10.2 | Zach | bad day
-
»Mr. O'Brian, wären sie möglicherweise so freundlich, uns Ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden?«
»Entschuldigung Mrs. Winter?«
»Die Aufgabe an der Tafel. Können Sie sie lösen?« Die Mathelehrerin sieht ihn mit einem strengen Blick über ihren Brillenrand hinweg an.
Zach hat nicht zugehört. Er hat unter dem Tisch an seinem Handy gehangen, so wie die Hälfte der Klasse. Er fährt sich durch sein dunkles Haar, vorne etwas länger, an den Seiten kürzer. Sein Vater sagt ihm häufig, wie bescheuert er damit aussieht; wenn er mal da ist. Zach selbst findet es cool, und alle anderen an der Schule auch, und das ist die Hauptsache.
»Ich denke nicht«, sagt er schließlich. Mathe. Wer braucht schon Mathe? Außerdem interessiert es Mrs Winter sowieso nicht. Er setzt sich noch lässiger hin und klickt mit dem Kugelschreiber in seiner Hand. Sein Blick fällt auf Denise, die sich die ganze Zeit schon meldet. »Fragen Sie doch Denise.«
Mrs Winters Augen verengen sich kaum merklich. »Ich frage aber Sie.«
»Und ich sage, dass ich die Aufgabe nicht lösen kann.«
Mittlerweile hat sich die ganze Klasse umgedreht, denn Zach sitzt in der letzten Reihe. Gespannt beobachten Sie die Situation. Die beiden Kontrahenten starren sich an, keiner zuckt auch nur mit der Wimper.
»Dann lösen sie die gesamte Seite 87. Ich will alle Aufgaben morgen auf meinem Schreibtisch liegen sehen. Mit Lösungsweg.«
Zach schießt in seinem Stuhl nach vorne. Er lässt den Kugelschreiber auf den Tisch fallen. »Das können Sie nicht tun!«
»Und ob ich das kann, Mr. O'Brian.« Sie dreht sich um und stolziert wieder nach vorne zur Tafel.
»Alter, die Winter ist so eine Schnepfe.« Wütend stampft Zach den Gang zur Kantine hinunter.
»Als ob sie dir echt Zusatzaufgaben gegeben hat«, sagt Calum. Calum ist der Zwillingsbruder vom wohl heißesten Mädchen der Schule: Christina. Und genau die kommt gerade auf die beiden Jungs zu, und wendet sich an Calum.
»Mom holt uns nicht ab. Sie ist bei Grandma im Krankenhaus. Ich geh mit zu Livvy.« Sie mustert Zach aus ihren grünen Augen. »Wow, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«
»Mrs Winter hat ihm Strafaufgaben aufgebrummt«, erklärt Calum.
»Eiskalt von ihr. Kommst du irgendwie nach Hause?«
»Ich kann dich mitnehmen«, bietet Zach seinem Kumpel an. Seine Eltern haben ihm zu seinem siebzehnten Geburtstag endlich ein Auto geschenkt. Zu lange musst er darauf warten.
»Wär cool, aber ich hab noch Theaterclub. Ich nehm den Bus.«
»Alles klar«, sagt Christina. »Man sieht sich!«
Zach sieht ihr hinterher. Wie er sie ansieht ist Calum schon vor einiger Zeit aufgefallen, aber Zach weiß, dass er kaum etwas dagegen tun kann, schließlich ist er der beliebteste Junge der Schule. Und genau aus diesem Grund wird er die Matheaufgaben auch garantiert nicht selbst machen.
»Hey Warren.« Er lehnt sich an das Schließfach neben dem von seinem auserwählten Gesprächspartner.
Dieser seufzt. »Was willst du, Zach?«
»Weißt du, ich hätte da ein paar Matheaufgaben für dich. Interessiert?«
»Äh... klar.«
Zach klopft ihm kameradschaftlich auf den Rücken und grinst ein perfektes Zahnpastawerbungs-Lächeln. »Super. Seite 87. Morgen vorm Unterricht am Parkplatz. Ich zähle auf dich, Kumpel.«
Calum ist zum Theaterclub abgehauen, und Zach geht nach der Schule allein zum Parkplatz. Einige Leute verabschieden sich von ihm, und er nickt ihnen zu. Die meisten kennt er nicht einmal. Aber er hat das Sagen, er kann sich seine Freunde aussuchen. Und keiner will ihn zum Feind haben. Nur scheinen das die meisten Lehrer nicht zu akzeptieren.
