Kapitel 45
Es war nun der dritte Tag in Folge, an dem ich mein Zimmer verlassen und raus in die Außenwelt sollte. Wer auch immer auf die Idee gekommen war, dass ich mich wieder an die Umgebung gewöhnen müsste, der würde irgendwann noch auf's Maul bekommen.
Denn ich hatte es mir in diesen letzten Tagen zu Hause wirklich gemütlich gemacht. Mein Zimmer geputzt, Möbel umgestellt, eine neue Lichterkette aufgehängt und die Fotos an der Wäscheleine gewechselt. Dazu hatte ich meinen Laptop und Netflix. Mehr brauchte ich momentan wirklich nicht.
Doch dann kam Schwachmat numero uno und meinte, mich nach draußen schleppen zu müssen. Laut Josh sollte ich mich nicht daheim einsperren, sondern alten Gewohnheiten nach gehen. Zum Beispiel Spaziergänge um den Block machen.
Schwachmat numero due war nicht anders. Hingen sich River aber kreativere Dinge ausdachte, um mich aus meinem Bett verscheuchen zu können. Ich wusste echt nicht, was er sich dabei dachte, aber er fand es besonders reizvoll, den Captain dabei herauszulassen. Sprich er hatte letztendlich das Sagen und ich gehorchte ihm. Was glaubte er eigentlich, wer er war?
Jetzt war ich dabei, mich widerwillig fertig zu machen, da River in Kürze auftauchen und mit mir wegfahren wollte. Den Ort verriet er mir nicht, aber sagte, dass ich Spaß haben werde. Ich hoffte für ihn, dass er nicht zu viel versprach, denn ich plante für diesen Tag eigentlich einen Suits-Marathon. Wie oft ich diese Serie auch angeschaut hatte, sie würde mich niemals langweilen.
"Bereit, Schönheit?", trat der Besagte wenig später herein und schaute sich um. Ich war gerade dabei gewesen, meine Tasche zu packen. "Ehrlich gesagt, nein. Es ist kalt, ich habe Hunger und bin müde!" Dieser verfluchte Teufelskreis, er war ständig aktiv.
River musterte mich amüsiert. "Zieh dich warm an, wir werden nachher Essen gehen und schlafen kannst du später." Wow, der werte Herr war wieder einmal einfallsreich unterwegs. Womit verdiente ich ihn nur. "Wieso gehen wir ständig auch irgendwohin? Ich habe keine Lust mehr."
"Genau deswegen ja! Du wirst immer demotivierter, wenn du nicht aus dem Zimmer raus kommst", erwiderte er. "Du musst am Ball bleiben, Mandoza. Anders geht es nicht!" Hierbei sprach wieder der Captain aus ihm und ich atmete genervt aus.
"Noch eine Basketball-Metapher und ich schlage dich", versicherte ich ihm gereizt und schulterte meine Tasche. "Mach das, dabei tue ich so, als würden deine Schläge tatsächlich wehtun. Wir wollen ja nicht, dass du enttäuscht wirst. Und jetzt komm!"
Er hatte mich gerade stilvoll als Schwächling dargestellt. Okay, River gewann wieder meinen Respekt. Und auch meine Bereitwilligkeit für diesen Kurztrip. Wenn auch immer noch halbherzig, machte ich bei seinen Plänen mit.
"Ja-ha, wir können gehen. Hör auf immer so bestimmend zu sein, ist ja kaum auszuhalten", entgegnete ich trotzig und folgte ihm auf den Flur. River stieß ein kurzes Lachen aus. "Nur wenn du deinen Gemeinheiten ein Ende bereitest. Wirklich, gefühlt jede dritte Äußerung von dir ist entweder sarkastisch oder beleidigend."
Ein leichtes Grinsen verzog meine Lippen. Ja, ich war in diesen letzten Tagen zu ein Arschloch mutiert und reagierte ziemlich giftig, sobald Pläne gemacht wurden, ohne mich überhaupt in die Überlegung einbezogen zu haben. Dass das River störte, belustigte mich.
