28 | go get 'em
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Am nächsten Morgen werde ich fast erschlagen von den Bannern und Postern, die überall in der Schule rumhängen. ›GO GET EM TIGERS‹ verkünden die meisten. ›GET IN THE HOMECOMING‹ schreien andere in schrillem Gelb. Auf dem Weg zum Unterricht sehe ich Bree, die auf einer Leiter steht und ein blaues Banner über der Wall of Fame aufspannt.
»Was geht denn hier ab?«, frage ich sie verwundert.
»Oh, hi Judy. Der Homecoming Ball ist nächste Woche, ich dachte du wüsstest das. Donnerstagabend, direkt nach dem Basketballspiel. Midtown High Tigers gegen die Brooklyn Wombats von der East River High.«
»Hm«, ist alles, was ich zunächst von mir geben kann. Ein Tanz und ein Spiel? »Welches Team nennt sich denn Wombats?«
»Ja, klingt total bescheuert, hab ich recht?« Bree lacht, streicht sich eine blonde Strähne hinters Ohr und steigt von der wackeligen Leiter runter. »Du kommst doch, oder?«
»Basketball hat mich bis jetzt eher weniger interessiert.«
»Doch nicht zum Spiel, zum Tanz!«
»Mal sehen.« Eine Menge neue Fragen ploppen in meinem Kopf auf. Aus irgendeinem Grund drehen die meisten sich um Matt. Er spielte doch Basketball, nicht? »Hey, wer ist eigentlich so in der Basketballmannschaft?«, frage ich wie beiläufig, als Bree ihr Zeug zusammensammelt und mich in Richtung Englischraum begleitet.
»Ach, die kennst du sowieso nicht, bis auf Chase. Und vielleicht hast du Jackson und Dan mal gesehen. Igelfrisur und Glubschaugen? Mehr von denen kenne ich ehrlich gesagt auch nicht persönlich. Beim Essen sitzen sie fast immer am Tisch neben den Snackautomaten.«
Also doch nicht Matt. Den sehe ich nie beim Essen. Jetzt denke ich schon wieder an ihn, merke ich verärgert. Dabei gibt es hundert andere Dinge, die momentan wichtiger sind.
Die Gruppenarbeit, die uns Mrs. Locke in der nächsten Englischstunde aufgibt, gehört nicht dazu. Zu allem Übel hat sie die Gruppen ausgelost, was bedeutet, dass ich mit einem Haufen Amöben zusammenarbeiten muss. Außer Winston, der ist okay. Cass, Matt und Bree sind in einer Gruppe gelandet, und darauf bin ich tierisch neidisch.
»Also, wie teilen wir die Aufgaben ein?«, übernimmt Winston die Führung.
»Ich mach das mit dem wenigsten Schreiben«, meint ein Junge mir gegenüber, der dringend mal einen Haarschnitt benötigt. Geräuschvoll zieht er die Nase hoch.
»Richie, das ist eine Gruppenarbeit, wir arbeiten als Gruppe.« Das Mädchen, ich glaube sie heißt Jess, blättert in ihrem Terminkalender. »Wir sollten uns am Wochenende treffen, um gemeinsam an dem Projekt zu arbeiten.«
Ganz sicher nicht. Ich hab besseres zu tun, als meine Zeit mit denen zu verschwenden. »Kann nicht einfach jeder seinen Teil machen und wir hauen das am Montag in der Mittagspause in eine gemeinsame PowerPoint?«, schlage ich vor.
Jess spitzt die Lippen. »Ich nehme an du übernimmst dann auch den Hauptteil?«
»Von mir aus.« Ich tippe mit den Fingernägeln auf die Tischplatte. Bei dieser Truppe würde sowieso nichts Gescheites rauskommen, wenn nicht ich den Großteil der Arbeit übernehmen würde. Ich stütze meinen Kopf in die Hände, puste mir ein paar Haare aus dem Gesicht und lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Der Homecoming-Tanz also. Ob Matt schon davon weiß? Natürlich, schließlich findet der jedes Jahr statt. Klingt schon sehr verlockend. Um hinzugehen bräuchte ich allerdings eine Begleitung.
Matts Kopf hängt über seinem Hefter, bis Cass ihm eine Frage stellt. Seine blonden Haare schwingen mit seinem Kopf nach oben. Er nickt in die Runde. Mir kommt ein Gedanke, der aber so absurd ist, dass ich ihn direkt wieder verwerfe. Jedenfalls versuche ich es, aber er beißt sich beharrlich in einem Kopf fest. Soll ich ihn fragen?
