Crazy Little Word
Ich schluckte schwer, hatte auf einmal das Bedürfnis, mich unter meiner Bettdecke zu verkriechen, die neben mir lag. Ich fasste nach der Ecke und bedeckte mich fast vollständig.
Sam hob den Blick. Seine Augen traf auf Brians und ich wusste einfach nicht mehr, wo ich hinsehen sollte. Brian wirkte verlegen, fast beschämt, und Sam sah ... wütend aus? Wut? Ob ich Wut für eine angemessene Emotion hielt, wusste ich nicht. Brian hatte uns nicht wirklich bei etwas unterbrochen. Das hier war kein Vorspiel gewesen. Wieso fühlte ich mich trotzdem so ertappt?
»Tut mir leid, Leute, ich ... ich wollte nicht ...«
»Schon gut«, kam ich Brian dazwischen, weil Sam ganz und gar nicht so aussah, als wollte er die unnötige Entschuldigung seines Bruders annehmen. »Kein Problem. Ich habe mich nur verletzt.«
»Und da lässt du Sammy ran?«, witzelte Brian, seine gewohnte Unbeschwertheit war zurückgekehrt. Ging ja schnell. Er schlüpfte aus seinen Schuhen, während er weitersprach. »Hältst du dich für ein Pferd?«
»Alter!«, zischte Sam, so feindselig, dass ich zu ihm herumfuhr. »Halt den Mund!« Ich stutzte, aber Brian wirkte nicht im Ansatz überrascht. Eher kam er mir vor, als hätte er mit keinerlei anderer Reaktion gerechnet. Er schnaubte leise, belächelte seinen Bruder nur schweigend und ging in die Küche.
Sams Blick folgte ihm, dann fiel er auf mich, und für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, die Welt um uns herum bliebe einfach stehen. So ruckartig, dass ich, gäbe es dieses weltbremsende Phänomen wirklich, jetzt wohl vom Sofa gestürzt wäre. Ich schluckte, und dabei entwich mir ein peinlich kehliges Geräusch. Mir wurde heiß, Sam räusperte sich und klopfte sich auflockernd aufs Knie. »Es ... es ist nichts gebrochen«, sagte er dann plötzlich mit ernster Stimme. »Trotzdem solltest du ein paar Tage stillhalten und mit der Schulter nirgends anstoßen.«
»Sehr guter Rat, Sammy«, brach Brians Stimme durch meine Blase. Er ließ sich neben mich ins Sofa fallen, ein Bier in der einen Hand und ein Stück Apfelkuchen in der anderen. »Das ist natürlich sehr gefährlich. Menschen machen ja dauernd den Fehler, mit ihren verletzten Körperstellen irgendwo ...«
»Sei endlich still«, fiel Sam Brian ins Wort, der allerdings schüttelte nur ignorant den Kopf. Ich kapierte nicht ganz, was hier los war, aber wie immer empfand ich Brians Art als gemein. Sam hatte mir gut geholfen, er hatte sich Mühe gegeben. War doch egal, dass er kein Arzt war. Trotzdem schien er sich wirklich gut auszukennen. Und sein Rat war doch auch ... einfach nur lieb gemeint. Oder nicht?
»Danke, Sam«, sagte ich zutiefst ehrlich, und anscheinend so ernst, dass Sams Gesichtsausdruck verrutschte. Sein Zorn Brian gegenüber wich einer niedlichen Faszination, mit der er mich jetzt musterte. »Das war wirklich gut. Es tut jetzt schon weniger weh.« Im Augenwinkel konnte ich sehen, dass auch Brian mich anstarrte. Sollte er ruhig merken, dass ich Sam verteidigte. War mir egal. »Ich werde aufpassen, dass ich nirgends anstoße.« Brian schnaubte, Sam sah einfach nur noch verwirrt aus. Irgendwie süß. »Und stillhalten.«
»Gut, ahm ... und kühlen ... kühlen solltest du die Schulter auch.«
»Okay.«
»Und vielleicht hast du Lust, dass ... also morgen ist sowieso nicht so viel los, da könnten wir ... es uns einfach auf der Couch gemütlich machen.« Couchwochenende. Ja! Ich begann sofort zu lächeln, woraufhin Brian sich anscheinend schon wieder bemüßigt fühlte, zu schnauben. »Nur, wenn du auf so was stehst.«
»Tue ich«, sagte ich sofort und ohne Zweifel zuzulassen.