Josh hingegen war nicht so weich, er hatte für jeden meiner Sprüche einen Konter parat, womit er mich augenblicklich zum Schweigen bringen konnte. Mein Freund dagegen reagierte empfindlich. Komischerweise war River mir gegenüber nie so schlagfertig wie sonst auch immer. Aw, wie süß.
"Wo ist eigentlich Kaylee?", erkundigte er sich, als wir die Treppen herunter stiegen. Meine Schwester schlief die vorherige Nacht bei mir in meinem Bett. Ich wusste nicht, wie, aber sie ließ ich an mich heran, ohne Bedenken zu haben. Verrückt, wie ein fünfjähriges Mädchen dir das kurze Gefühl gab, es sei alles normal und in Ordnung.
"Bei meinen Großeltern. Laut Mom ist es besser, wenn Kaylee eine Weile lang bei ihnen bleibt. Das ist erleichternd und fies zugleich." Einerseits wollte ich nämlich nicht, dass sie meinen Zustand, sobald er sich wieder verschlimmerte, mitbekam. Andererseits möchte ich nicht deswegen von meiner Schwester getrennt bleiben.
"Ach so", kam es von River. "Weißt du, was mir aber aufgefallen ist?", wollte er anschließend wissen, während wir uns nun unsere Schuhe anzogen. Fragend schaute ich zu ihm. "Kaylee mutiert, je älter sie wird, zu einem Du! Derselbe Sturkopf, das gleiche Temperament." Ich ignorierte jetzt mal die Tatsache, dass jeder Mensch unvergleichbar und einzigartig war.
"Und wieso sagst du das jetzt so, als sei es komplett schrecklich?", gab ich mit hochgezogener Augenbraue zurück. "Weil du dank deinen gewissen Charaktereigenschaften anstrengend bist", meinte River trocken und sofort zog ich eingeschnappt die Luft ein. "Und dann sagt er, ich sei beleidigend. Pff."
Er lächelte bloß verschmitzt und zwinkerte mir provozierend zu. "Also ich sehe das anders", merkte ich daraufhin an. "Ihr Zukünftiger oder ihre Zukünftige kann sich ziemlich glücklich schätzen, wenn sie mein sogenanntes Ebenbild ist. Genauso wie du! Mein Temperament hat dich doch auch beeindruckt."
Ohne auf seine Antwort zu warten, öffnete ich die Haustür. Die kalte Winterluft empfang mich sogleich und ich fragte mich erneut, wieso wir unbedingt in dieser Kälte etwas unternehmen mussten. Mir kamen viele andere Aktivitäten in den Sinn, die man auch drinnen machen könnte.
"Oh, glaub mir, mir fallen genügend andere Eigenschaften an dir ein, die mich beeindruckt haben", vernahm ich River hinter mir sagen. Auf der Stelle lächelte ich verstohlen. Genau das wollte ich jetzt hören.
"Wohin fahren wir?", fragte ich, als wir im Auto saßen und zog an dem Sicherheitsgurt, um mich anzuschnallen. Wenn wir nicht zu Fuß hin gelangen konnten, musste es wohl mehr als nur ein Spaziergang sein.
"Das siehst du, wenn wir da sind", antwortete River. Immer diese Geheimnistuerei, langweilte ihn das nicht langsam? Er merkte, dass ich nachhaken wollte, weshalb er mich abrupt stoppte. "Auf jegliche Fragen dieser Art antwortete ich dir nicht, also gib dich damit zufrieden."
Ich bekam augenblicklich einen Déjà-vu. "So wie damals, als du diese Überraschung geplant hast, die wir aber verschieben mussten, weil dein mysteriöser Anruf kam?" Man, so schnippisch wollte ich gar nicht klingen. Ich sollte lieber aufhören dermaßen miesepetrig zu sein.
River ließ die Straße nicht aus den Augen, weshalb ein knappes Nicken als seine Antwort diente. "Nur dieses Mal funkt uns niemand dazwischen. Weder unsere Freunde noch mein Vater", schob er schnell nach. Immerhin schien er sich hierbei auch sicher zu sein. Denn zugegeben wollte ich mit ihm einmal wieder etwas unternehmen, ohne dass die Sache am Ende eskalierte.
