ich sie auf.

Der Gang ist klinisch sauber und hell erleuchtet. An den Wänden zwischen den Türen hängen einfarbige, abstrakte Gemälde, die wohl irgendeine Art von Ästhetik aufweisen sollen. Ich hinterlasse kleine Pfützen auf dem Linoleumboden. Ich streiche mir eine nasse Strähne hinters Ohr, ziehe langsam die Handfeuerwaffe aus meiner Umhängetasche und lasse diese fallen. Die Tarnung benötige ich jetzt nicht mehr. Hinter einer Tür, die die Aufschrift ›Konferenzraum‹ trägt, höre ich Stimmen. Wie soll ich McMillan allein erwischen?

»Tess«, flüstere ich, »ruf ihre Handynummer an.« Beim Hacken von Rubicons internem System habe ich McMillans private Nummer gefunden, und wusste, dass sie mir noch nützlich sein würde.

Keine dreißig Sekunden später klingelt im Konferenzraum ein Handy.

»Entschuldigt mich«, sagt eine mir nur allzu bekannte und verhasste Stimme.

Die Urheberin öffnet die Tür und steht einem Mädchen in einem triefenden, roten Kleid entgegen, die ihr eine Waffe an den Kopf hält.

Alekto lächelt. Sie schließt die Tür. »Warum gehen wir nicht in den Raum nebenan?«, sagt sie. »Keine Sorge, die Wände sind alle schalldicht.«

Die Pistole immer noch auf ihren Kopf gerichtet mache ich einen Schritt auf sie zu. Mit dem Pistolenlauf deute ich auf die nächste Tür. Ich darf nicht riskieren, dass die anderen Leute meine Stimme hören.

Langsam, mit auf halber Höhe erhobenen Händen, betritt Alekto den Raum. Ich drücke die Tür hinter mir ins Schloss und lasse sie dabei keine Sekunde aus den Augen.

»Woher wusstest du, dass ich heute hier bin?«, fragt die schwarzhaarige Frau.

»Nennen Sie es Intuition«, gebe ich zurück. »Glück. Recherche. Einen scharfen Verstand.«

Sie verzieht den Mund zu einem Lächeln, wobei das helle Muttermal neben ihren Lippen ebenfalls nach oben wandert. »Schlaues Mädchen. Und mutig. Aber auch leichtsinnig. Dachtest du, du könntest einfach hier reinspazieren und mich töten? Nur zu.«

Sie denkt, ich würde es nicht durchziehen. Doch das werde ich. Aber zuerst brauche ich ihr Geständnis. »Sie wissen, wer ich bin.«

»Du bist Judy Stark. Tochter von Tony Stark...«

»Und Lindsey Linford«, ergänze ich. »Du kennst sie. Du hast sie ermordet

Immer noch steht ihr dieses grauenhafte Lächeln aufs Gesicht geschrieben. »Ich kannte keine Lindsey. Ich kannte eine Cara. Eine Maëlle. Eine Valeriya. Eine Tisiphone.«

»Du kanntest sie!« Ich versuche, meine bebende Stimme gesenkt zu halten. »Ihr wart Partnerinnen, und trotzdem hast du sie getötet! Du wusstest, dass sie versuchte, ein neues Leben aufzubauen! Und trotzdem hast du meine Mum getötet

»Ich nehme an, du weißt von den Erinnyen. Das hat dir sicherlich diese... Agentin... erzählt. Diejenige, die es im Sommer nicht geschafft hat, mich in die Finger zu kriegen-«

Ich schnaufe. »Sodass du deinen bösen Plan fortsetzen konntest, bla bla - dein Plan interessiert mich nicht! Ich will nur, dass du zugibst, sie ermordet zu haben!«

»Die Erinnyen bekommen keine Chance auf einen Neuanfang. Und sie hat einen Fehler begangen.« Alekto nimmt ihre Hände ganz runter. Sie neigt den Kopf in einer freundlichen Geste. »Mädchen, du weißt nicht, mit wem du es zu tun hast. Leg einfach die Waffe weg, und geh.«

»Mein Name ist Judy Elizabeth Stark«, sage ich mit fester Stimme. »Und ich gehe nicht eher, bis ich das habe, was ich seit langer Zeit suche.«

»Judy Elizabeth Stark.« Alekto lacht leise auf. »Natürlich. Sie hat die kleine Liza immer geliebt, sich wie eine Schwester um sie gekümmert.«

»Ich glaube sie hat Judy eher gewählt, weil sie damals zu viele Judy Garland Filme geguckt hat.« Ich weiß nicht, wer diese Liza ist, oder was sie mit Mum zu tun hat, und im Moment ist mir das auch gleichgültig.

»Ach ja, der Zauberer von Oz. Den fand sie schon immer faszinierend. Du warst ihre kleine Dorothy.«

»Hör auf so zu tun, als würdest du mich kennen.« Langsam wird mir ihr Geschwätz zu viel. Ich sollte es hinter mich bringen. Nicht, bevor sie es nicht zugegeben hat.

