Forever
»Okay«, krächzte ich und musste mich räuspern. »Ich mag dich.« Wow. Toll. Das weiß er schon, Jo. Sag ihm jetzt, was dein Plan ist! Er sah mich nur an, wartete einfach geduldig. »Du kannst mein Herz sehen.«
»Das kann ich«, antwortete er überraschenderweise, als wäre das ein Allerweltsatz. Dabei bedeutete er alles. Er bedeutete mir alles.
»Und ... und ich will, dass wir ... also, wenn du das auch willst, dann können wir doch versuchen ...« Das Grinsen auf seinen Lippen wurde breiter, weshalb ich ins Stocken geriet und nicht mehr weiterwusste. Das war einfach nur peinlich. Ich war verdammt noch mal vierundzwanzig Jahre alt, da sollte man doch meinen, man wäre über dieses Alter hinaus. Aber anscheinend war dem nicht so. Mein Herz raste, meine Hände schwitzten, meine Knie wackelten. Er war jetzt dran, denn meine Stimme war leider vor Schreck gerade gestorben.
»Wir können versuchen ...«, setzte Sam bei meinem unvollständigen Satz an, grinste immer noch schelmisch und erwartete anscheinend von mir, dass ich das Ende des Satzes aussprach. Mir stockte der Atem. Es ging nicht. Es ging einfach nicht. »Joanie?« Ich nickte. »Willst du mit mir zusammen sein?«
»Ja«, hauchte ich gleichermaßen erleichtert wie überfordert. Und in diesem Moment fingen auch noch meine Augen an zu brennen - gleich würde ich weinen. Das war so dermaßen erbärmlich. »Ja.« Und du?
»Okay«, sagte Sam und kam wieder auf mich zu. Mein Herz beschleunigte sich wild, weil es panisch wurde. Alles war noch nicht gesagt. Ich war noch nicht bereit. Hektisch trat ich einen Schritt zurück, was ein erschrockenes Flackern in Sams Augen auslöste.
»Warte, ich ... ich will noch kurz was sagen.« Er nickte, blieb sofort stehen. »Ich werde weiter in der Stadt wohnen.«
»Okay ...«
»Ich kann nicht hier wohnen, Sam. Das geht nicht.«
»Ist gut.« Er gab sich verständnisvoll, aber er kapierte es nicht. Ich musste es ihm erklären. Irgendwie besser, damit er es verstand, aber nicht verletzt wurde. Es lag ja nicht an ihm.
»Hör zu, ich war mein Leben lang dauernd nur von irgendwem abhängig. Erst von meinen Eltern und dann von Paul und ... dann ... ja irgendwie von dir.« Sam schluckte, das war jetzt fieser rübergekommen, als ich es gewollt hatte. »Sam, ich kann nicht mit dir zusammen sein und gleichzeitig für dich arbeiten. Das geht einfach nicht. Was, wenn wir Streit haben und du mich wieder rauswirfst?«
Ups ...
Er stutzte vor Schreck. Seine Augen flimmerten verletzt und stürmisch, und ich hasste mich selbst dafür. »Das werde ich nicht. Joanie, ich schwör dir, ich ...«
»Ich möchte nicht mehr nur von ... anderen Menschen abhängig sein«, unterbrach ich ihn, weil es darum doch gar nicht ging. »Ich will mein eigenes Leben, mein eigenes Geld, meine eigene Arbeit. Ich kann das nicht haben, wenn ich bei dir lebe.« Auf einmal weinte ich und auch konnte ich jetzt nicht mehr aufhören zu reden. »Bitte, versteh das doch. Es geht nicht. Ich will im Kennedy arbeiten, da kann ich in den Pausen an meinem Buch schreiben und bin unter Leuten. Und ich habe dort meine Wohnung. Sie ist winzig, aber ich liebe sie. Ich hatte noch nie eine eigene Wohnung, Sam. Noch nie! Und jetzt ... Ich will das mit dir nicht zerstören, wir können noch nicht zusammenwohnen, es ist zu früh. Bitte, sei nicht sauer. Ich mag dich so gern, Sam, aber das ...«
Sams Lippen auf meinen unterbrachen meinen Schwall, schlagartig und fesselnd, und ich seufzte verzweifelt auf. Verzweifelt und berührt von der Intensität, mit der er mich küsste. Seine Hände legten sich an meine Wangen, meine wanderten in seinen Nacken. Jetzt keuchte er leise auf, dann löste er sich ein kleines Stück, strich mir eine Locke hinters Ohr und sah mir tief in die Augen.
So tief, dass mir schwindelig wurde.