"Ich weiß zwar nicht, wieso ich das erst jetzt wissen möchte, aber ich hätte da eine ernsthafte Frage an dich", fing ich leise an. Er mischte sein Vater in das Thema ein, also tauchten auch ungeklärte Dinge auf. River blickte mich kurz auffordernd an. "Wieso kann mich dein Vater nicht ausstehen?"
Als seine Freundin wäre es mir natürlich lieber gewesen, wenn mich seine Eltern auch akzeptieren und nicht verachten würden. Wobei ich seine Mom nicht kannte. Aus diesem Grund legte ich eigentlich ziemlich viel Wert darauf, was Mister Adams von mir hielt.
Außerdem schüchterte mich dieser Geschäftsmann bekanntlich von Natur aus schon ein. Er schien skrupellos. Da machte der Gedanke, dass er mich nicht mochte, das Ganze nicht besser. River musste wohl ziemlich viel aushalten, wenn er diesen Mann als Vaterrolle hatte.
"So würde ich das nicht sagen", gab dieser zu Bedenken. Verwirrt guckte ich ihn an. Das verstand ich jetzt nicht. "Es ist nicht so, dass er dich nicht mag. Mehr ist das Misstrauen." Ja, das beruhigte mich natürlich sofort. Mir fiel es schwer, nicht die Augen zu verdrehen.
"Angesichts der Tatsachen bei uns zu Hause, ist er vorsichtig. Mein Vater ist die Art von Mensch, der erst zweimal überlegt, bevor er jemanden in sein Leben reinlässt. Außerdem hat es im Prinzip nichts mit dir persönlich zu tun. Sein Problem liegt bei mir. Ich fange nämlich an, mich ihm zu widersetzen. Das ist ungewohnt, also gefällt es ihm nicht."
So wie er das schilderte, lag ich wohl richtig mit meiner Vermutung. River hatte es mit ihm schwierig. Dazu erschloss ich daraus, dass seine Probleme immer noch nicht gelöst worden waren. Es war unglaublich, wie er sich trotzdem nichts anmerken ließ.
"Willst du vielleicht darüber reden?" Ich blickte ihn fürsorglich an. Als nächstes umgriff ich mit beiden Händen die seine, welche auf dem Gangschalter ruhte. Diese Art von Berührungen traute ich mir insbesondere wieder bei ihm zu. Auch wenn ich noch leichte Hemmungen hatte.
"Lieber nicht", lehnte er jedoch leise ab. Ich zeigte Verständnis und nickte. "Aber falls wenn, ich bin jederzeit da und höre dir zu." Einen Herzschlag später führte er meine Hand an seine Lippen und drückte einen federleichten Kuss an mein Handrücken, wodurch ein kurzes Lächeln über mein Gesicht huschte. Für diese kleinen Gesten und Momente liebte ich ihn, mehr als er sich je vorstellen könnte.
Ich überlegte mir die ganze Fahrt über, was wir gleich machen würden. Als ich aber schließlich bemerkte, wohin River uns brachte, stieß ich ein ungläubiges Lachen aus. Darauf wäre ich nie und nimmer gekommen. "Bowlen? Wie ist dir das denn eingefallen?"
Er schubste die Autotür zu und musste über meine Reaktion schmunzeln. Dazu hatte er auch das Recht, denn ich führte mich innerhalb von Sekunden wie ein kleines Mädchen auf, dass vor lauter Vorfreude gleich platzen würde. Spätestens jetzt konnte ich mich nicht mehr beschweren, das Haus verlassen zu haben.
"Ich dachte mir, wir holen ein wenig deine Kindheit nach", erklärte River, umrundete währenddessen seinen Audi und kam anschließend neben mir zum Stehen. Überrascht blickte ich ihn an. "Du weißt also, dass ich noch nie die Bowlingbahn besucht habe? Mister Adams, Sie sind ganz schön aufmerksam."