Zuhause ist immer das reinste Chaos los. Vor allem morgens, wenn jede einzelne seiner drei älteren Schwestern gegen seine Zimmertür hämmert, um ihn zu wecken. Und sie blockieren die Bäder, dabei braucht Zach mindestens genauso lange wie sie, um sich fertig zu machen. Das würde er natürlich nie zugeben.
Sein Vater ist Banker, und deshalb ständig unterwegs. Wenn er mal da ist, hat er nie etwas Nettes zu sagen. Zach's Mom verbringt ihre meiste Zeit mit Kaffeekränzchen bei ihren Freundinnen, die ebenfalls reiche Männer haben. Was ist das nur für ein Leben?
♦
Jedes Wochenende steigt aufs Neue eine Party, diesmal bei Jocelyn Coldman. Zach kennt sie nur vom Sehen, aber eigentlich wird er auf so gut wie jede Party eingeladen. Vor der Villa – denn natürlich sind Jocelyns Eltern reich und momentan auf Geschäftsreise – trifft er auf ein paar seiner Freunde.
Da hätten wir Miles, den typischen Basketballspieler, groß und dunkelhäutig. Er mag Milkshakes und heiße Latinas.
Seinen besten Kumpel, Liam. So ziemlich das Gegenteil von ihm. Eher schlaksige Statur. Sein Vater hat schon dreimal neu geheiratet. Seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, ist das vierte Mal in greifbarer Nähe.
Calvin und Isaac aus dem Footballteam. Beide mit Afro. Sie reden nicht viel.
Und Joe, der aber gerade zu beschäftigt mit Addison ist, als das er Zach bergüßen könnte.
Sie betreten die Villa und werden sofort von lauter Musik empfangen.
»Hey Leute, cool das ihr da seid«, sagt Jocelyn. Sie trägt ein viel zu knappes Top und Hotpants. »Die Bar ist da hinten, viel Spaß.«
Noch bevor Zach sein erstes Bier ausgetrunken hat, kommt Calum auf ihn zugetorkelt und drückt ihm die nächste Flasche in die Hand. »Guck mal, da drüben«, sagt er und deutet mit seinem Bier in der Hand auf die Tanzfläche.
Zach wendet seinen Blick zu den vielen tanzenden Mädchen.
»Boah, die Rothaarige sieht heiß aus«, kommentiert Calum. Wie viel hat er schon intus? Er fängt ja fast an zu sabbern.
Zach setzt seine Flasche an. »Krall sie dir.«
Das lässt sich sein Kumpel nicht zweimal sagen, schon ist er verschwunden und gibt seine Dancemoves zum Besten.
Zach selbst sieht auf Partys immer erst für einige Zeit zu, bevor er sich ins Getümmel stürzt. Um genau zu sein checkt er erst alle Leute ab, wiegt ab, von wem er sich fernhalten soll, welche von den Mädchen einen muskulösen Footballspieler als Freund hat, und welche von ihnen leichte Beute sind.
Und dann steht sie da. Christina. Im knappen, blauen Kleid und knallrotem Lippenstift. Zach beschließt, dass seine Beobachtungszeit vorbei ist, und geht auf sie zu. Die laute Musik lässt den Fußboden vibrieren, man kann kaum sein eigenes Wort verstehen.
»HEY!«, brüllt Zach zur Begrüßung
Christina dreht sich zu ihm um. »NA? COOLE PARTY, ODER?«
Er nickt nur zur Antwort, doch sie greift nach seinem Arm und zieht ihn zu einer Sitzecke hinüber, an der schon ein paar andere, angetrunkene Jugendliche sitzen.
»Wollt ihr mit Shots trinken?«, fragt Miles.
