Can't Help My Heart
Sam sprach nicht mehr mit mir und das tat echt ganz schön weh. Seit zwei Tagen inzwischen. Eigentlich sollte es mir egal sein. Sam und sein Schweigen sollten mir egal sein. Ich hatte zwar nichts falsch gemacht, aber es gab keinen Grund dazu, mich aufzuregen. Es war sogar gut. Heute zum Beispiel hatte er mich nicht einmal geweckt. Ich hatte weiter auf dem Sofa geschlafen, nur weil der Schuppen inzwischen so kalt war, dass ich darin wahrscheinlich tatsächlich erfrieren würde. Nicht etwa, weil ich gern im Haus war. Sams Nähe war mir egal, und wenn er tausend Kilometer weg wäre ...
Nur, dass das alles Blödsinn war.
Es war mir eben nicht egal. Schon gar nicht, dass von draußen die Sonne hereingeglitzert hatte, als ich heute wachgeworden war. Das war gemein. Sam hätte mich wecken müssen. Ich zog mich schnell an, trank ein paar Schluck Kaffee und aß ein Stück trockenes Brot zum Frühstück. Eine Liste fand ich nirgends. Auch das tat mir weh. Wenn er durch seine Listen eine Entschuldigung ausdrückte, was hieß es dann, wenn er gar nicht erst eine schrieb?
Egal. Den Stall auszumisten, stand eigentlich jeden Tag auf meinem Programm, also konnte ich damit anfangen. Vielleicht hatte Sam die Liste nur vergessen. Vielleicht war er bei der Arbeit. Konnte ja sein, dass es ein Notfall gewesen war. Und deshalb hatte er wahrscheinlich auch vergessen, mich aufzuwecken. Alles okay. Das war wahrscheinlich der Grund.
Oder auch nicht.
Ich erstarrte in der Stalltür, als ich Sam darin stehen sah. Er hatte hohe Gummistiefel an den Füßen, einen übergroßen Pulli an und eine Mistschaufel in seinen Händen. »Sam?«
Er blickte auf, nickte mir zu und machte weiter mit dem Schaufeln. »Was machst du da?«
»Den Stall ausmisten.«
»Das sehe ich«, murrte ich irritiert.
Für einen kurzen, ewigen Augenblick lang sah Sam zu mir her. Er schien mich zu mustern, sich vielleicht sogar irgendeinen Kommentar zu überlegen. Aber er entschied sich nur zu einem schnellen Schulterzucken und wandte sich wieder ab. Mir stach das Herz. Ich wusste nicht, wieso. Im Grunde sollte es mir egal sein, dass Sam anscheinend entschieden hatte, mich nicht mehr zu mögen. Dann gab es eben einen Menschen mehr auf der Welt, der mich nicht ausstehen konnte. Auch egal.
»Wieso machst du das?«
»Weil man das jeden Tag macht.«
»Nein, ich meine ...« Ich biss mir auf die Lippe, meine Stimme bröckelte und das hasste ich. Wieso konnte ich bloß Sam gegenüber nie meine Haltung bewahren? Das war doch sonst nie ein Problem. Wenn dich einer schlecht behandelt, Joana, dann bewahre Haltung. Sei stark und lass dich nicht einschüchtern. Danke, Mom ... glorreiche Tipps, nur leider völlig unbrauchbar bei Sam. »Ich meine, wieso machst du das? Normalerweise miste ich doch aus.«
»Du hast noch geschlafen.«
»Normalerweise weckst du mich.«
»Heute eben nicht.«
»Aber normalerweise ...«
»Normalerweise«, fuhr er mir dazwischen, »kann ich mir auch sicher sein, dass du morgen noch da bist. Du sprichst ja nicht mehr mit mir, seit dein Paul angerufen hat. Kann ich wissen, dass du nicht schon längst einen Flug gebucht hast?« Mein Hirn konnte sich nicht entscheiden, ob es sich über Sam wundern sollte, oder lieber mein Herz bekämpfen, dass sich irrationalerweise über das Wort »normalerweise« zu freuen schien. Es hüpfte ganz wild, weil ich schon so lange kein Normalerweise mehr gehabt hatte. Wenn überhaupt jemals. Bei uns war früher jeder Tag anders gewesen, es hatte keine Routinen gegeben, keine Struktur. Vielleicht liebte ich diese Ranch deshalb so sehr. Hier hatte jeder Tag einen Ablauf.
Aber ... was Sam gerade gesagt hatte ... »Wie meinst du das? Ich spreche nicht mehr mit dir?« Das machte doch er. »Du ignorierst mich doch seit vorgestern.«
»Ja, weil du keinen Ton mehr gesagt hast, seit Paul ...« Er verstummte, seufzte einmal und lehnte dann die Mistschaufel an Blakes Boxentür. »Hast du ihn angerufen?«
Eigentlich hatte er keine Antwort verdient.
Aber er hatte mir ein Normalerweise geschenkt. Und mein Herz mochte das. Es liebte das sogar. Also schüttelte ich den Kopf. Etwas schimmerte in Sams Augen, ich konnte nicht ganz erfassen, was es war.
»Und wirst du ihn anrufen?«
Wieder schüttelte ich den Kopf. Anscheinend würde ich ihn nicht anrufen. Hatte ich das jetzt in diesem Moment beschlossen? Warum? Wegen Sams Frage? Dem Bröckeln in seiner Stimme? Vielleicht wegen seiner Augen, weil sie glitzerten und weil sie in mein Herz sahen.
»Warum nicht?«
»Weil ich hierbleiben will.«
»Und das kannst du nicht, wenn er dich bittet, zurückzukommen.« Das war keine Frage gewesen, eher eine Feststellung. Wie konnte es überhaupt sein, dass Sam das wusste? Das er es einfach verstand? Niemand kannte mich so gut, vielleicht nicht einmal Laurie. Sie würde sagen, dass ich auf Paul scheißen sollte. So redete Laurie. Schnapp dir Sam, leb dein Leben. Aber so einfach war das nicht und Sam schien das als Einziger einfach zu verstehen. »Aber wieso? Joanie?« Wieso sagte er meinen Namen? Und so eindringlich und leise. Fast nur ein Hauch. »Woran liegt das?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hat er was gegen dich in der Hand?« Er kam mir näher. Diese Frage hatte er nicht böse gemeint, er war einfach interessiert. Auch das irritierte mich. Wieso interessierte es ihn so sehr? »Nacktfotos oder so was?«
Er grinste und ich musste lachen. Idiot.
»Oder einen schönen, kleinen Skandal, der nicht ans Licht kommen darf?« Er machte nur Witze.
Ich atmete auf. Oh Gott, Sam wollte mich aufmuntern. Wie süß war das? Und er kam immer weiter auf mich zu.
»Kennt er all deine dunklen Geheimnisse?« Immer noch grinste er, wobei er jetzt auf einmal eine ernste Miene aufsetzte. Gespielt ernst, aber eindrucksvoll. »Sag es mir, Joana Fraser, erzähl mir alles.« Er kam mir noch näher und ich musste laut loslachen, als er plötzlich meine Oberarme umfasste. »Ich kann dich vor Gericht beschützen.« Er schüttelte mich leicht, ich lachte immer noch. »Ich werde alles leugnen, was er dir anhängt.« Wie konnte er nur so ernst dabei aussehen? »Du musst nicht zurück nach Österreich, brenn mit mir durch, leb mit mir im Wald. Für immer.« Jetzt lächelte er wieder, weil das wieder nur ein Scherz war, aber in mir zog sich alles zusammen. Nicht schmerzhaft, nur irgendwie ... freudig erregt. Das klang einfach so schön, es klang nach Heimat und Geborgenheit. Mist. Ich wurde rot, ich konnte es spüren. Genau wie ich Sams Blick spüren konnte, der sich jetzt tief in mich drängte. Er hatte aufgehört mich zu schütteln, hielt mich aber immer noch fest.
Mir wurde warm.
»Du würdest für mich vor Gericht gehen?«, krächzte ich völlig überfordert von seiner Nähe und seiner Berührung. Keine Ahnung, wieso es gerade das war, woran mein Herz sich aufgehängt hatte. Vielleicht lag es daran, dass ich wusste, wie sehr Sam Gerichte und Anwälte hasste. Trotzdem nickte er. Er nickte allen Ernstes.
»Aber ...«, er räusperte sich und ließ mich perplex blinzelnd los, »... das wird doch nicht nötig sein, oder? Ich meine, du hast ... doch sicher nichts angestellt. Oder doch?« So wie du?, wollte mir über die Lippen, aber ich hielt mich zurück. Gerade schien alles zwischen uns wieder in die richtige Bahn zu driften, da wollte nicht alles durch drei kleine Wörter zerstören. Aber Sam hatte ganz sicher irgendetwas Schlimmes getan, das wusste ich ja schon. Nur wenn man richtig Dreck am Stecken hat, wird man derart panisch bei dem bloßen Gedanken an Anwälte. Irgendwann würde ich es herausfinden, dann würde er es mir vielleicht sogar erzählen. Aber nicht heute.
»Nein«, sagte ich beruhigend. »Ich habe noch nie etwas Illegales getan.«
»Noch nie?«, entfuhr es ihm eine Spur zu überrascht. Ich schüttelte den Kopf. »Nicht einmal was Kleines geklaut? Oder gekifft? Zu früh Alkohol getrunken?« Nein, nein und nein. »Wow.« Wieso konnte ich aus diesem Wow ein eindeutiges Wie langweilig heraushören? »Kein Tempolimit überschritten? Du hast noch nicht einmal ... Süßigkeiten ins Kino geschmuggelt?«
Darauf musste ich auf einmal lachen. Er hatte das so ernst klingen lassen, dabei war das doch ein so lächerliches Vergehen. Trotzdem ... »Nein, auch das nicht.«
Er sah mich an. Eindringlich, als wollte er versuchen, mich ganz genau zu analysieren. »Ich weiß etwas.«
»Wie bitte?«
»Ich weiß etwas Illegales, das du getan hast. Oder sogar gerade tust.«
Eine seltsame Mischung aus Neugierde und Furcht machte sich in mit breit. Er machte nur wieder einen Witz. Ich tat nichts Illegales. Schon gar nicht in diesem Moment. Oder war es in Kanada illegal, morgens in einem Stall zu stehen? Wohl kaum. Vielleicht war es illegal, dass Sam bei mir war. Jungs und Mädchen und so ... Und er war mir schon ziemlich nah.
»Es hat nichts mit mir zu tun«, las Sam meine Gedanken und grinste mich an. »Was ... wenn ich so darüber nachdenke, genau das Problem ist.«
Mir wurde heiß.
»Worüber redest du bitte?« Er grinste. Auf einmal fiel mir auf, wie unbeschreiblich nah er mir immer noch stand. Ich konnte ihn riechen. Pferdemist, Schnee, Winter, Holz, Feuer. Gott, Sam duftete einfach so gut. Bevor ich Sam kennengelernt hatte, war mir nicht klar gewesen, wie gut ein Mensch riechen konnte. Auch nicht, dass Pferdemist ein so hinreißender Duft sein konnte. »Sam ...«
»Joanie«, unterbrach er mich. In seinem Ton lag eine Warnung. Er würde doch nicht wirklich etwas Illegales wissen? Ich hatte doch gar nichts falsch gemacht. Oder? »Ich enttäusche dein braves Juristenherz ja nur ungern.« Dafür war sein Grinsen ganz schön breit. »Aber ... du, Prinzessin, bist illegal in diesem Land.«
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