The beginning
Ich möchte tot sein, aber ich möchte nicht sterben. Die meisten von euch werden sich jetzt wohl denken, dass das überhaupt keinen Sinn macht. Ich muss sagen, bis vor ein paar Jahren hätte ich das wohl auch noch gedacht. Doch der Blickwinkel, mit welchem man auf das Leben schaut, kann sich innerhalb weniger Wochen komplett ändern. So war es auch bei mir. Ich war lebensfroh. Gerne tanzte ich im Regen, machte irgendwelche akrobatischen Kunststücke auf der Skipiste oder ass gemeinsam mit Freunden so viel Eis, sodass unsere Bäuche fast platzten. Eines Tages merkte ich, wie ich etwas vermisste. Ich konnte nicht genau sagen, was es war. Ich konnte es nur fühlen. Mittlerweile weiss ich, was ich damals verlor. Meine Freude. Die Freude an der Schule, an Mitmenschen, einfach an allem. Wenn Leute um mich herum Witze rissen, war es für den Moment bestimmt spassig. Kaum aber war es vorbei, kam das Gefühl von innerer Leere zurück und überrannte mich total. Es wurde immer schwieriger, mich selbst zu motivieren, etwas mit anderen zu unternehmen. Ich merkte auch, dass ich mich viel schlechter konzentrieren konnte. Wenn nicht gerade Schule war, dann konnte ich mich nicht mehr aufraffen und lag nur noch in meinem Bett. Ich starrte an die Decke und fühlte mich schlecht. Dieses Gefühl konnte ich mir nicht erklären. Es gab keinen Grund dazu. Mein Leben schien von aussen «perfekt» zu sein. Doch innerlich verlor ich Tag für Tag Stücke von mir selbst. Und irgendwann kam der Gedanke. «Was wäre, wenn es mich nicht mehr gäbe?» Ich sehnte mich so sehr nach meinem alten Leben. Aber zu dem Zeitpunkt war ich einfach nur müde. Müde vom Atmen, müde von mir selbst, müde vom Leben. Wenn es dir Tag für Tag nur schlecht geht und du all deine Hoffnung verlierst, dann gibt es immer weniger Gründe, die dich am Leben halten. Als ich an dem Punkt war wusste ich, ich brauche Hilfe. So kam es, dass ich all meinen Mut zusammennahm und mich einer Lehrerin an meiner damaligen Schule gegenüber geöffnet habe. Sie war eine von wenigen Lehrpersonen, die sich extra weitergebildet hatten, um Schülern wie mir zu helfen. Ausserdem habe ich einen guten Freund, welcher ebenfalls bei ihr war, und mir versichern konnte, dass sie mir helfen würde. So war es auch. Allerdings reichten ihre Kapazitäten nicht aus, um mir die Hilfe zu geben, die ich so dringend benötigte. Sie überwies mich an eine Psychologin in einem Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Endlich hatte ich jemanden gefunden, dem ich alles anvertrauen konnte, ohne Angst vor Ablehnung oder Verurteilung zu haben. Sie hat mir zugehört und auch immer ihr Bestes gegeben, mich zu verstehen. Wöchentlich war ich bei ihr und habe mit ihr über Sachen gesprochen, die mich gerade belasteten. Das tat gut, ich konnte meinen inneren Druck somit immer mit jemandem teilen. Zumindest einen Teil davon. Mich hat so viel beschäftigt und es gab so viele Sachen, die gerade aktuell waren, sodass wir gar nie dazu kamen, der Ursache, was genau hinter all meinen Problemen steckt, auf den Grund zu gehen. Ich ging also weiterhin wöchentlich zu ihr, allerdings wurde der Druck, den ich mir schulisch gemacht habe, immer grösser und mir ging es immer schlechter. Das Einzige, was mich noch glücklich machte, waren gute Noten. Mein Alltag bestand nur noch aus Schule und Lernen. Ich wusste, wenn ich so weitermachte, dann gehe ich daran kaputt. Aber ich konnte nicht anders. Der Gedanke daran, nicht gut genug zu sein oder schlechte Leistungen zu erbringen wurde unerträglich. Stundenlang habe ich mit Freunden geschrieben, wie wenig Motivation ich doch zum Lernen habe und dass ich einfach nicht mehr kann. Ich wollte das nicht mehr, ich konnte es nicht mehr. Aber ich musste. Etwas in mir zwang mich dazu. Die guten Leistungen wurden zur Sucht. Eines Abends sass ich am Schreibtisch und legte mir die Hefte zurecht. Ich fing an, einen Text zu lesen, über welchen ich eine Prüfung schreiben werde. So las ich, Wort für Wort, hatte aber keine Ahnung, was im Text stand oder was ich nun tun soll. Es ging einfach nichts mehr. Mein Kopf war leer. So kam es, dass ich die nächsten paar Prüfungen auf gut Glück schrieb. Auf einer Prüfung waren schlussendlich mehr Verzierungen, als Worte zu finden. Auf der anderen stand, «Keine Ahnung...» und wieder eine andere Prüfung gab ich nach 5 Minuten ab. Ich war mit meinen Nerven am Ende und als ich das alles meiner Psychologin erzählte, sagte sie zu mir, dass ich jetzt einfach mehr Unterstützung brauche. Also überwies sie mich in eine Klinik.