»Ich mag dich auch so gern, Joana Fraser.«
Ich presste die Lippen aufeinander, meine Atmung wurde flach und gepresst und ich spürte eine seltsame Art von Panik in mir.
Fühlte sich das so an? Die Liebe? Vielleicht, höchstwahrscheinlich. Sicher und geborgen. Kein übertriebenes Schmertterlingflattern, keine Übelkeit, kein Bauchweh – einfach Wärme und gemütliche Wohligkeit. Ein Gefühl von Zuhause.
»D...du magst mich wirklich?« Wie bescheuert war ich eigentlich? Jetzt hinterfragte ich diesen fragilen kleinen Satz auch noch, damit er die Chance bekam, ihn zurückzunehmen. Perfekte Idee. Wirklich gut.
Aber er nahm ihn nicht zurück.
Er küsste mich noch mal. Und noch mal. Und er zog mich ganz nah an sich ran, und ich liebte es. Dieses Gefühl, einfach bei ihm zu sein.
Ohne mir Gedanken machen zu müssen, einfach nur bei ihm zu sein.
Seine rechte Hand entfernte sich von mir, im Augenwinkel sah ich, dass er am Regler des Gasherdes herumfummelte, bis die Flamme mit einem leisen Ächzen verschwand.
Dann wurde sein Kuss intensiver, eindringlicher. Mächtiger. Und ich machte mit, ich stellte mich auf die Zehenspitzen, damit war ich ihm noch näher, klammerte mich an ihn und wehrte mich auch nicht, als er mir mit beiden Händen unter die Oberschenkel fuhr und mich hochhob. Sofort schlang ich meine Beine um seine Taille, um mich an ihm festzuklammern, während er langsam Richtung Schlafzimmer ging.
»Sam ...«, seufzte ich, setzte unseren Kuss aber nicht aus. Er legte mich auf seinem Bett ab, kniete sich über mich und nickte an meinen Hals, während er mich dort küsste.
»Ja?«
»Ist das nicht ... Ich meine ...« Mir entglitt ein Wimmern, weil er mein Schlüsselbein küsste, und gleich noch eines und ein weiteres wegen seiner Lippen an meiner Haut. »Dürfen wir das?«
Da hielt er inne. Er bewegte sich nicht mehr, stemmte sich dann aber ein bisschen hoch, um mich ansehen zu können. »Wie bitte?«
Ich schluckte. Was war das auch für eine bescheuerte Frage gewesen? Dürfen wir das? Als wären wir vierzehn. »Vergiss es, das ... Vergiss es.« Ich umfasste seinen Kragen, wollte ihn wieder zu mir runterziehen, aber er griff nach meiner Hand und hielt sie fest.
»Was meinst du damit?«
»Sam, das ... war blöd. Vergiss es.«
»Nein«, wehrte er sich sanft, aber eindringlich. »Wieso sollten wir das nicht dürfen? Wir sind erwachsen. Du und ich, oder? Und wir ...«
»Ja, natürlich«, kam ich ihm hibbelig dazwischen. Ich wusste ja selbst nicht, was diese Frage gerade sollte, vielleicht war ich nur kurz in alte Muster zurückgefallen. Bei Paul war ich mir nie sicher gewesen, ob wir das durften, weil wir doch nur ein Alibipaar gewesen waren. Ich hatte mich bei keinem einzigen Mal fallen lassen können, hatte immer nachgedacht, immer gezweifelt. Das musste ich jetzt nicht mehr, ich war so bescheuert.
Ich seufzte und schloss die Augen vor Scham und Erniedrigung. Wieso konnte ich nicht einfach meine Klappe halten?
»Hör zu, Joanie, wir müssen nicht ...«
»Doch!«, platzte es wie wild aus mir heraus. Dieser Moment durfte jetzt nicht zerstört sein. Bitte, bitte nicht! »Bitte. Ich möchte das, ehrlich. Können wir einfach ...«
Sams Blick ließ mich erstarren, er sah so sanft und niedlich aus, und gleichzeitig so bestimmt, dass ich Angst bekam. »Es ist zu früh, Joanie.«
»Nein.«
»Doch, glaub mir.« Sam hievte sich von mir runter, legte sich neben mich und sah mir in die Augen. Er lächelte ein wenig traurig und mir kamen erneut die Tränen. Ich legte mir beide Hände über die Augen, um mich zu verstecken, weil ich mich so sehr schämte. Ich hatte alles verdorben. Alles ruiniert. Jetzt musste er mich hassen. »Joanie?«
»Nein ...«, wimmerte ich und ich wollte im Erdboden versinken. Ich wollte einfach nur verschwinden, mich eingraben, verpuffen. Wie konnte ein einzelner Mensch so unfassbar peinlich sein? Dürfen wir das? Ich könnte mich gerade dafür erwürgen.