Den Nachmittag verbringe ich wieder mit Training. Nach ein paar Runden Schwimmen und Kampfsportübungen schmerzt mir jeder Knochen. Ich höre erst auf, als mich Jarvis über Dads und Peppers Rückkehr informiert. Daher ist es quasi unvermeidbar, dass ich zum Abendessen aufkreuze. Hierbei lässt mich Natasha allerdings im Stich. Super.
Ich stochere lustlos in meinen Spaghetti herum, zwinge mir ein paar Gabelladungen rein und beantworte Dads Standardfragen mit knappen Antworten.
»Können wir bitte nicht über Brooklyn reden?«, murre ich.
»Du meinst deinen ehemaligen Verehrer? Ich habe dir ja gleich gesagt, dass er nichts Gutes im Schilde führt.«
»Dad«, sage ich mit Nachdruck und sehe ihn ernst an. Die Erwähnung von Brooklyn führt mich ebenfalls zu McMillan, und es ist schon schlimm genug, dass ich ihnen nichts von meinen Nachforschungen erzählen kann. Falls Alekto herausfindet, dass ich hinter ihr her bin, stecke ich sowieso ganz schön tief in der Scheiße. So wenig Leute wie möglich sollten davon wissen. Am besten niemand. Das alles ist eine Angelegenheit zwischen ihr und mir.
»Du siehst müde aus«, füllt Pepper die entstandene Stille.
»Bin ich auch. Ich geh ins Bett.« Den Stuhl zurückschiebend stehe ich auf. »Gute Nacht.«
Sobald die Zimmertür hinter mir zufällt lasse ich mich an ihr herunterrutschen. Ich lege den Kopf in den Nacken. Was mache ich eigentlich hier? Es könnte alles so einfach sein, aber ich muss es natürlich kompliziert machen. Ich will die Sache nicht alleine durchziehen, aber ich habe keine andere Wahl. Ich bin alleine.
Ich könnte Cass und Matt in meine Pläne einweihen. Die beiden haben mir schonmal geholfen.
Ja, damit Alekto sie auch noch umbringt? Nein danke. Außerdem würde Matt mich eher davon abhalten, als dass er mir helfen würde.
Wenn Dad von Mums Mörderin wüsste, würde er etwas dagegen unternehmen. Er kann McMillan doch sowieso nicht leiden.
Er würde es vielleicht verstehen, aber nie zulassen, dass ich mitkomme. Und dann bekomme ich meine persönliche Rache nicht. Ich will, dass Alekto mir in die Augen schaut und zugibt, Mum umgebracht zu haben. Ich will, dass ich das letzte bin, was sie sieht. Damit sie weiß, dass mit einer Stark nicht zu spaßen ist. Vielleicht bin ich die Tochter meines Vaters. Aber auch die Tochter meiner Mutter. Egal, ob sie nun ebenfalls eine Assassine war, sie hat das für mich aufgegeben, hat jahrelang in Angst gelebt, um mich vor ihr zu beschützen. Das schulde ich ihr.
Ich schlafe kaum, und in den dunklen Stunden des Halbschlafes tauchen die merkwürdigsten Szenen vor meinem inneren Auge auf. Mum, wie sie mich anstatt Melissa durch die USA fährt. Melissa, nicht als Agentin in der Basis, sondern als die Frau in Weiß. Matt und Brooklyn, Brooklyn und Matt. Einem von ihnen konnte ich nicht vertrauen, wieso also dem anderen? Was führt Cass im Schilde? Trainiert sie wirklich? Wieso ist sie hergezogen? Warum war es ihr so wichtig, mich und Matt wieder zusammenzubringen, wo sie im Nachhinein doch eher dagegen war? Matt verschwindet hierhin, dorthin, taucht aus dunklen Ecken wieder auf, und zurück bleibt nur das Summen, ein Ticken, unaufhörlich, wie die Zeiger einer Uhr...