Meine Sorge in dem Moment war nicht, wie meine Zeit dort würde, sondern, was mein Umfeld dazu sagen würde. Ich hatte schreckliche Angst vor den Reaktionen einiger Klassenkameraden und Lehrpersonen. Ich fühlte mich schlecht, denn ich hatte das Gefühl, meine Familie komplett zu enttäuschen. Doch es kam ganz anders. Die meisten, welche von meinem bevorstehenden Aufenthalt in einer Psychiatrie erfuhren, hatten viel Mitgefühl und sagten mir, ich kann immer auf sie zugehen. Das hat mir die Situation damals echt erleichtert.
An dieser Stelle würde ich gerne noch über zwei Freundinnen berichten. Zuerst waren wir Feinde, dann wurden wir zu besten Freunden und am Schluss war unsere Beziehung einfach nur noch toxisch. Einige von euch würden sie Mia und Ana nennen. Ich bleibe bei der klassischen Bezeichnung. Ich rutschte in eine Essstörung. Nicht nur das, ich wechselte von einer Essstörung zur nächsten und wieder zurück. In Zeiten der Pandemie habe ich angefangen, weniger zu essen. Das passierte unbewusst und ich hatte nicht die Absicht, sonderlich abzunehmen. Mit der Zeit zeigte mir mein Körper, dass ihm vieles fehlte. Ich bekam Heisshungerattacken und diesen konnte ich irgendwann nicht mehr widerstehen. Also ass ich. Nicht nur eine Scheibe Brot, sondern zwei, drei, vier, irgendwann hörte ich auf zu zählen. Ich stopfte das Essen regelrecht in mich hinein. Ich war schon lange satt. Mir war schlecht und ich fühlte mich einfach nur schuldig. Mein Selbstwert war ohnehin schon zerstört und auch in diesem Moment flüsterte mir eine innere Stimme immer wieder Sachen zu, wie «Du bist fett», «Ich hasse dich», «Das, was du machst, ist ekelerregend». Die einzige Möglichkeit, diese Stimme zum Schweigen zu bringen, war, das Essen, welches ich mir vorhin so masslos in mich hineingestopft hatte, auf schnellstem Weg wieder loswerden. Also ging ich zur Toilette und schloss mich ein. Nachdem ich mich übergeben habe, stand ich vor dem Spiegel. Ich wusch mir die Hände und wischte mir die Tränen von den Wangen. Ich ging wieder raus und tat so, als wäre alles völlig in der Ordnung. Doch nichts war gut. Denn damals habe ich mit etwas begonnen, was wahrscheinlich einer von meinen grössten Fehlern war. Jedes Mal, seit diesem Tag, wenn ich etwas esse, ist dort diese fiese Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, ich sei nicht gut genug. Ich liebte es zu essen. Ich hatte Freude daran und für mich war es unmöglich, auf einmal nichts mehr zu essen, nur um diese Stimme zu vermeiden. Deshalb rutschte ich damals in die Bulimie. Eine sogenannte Ess-Brech-Sucht. Ich konnte also essen, musste mir aber keine Gedanken um die Stimme in meinem Kopf machen. Wäre es doch nur so einfach gewesen. Die ganzen Essanfälle mit anschliessendem Erbrechen waren unglaublich Kräfte raubend. Und mit der Zeit, als meine Depression immer schlimmer wurde, wurde es mir viel zu anstrengend. Die Stimme in meinem Hinterkopf kümmerte sich aber nicht darum, sondern wurde noch viel lauter, als ich anfing, das Essen bei mir zu behalten. Ich brauchte also eine andere Lösung. Also fing ich an zu hungern. Ich ass nur noch selten und wenn auch sehr kalorienarm. Dadurch, dass mein Körper die Nahrung aber dringend gebraucht hätte, kam es wieder zu Essanfällen. Die ich wieder durch Erbrechen kompensierte. Und so zog sich mein Essverhalten in die Länge und je weiter ich da drin feststeckte, desto schwieriger wurde es, mein Problem gegen aussen zu verbergen.