»Perfekt. Dann ist das ein Date.«
Er grinste und um mich herum gefror die Luft.
Ein ... was?!
Mir sank das Herz, alles blieb stehen, auch mein Blutfluss. Sam stand auf. Brian lachte neben mir leise. Ich hörte Sams Schritte, Brians Schlucken, mein Herz. Ein Date? Nein, das meinte er nicht so. Oder? Ein Date ...
Wieso denn ein Date?
»Ich mache Blakes Hufe noch fertig«, sagte Sam auf dem Weg zur Haustür. Ich nickte nur, während Brian seinen Arm hob, als Bestätigung dafür, dass er Sam wahrgenommen hatte. »Brian, mir wäre recht, wenn du bis dahin nicht den gesamten Kuchen aufgegessen hättest.«
»Aye, aye Dr. Sam!«
Dann fiel die Haustür ins Schloss und ich wurde etwas nervös, weil ich auf einmal mit Brian allein war. Eigentlich kamen wir gut miteinander klar, aber das gerade war schon wieder so fies gewesen. Wieso musste er immer so sein?
»Ich habe nicht versucht, Sam anzugreifen«, bemerkte er ohne Umschweife und sah dabei eindringlich in meine Richtung. »Aber sehr süß, wie du ihn gleich beschützt hast.«
»Sam kann sich selbst beschützen.«
»Offensichtlich nicht.« Ich atmete einmal durch. Im Grunde wirkte Brian gerade nicht gehässig oder fies, sondern ganz normal. Und das irritierte mich so. Zwischen Markus, meinem großen Bruder, und mir herrschte meistens nur Funkstille, wir verstanden uns weder schlecht noch gut, es war eher komplett oberflächlich. Das hatten unsere Eltern verbockt, ganz eindeutig. Sie hatten uns mehr zu Konkurrenten erzogen als zu Geschwistern. Vielleicht war es normal für Brüder, so miteinander umzugehen, wie es Sam und Brian taten.
»Tut mir leid, dass ich mich eingemischt habe.«
»Schon gut«, hauchte Brian, der plötzlich leicht nachdenklich wurde. Er musterte mich, und ich wich ihm nicht aus, weil ich neugierig war. Brian war jemand, der schnell aussprach, was er dachte. Er hielt sich nicht zurück, eine grundsätzlich sehr angenehme Eigenschaft, fand ich. Man wusste bei ihm eigentlich immer, woran man war. »Nur, na ja ... Sammy könnte das falsch verstanden haben.«
»Was meinst du?«
»Das mit morgen ...«, murmelte er gedämpft. »Hör mal, Jo, Sam mag dich. Glaube ich.« Das glaubte ich auch. Wäre schlimm, wenn er mich so gar nicht leiden könnte nach Monaten der mehr oder weniger produktiven Zusammenarbeit. Ich mochte ihn ja auch. »Und ich will nicht, dass er verletzt wird.«
»Brian, ich ...«
»Ich will, dass du ihm absagst.«
»Was?!« Vor Empörung entwich mir beinahe meine schützende Decke, weshalb ich sie noch fester umklammerte. »Wieso denn?«
»Weil du in ein paar Monaten wieder gehst!« Seine Stimme wurde scharf. Ich schluckte. »Und ich möchte nicht, dass Sam dann wieder in sein Loch fällt.« Verdattert starrte ich ihn an, viel zu perplex, um etwas zu erwidern. »Ich habe gemerkt, wie er dich ansieht. Aber du merkst das nicht, oder?« Immer noch war ich erstarrt. »Du merkst nicht, wie gern er dich hat.«
»Nein«, krächzte ich überfordert.
»Du wirst ihm wehtun, ... Joanie. Wenn du wieder gehst. Und dann wird er ...« Er unterbrach sich selbst, atmete einmal durch und schien zu überlegen. »Bitte mach ihm keine Hoffnungen, wo keine sind.«
Ich fühlte mich ernüchtert. Überfordert und zusätzlich auch noch zu unrecht angeschuldigt.
»Ich verstehe nicht, was du ... Du hast mich doch hergeholt. Du hast doch ...«
Brian nickte. Er sah mich genau an, anscheinend war er wirklich besorgt. »Ich weiß, aber ich ... ich hatte mir das anders vorgestellt.« Jetzt wurde ich neugierig. »Ich habe gedacht, du kommst her, ihr habt ein bisschen Spaß miteinander ... na ja, du weißt schon.«
»Ich befürchte, ich will es nicht wissen.«
Brian schenkte mir ein müdes Lächeln, das halb entschuldigend, halb resigniert aussah. »Ich habe gehofft, Sam könnte sich von ... von der ganzen Scheiße erholen, wenn er eine Ablenkung hätte.« Eine kurze, sechsmonatige Bettgeschichte ... schon klar. Er atmete einmal durch, wich meinem Blick aus und schüttelte langsam den Kopf, wodurch ich das Gefühl bekam, dass er selbst wusste, wie lächerlich seine Hoffnung gewesen war. »Eben nur für kurze Zeit und dann wärst du wieder gegangen und ... und alles wäre wieder geworden wie früher.« Auf einmal klang er fürchterlich verletzt, und er kam mir auch unglaublich jung vor. Brians Augen sahen aus wie die seines Bruders, plötzlich schimmerten sie auch so voll Schmerz wie Sams immer.
»Verstehe ...«
»Ich hatte einfach nicht ... nicht erwartet, dass er sich ... Dass der Vollidiot sich ernsthaft verliebt.«
Verliebt ...
Bevor ich in dieses Wort einhaken konnte, um es zu entschärfen, war Brian schon aufgestanden und gegangen. Verliebt. Sam war ganz sicher nicht verliebt in mich. So ein Blödsinn. Wir waren Freunde, ganz einfach. Wir verstanden uns gut. Er lachte in letzter Zeit mehr. Okay. Und das gefiel mir, ich mochte sein Lachen. Ich mochte auch seine Grübchen, und ich mochte es auch, wenn er gleichzeitig lachte und sich verlegen den Nacken rieb. Dann sah er meistens so ...
Oh Nein.
Nein, nein, nein. Nein!
»Na gut.« Ich zuckte zusammen. Sam schloss die Haustür leise, schlüpfte aus seinen Boots und erzählte währenddessen von Blake. Ich konnte ihm kaum zuhören, war wie hypnotisiert. »Joanie?«
»Hm?«
Er stand auf einmal neben mir, oh Mist.
»Ich habe dich gefragt, was eigentlich genau passiert ist?« Irritiert blickte ich ihn an, in mir randalierte es. Er sah mir in die Augen, dabei waren seine mal wieder so unglaublich dunkel und tief. Konnte man überhaupt so wunderhübsche Augen haben? War das möglich? »Hast du mir überhaupt zugehört?«
»Ähm ...« Er runzelte die Stirn. »Nicht wirklich. Tut mir leid. Ich ... ich war in Gedanken.« Bei dir. Du verwirrst meine Gedanken.
»Blake ist irgendwie nervös«, wiederholte er sich und ließ sich seufzend aufs Sofa fallen. Wie automatisch rutschte ich ein Stück weg. Abstand. Ich brauchte Abstand. Am besten immer so einen Meter, oder am besten gleich einen ganzen Hockeystick weit. Sam musterte mich, es war ihm aufgefallen. Mist. Mein Herz polterte, es tat schon fast weh. Und es war laut. »Na ja, jedenfalls ...«, immer noch wirkte er irritiert, »... konnte ich ihm die Hufeisen abnehmen, aber ich konnte ihn noch nicht neu beschlagen.«
»Oh...okay.«
»Okay?«
Ich nickte. Was sollte ich denn sonst sagen?
»Das ist eher das Gegenteil von okay.« Natürlich war es das. Wieso benahm ich mich gerade so bescheuert? Ich konnte ihm nicht einmal richtig in die Augen schauen. »Ich meine, es ist keine Katastrophe, aber es bringt jetzt schon irgendwie alles durcheinander.«
»Mhm ...«
Er sah mich an. Einen Moment lang glaubte ich, er würde etwas dazu sagen, dass ich mich so seltsam benahm, aber er wiederholte nur seine Frage. »Was ist heute passiert? Hat Blake dich getreten?« Er klang so besorgt, dass mir das Herz in die Magengrube sank. »So was tut er eigentlich nicht. Ich weiß nicht, wieso ...«
»Er hat mich nicht getreten«, unterbrach ich ihn schnell, damit er sich nicht noch mehr reinredete. »Die Nagelenden waren so schwer aufzubiegen und ich habe wohl zu viel Kraft angewendet.« Meine Stimme klang beschämt, was auch gut war. Ich fühlte mich schrecklich, weil Blake wirklich nichts dafür konnte. »Blake hat sich geschreckt und ich war so blöd. Ich weiß, dass man sich nicht neben ein Pferd auf den Boden setzt, man muss immer ...«
Sam wandte den Blick ab und nickte.
»Es tut mir leid, Sam.«
»Schon gut«, murmelte er, dann blickte er auf und lächelte mich an. Wieso lächelte er in letzter Zeit immer? Das verwirrte mich, und es verwirrte mein Herz, das es im Gegensatz zu meinem Kopf einfach keine Chance dagegen hatte. Es hüpfte wegen dieses Lächelns. »Hast du Lust, noch fernzusehen?«
Ja.
Aber ... nein. Ich biss mir auf die Lippe, wandte den Blick ab, weg von seinen Augen, seinem Lächeln, seinem gesamten Gesicht. Wieso war mir vorher nie aufgefallen, wie unglaublich gut Sam aussah? Nicht, dass es mir bisher entgangen wäre, das wohl nicht, aber im Moment überrollte mich eine gänzlich neue Art von Anziehung für ihn. Warum auf einmal? So plötzlich? Konnte ein Gefühl so von null auf hunderttausend umschlagen? Die Tatsache, dass er, Sam, ein so derart unglaublich wundervoller Mensch -, denn nichts anderes war er in meinen Augen, - in mich verliebt sein könnte, ließ mich innerlich verglühen.
»Okay ...« Er klang viel zu geknickt. »Stimmt irgendetwas nicht?«
»Doch, alles okay«, sprudelte ich hibbelig heraus und natürlich trafen sich unsere Blicke wieder. Er sah einfach nur verwirrt aus, ich wahrscheinlich panisch. »Alles gut. Ich ... ich bin nur müde.« Er nickte verständnisvoll, allerdings kam es mir vor, als kapierte er die Welt nicht mehr. »Ich würde gerne nur ... nur schlafen gehen.«
Er setzte zum Sprechen an, blieb aber dann stumm. Anstatt etwas zu sagen, stand er langsam auf, als hätte er auf einmal bemerkt, dass er auf meinem Bett saß. Bedauerlicherweise war auch mir das jetzt erst bewusst geworden, weshalb ich mir natürlich völlig bescheuert vorkam. Das war eine beinharte Abfuhr gewesen, und gleichzeitig hatte ich ihn auch noch von seinem eigenen Sofa vertrieben.
»Na, dann ...«
»Mhm.«
»Ich ... ich nehm mir noch was zu essen«, sagte er, als müsste er sich rechtfertigen. Das hier war sein Haus, er konnte doch machen, was er wollte. Deshalb nickte ich nicht, sondern suchte in meinem Chaos nach meinem Pyjama. Zwar war das irgendwie widerlich, weil ich noch nicht geduscht hatte, aber jetzt wo ich Sam hier verscheucht hatte, musste ich auch schlafen gehen. Mein ganzes Bett würde morgen nach Stall stinken. Genau wie mein Schlafhemd.
»Gute Nacht«, hörte ich Sam noch sagen. Ich blickte auf. Er hatte jetzt einen Teller in der Hand, auf dem sich allerlei Essen stapelte. Wollte er das jetzt in seinem Zimmer essen? Gott, was war ich für eine schreckliche Person? Aber ... wenn er wirklich in mich ... verliebt war ...
Ich schluckte den Gedanken runter. Morgen würde das alles schon viel einfach aussehen, ganz sicher. Das war immer so.
»Gute Nacht.« Er hörte mich nicht mehr.
Über Nacht schwächten sich oft die schlimmsten Hirngespinste zu den lächerlichsten kleinen Poltergeistern ab. Gar kein Problem.
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