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In der Schule dreht sich immer noch alles um das bevorstehende Homecoming-Spiel und den anschließenden Tanz. Die Spinde der Basketballspieler sind schon jetzt mit Stickern zugepflastert, und die allgemeine Stimmung ist deutlich angehobener als sonst. War ja klar, dass Mrs. Warren ausgerechnet heute einen Überraschungstest schreiben muss. Immer noch Elektrizitätslehre. Innerhalb fünfzehn Minuten habe ich alle Aufgaben gelöst, drehe das Blatt um und lege den Kopf auf die Bank. Mrs. Warren wirft mir einen misstrauischen Blick zu. Ich ignoriere sie und beobachte die anderen Schüler. Sie schreiben fleißig.
Cass, schräg vor mir, nagt an ihrem Bleistift. Matt tippt auf seinem Taschenrechner herum. Bree wickelt geistesabwesend eine blonde Strähne um ihren Finger, und Sebastian kippelt mit seinem Stuhl. Die beiden erinnern mich an das Academic Decathlon Training heute Nachmittag. Das Buch, was wir lesen sollten, steckt noch in meinem Rucksack. Pilgrim at Tinker Creek gehört zum literarischen Teil des Decathlons, und bis jetzt bin ich zu gerade mal zwei Dritteln durch.
Ich lege meinen Kopf nach rechts. Um Matts Kopf herum tanzen kleine Staubflusen. Konzentriert starrt er auf das Aufgabenblatt. Dabei zieht er seine Augenbrauen leicht nach unten, so wie immer, wenn er sich beim Teleportieren anstrengen muss. Er kratzt sich im Nacken, und auf einmal liegt meine Aufmerksamkeit auf seinen Armen, die aus einem verwaschenen T-Shirt herausgucken. Seine starken, muskulösen Arme.
Bitte was? Ich setze mich auf. Im Gegensatz zu Matt sieht Cass nahezu verzweifelt aus. Das Ende ihres Stifts ist ziemlich angeknabbert.
Ich kann keinen der beiden wirklich ansehen, ohne wieder von Schuldgefühlen über den Haufen gerannt zu werden. Also schnappe ich mir meinen Rucksack, schiebe den quietschenden Stuhl zurück und platziere die gelösten Aufgaben auf dem Lehrertisch vor Mrs. Warrens Nase.
»Ich bin fertig, darf ich gehen?«
Sie nimmt die Brille ab, überfliegt das Aufgabenblatt und nickt mir zu, natürlich nicht ohne den gewohnten misstrauischen Blick.
Am Nachmittag, als alle Schüler freudig in das Wochenende starten, bleiben nur wenige in der Schule zurück, um ihrer Arbeitsgemeinschaft nachzugehen. Ich zum Beispiel. Und das restliche Team. Diesmal sitze ich mit oben auf der Bühne und beantworte einige Fragen im Bereich Biochemie. Die habe ich die ganze Mittagspause über gepaukt.
Nachdem uns Mr. Harrington verabschiedet hat und als erster das Auditorium verlässt, wendet sich Bree nochmals an mich. »Du kommst doch zum Homecoming-Tanz, oder? Hey, ich bin im Organisationsteam und ich sage dir, es wird fantastisch. Wir haben supercoole Deko, Getränke, und einen echten DJ.«
»Ich hab euch einen angeboten«, mischt sich eine Stimme aus dem Hintergrund ein.
»Sebastian, dein dreizehnjähriger Bruder zählt nicht als DJ.« Bree schüttelt den Kopf. »Idiot. Also, kommst du?«
»Ich hab ehrlich gesagt keine Begleitung«, gebe ich zu.
»Ach das macht doch nichts. Komm einfach mit uns. Wir gehen als Gruppe von Freunden. Wir, das heißt Sun, Sienna, Theo und der Idiot da drüben.« Sie deutet mit dem Kinn auf Sebastian, der dekorativ an der Seite steht, während die anderen die Tische von der Bühne tragen. Gerade stellen Kate und Winston die Stühle nach unten.
»Was ist mit Winston?«, frage ich.
Bree wirft sich ihre Tasche über die Schulter. »Er wollte noch ein Mädchen fragen. Meinte er. Weiß nicht, ob da noch was draus wird. Außerdem ist noch eine halbe Woche Zeit, und wenn du darauf bestehst, wird sich bestimmt irgendjemand erbarmen, mit dir dorthin zu gehen.« Sie zwinkert mir zu.
»Bevor solche Typen wie Chase mich anquatschen gehe ich lieber mit euch.«
»Hervorragend«, lacht Bree. »Besorg dir vorsorglich schonmal ein Kleid! Wir seh'n uns am Montag.«
Ich habe mein Mathebuch vergessen, deshalb muss ich nochmal kurz an meinem Spind halten. In Gedanken bin ich schon im Wochenende. Zwei volle Tage, die ich mit Trainieren verbringen kann. Wer weiß, vielleicht kann ich wieder Nat für mich gewinnen.
Jemand räuspert sich hinter mir.
Ich drehe mich um. An meinen Spind gelehnt verschränke ich die Arme. »Hey Winston. Ich dachte du bist schon weg.«
»Nein, ich wollte noch kurz mit dir reden.«
»Wegen dem Projekt für Englisch? Meinen Teil habe ich fast fertig, ich dachte wir könnten das erst Montag besprechen.«
»Nein, Judy, ich wollte dich fragen...« Er kratzt sich am Hinterkopf. »Wollte dich fragen ob du... eventuell, falls du noch nichts vorhast, mit mir zum Homecoming-Tanz gehen willst?«
Für einige Sekunden bin ich sprachlos. Winston will etwas von mir? Das hätte ich nie erwartet. Er lädt mich zum Homecoming-Tanz ein?
Er hat ein nervöses Lächeln aufgesetzt.
Wie soll ich darauf antworten? Ich hoffe immer noch, dass Matt mich fragt. Doch wieso sollte er? Auf der Beziehungsebene liegen wir gerade wieder im neutralen Bereich, und das will er vermutlich nicht ruinieren. Andererseits...
Ich beiße mir auf die Lippe. »Ich glaube da muss ich nochmal drüber nachdenken.«
Merklich sinken seine Mundwinkel ein. Er steckt die Hände in seine Hosentaschen. »Oh. Okay. Nicht schlimm.«
»Das ist auf keinen Fall ein Nein«, beeile ich mich zu sagen. Es ist egoistisch und komplett bescheuert von mir, ihn auf die Ersatzbank zu setzen. Ihn als Plan B zu verwenden. Aber ich würde unglaublich gerne mit einer Begleitung zum Homecoming-Tanz gehen, und wenn es jemand anderes sein muss als Matt, dann ist Winston eine ausreichende Wahl.
»Hm. Gut. Also bis Montag. Tschau.« Hastig zieht er die Träger seines Rucksacks hoch und verschwindet.
Ich lehne meinen Kopf gegen die Spinde und würde ihn am liebsten dagegen hauen. Das, was ich hier abziehe, ist absolut uncool. Aber ich hatte 'ne harte Woche. Und die ist noch nicht vorbei.
»Also der Homecoming-Tanz ist am Donnnerstag. Heute haben wir Freitagabend. Das macht dann rund 140 Stunden, die mir bleiben, um Matt darauf aufmerksam zu machen, dass ich mit ihm dorthin gehen will.«
»Soll ich ihn kontaktieren?«, fragt Tess.
Mein Kopf fährt vom Schreibtisch hoch. »Nein!« Hab ich das gerade laut gesagt? »Such lieber nach neuen Nachrichten über Rowan McMillan.«
»Laut einer Mitteilung ihres Büros wird sie sich Ende nächster Woche in New York City befinden.«
»Was, hier?«
»Bei einer Firma ansässig in Brooklyn.«
»Wann? Und wo?« Meine Gedanken überschlagen sich. Als ich die Adresse auf dem Bildschirm sehe, bleibt mir fast die Spucke weg. Das Gebäude liegt nur zehn Minuten von meiner Schule entfernt. Alekto wird dort sein, nächste Woche schon. Und diesmal werde ich meine Chance nicht verpassen. Und wenn es sein muss lasse ich dafür auch den Homecoming-Ball sausen, denn ›Ende der Woche‹ kann viel bedeuten. Bis ich das genaue Datum herausbekommen habe, muss ich mir alle Optionen offen halten.
Ich brauche meine gepimpten Schuhe, die mit den Rollen. Ich brauche eine Verkleidung. Ich brauche etwas, dass mir Zutritt zum Gebäude verschafft. Und ich brauche eine Waffe. In Natashas Zimmer finde ich sicher eine. Aber damit werde ich bis zum letzten Moment warten müssen, denn sie wird das Fehlen der Pistole sicher früh genug bemerken.
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Na, kennt ihr mich noch? Entschuldigt die lange Pause, aber glaubt mir, ich will dieses Buch möglichst schnell zu Ende bringen. Und ihr wollt das sicher auch :)
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