Die Qual Der Entscheidung
Toni hatte Recht. Mein gewohntes Leben im Krankenhaus ging erst einmal normal weiter.
Zumindest äußerlich war es normal. Innerlich entfernte es sich jedoch immer mehr davon, denn es hatten sich ganz neue Perspektiven für mich geöffnet und nach und nach merkte ich, wie sie mein Denken veränderten. Langsam, aber stetig begann ich, mein Leben im Krankenhaus zu hinterfragen.
Zunächst schossen mir die Gedanken nur ab und zu in den Kopf. Es waren Gedanken wie "Was würdest du jetzt tun, wenn du draußen wärst?" oder "Meinst du, es würde dir draußen nicht besser gehen?"
Doch auch die andere Seite in mir war stark. "Willst du so enden?", fragte ich mich immer, wenn ich einen Rollstuhlfahrer sah und oft kam aich die Frage "Wirst du es nicht bereuen, wenn du es nicht versuchst?".
Nach und nach wurden solche Gedanken zu meinem ständigen Begleiter.
Freiheit oder weitere Behandlung? Für immer Rollstuhl oder nur vielleicht für immer Rollstuhl?
Es war wie ein unlösbares Rätsel für mich und das setzte mich massiv unter Druck, denn es war so wichtig. Es war das erste Mal, dass ich wieder Verantwortung bekam. Ich musste jetzt selbst wissen, was das Beste für mich war und diese Entscheidung wollte ich auf keinen Fall vermasseln.
Natürlich sprach ich auch viel mit Toni darüber und auch mit Ju, Anni und weiteren Ärzten und sogar mit Vik, der mich ab und zu besuchte, jedoch fühlte ich mich danach nur noch unsicherer, da mir gefühlt jeder etwas Anderes riet.
Und so wartete ich einfach ab, versuchte, an andere Dinge zu denken und schob die Entscheidung so lange wie möglich auf.
Schließlich gab es das besagte Treffen all meiner Ärzte zusammen mit Dr. Allwissend, bei dem ein mögliches weiteres Vorgehen besprochen wurde.
Dieses wurde mir dann später auch in aller Förmlichkeit vorgestellt. Es ging im Wesentlichen um eine Behandlung mit Stromstößen, die die Nerven neu anregen sollten, wie mir Dr. Allwissend erklärte. Bei einigen Patienten habe es wohl schon geholfen, aber trotzdem klang es für mich ziemlich gruselig. Die Herrschaften gaben mir dann erneut einen Tag Bedenkzeit und ließen mich mit der Entscheidung allein.
Es war ein Ringen mit mir selbst und wie so oft nahmen meine Gedanken bedrohlich schnell Fahrt auf und begannen, unkontrolliert in mir zu toben.
Und so war es für mich eine große Erleichterung, als es irgendwann an meiner Tür klopfte. Ich richtete mich auf und erwartete, dass Toni eintreten würde, doch zu meiner Überraschung war es nicht er, der mein Zimmer betrat, sondern der Chefarzt Prof. Dr. Gregor Onkh.
"Hallo Nia", sagte er und irgendwie wurde mir dabei sofort warm ums Herz.
"Hallo, Dr. Onkh", antwortete ich und rang um ein Lächeln, "Kann ich Ihnen helfen?"
Dr Onkh kam auf mein Bett zu und meinte: "Nein danke, ich wollte nur nachschauen, wie es dir geht."
Ich war kurz ein bisschen verwirrt und verstand nicht, was er von mir wollte, also begann ich zögerlich, meine Ergebnisse des TMBs zu wiederholen: "Also... Bei diesem Bewegungstest kam heraus, dass ich auf dem linken Arm achtzig Prozent Beweglichkeit und auf dem rechten..."
Dr Onkh lachte leise und machte eine abwehrende Handbewegung. "Oh nein, über deinen medizinischen Status weiß ich bestens Bescheid, ich möchte gerne wissen, wie du dich fühlst. Weißt du, es kommt nicht so oft vor, dass Patienten so lange hier sind und bei dir ist es ja noch einmal ein besonderer Fall. Ich kann mir vorstellen, dass diese Situation mit der Entscheidung nicht einfach für dich ist..."
