Countrymusic and Cowboyboots
»Komm doch mit«, bot Brian mir an und grinste dabei, genau wie Sam immer grinste, wenn er irgendetwas sagte, wovon er genau wusste, dass es mich aus dem Konzept brachte. »Wird sicher lustig.«
»Ähm, ich ... ich weiß nicht.«
Eigentlich wollte ich schon mitgehen, mal wieder feiern, ein bisschen was trinken, einfach Spaß haben. Aber ... Sam. Er stand in der Küche, trank Kaffee und las irgendetwas in seinem Handy. Wäre er dann hier allein? An Silvester?
»Oh...kay«, betonte Brian etwas zu abfällig, »hab schon kapiert.« Er zwinkerte mit beiden Augen, bevor er sich vom Sofa erhob und Richtung Küche marschierte. »Sammy?«
»Hm?«
»Jo und ich gehen heute auf eine Silvesterparty. Kommst du mit?« Ich hielt den Atem an, als Sam aufblickte. Seine Augen lagen erst auf Brian, dann wanderten sie zu mir. Ich hatte noch gar nicht zugesagt, aber anscheinend hatte Brian das falsch verstanden. Absichtlich, würde ich mal stark vermuten.
»Wieso sollte ich mitkommen?«
Brian stöhnte auf und ließ sich resignierend auf einen Barhocker sinken. Er griff nach einer kleinen Tomate und steckte sie sich in den Mund. »Ein wenig Spaß würde dich nicht umbringen, weißt du?« Sam schwieg. Anscheinend war ihm die Diskussion ganz grundsätzlich zuwider. »Und Brady ist auch da.«
»Brady ist auch da?«
»Yep ...«
Was an diesem Blickwechsel kapierte ich nicht?
»Die Party ist im Geräteschuppen.«
Im Geräteschuppen ... als gäbe es nur den einen.
Die beiden sahen sich an, viel zu eindringlich, und irgendwie wirkte es, als unterhielten sie sich stumm über irgendwas. Nach kurzer Zeit, die sich anfühlte, wie eine bodenlose Unendlichkeit, wanderte Sams Blick zu mir. Ich schluckte, verwirrt über den Ausdruck in seinen Augen.
»Ist mir egal«, brummte er Brian entgegen. »Was kümmert's mich, was Brady macht?« Anscheinend kümmerte es ihn mehr, als es ihm lieb war, so getriggert wie er auf einmal aussah.
Brian schnaubte.
»Wie du willst. Jo und ich werden jedenfalls Spaß haben. Oder?« Fragend wandte ich mich an Sam, als bräuchte ich seine Erlaubnis. Erbärmlicher ging es nicht mehr. Brauchte ich sein Einverständnis? Vielleicht, ja. Immerhin arbeitete ich für ihn, oder nicht? Manchmal fühlte es sich in letzter Zeit nicht mehr so an. Ich machte meine Arbeit, sogar manchmal noch mehr, als Sam von mir verlangte, und ich machte sie gut. Glaubte ich. Jedenfalls beschwerte Sam sich nicht und er ließ mich hier alles tun. Jederzeit. Ich durfte immer fernsehen, alles essen, was ich wollte, es gab immer Kaffee für mich, ich konnte die Küche benutzen, und wenn ich mal am Sofa einschlief, dann beklagte Sam sich auch nicht. Manchmal witzelte er darüber, dass ich mein Logis anscheinend nicht leiden könne, weil ich so viel Zeit im Haus verbrachte. Aber er lag falsch. Es war nicht so, dass ich den Schuppen nicht mochte, ich mochte sein Haus nur einfach lieber.
Es war wunderschön.
Ganz einfach. Und ich hatte es dekoriert. Es gab jetzt eine Lichterkette, die sich von Balken zu Balken hangelte und so den ganzen Raum, also Wohnzimmer und Küche, einmal umrundete.
Sam machte auch keine Witze mehr darüber, dass mein Essen und mein Schlafplatz von meiner Arbeit abhingen. Vielleicht war er einfach zufrieden mit mir, und das machte mich auch selbst ziemlich zufrieden. Bei dem Gedanken meldeten sich meine Alarmglocken, weil ich doch mein Wohlbefinden eigentlich nicht mehr von der Meinung andere Menschen abhängig machen wollte. Aber bei Sam war das anders. Es war mir wichtig, was er über mich dachte. Und ich entschied jetzt einfach mal für mich, dass das schon in Ordnung ging.
Ich hörte ein Schnippen. »Hey ...« Und schreckte zusammen. »Erde an Jo.« Brian musterte mich, wahrscheinlich irritiert darüber, dass ich ihn ignoriert hatte.
»Wie bitte?«
»Wir werden Spaß haben ... nicht wahr?«
Ich blickte wieder zu Sam, ganz automatisch, und ich bildete mir ein, ein Geräusch von Brian vernommen zu haben, das mich zum Nicken zwang. Was Brian dachte, war mir komischerweise auch wichtig. Und er hielte mich wahrscheinlich für völlig lahm, wenn ich auf Sams Erlaubnis warten würde.
Sam zuckte mit Schulter. »Soll mir recht sein. Solange die Arbeit erledigt ist.« Also nickte ich Brian noch mal zu, der sofort wieder grinste.
Die Party fand auf der Brady-Ranch statt. Viel Land, gigantische freie Flächen und noch mehr Waldgebiete. Unendlich weiter Wald. Dieser Besitz war um mehr als einiges größer als der von Sam, das war mir schon beim Durchqueren des Begrenzungstors bewusst gewesen.
»Hey, Joana«, begrüßte Jared mich schon am Auto. Für Brian hatte er nur ein kurzes Nicken übrig. Ob die beiden auch Probleme miteinander hatten? »Wir geht's dir?« Er umarmte mich, und ehe ich mich wehren konnte, machte ich einfach mit.
»Gut ... danke für die Einladung.«
Jared gab ein abtuendes Grunzen von sich und winkte ab.
Laute Musik drang an mein Ohr, gemischt mit leisem Gemurmel und Lachen. Und hie und da einem lauten Schrei, der mehr nach Freude klang als nach Panik.
Brian sperrte seinen Truck ab und wir folgten Jared in einen Stall, der sich als Ursprung des Musik-Stimm-Gemisches herausstellte. Es war ein riesiges Gebäude mit hohem Dach und gigantischem Tor, ein nicht mehr gebrauchter Geräteschuppen, wie ich jetzt mal stark vermutete. Alles war dekoriert, bunt glitzernd, passend zum Jahreswechsel, und überall hingen Kanadaflaggen in verschiedenen Farben.
»Willst du was trinken?«
»Nein, danke.«
Sowohl Jared als auch Brian musterten mich kurz, bevor sich auch noch gegenseitig Blicke zuwarfen und sich bestimmt ihren ganz persönlichen Teil zu meiner Person dachten. Keine Ahnung, wieso ich abgelehnt hatte, eigentlich hatte ich megamäßigen Durst. Aber jetzt doch noch um etwas zu bitten, käme wahrscheinlich ultrakomisch.
Brian verschwand in der Menge, ich sah noch, wie er sich mit Kenny und Hope unterhielt, die beide vor einem Tisch standen, auf dem viele gefüllte Becher in Dreiecksform aufgestellt waren. Jemand warf einen Tischtennisbal und der landete in einem der Becher. Igitt. Niemand sonst schien das komisch zu finden, im Gegenteil. Es erklang wieder einer der Schreie, die ich vorhin schon gehört hatte, weshalb ich jetzt einfach mal annahm, dass das wohl ein Spiel sein musste.
Jared, der immer noch neben mir herumstand, als wäre er meine persönliche Begleitung, stupste mich leicht an. Ich lächelte ihm zu, um die Situation nicht ins Absurde abdriften zu lassen. Und tatsächlich lächelte er zurück. Seine dunklen Haare fielen ihm in die Stirn, er trug auch seine Brille, die ich wie immer umwerfend fand. Und sein Lächeln war auch liebenswert, unschuldig irgendwie, obwohl ich nicht glaubte, dass Jared ein Unschuldslämmchen war. Er war eher der Wolf-im-Schafspelz-Typ, so wie ich ihn dank Sams Halbgeschichten einschätzte. Der lachsfarbene Strickpulli und der gebügelte Hemdkragen darunter täuschten wahrscheinlich nur darüber hinweg, dass er es faustdick hinter den Ohren hatte. Bescheuerte Formulierung, aber komischerweise hatte ich das Gefühl, dass sie auf Jared passte.
»Willst du tanzen?«
»Ich, äh ... okay.«
Jared lächelte wieder, nahm mich an der Hand und zog mich stürmisch Richtung Jukebox. Es gab hier eine Jukebox! Eine richtige, kultige Jukebox. »Wie cool.« Ich starrte auf die Songauswahl und merkte, dass Jared sich darüber freute. »Darf ich was aussuchen?«
»Klar. Aber ich sag's gleich, meine Schwester hat die Auswahl gestaltet.« Er verdrehte die Augen, wirkte aber nicht ernsthaft genervt. »Ihr Geschmack ist ... komisch.«
»Finde ich gar nicht ...«
Es gab fast nur Countrysongs zur Auswahl, und mit dem Wissen, dass Jareds Familie aus Texas stammte, verwandelte diese Jukebox sich jetzt in ein völliges Klischee.
»Deine Schwester hat einen tollen Geschmack.« Grinsend wählte ich einen Song aus, den Jared mit einem begeisterten Grinsen lobte. »Ist sie hier?«, fragte ich plötzlich interessiert.
Etwas Dunkles flackerte in Jareds Augen auf, bevor er den Kopf schüttelte und verhalten lächelte. »Sie geht nicht so gern unter Leute.« Okay ...
Sanfte Klänge ertönten durch die Boxen, ein Mädchen, das auf der Bühne saß, quiekte einmal auf und alle setzten sich in Bewegung. Wirklich alle. Auch Brian, der aber selten unbegeistert aussah.
»Das ist ein Squaredance Song«, flüsterte Jared mir ins Ohr, und ich erstarrte vor Schreck, als er nach meiner Hand griff und mich davonzog. Hatte er Squaredance gesagt? Ja, hatte er ...
Bevor ich mich wehren konnte, befand ich mich in der Formation ... heilige Scheiße. Ich hatte keine Ahnung, wie das ging, und ich schien damit ziemlich allein dazustehen. Verwirrt machte ich einfach alles nach, was die anderen machten, wurde herumgewirbelt und gedreht, verpatzte so ungefähr jeden Schritt, aber kam bei all dem kaum aus dem Lachen raus. Das machte Spaß. Verdammt, das machte echt irre Spaß.
Erschöpft und über beide Ohren grinsend hingen Jared und ich danach wieder über der Jukebox. »Das war so lustig«, säuselte ich. Jared lachte auf und nickte dazu. Fast wirkte er ungläubig.
»Stimmt. Und das sagst du, obwohl du noch keinen Schluck Alkohol intus hast.«
»Sehr richtig, weil ich auch ohne Alkohol Spaß haben kann.« Oh Gott, was rede ich denn da? Und wieso klang ich dabei so anzüglich und fremd?
»Das sehe ich.« Jared grinste. Dann zeigte er auf die Jukebox, was wohl bedeutete, dass ich noch mal wählen durfte. Yippie. »Vielleicht jetzt, was weniger Wildes? Die Leute sollen Mitternacht noch erleben.«
»Geht klar.«
Zwei Sekunden später schwirrte ein langsamer Countrysong durch die Halle. Johnny Cash, den liebte ich. Jared hielt mir seine Hand entgegen und ich legte meine sofort rein. Er zog mich auf die Tanzfläche, machte keinen Hehl daraus, dass dieser ein langsamer, körpernaher Tanz werden würde, und ich fühlte mich auch nicht, als müsste ich auf Abstand gehen. Seine Nähe gefiel mir. Sogar sehr.
Ich konnte Jareds Hände spüren, die sich langsam in meine hinteren Hosentaschen schoben. Anzüglich. Aber gut. Und irrationalerweise völlig okay für mich. Ich lächelte ihn an, was er zum Anlass nahm, um mich noch näher an sich zu ziehen. Ich ließ mich gegen seine Brust sinken, genoss die Nähe, die Wärme, das kuschelige Gefühl, das sich in mir ausbreitete.
Bis mein Handy in meiner Hosentasche vibrierte und mich zusammenzucken ließ. Jared ging es genauso, er hatte es auch bemerkt. Und ich spürte, dass sein Körper sich deshalb versteifte. Ich ignorierte das Summen, drückte mich näher an Jared und beschloss, diesen Abend jetzt einfach zu genießen.
Wieder ein Summen.
Ignorieren.
Und noch eines.
»Joana ...«
Noch ein Summen. So ein Mist.
»Tut mir leid, ich ... ich muss nachsehen«, sagte ich geknickt. Seit ich in Kanada war, hatte mein Handy noch nie derart oft hintereinander von sich hören lassen. Kaum jemand hatte meine neue Nummer. Jared nahm seine Hände von mir, nickte mir abtuend zu und trat einige Schritte rückwärts Richtung Bar, wo er sofort in ein Gespräch verwickelt wurde.
Seltsam erleichtert, wieder allein und unberührt zu sein, zog ich mein Handy aus der Tasche.
Was für eine Frechheit?! Ich wollte mein Handy gerade wieder wegpacken, da surrte eine neue Nachricht herein.
Überfordert blinzelte ich meinen Bildschirm an, nicht sicher, was ich jetzt tun sollte.
Bitte.
Wieso denn? Was konnte denn jetzt so wichtig sein? Ob vielleicht was passiert war? Ob er verletzt war? Oder eines der Pferde?
Verloren in meiner Sorge und irgendwie wirklich zutiefst beunruhigt suchte ich nach Brian. Es dauerte eine verdammt lange halbe Stunde, bis ich ihn endlich in der Menge fand, nur um zu merken, dass er die ganze Zeit an der Bar gestanden und die Tanzfläche angestarrt hatte.
»Brian ...«
»Hey, alles okay?«
»Ja, ich ... ich suche dich nur schon seit Ewigkeiten.« Er runzelte die Stirn, sagte aber nichts dazu. »Ich muss nach Hause.«
»Wieso? Es ist noch nicht Mitternacht.«
»Ich weiß, aber Sam hat ...« Brians Blick verunsicherte mich, überrascht wirkte er nicht gerade, eher komplett gelassen. Ich schluckte. »Er hat mich gebeten, zu kommen.«
»Gott, dieser Idiot ...«
»Vielleicht ist was passiert.«
»Ja, natürlich«, meinte Brian sarkastisch und kramte dabei in seiner Hosentasche, hoffentlich nach dem Autoschlüssel. »Er ist eifersüchtig, Jo. Ganz einfach. Hast du was getrunken?«
»Nein. Auf was denn?«
»Hä?«
»Auf was soll er eifersüchtig sein?«
»Vielleicht deinen Trockensex mit Jared, den du da gerade veranstaltet hast?« Mein Herz blieb stehen, dann pumpte es weiter. Mir strömte derart viel Blut ins Gesicht, dass mir ganz heiß wurde. »Keine Sorge, ich verrate ihm nichts.«
Er hielt mir den Schlüssel hin und ich griff wie verloren zu. Keine Ahnung, wie er darauf kam, dass es Sam interessieren könnte, was ich mit Jared tat. Ihm war es doch völlig egal, was ich machte, solange ich nur morgens um sechs für ihn zur Verfügung stand und abends mit Open-End-Arbeitsmoral ackerte.
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