Auch das war ein Thema, welches in der ambulanten Therapie viel zu kurz kam. Mir war es auch sehr unangenehm, darüber zu reden, aber irgendwann merkte ich, wenn ich mich niemandem anvertraue und weiterhin nur die Hälfte erzähle, dann wird es nie besser.
Ich ging also in die Klinik. Mein Vater hat mich, mit meinem vielen Gepäck, dorthin gefahren. Wir hatten noch ein kurzes Gespräch und dann musste er auch schon gehen. Ich war ziemlich aufgeregt, denn ich kannte die Mitpatienten noch überhaupt nicht. Doch auch da machte ich mir viel zu viele Gedanken. Alle waren nett und halfen mir, wenn ich etwas nicht auf Anhieb verstand. Ich hatte eine anstrengende, aber auch großartige Zeit dort. Ich habe viele neue und freundliche Menschen kennengelernt und ich habe gelernt, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Es gab viele Momente, bei welchen ich psychisch an meine Grenzen gestossen bin. Sei es in der Einzeltherapie gewesen oder als wir gemeinsam etwas gestaltet haben. Doch, ich denke, viele stellen sich einen Klinikaufenthalt falsch vor. Ich musste es am Anfang auch neu lernen. Man geht nicht in eine Klinik, unterzieht sich da einigen Therapien und kommt geheilt wieder raus. Eine Klinik ist dazu da, eine gewisse Struktur in den Alltag zu bringen und ein intensiveres Therapieangebot zu ermöglichen. So kam es, dass es mir auch in der Klinik zunehmend schlechter ging. Ich musste auch viele Entscheidungen bezüglich meiner Zukunft treffen. Zum Beispiel musste ich mir überlegen ob und wo ich die Schule fortsetze. Das war für mich unglaublich schwierig. Ich ging sehr gerne zur Schule und mich machten vor allem die Naturwissenschaften glücklich. Doch, ich wusste auch, dass ich meinen Perfektionismus nicht so schnell ablegen werden kann und somit Gefahr laufe, wieder in alte Verhaltensmuster zu fallen und dann wieder nahe an einem Burn-Out zu stehen. Ich habe mich mit dem Verstand schon relativ zügig entschieden gehabt, mein Herz konnte sich mit der Entscheidung allerdings noch nicht zufriedengeben. Ich wusste also, dass die einzig vernünftige Entscheidung in dem Moment der Abbruch des Gymnasiums und die Bewerbung auf eine Lehrstelle war. Ich hatte sehr lange mit dieser Entscheidung zu kämpfen und das nicht, weil ich eine Ausbildung nicht gut finde, sondern, weil ich gerne zur Schule ging. Das führte dazu, dass ich in ein Loch gefallen bin. Mir ging es nicht mehr gut, meine Suizidgedanken wurden wieder sehr präsent und ich verlor jegliche Hoffnung auf eine Besserung. Die Klinik konnte meinen Zustand so, wie er zu dem Zeitpunkt war, nicht mehr verantworten und ich wurde zur Krisenintervention auf die Geschlossene verlegt. So schnell wie ich auf die Geschlossene kam, ging ich auch wieder. Ich kam in der Nacht dort an und mir ging es am nächsten Tag überhaupt nicht gut und ich wollte einfach zurück auf die andere Station. Mein Kreislauf hat ein Medikament, das ich in dieser Nacht bekam, überhaupt nicht vertragen. Mir war danach die ganze Zeit kalt und übel und ich vermisste meine alten Mitpatienten. Ich habe dann die ganze Zeit immer wieder gesagt, dass ich unbedingt zurück will und gegen Abend durfte ich das auch. Ich war unglaublich froh, wieder zurück zu sein. Jedoch ging es mir psychisch noch immer nicht besser und zwei Tage später wurde ich wieder verlegt. Diesmal bekam ich aber andere Medikamente und diese vertrug ich.
Fortsetzung folgt...
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