Ich schwieg. Dieses ehrliche Interesse von dem Chefarzt freute mich sehr, aber irgendwie erschien es mir auch seltsam, mit ihm über meine Gefühle zu sprechen. Ich versuchte, mein Inneres zu sortieren, um mir möglichst passende und angemessene Worte zurechtlegen zu können, doch natürlich scheiterte ich. Ich war selbst zu verwirrt, um irgendwas Logisches und Vortragbares aus meinem Hirn herauszubekommen.
Ich schaute Dr. Onkh ins Gesicht. Er sah mich so gütig und geduldig an, dass plötzlich der Druck in mir abzufallen schien. Auf einmal fiel es mir ganz leicht, zu sprechen und so redete ich einfach drauflos.
"Ich... Ich bin irgendwie so verwirrt. Also natürlich will ich laufen können, das ist ja logisch, aber diese Behandlung mit dem Strom klingt so... komisch. Und irgendwie habe ich auch das Gefühl, dass selbst die Ärzte nicht so große Hoffnungen haben, dass das wirklich klappt..."
Der Chefarzt nickte. "Es sind eben experimentelle Behandlungen. Die Chance, dass sie anschlagen kann man einschätzen und oft ist sie gering, das stimmt. Also denkst du eher über die Entlassung nach?"
Ich überlegte kurz und begann dann vorsichtig: "Eine Entlassung wäre einfach... unglaublich, aber..." Ich stockte.
Der Chefarzt schien zu erkennen, was ich dachte und beendete meinen Satz: "Es ist auch unheimlich nach so langer Zeit hier, habe ich Recht?" Ich presste meine Lippen zusammen und nickte.
Dr Onkh nickte auch, strich sich durch den Bart und sagte nichts weiter. Irgendwie war mir diese Stille in dem Moment aber gar nicht unangenehm. Dr Onkh hatte einfach so eine beruhigende und angenehme Ausstrahlung und es tat echt gut, wenn er bei einem war. Endlich konnte ich mich innerlich ein wenig sortieren und setzte wieder an:
"Ich glaube, mein Problem ist es auch, dass ich mit so vielen Leuten darüber geredet habe und ich jetzt nicht mehr weiß, was meine eigene Meinung ist und was ihre. Als Toni bei mir war, hat er zum Beispiel gesagt, dass er zwar gerne mit mir raus in die Welt wil, aber auch alles versuchen will, um meine Beine zu retten..." Ich brach und sog scharf die Luft ein.
Mist!!! Was hatte ich da gerade gesagt???
Ich hatte Toni vor dem Chefarzt geduzt und dem Chefarzt nebenbri auch noch erzählt, dass mein Arzt mit mir zusammen in die Freiheit will. Sofort blitzten in mir Bilder auf, wie Dr. Onkhs mich anschrie und Toni sich dann vor Gericht oder so verantworten muss, weil er etwas mit einem Patienten hatte und ich ihn nie mehr wieder sehen konnte.
Ich schluckte heftig und schaute schließlich ängstlich zu Dr. Onkh auf und wartete auf eine Reaktion.
Doch nur ein leichtes Blitzen war in Dr Onkhs Augen zu erkennen, bevor er unter einem kleinen Lacher sagte: "Fahr fort."
"... Also Dr. Pirosa meinte halt, dass wir es zumindest versuchen sollten, wenn es die Chance gibt, dass es anschlagen könnte", sagte ich schnell, immer noch von meinen eigenem Aussagen geschockt.
Aber Dr Onkh ließ sich nichts anmerken und nickte nur erneut: "Ja, beide Möglichkeiten haben eben ihre Berechtigung und ich würde behaupten, dass es dabei nicht um eine richtige und falsche Entscheidung geht. Hör einfach auf dein Gefühl, damit liegst du meistens richtig."
"Ja...", sagte ich nachdenklich, "Vielen Dank, Dr. Onkh, es ist immer gut, mit Ihnen zu sprechen."
Dr Onkh schenkte mir ein warmherziges Lächeln und stand auf. "Das Vergnügen liegt ganz auf meiner Seite. Gute Nacht, Nia."
Da war ich mir sicher, dass ich von ihm nichts fürchten musste wegen Toni.
Dankbar lächelte ich ihn an.
"Gute Nacht, Dr. Onkh."
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Heey:) Kurze Anmerkung: Nächste Woche und eventuell auch noch den Dienstag danach wird es keine neuen Kapitel geben, danach geht es aber regulär weiter. Genießt die warmen Temperaturen:)
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