Christina und Zach lassen sich auf die cremefarbene Couch fallen. Joe und Addison sind ebenfalls da, allerdings so ineinander verschlungen, dass man nicht weiß, welches Körperteil zu wem gehört. Zu beiden Seiten von Calvin sitzen Mädchen, die über jedes Wort kichern, das er sagt. Miles gießt großzügig eine klare Flüssigkeit in jedes Glas.
»Ist das Vodka?«, fragt Zach.
»Aber Hallo«, grinst Miles nur, und schiebt ihm das erste Glas zu. »Trink!«
Lange Rede, kurzer Sinn: wenige Stunden später torkeln Zach und Christina eng umschlungen durch die Straßen. Keiner von beiden weiß, wohin sie eigentlich gehen. Christinas Frisur hat keine erkennbare Struktur mehr, Zachs Hemd ist bis auf den letzten Knopf aufgeknöpft, was ziemlich lustig aussieht. Sie laufen an einem kleinen Park vorbei, die einzelne Straßenlaterne ist kaputt.
»Wart mal kurz«, lallt er. »Ich muss pissen.« Er stolpert in die Büsche, die die kleine Grünfläche umranden. Dabei sieht er etwas grünes auf dem Boden liegen. »Was'n das«, murmelt er und hebt es auf.
Schlechte Idee. Ganz schlechte Idee.
Ehe Zach es sich versieht, wird er von den Füßen gerissen und umhergeschleudert. Ihm wird sehr, sehr schnell sehr, sehr übel. Dieses Übelkeitsgefühl wird noch verstärkt, als ein stechender Schmerz seine Wirbelsäule hochschießt. Er will schreien, doch alles, was aus seinem Mund kommt, ist ein klägliches Winseln.
Dann ist es vorbei, und Zach erbricht seinen gesamten Mageninhalt auf den Boden. Kurz überlegt er, ob er sich nicht einfachen direkt hier hinlegen und seinen Rausch ausschlafen soll, doch dann denkt er an Christina, die immer noch vor den Büschen auf ihn wartet.
»Alles okay?«, nuschelt sie, nachdem er den Weg zurückgefunden hat.
»Alles topp«, sagt er und gibt ein dämliches Grinsen von sich. Sein Kopf dreht sich immer noch, und seinen Magen hat er wohl auch zwischen den Büschen liegen lassen.
♦
Schmerz. Das ist alles, was Zach noch empfindet. Niemals hat etwas je so wehgetan, wie dieser Morgen. Er schwört sich, nie wieder Alkohol anzufassen. Das war ein Fehler. Ein großer Fehler. Er stöhnt.
Jemand stößt die Tür zu seinem Zimmer auf.
»Verschwinde, Peyton.« Peyton ist zwar nur zwei Jahre älter als Zach, trotzdem verhält sie sich manchmal so, als wäre sie eine seiner Lehrer.
»Dad kommt heute Abend wieder«, berichtet sie. »Das heißt: Familiendinner!«
»Schön, kannst du jetzt bitte die Tür wieder zumachen?« Das Licht des Fensters im Flur fällt in sein Zimmer und grausam auf seinen schmerzenden Kopf.
»Alkohol macht dumm und impotent«, gibt sie noch einen ihrer nervigen klugen Sprüche von sich, und knallt die Tür zu.
Zach versinkt wieder in seinen Kissen. Mach, dass es aufhört, bittet er stumm.
Das Abendessen könnte nicht schlimmer laufen. Zach hat sich kurz zuvor aus seinem Zimmer gequält, drei Schmerztabletten geschluckt und versucht, seine Haare in Ordnung zu bringen.
»Der Deal mit dem Pharmazeutischem Unternehmen aus Atlanta ist so gut wie erledigt«, sagt sein Vater gerade. Er nennt ihn zwar Vater, aber genauso gut könnte er auch nur Erzeuger sagen, denn kein Mensch hat sich jemals weniger um ihn geschert wie Theodore O'Brian.
»Das ist wunderbar, Liebling«, sagt Zachs Mom strahlend. »Noch Bohnen?« Priscilla O'Brian. Die perfekte Hausfrau. Das perfekte Lächeln.
Für einen kurzen Moment verschwinden Zachs Kopfschmerzen.