»Joanie, sieh mich an.«
»Nein ...«
Ich hörte sein leises Lachen und das klang zumindest für mein Herz ein wenig nach Glück. Aber ich hatte ihn enttäuscht. Ich und meine dümmliche Frage. »Du hast recht. Vielleicht dürfen wir das noch nicht.«
»Wieso?« Wie peinlich war das? Jetzt versuchte er auch noch, mich aufzumuntern. Es war einfach nur noch erniedrigend. Und ich wollte allein sein. Nein, wollte ich nicht. Ich wollte bei Sam sein, für immer. Dauernd.
»Noch stehst du bei mir unter Vertrag. Wahrscheinlich wäre das illegal.«
Mir entglitt ein Lachen.
»Ich habe doch dieses Blatt unterschrieben.«
Sam biss sich auf die Lippe, seine Wangen wurden rot.
»Was?«
»Könnte sein, dass ich das Blatt verbrannt habe.«
»Du hast was?!«, entfuhr es mir wüst. Sam zuckte zusammen, dann grinste er mich frech an. »Aber ...«
Er unterbrach mich mit einem Kuss, für den ich nur zu gern vergaß, dass Sam ein unterschriebenes Dokument einfach vernichtet hatte. Das war illegal, aber es kümmerte mich nicht. Dann hatte er unsere schriftliche Trennungsübereinkunft eben verbrannt.
»Und das heißt, dass du immer noch für mich arbeitest.« Noch ein eindringlicher, langsamer Kuss. »Laut Vertrag.«
Dieser lächerliche Vertrag, der sowieso nichts galt, weil Sam den nicht einmal unterschrieben hatte. Ich ließ meine Hände sinken, drehte den Kopf und blickte in Sams dunkle Augen. Er sank auf den Rücken. Sein Haar war ihm hinters Ohr gefallen, weshalb ich den Ansatz seiner Narbe sehen konnte. Er versteckte sie nicht mehr vor mir, er ließ seine Deckung fallen. Für mich.
Meine Hand legte sich auf seine Wange, wie automatisch, strich sanft darüber, und dann nur ganz harmlos und vorsichtig über die rote Stelle an seiner Schläfe. Er schloss kurz die Augen, öffnete sie aber sofort wieder.
»Mein Dad, er ... Nach dem Unfall ...« Ich wollte meine Hand zurückziehen, aber Sam hielt sie fest. Er erlaubte mir, sich zu berühren. Sie zu berühren. Seine Narbe. Ich durfte sie spüren und mit ihr auch seinen Schmerz. »Nach dem Unfall wollte mein Dad nicht, dass die Leute in der Stadt erfahren, was passiert war.«
»Warum nicht?«, flüsterte ich.
»Früher war ich mir sicher, dass er sich für mich und meine Dummheit geschämt hat.« Hatte sein Vater ihn etwa dumm genannt? »Jetzt glaube ich, er hat sich für sich selbst geschämt. Ich hätte sterben können. Kann sein, dass er sich Vorwürfe gemacht hat, und er wollte nicht, dass die Leute in der Stadt ihm noch mehr machen.«
Ich sah in Sams Augen, die ruhig auf mir lagen. Er atmete einmal durch, ganz tief.
»Er hat mich weggeschickt. Ein paar Monate lang habe ich bei meiner Tante in Ottawa gewohnt. Dort kannte mich niemand und ... ich habe meine Haare wachsen und die Wunde zuheilen lassen und erst dann bin ich zurückgekommen. Dann konnte es niemand mehr sehen und alles war irgendwie wieder ... wie vorher.«
»Oh ... Sam ...«
»Ist nicht schlimm«, wehrte Sam mein Mitleid einfach ab. Ich musste noch lernen, ihm kein Mitleid zu zeigen, auch wenn ich es zutiefst empfand. Er mochte das nicht. »Ich wollte es dir nur erzählen.«
Kurz schwiegen wir. Ich war mir nicht sicher, ob ich noch einmal einhaken sollte, entschied mich dann aber dafür, das Thema zu wechseln.
»Können wir unseren Vertrag zerreißen?«, fragte ich leise. Sam schenkte mir ein herzzerreißend aufrichtiges Lächeln. Er beugte sich nach vorne, stupste meine Nase und küsste mich. Ein kleiner, vorsichtiger Kuss, aber er war ein Versprechen, und irgendwie wusste ich, dass es eines für immer war.
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