»Aber ich kenne dich. Ich habe nicht nur deine Mutter beobachtet, oh nein. Nachdem sie beseitigt wurde, habe ich gewartet. Auf die richtige Gelegenheit. Einmal war ich nah dran. Vielleicht erinnerst du dich. Vegas, vor drei Jahren. Doch dann kam diese Agentin und hat alles zunichte gemacht. Und dann läufst du mir praktisch in die Arme. Zusammen mit diesen anderen törichten Kindern.« Sie kommt einen Schritt näher und ich umgreife die Pistole fester. »In diesem dunklen Raum.«

»Stopp!«

»Ich hätte dich dort töten können.«

»Äh, duh, das hast du aber nicht, Pech für dich würde ich sagen. Du hattest deine Chance. Jetzt bin ich dran.« Ich muss es jetzt tun. Je länger ich hier rumstehe und Alekto meine Zeit vergeudet, umso verdächtiger wird ihre Abwesenheit erscheinen. Und meine.

Alekto macht noch einen Schritt auf mich zu.

Ich entsichere die Waffe. »Keinen Schritt weiter.«

Doch bevor ich schießen kann, landet ein schwerer Körper neben meinem und bringt mich aus dem Gleichgewicht. Ich stolpere zur Seite. Die Waffe fällt aus meinen schweißnassen Händen auf den Boden. Alekto sieht ihre Chance und schlägt das Fenster ein, das auf die Feuertreppe raus zeigt.

»Bist du komplett verrückt geworden?!«, fährt mich Matt an.

»Du lässt sie entkommen!«, schreie ich zurück. »Tu doch was!«

Ich wusste ja, dass Matt gut Basketball spielen kann (oder zumindest konnte), aber die Präzision, mit der er den Papierkorb neben der Tür wirft und auf Alektos Schläfe krachen lässt, grenzt schon an übernatürliche Fähigkeiten. Sie kippt um wie ein Sack Kartoffeln.

»Wieso folgst du mir?«, keife ich ihn an. Seine Haare sind ebenso nass wie meine, genauso durchtränkt sind Hemd und Hose.

»Du bist vom Tanz weggerannt, aber vor der Schule war niemand.«

Der Regenschauer hat sich in ein Gewitter verwandelt. Donnergrollen fegt über uns hinweg.

»Was kümmert's dich?«

Matt deutet auf Alekto. »Ich habe dir gesagt, du sollst dich aus der Sache raushalten.«

»Tja, ich habe es angefangen, jetzt bringe ich's zu Ende.« Ich greife nach der Pistole, die durch Matts holprige Ankunft auf den Boden geschleudert wurde. Ich frage am Besten gar nicht erst, wie er herausgefunden hat, dass ich hier bin.

»Das wirst du nicht«, sagt er bestimmt und hält mich am Arm fest.

»Lass mich los.«

»Du musst das nicht tun.«

»SIE HAT MUM GETÖTET«, schreie ich. Eine Windböe weht durch das kaputte Fenster und bringt den Regen mit. Der Boden ist rutschig. Und Alekto kommt wieder zu sich. »Gib es zu!«, brülle ich sie an. »Gib zu, dass du meine Mutter umgebracht hast!«

Aus einer Wunde über ihrem Auge läuft Blut. Sie lacht. »Tisiphone bedeutet Mordrächerin, wusstest du das? Das ist es, was deine Mutter getan hat. Das war ihre große Aufgabe, für die sie bestimmt war.« Sie stützt sich mit einem Arm am zerbrochenen Fensterrahmen ab, bis sie wieder aufrecht steht. »Ich bin die niemals Rastende. Ich bin die letzte von uns, und meine Aufgabe ist es, zu Ende zu bringen, was uns aufgetragen wurde.«

Ich trete Matt gegen das Schienbein, und nutze den Moment, in dem er seinen Griff lockert, um die Waffe vom Boden aufzuheben. Ich kann nur beten, dass sie noch funktioniert.

»Ja, Judy, ich habe deine Mutter getötet. Willst du ihre letzten Worte wissen? Sie waren ›Halt dich von ihr fern‹. Diesen Ratschlag gebe ich auch dir. Schließ ab mit ihr. Es ist vorbei. Geh aus diesem Raum und wir werden uns niemals wiedersehen.«

Tu es jetzt! Du hast, was du wolltest!, schreit eine Stimme in meinem Hinterkopf. Alle anderen Gedanken sind fort. Ich nehme den kalten Wind wahr, der an meinem nassen Kleid und meinen Haaren zieht, Matts Atem neben mir, das Kratzen auf Metall, als meine Fingernägel sich um den Griff der Pistole verkrampfen.

»Willst du sie wirklich tot sehen?«, murmelt Matt in mein Ohr.

»Ich habe keine andere Wahl«, sage ich mit monotoner Stimme. Wer ist dieses Mädchen mit der Waffe in der Hand? Gerade noch war sie auf einem typischen Homecoming-Ball, in einer typischen Schule, in einem Leben, dass einigermaßen normal war. Jetzt ist dieses Mädchen auf dem besten Weg, eine Mörderin zu werden. Nein, kein Mörder. Eine Mordrächerin.

»Du bist kein Mörder«, sagt Matt bestimmt. Auf einmal bekommen seine Augen einen ganz anderen Ausdruck. Der dunkle Glanz ist unheimlich, fast abschreckend. Die nächsten Worte sind nicht mehr als ein Flüstern. »Aber ich bin es.«

Er reißt die Pistole aus meinen steifen Fingern, zielt auf Alekto - und drückt ab.

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