River musterte mich belustigt und steckte seine Hände in die Hosentasche. "Dir fällt das erst jetzt auf?" Grinsend schüttelte ich den Kopf. "Natürlich nicht, es sollte nur noch einmal gesagt werden. Ich weiß doch, wie sehr sich mein Schönling für mich interessiert." Mein Freund schüttelte darüber bloß den Kopf und lief los.
"Ich hoffe ja, dass du dich genauso viel für mich interessierst. Wäre doch nur fair, oder Schönheit?" Beinahe stolpernd ging ich ihm hinterher und ergriff schnellstens seine Hand, ehe ich mich seinem Tempo anpasste. "Selbstverständlich, Schatzi. Stichwort Gegenseitigkeit."
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"Du bist so unfair!", meckerte ich und verschränkte meine Arme vor der Brust, als ich sah, wie River seinen dritten Strike erzielte. Hätte ich gewusst, dass er Bowling so gut beherrschte, hätte ich mich darauf nicht einmal annähernd gefreut. Ich hasste Niederlagen.
Der Könner drehte sich belustigt zu mir. Die Tatsache, dass er auch noch dreist Spaß daran fand, gegen mich zu gewinnen, machte das Ganze nur noch deprimierender. Er nahm nicht einmal Rücksicht auf mich, obwohl ich ein Anfänger war.
"Wo ist dein Kampfgeist geblieben, Toni? So kenne ich dich doch gar nicht.", sprach er neckend und ich lachte gekünstelt auf. "Sei leise, River. Anstatt es mir hier beizubringen, nutzt du mein Unwissen aus. Das ist nicht der Sinn dahinter."
"Aber ich kann doch nichts dafür, wenn du so miserabel zielst!", verteidigte er sich. "Ich war sogar nett gewesen und habe dir erklärt und gezeigt, wie das Spiel funktioniert. Der Rest liegt eigentlich an dir." Ich engte meine Augen, ging zu den Kugeln hinüber und schnappte mir den für mich passenden, da nun ich an der Reihe war.
Anschließend stellte ich mich vor die Anfangslinie. Wenigstens meisterte ich mittlerweile das Halten der Bowlingkugel. Ich war dabei einen Punkt anzuvisieren, als ich River hinter mir spürte. "Deine Haltung ist hierbei sehr wichtig. Dein Oberkörper muss aufrecht sein, während er leicht nach vorne gebeugt ist." Oh, der Herr entschied sich wohl doch dazu, mir es richtig zu lehren.
Ich versuchte seinen Worten nachzugehen und nahm so gut wie möglich die gewünschte Haltung ein. "So?", versicherte ich mich. "Genau. Aber beuge noch etwas deine Knie." Nachdem ich tat, wie mir befohlen, erklärte er weiter. "Nimm am Besten die vier-Schritte- Technik als Anlaufvariante."
Verwirrt schaute ich River nun an. Ich verstand nicht ganz, was darunter gemeint war. Er seufzte leise auf. "Ehrlich jetzt? Ich weiß zwar, dass du es nicht kennst, aber hast du dir vorhin überhaupt nicht meine Anläufe angeschaut?" Nein, viel mehr achtete ich entweder darauf, ob seine Kugel in die Rinne fiel oder auf die Anzahl seiner getroffenen Pins.
Gut, ich gab zu, dass ich mich als Lehrling auch nicht wirklich geschickt benommen hatte. Dementsprechend lächelte ich bloß entschuldigend und sagte nichts. "Zunächst visierst du deinen Punkt", begann er also dies mir auch nochmal genauer zu erklären. Da ich schon wusste, wohin ich zielen möchte, nickte ich und River fuhr fort.
"Schön, dann machst du mit deinem rechten Fuß einen kurzen Anlaufschritt, gefolgt von einem weiteren Schritt, bei dem du deine Wurfhand mit dem Ball langsam nach hinten schwingst. Beim dritten Schritt bist du soweit, dass du bei deinem letzten Schritt leicht nach vorne gleitest und den Ball auf die Laufbahn entlässt."
River trat einige Schritte zur Seite, wodurch leider auch seine Körperwärme verschwand, um mir Freiraum zu geben. Ich konzentrierte mich, achtete auf seine Anweisungen und führte den Wurf genauso aus, wie er es mir geschildert hatte.
Also, wenn meine Kugel erneut in die Rinne fiel und ich somit wieder keine Punkte bekam, würde ich ernsthafte Aggressionen bekommen. Fiebernd betrachtete ich die Kugel, bis ich mich fröhlich zu River wandte, als ich sah, dass ich acht Pins umgehauen hatte.
"Na klappt doch!", stieß er lobend aus und klatschte mit mir ein. "Versuch noch die letzten zwei zu treffen und da hast du deine Punkte." Das sah einfach aus. Glücklicherweise machte ich einen sauberen Wurf, womit keine Lücke zwischen zwei Kegeln entstand. Demnach positionierte ich mich angemessen, achtete wieder auf die richtige Technik und warf ab.
"Endlich!", rief ich, als ich meinen gewünschten Spare erzielte und mir nun glücklich an der Punktetabelle den gewonnen Schrägstrich ansah. Wenn ich so weitermachte, könnte ich es vielleicht auch schaffen, alle Kegel mit einem Wurf umzuhauen und würde eventuell River übertreffen. Ja, letzteres gefiel mir sehr gut. Ich hasste nämlich sein überhebliches Grinsen.
Er suchte sich seine Kugel aus, trat an die richtige Stelle und entließ den Ball wenig später auf die Bahn. River räumte mit einem Mal sechs Punkte ab, schien darüber auch genervt zu sein und schaffte mit dem zweiten Versuch alle abzuräumen.
Nach weiteren guten als auch schlechten Würfen, spielten wir die achte Runde. Es dauerte bis zum Ende nicht mehr lange. Zufrieden betrachtete ich auf dem Monitor meinen Punktestand. Mittlerweile hatte ich ebenso viele Strikes getroffen, sodass es nicht mehr viel brauchte, um River zu schlagen.
Meiner Meinung nach sollte er anfangen, sich Sorgen zu machen. Denn ehe er sich versah, stand der Sieger schon fest und dieser war garantiert nicht er. Herrlich, wie schnell man das Bowlen lernen und meistern konnte. Während nun ich an diesem Spiel Gefallen fand, hatte River kaum mehr etwas zum Lachen. Tja, so schnell wie man aufstieg, stieg man genauso schnell wieder ab.
Nach meinem erneuten Strike schaute ich grinsend und erwartungsvoll zu meinem Freund. Dieser stand da, hatte einen mürrischen Ausdruck und die Arme verschränkt. "Das war nur Glück", meinte er unbeeindruckt. "Aber natürlich, ist es doch immer", entgegnete ich grinsend und lief auf ihn zu.
Ich legte meine Arme um River und sah zu ihm auf. "Jetzt mach doch nicht so ein Gesicht!", befahl ich ihm amüsiert. "Manche sind gut, andere werden besser. So ist das eben." Während ich das sagte, strich ich ihm seine Strähnen wieder nach oben und kassierte bloß einen genervten Blick. Dennoch zog er mich näher an sich heran.
"Weißt du, worin das Problem liegt, wenn wir beide gegeneinander spielen?" Auch wenn ich die Antwort bereits ahnen konnte, schaute ich meinen Schönling auffordernd an. Ich musste mir hierbei trotzdem einen provozierenden Spruch stark verkneifen. "Wir sind beide schlechte Verlierer", gab er die Antwort und brachte mich somit augenblicklich zum Lachen.
Das stimmte. Die knappen sechzig Minuten bewiesen es. "Das nächste Mal nehmen wir einfach auch die Anderen mit, spielen als Team und gewinnen gemeinsam. Wie wäre das?", schlug ich schmunzelnd vor. River nickte eifrig und seine Mundwinkel zuckten nach oben. "Wäre zumindest weniger Nerv raubend." Definitiv. Und würde vielleicht auch mehr Spaß machen.
