- Kapitel 4 -
Der letzte Nachmittag war noch sehr schön, doch der nächste Schultag war natürlich nicht zu verhindern und damit auch nicht die nächste Sozialkundestunde. Meine Mutter verabschiedete mich mit einem Kuss auf die Stirn und ließ mich erst aus dem Haus, als ich ihr versichert hatte, das alles in Ordnung sei. Das war eine halbe Lüge. Physikalisch ging es mir gut, medizinisch auch, meine Nerven jedoch lagen blank.
Ich wusste von vorne herein, dass das ganze schiefgehen würde. Ich war nervös, meine Hände schwitzten und ich war mir nicht mal sicher, ob das aus Angst oder von Aufregung kam.
Doch von Vermutungen heraus würde ich behaupten, dass es wohl eher die Angst war, die in mir sprach. Je näher ich der Schule kam, desto langsamere Schritte machte ich. Eine Zeit lang überlegte ich, mich umzudrehen, aber ich entschied mich dagegen. Das konnte ich nicht machen, also atmete ich tief durch und fing an, wieder schneller zu laufen. Dabei wurde ich immer schneller, weil ich mich davon abhalten wollte, doch noch umzudrehen. Und so kam ich gehetzt auf dem Schulhof an, wo Megan auf mich wartete.
Sie strahlte mich breit an und ich musste mich automatisch fragen, wie man morgens nur so gut gelaunt sein konnte. Also zog ich nur skeptisch eine Augenbraue hoch und Megan seufzte. ,,Warum bist do so schlecht gelaunt", murrte sie und schaute mich beleidigt an. Es schien, als hätte ich sie von ihrem Höhentrip herunter gebracht.
Gut so, dachte ich und dann fiel mir ein, dass das echt unfair von mir war. Aber an Tagen wo ich schlecht gelaunt war, war ich halt manchmal unfair und launisch.
Heute sogar Zurecht.
,,Ich darf doch wohl schlecht gelaunt sein. Es kann nicht jeder so einen Strahlemensch sein wie du", meckerte ich herum und spürte wie meine Augenbraue an ihren ursprünglichen Ort zurückrutschte. Das schien sie zu beruhigen und ein sanfter Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht, welchen ich nur zu gut kannte.
,,Ist es wegen Noan?", fragte sie sanft und legte ihren Arm um meine Schulter, wobei sie sich auf mir abstützen konnte, da ich einfach kleiner war als sie. Ich schnaubte nur und versuchte mich stärker darzustellen. ,,Sprich seinen Namen nicht aus, da muss ich nunmal durch", brummte ich also und schaute zu ihr hoch.
Sie drückte mich fest an sich und wuschelte mit der einen Hand durch meine Locken, womit sie mich zum Lächeln brachte. Lange konnte ich ihr nie böse sein und sie wusste nur zu gut, was sie machen musste, um mich aufzumuntern.
Zufrieden mit meinem Lächeln, strahlte auch sie wieder und löste sich von mir. ,,Das Lächeln steht dir viel mehr, als dein skeptischer Blick", erklärte sie und zog mich dann zum Schulgebäude hin.
Sozialkunde hatten wir erst am Nachmittag und so brachte ich den Schultag hinter mich. Je später es wurde, desto nervöser wurde ich und in der Mittagspause wollte mir mein Herz fast aus der Brust springen.
Megan wollte mich beruhigen, war damit jedoch recht unerfolgreich.
Sogar zu ihren Freundinnen hatte sie mich geschleppt, um mich abzulenken und natürlich war das eine nette Geste, aber es brachte mir nichts.
Und so saß ich mit einem halben Nervenzusammenbruch auf meinem Platz, bevor ich mich kurzer Hand entschloss, die Stunde doch noch ausfallen zu lassen.
Sofort sprang ich auf und rannte zur Klassenraumtür, doch da kam mir Mrs. Schreaves entgegen und es war zu spät.
,,Wo wollen sie hin, junger Mann?", fragte sie neugierig und stellte sich vor mich. Augenblicklich lief ich rot an und senkte den Kopf, doch bevor ich antworten konnte, wurde ich auch schon unterbrochen.
,,Er ist doch kein Mann, er ist eine halbes Mädchen und ein halber Junge, eigentlich nichts von beidem", gab Noan sein Kommentar aus dem Türrahmen ab. Mein Mund, welcher eben noch zum antworten geöffnet war, klappte zu und ich spürte, wie die Tränen in mir aufwallten. Ich wollte mich verkriechen und weinen, doch ich riss mich zusammen.
Wenn du jetzt weinst, dachte ich, dann beweist du ihm doch nur seine Theorie.
Und so schluckte ich meine aufkommende Trauer nur runter, um mich dann wortlos umzudrehen und mich wieder auf meinen Platz zu setzen.
Es dauerte nicht lange, bis Noan sich neben mir auf den Stuhl fallen ließ und ohne ein Wort zu mir zu sagen, seine Sachen holte.
Seine plötzliche Nähe zu mir machte mich nervös und ich spürte, wie meine Wangen erröteten. Doch ignorierte er mich und schob seinen Stuhl so weit nach hinten und von mir weg, sodass er sich mit seinem besten Freund Alex unterhalten konnte, welcher hinter ihm saß.
Alex gehörte auch zu den Menschen, die mich gerne schikanierten, sonst wäre er vermutlich nicht mit Noan befreundet, denn das hatte sie erst so richtig zusammengeschweißt. Ironischerweise dachte ich, dass ich doch eigentlich froh sein sollte, auf diese Weise Leute zusammen zu bringen. Doch den Gedanken verwarf ich sofort wieder, da die beiden zusammen schlimmer waren, als allein.
Als Mrs. Schreaves uns Steckbriefe ausgeteilt hatte, gab sie uns die Aufgabe, diese jeweils mit den Daten des anderen auszufüllen. Nachdem sie fertig gesprochen hatte, konnte ich deutlich das genervte Stöhnen aus Noans Richtung hören.
,,Dazu sucht ihr euch bitte einen ruhigen Ort auf dem Schulhof, wo ihr in Ruhe miteinander sprechen könnt", erklärte sie uns und warf dann einen besorgten Blick in meine Richtung, ,, vielleicht einen, den ihr gern habt?"
Meine Schulter sackten von ihrer angespannten Haltung zusammen, bevor ich tatsächlich realisierte, was sie gerade gesagt hatte. Ich würde heute wirklich das erste Mal mit ihm allein sein und das machte mich nur noch nervöser, als ich sowieso schon war.
Um uns herum standen die Leute auf und machten sich laut lachend auf den Weg. Meg war eine der letzten, die den Klassenraum verließ. Sie verzog ihr Gesicht zu einem aufmunternden Lächeln und deutete zur Uhr. Es war nur noch eine halbe Stunde. Das half nicht wirklich, es war immernoch eine halbe Stunde zu viel.
Nun waren es nur noch wir zwei und Alex mit seiner Partnerin. ,,Wir gehen dann auch Alter", sagte dieser in dem Moment, ,,hoffentlich steckt er dich mit seinem Schwulsein nicht an", setzte er noch dran und ich kniff die Augen zusammen, um die Tränen nicht ausbrechen zu lassen. Ich hatte sie unterdrückt, aber wenn es so weiter gehen würde, dann konnte ich nicht mehr und das wussten sie. Denn das war ihr einziges Ziel.
,,Auf Wiedersehen Alexander Devin Lichtstein", verabschiedete Noan ihn mehr genervt, als neckisch und Alex streckte ihm seinen schönsten Mittelfinger entgegen, bevor er ging. So waren es nur noch wir zwei und Mrs. Schreaves, die uns abwartend ansah.
,,Können wir nicht einfach hierbleiben?", fragte Noan bittend und sie schüttelte streng den Kopf. Ich sagte nichts, was gab es auch zu sagen und so folgte ich einfach nur Noan, der sich auf den Weg gemacht hatte.
Für mich war es schwer ihm hinterher zu kommen, da er sowieso schon lange Beine hatte und er zusätzlich mehr lief, als zu gehen. Meiner Vermutung nach machte er das extra und diese Vermutung bestätigte sich, als er mich mit hinterhältigen Grinsen anmotzte, ich würde ja nicht hinterher kommen.
Wir kamen an dem Ort an, zu dem er hin gesputet war. Es war die Rauchermauer hinter dem Schulgebäude in einer Ecke des Campus und eigentlich hätte ich das ja schon vorher sehen können. Ich sollte ja bloß genug leiden.
Entspannt ließ er sich auf der niedrigen Mauer nieder und schaute mir nun das erste Mal in die Augen. Mir stockte der Atem und ich konnte dem Blick dieser forschend braunen Augen nicht lange Stand halten.
Schnell wandte ich den Blick auf meine Schuhe und fuhr damit fort, Dreck mit der rechten Schuhsohle von dem linken Schuh zu schieben. Damit verteilte ich ihn jedoch nur und ließ es sein.
,,Willst du dich setzen oder weiter da in der Kälte herumstehen?", fragte er forsch und ich nickte schüchtern, um mich dann mit viel Abstand neben ihn zu setzen. ,,Ich beiße nicht", fing er an und ich schaute auf, um einmal den Mund aufzumachen. ,,Du schlägst aber!"
Seine Augen verdunkelten sich und die Augenbrauen zogen sich zusammen. ,,Was fällt dir ein?", fragte er verärgert und ich zuckte zurück, um wieder schüchtern auf den Boden zu schauen. ,,Tschuldigung", murmelte ich und spürte, wie wieder Blut in meine Wangen schoss. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Noan eine Zigarette rausholte und nicht zehn Sekunden später, konnte ich den Gestank von Rauch riechen.
Dann hob ich den Kopf, um ihn wieder anzuschauen. Auch er schaute mich an, beobachtete jede meiner Bewegungen, als wären sie klägliche Tanzbewegungen. Mit diesem lächerlichen Ausdruck und dem überheblichen Grinsen auf den Lippen, wollte ich ganz sicher nicht mit ihm reden. Aber ich musste und so atmete ich einmal tief ein. Es war klar, dass er gerade in dem Moment ausatmete und mir den Rauch ins Gesicht pustete.
Augenblicklich fing ich an zu husten und sprang von der Mauer auf, um mich ein paar Schritte zu entfernen. Meine Augen tränten, ohne das Tränen flossen und ich hustete mir den Rauch aus der Seele, während Noan mich auslachte.
So ein Arschloch, dachte ich und setzte mich wieder hin, nachdem ich mich beruhigt hatte und mich in der Lage fühlte, wieder in seiner Nähe zu sein. Vorsichtig setzte ich mich nur noch auf den Rand von der Mauer und schaute von ihm zu dem Wald hinten und wieder zurück. Auch er hatte sich schon längst beruhigt, denn er wandte seinen Blick ab und ich traute mich endlich, etwas zu sagen.
,,Kannst du in eine andere Richtung atmen?", fragte ich vorsichtig und sein Blick viel wieder auf mich zurück. Seine funkelnd braunen Augen schienen mir schier zu durchbohren und ich wusste sofort, dass ich mal wieder etwas falsches gefragt hatte.
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