»Zwanzig Jahre verheiratet, und immer noch kapiert sie nicht, dass ich Bohnen hasse.«
Sein Blick schnellt zu seinem Vater, dessen Stimme er gerade gehört hat. Dieser rückt aber seinen Teller zurecht. »Nein danke, ich nehme lieber noch etwas von dem Schweinebauch.« Zach starrt ihn an. Was hat er gerade gesagt? »Was starrst du denn so?«, fährt er ihn an. »Iss lieber dein Fleisch auf, sonst bleibst du so dürr.«
»Ich muss dringend Jessica anrufen, um für ihre Babyshower zuzusagen. Dabei geht sie mir so sehr auf die Nerven.«
Zachs Blick fliegt zu seiner Mom. Doch die isst nur ihre Kartoffeln. Es wird immer merkwürdiger.
»Mom? Gehst du eigentlich zu Jessicas Babyshower?«, fragt er.
»Das interessiert dich doch sonst nicht«, bemerkt Harper, die Zwillingsschwester von Peyton. Brianna, die älteste, ist nicht da, dank ihrer Arbeit kann sie sich immer erfolgreich vor Familiendinnern drücken.
Zachs Mom lächelt. »Aber natürlich, Zachary. Immerhin sind wir schon sehr lange befreundet, ich freue mich schon. Wieso, willst du mitkommen?«
»Oh Gott, nein! Ich meine, nein danke.« Darauf kann er definitiv verzichten.
♦
Die Kopfschmerzen sind auch am Montag nicht verschwunden. Aber seiner Mom sagt er lieber nichts davon, sonst hyperventiliert sie und schleppt ihn zum Arzt. Er klaut sich lieber ein paar Schmerztabletten aus dem Bad seiner Schwestern, dann steigt er in sein Auto und fährt zu Schule.
Nach dem Unterricht denkt er schon gar nicht mehr an das Ereignis von gestern Abend, aber als Christina vor dem Chemieraum auf ihn zukommt, erinnert er sich dunkel an Samstagnacht.
»Hey, du hast doch ein Auto richtig? Meine Mom ist immer noch bei meiner Grandma, und ich wollte fragen, ob du...«
»Ob ich dich nach Hause bringen kann? Klar doch.« Er lehnt sich lässig an sein Schließfach.
»Cool. Dann... ich warte auf dich vor der Schule, okay?« Mit einem leichten Augenaufschlag und einem Lächeln ist sie wieder in Richtung ihrer kichernden Freundinnen verschwunden.
»Hör mal... wegen Samstagabend«, beginnt Zach zögerlich, als sie nach dem Unterricht vom Parkplatz fahren.
Christina sieht von ihrem Taschenspiegel auf, mit dessen Hilfe sie sich gerade Lippenstift aufträgt. »Ja?«
»Also, wir sind betrunken nach Hause gelaufen, und dann kamen wir an diesem Park vorbei.«
»Und?« Sie wendet sich wieder ihren Lippen zu.
»Warum hört er nicht einfach auf, sich an mich ranzumachen? So ein Idiot. Wann bemerkt er endlich, dass ich kein Interesse habe?«
Fast verliert Zach die Kontrolle über das Fahrzeug. Seine Hände umgreifen das Lenkrad fester. Er linst zu seiner Beifahrerin, die nun endlich den Spiegel zuklappt, und diesen gemeinsam mit dem Lippenstift in ihrer Tasche verstaut. Sie sieht ihn an. »Also, was ist?«
»Ach nichts«, murmelt Zach.
Als sie bei Christina zu Hause ankommen und sie aussteigt, lehnt er sich aus dem offenen Fenster.
»Hast du – hast du Lust, mit mir auf ein Date zu gehen?«, fragt er.
Sie lächelt breit, doch es erscheint Zach nicht ehrlich genug. »Mal sehen.« Mit einem Zwinkern wendet sie sich von ihm ab.
Zach lässt sich im Autositz zurückfallen.
Gedankenlesen. Er kann Gedankenlesen. Abgefahren. Aber hat Christina wirklich gar kein Interesse an ihm? Das kann nicht sein. Wer würde denn schon ihn, Zachary O'Brian, ablehnen?
---
Kapitel Zwei der Lesenacht :)
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro