Like A Picture On The Wall
»Willst du noch mit raufkommen?« Keine Ahnung, wieso ich eingewilligt hatte, eigentlich wollte ich nicht bei Jared sein. Im Grunde wollte ich nur mit Sam reden. Das war ein lächerlicher Streit gewesen. Und ehrlich gesagt hatte ich noch nie so bescheuert mit jemandem gestritten. Ich wusste noch nicht einmal mehr, was überhaupt das Problem gewesen war.
Sauer war ich immer noch.
Vielleicht war das der Grund dafür, dass ich jetzt bei Jared in der Wohnung stand. Weil Sam es hassen würde. Weil ich wusste, dass es ihn wurmen würde, zu wissen, dass ich hier war. Und das erfüllte mich mit seltsamer Genugtuung. So kannte ich mich nicht, fast fühlte ich mich berauscht von diesem Gefühl.
»Schön hast du's hier«, murmelte ich eine langweilige Floskel, während ich Jared dabei beobachtete, wie er im Schrank unter seiner Spüle nach etwas suchte. Oft schien er keinen Besuch zu bekommen, so hibbelig und wirr, wie er gerade war. Er hatte mir nicht einmal angeboten, mich zu setzen, obwohl der große, rechteckige Holztisch in der Mitte des Raumes echt einladenden aussah. Abgesehen von den riesen Zetteln, Bleistiften und Linealen, die darauf herumgesegelten. Es war ein wirklich großer Tisch, wahrscheinlich das größte Möbelstück hier drin. Ich musterte die Tischbeine, die seltsamerweise so aussahen, als könnte man sie verstellen. Vielleicht in der Höhe.
Überhaupt war das eine wunderschöne Wohnung. Hell, weil das Dach, unter dem sie lag, eine große Fensterfront hatte. Groß war sie nicht, aber mir gefielen die Balken an der Decke und die hölzernen Pfosten überall. Selbst der Boden war aus Holz, große geschliffene Stämme, ähnlich wie in Sams Haus.
Sam ...
Sam hatte hier auch gewohnt, oder? Er musste das alles hier miteingerichtet haben, vielleicht hatte er die Möbel mitausgesucht und vielleicht wusste er sogar, woher der Riesenkratzer an der Wand kam, der sich zwischen den zwei einzigen Türen hier erstreckte. Es waren massive Schiebetüren, die an gusseisernen Stangen aufgehängt waren wie Gardinen. Vielleicht war Sams altes Zimmer hinter einer davon versteckt.
Ein Bett aus provisorisch hingelegten Palletten, wahrscheinlich Jareds, war versteckt hinter einem Raumteiler aus Bücherregalen aufgebaut. Ich konnte nur das Fußende sehen. Davor lagen hübsche beige Teppiche und ein paar Kissen kugelten auf dem Boden verteilt herum.
»Hab Gläser gefunden«, freute Jared sich auf einmal, was mich zutiefst wunderte. Gläser hatte er also gesucht? Wie um alles in der Welt konnte es sein, dass er nicht wusste, wo seine Gläser waren? »Ich trinke meistens aus Tassen«, erklärte er, wohl weil er meinen Blick bemerkte. Er füllte beide Gläser mit Wasser und deutete mir dann, mich zu setzen. »Oder außerhalb. Oft im Kennedy.« Das war ein seltsames Argument. »Willst du was anderes?« Ich schüttelte den Kopf. »Kaffee vielleicht? Oder Tee? Ich kann auch ...«
»Nein, alles gut«, winkte ich ab.
Jetzt erkannte ich, was das war, das da auf dem Tisch lag. Es waren Zeichnungen, eher Skizzen. Alle mit Blei- oder Kohlestiften auf großem weißem Papier. Etwas irritiert suchte ich nach einem Platz, um mein Glas abzustellen, fand aber keinen. Ich wollte nichts beschädigen, das sah in gewisser Weise wirklich wertvoll aus.
»Das ... ah ... ich räum das schnell weg.« Gesagt - getan. Jared legte alles zusammen, achtete dabei aber sorgfältig darauf, nichts zu sehr zu zerknittern, und breitete die Blätter dann auf dem Boden vor seinem Bett wieder aus. Dann kam er zu mir zurück.
»Hast du die gezeichnet?«, fragte ich und Jared nickte, wobei er etwas verlegen aussah. »Die sind echt toll, Jared.« Seine Wangen wurden rosa, nur ganz leicht, aber deutlich.
»Nein, Quatsch«, tat er das ab. »Es sind nur blöde Ideen.« Blöde Ideen für gar nicht blöde Gebäude, schoss es mir durch den Kopf. Ich hatte nur einen kurzen Blick darauf werfen können, aber blöd war ganz sicher nicht das Adjektiv, das mir als erstes eingefallen wäre. Eher wunderschön. Traumhaft.
»Wieso zeichnest du Skizzen von Häusern?« Ich nahm einen Schluck Wasser. In Jareds blauen Funkelaugen glitzerte es, fast kam es mir wie ein gekränktes Glühen vor.
»Wow ...«, brummte er. »Finn nimmt das mit dem Hass auf mich wirklich ernst, oder?« Verwirrt starrte ich ihn an. »Ich bin Architekt«, erzählte mir, als wäre das etwas, was ich schon wissen sollte. Nicht unerheblich beeindruckt lächelte ich. »Hat er dir nicht erzählt, oder?«
Ich konnte leider nur den Kopf schütteln.
Dass Sam ganz grundsätzlich nicht von Jared sprach, sparte ich mir lieber zu erzählen. Wahrscheinlich war ihm das jetzt sowieso klar. Mein Blick wanderte durch den Raum, und jetzt fand ich tatsächlich, dass alles hier drin nach Architekt schrie. Alles wirkte so ... durchdacht. Die Dachbalken, der Boden, die Farben. Sogar das Pallettenbett.
»Es ist wirklich wunderschön hier«, entglitt es mir erneut, woraufhin Jared nur müde lächelte, auf seinen Wangen aber immer noch dieses sanftes Rosa. Eigentlich wollte ich noch mehr sagen, da fiel mein Blick auf ein eingerahmtes Bild an der Wand und ich erstarrte in meiner Bewegung.
War das Sam?
Es sah aus wie Sam, ganz eindeutig. Er stand dicht neben Jared, Arm in Arm, und sie hielten jeweils eine runde Gürtelschnalle in die Kamera. Beide grinsten sie breit, und auf diesem Bild war nichts von Feindschaft zu spüren. Im Gegenteil. Neben Sam stand noch ein Mädchen, ungefähr in seinem Alter und mit wunderschönen dunklen Haaren, das sich ebenfalls freute. Sehr, wie es schien, denn ihre Hand umklammerte vor Glück Sams weißes Hemd, das etwas verdreckt aussah. Ihre Augen funkelten, so richtig, als gäbe es für sie nichts Schöneres, als diesen Moment. Sam hatte längere Haare als jetzt, was wirklich heftig war, weil sie ihm ja jetzt schon fast bis zu den Schultern hingen. Um den Kopf hatte er das blaue Bandana, das ich schon kannte, und darüber trug er noch einen Cowboyhut.
Umwerfend.
Sam sieht umwerfend gut aus.
Ich räusperte mich. Sag etwas, Jo. Sag jetzt irgendetwas, nur etwas, das nichts mit Sam zu tun hat. »Hatte Sam schon immer so lange Haare?« Innerlich schlug ich mir jetzt für diese dümmliche Frage auf die Stirn.
»Nein, noch nicht immer. Aber schon ziemlich lange«, sagte Jared, der mich jetzt wohl für völlig durchgeknallt hielt. »Er war schon immer irgendwie ... komisch mit seinen Haaren.«
»Wieso komisch?«
Jared lächelte.
»Er trägt sie immer offen, wundert dich das nicht?« Eigentlich hatte es mich bisher nicht gewundert. Ich schüttelte den Kopf. »Ich fand das schon immer seltsam, weil mich das total stören würde.« Sam störte es auch, sonst würde er wohl kaum immer dieses Bandana tragen. »Ich könnte gar nicht zeichnen, wenn ich so wirre Haare hätte. Na ja, er ist eben Sam ...« Da verstummte er. Anstatt weiterzureden, winkte er ab und lächelte müde. »Ist egal.« Mir war es nicht egal. Ich wollte mehr wissen, wollte alles wissen.
»Was macht ihr da auf dem Foto?«, fragte ich weiter, wofür ich mich schon wieder gerne ohrfeigen würde. Sag Jared doch gleich ins Gesicht, dass du auf Sam stehst ...
»Das hat meine Mom vor ein paar Jahren nach dem Sommerrodeo aufgenommen. Wir veranstalten viermal im Jahr ein Rodeo bei uns auf der Ranch. Eigentlich ist es ganz gut, dass Finn nicht mehr mitmacht, er hat mich in den letzten Jahren immer geschlagen.« Jared lachte ein müdes Lachen, das so gar nicht zu dem Satz passen wollte, den er gerade gesagt hatte. Ich musterte ihn.
Frag ihn nicht, Jo ...
Tu. Es. Nicht.
»Ihr wart mal Freunde, oder? Du und Sam?«
Ich musste völlig wahnsinnig sein.
»Weiß nicht, wie du darauf kommst«, brummte Jared, und die Stimmung war gekillt. Große Klasse. Normalerweise hätte seine Frage ironisch klingen müssen, weil ... wie ich darauf kam? Vielleicht wegen des Fotos? Vielleicht aber auch wegen der Tatsache, dass sie beide jedes Mal überemotional wurden, wenn es um den jeweils anderen ging? Vielleicht weil sie sich hassten? Und so starker Hass normalerweise nur eine Umkehrreaktion sein konnte ...
»Tut mir leid«, wurde ich jetzt auf einmal ironisch. »Normalerweise ist meine Menschenkenntnis ganz gut. Ich muss mich schwer täuschen ...« Ich wusste selbst nicht, wieso ich auf einmal so zynisch wurde. Vielleicht nervte es mich nur einfach, dass jeder hier dauernd nur in Halbsätzen und Rätseln sprach.
Jareds Blick zufolge täuschte ich mich kein bisschen. Er biss die Zähne zusammen, als müsste er sich zwingen, mich nicht anzuschnauzen. Vielleicht war es jetzt an der Zeit zu gehen. Ich räusperte mich auffällig und stand auf. »Joana, du musst nicht ...«
»Doch«, sagte ich mit einem versöhnlichen Lächeln auf den Lippen. Nicht deine Schuld. »Es ist besser. Sam wird sonst noch wütender.«
Darauf schnaubte Jared einmal und schüttelte dazu den Kopf. »Glaub mir, du hast den Peak schon erreicht.« Ich schluckte. »Noch schlimmer wird es nicht. Überhaupt habe ich ihn noch fast nie so erlebt.« Er verstummte kurz. Oder etwas zu lang, als schweiften seine Gedanken irgendwohin ab. Er sah mich an, lange. »Er wird sich einkriegen und sich dann mit irgendeiner lächerlichen Botschaft entschuldigen. Erwarte nicht zu viel, das kann er nicht so gut. Aber er meint es nicht ...« böse?
Ich starrte Jared nur an.
Keine Freunde, klar ...
»Na ja, wie auch immer.« Auch er räusperte sich und stand auf. »Ich bring dich noch zur Tür.« Die nur drei Meter entfernt lag. Aber okay.
Wir verabschiedeten uns mit einer Umarmung, harmlos und freundschaftlich. Von der seltsamen Chemie, die an Silvester zwischen uns geprickelt hatte, konnte ich nichts mehr spüren. Ob er es noch spürte, wusste ich nicht, jedenfalls ließ er sich nichts anmerken.
In dem Moment, als Jared mir die Tür öffnen wollte, erklang von draußen das Klimpern eines Schlüsselbundes. Jared erstarrte in seiner Bewegung. Es klimperte immer noch. Dann klopfte es an der Tür. »Jared? Bitte, sag mir, dass du zuhause bist! Ich finde meinen Schlüssel nicht!« Das war die Stimme einer Frau, hell, freundlich, etwas gestresst, wie ich ausmachen konnte. »Jared?«
Jared schloss kurz die Augen, schüttelte ganz leicht den Kopf und drehte dann den Türknauf. »Hey, danke, ich ...« Braunes Haar, große, blaue Augen, Sommersprossen, sie war wunderschön. Ich merkte erst, dass ich sie anstarrte, als sie einen Schritt in die Wohnung trat und mich ebenfalls musterte. War sie das Mädchen von dem Foto? Schwer zu sagen, sie musste um einiges jünger gewesen sein. Ich wollte, aber ich konnte mich bei Gott jetzt nicht nach dem Bild umdrehen.
»Hallo«, sagte ich freundlich und versuchte, zu lächeln. Keine Ahnung, woher auf einmal diese Befangenheit in mir kam. Vielleicht, weil sie mich so ansah, als hätte ich ihr etwas getan. »Ich bin ...«
»Joana«, kam sie mir dazwischen und nahm meine Hand, die ich ihr wie automatisch hingestreckt hatte, »ich weiß.« Sie lächelte, aber es sah gezwungen aus. Ich bemerkte die Lederkette an ihrem Hals. Sie war lang und verschlissen und an ihrem Ende hing ein kleiner, wahrscheinlich selbst gebastelter Traumfänger. Irgendwo hatte ich einen ähnlichen Anhänger schon mal gesehen, mir wollte nur nicht einfallen, wo. »Du wohnst bei Sam.« Wieso traute ich mich nicht, zu nicken? »Jared hat mir ...«
Mein Kopf fuhr zu Jared herum, der daraufhin auf einmal aus seiner Starre erwachte. »Okay, ah ... wisst ihr was? Du«, er deutete auf die Frau, deren Namen ich entweder nicht gehört oder versehentlich gleich wieder vergessen hatte, »du weißt, wo das Bücherregal steht.« Sie nickte und wandte sich von mir ab, um in Jareds Wohnung zu gehen. »Und du ... solltest jetzt wirklich gehen.«
»Ja, das glaube ich auch«, sagte ich, während meine Kehle sich immer enger schnürte. Wer war denn diese Frau? Und wieso spazierte sie hier rein, als gehörte ihr die Wohnung? Sie hatte einen Schlüssel, normalerweise. Ob Jared eine Freundin hatte? Das konnte mir egal sein, ich fand nur, dass er mir etwas zu nahegekommen wäre, wenn dem so wäre. Aber auch das konnte mir egal sein, es war Vergangenheit. Ich trat über die Schwelle und die Tür fiel ins Schloss.
»Wie kann es sein, dass du schon wieder den Schlüssel verloren hast?«, hörte ich noch Jareds Stimme von drinnen, dumpf und verklingend, weil er sich von der Tür entfernte. Was dann folgte, hörte ich nicht mehr.
Während des gesamten Heimwegs grummelte es in meiner Magengrube. Ich war nervös, weil ich nicht wusste, was Sam jetzt gleich tun würde. Ob er mich jetzt wirklich rauswarf? Hoffentlich nicht. Aber vielleicht hatte ich es jetzt zu weit getrieben. Das konnte gut sein, immerhin war ich mit seinem Erzfeind nach Hause gefahren und auch noch zu ihm mit in die Wohnung gegangen. Erzfeinde. Das war ganz sicher nicht das richtige Wort für die beiden, aber sie benahmen sich eben so.
Ich parkte meinen Wagen ganz an den Rand der Einfahrt, um keinen zu großen Platz wegzunehmen. Sams Jeep war nicht da, was bedeutete, dass er wohl wieder mal zur Arbeit gefahren war. Neugierde wabberte in meinem Herz, aber schlimmer war die Übelkeit. Was, wenn er jetzt alle meine Sachen in den Schnee geworfen hatte oder so?
Nichts dergleichen war der Fall. Zu meiner Überraschung hatte Sam nichts von mir auch nur angerührt. Nicht einmal die verwüstete Couch hatte er aufgeräumt. Auf der Kücheninsel lag ein Zettel, befestigt mit den Schlüsseln für den Chevrolet Truck. Ich schluckte. Vielleicht stand da jetzt noch mal, dass ich meine Sachen packen musste. Zögerlich nahm ich den Zettel hoch und las die ersten Worte, die mich sofort stutzig werden ließen.
»Die Scheiben vom Truck putzen, Stall ausmisten, Sky und Leila ausreiten, Einkaufen gehen (Liste auf der Rückseite), Kies in die Einfahrt schaufeln.« Ich starrte den Zettel an. Das konnte nur ... das war doch ... er konnte doch nicht ...
Also das war ja wohl entweder der mieseste Versuch einer Entschuldigung oder der abartig unverschämteste Witz aller Zeiten!
Ich zerknüllte den Zettel voll Wut. Mein Herz wummerte in meiner Brust, so heftig, dass ich den Wunsch hegte, irgendetwas zu zertrümmern. Aber kein armer Gegenstand hatte es verdient wegen Sams Unverschämtheit zu leiden. Eine Liste?! Er schrieb mir eine bescheuerte Liste?!
Als wäre gar nichts passiert ...
Perplex wickelte ich das Knäuel in meiner Hand wieder auf. Der konnte mich mal. Wahrscheinlich erwartete er jetzt Fehler. Er wünschte sich wohl, dass ich die Arbeit nicht machte, damit er mich dann aufgrund dessen rauswerfen konnte. Tja. Fehler, Sammy. Schwerer Fehler. Wild entschlossen, heute die beste Arbeit überhaupt zu leisten, machte ich mich ans Werk.
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