"Na komm, beenden wir das Spiel und gehen was essen", ließ er mich schließlich mit einem Schmunzeln auf den Lippen los und nahm sich kurz darauf eine weitere Bowlingkugel. Ich sah River erwartungsvoll zu, wie er seine zwei Versuche ausführte, bis wieder ich an der Reihe war.
Die Bowlinghalle verließ ich später mit einem Gefühl des Sieges. Mit nur wenigen Punkten mehr gewann ich und lief dementsprechend fröhlich zurück zum Auto. "Und River? Wie ist es so seinen Thron einer Anfängerin überlassen zu müssen?", wollte ich von ihm neckisch wissen.
Dieser verdrehte bloß die Augen. "Sei leise, Toni", entgegnete er murrend und drückte auf den Knopf seines Autoschlüssels. Aber eines musste ich ihm schon lassen, er nahm seine Niederlage besser auf, als ich erwartet hätte.
Die Fahrt zum Thailänder verlief still. Wir entschieden uns von Pizza auf etwas extravagantes, weshalb wir nun in einem schicken Thai-Restaurant saßen. Ich liebte ausländische Gerichte und war froh darüber, dass River diese Meinung ebenso teilte.
Wir gaben dem Kellner höflich unsere Bestellung auf, welcher sich alles sorgfältig aufschrieb und anschließend mit einem knappen kommt sofort einen Abgang machte. Unsere Getränke bekamen wir bereits am Anfang. Ich nahm einen Schluck von dem kalten Gingerale und bemerkte, dass ich fast den ganzen Tag lang nichts getrunken hatte.
Plötzlich fiel mir auf, wie mich mein Gegenüber lächelnd betrachtete. "Ist was?", fragte ich demnach sanft und legte den Kopf schief. "Ich finde es gerade so schön, wie entspannt du wirkst. So gefällst du mir weitaus besser."
Mir wurde ganz warm ums Herz und ich erwiderte sein Lächeln. Er hatte Recht. Ich fühlte mich seit langem nicht mehr so gut, wie jetzt gerade. River ermöglichte es mir heute, dass ich abschaltete und bloß Spaß hatte. Dafür war ich ihm unfassbar dankbar.
"Das ist dein Verdienst. Deinetwegen fühle ich mich momentan wirklich gut", gab ich wahrheitsgemäß zurück. "Ich bin froh darüber, dass ich dich bei mir habe. Durch dich weiß ich zumindest, dass ich immer noch leben und genießen kann."
Das Lächeln in seinem Gesicht wurde noch breiter, als er meine Worte hörte. Er sagte nichts dazu, aber seine Reaktion reichte mir, um zu wissen, dass ich ihn gerade glücklich machte. Anschließend herrschte eine angenehme Ruhe zwischen uns.
Diese unterbrach ich, als mir plötzlich zwei Mädchen aus unserer Schule auffielen. Genau genommen waren sie in unserer Stufe. Mit der Blondine teilte ich den Kunstkurs. Unwillkürlich dachte ich an meine eigentlichen Unterrichtsstunden. Ich hätte heute bis sechzehn Uhr Schule gehabt, stattdessen saß ich kurz nach vier in einem Restaurant und wartete auf mein Essen.
River hatte heute wenige Stunden, da laut ihm vieles bei ihm ausgefallen war. Aus diesem Grund konnte er früher als sonst zu mir kommen. Er wollte zwar für mich schwänzen, aber ich ließ dies nicht zu. Meinetwegen durfte er den Unterricht nicht vernachlässigen.
"Ich vermisse die Schule", beichtete ich bedrückt, als die Mädchen aus meinem Sichtfeld verschwanden und ich wieder zu River blickte. Dieser wirkte sichtlich überrascht. "Ehrlich jetzt?" Bejahend nickte ich und stieß hinterher einen Seufzer aus. "Ich hätte auch nicht erwartet, dass diese Worte jemals meinen Mund verlassen würden, aber es stimmt."
Mein Freund musterte mich nachdenklich. "Glaubst du, du bist bereit dafür?" Zugegeben wusste ich das nicht. Mir fiel es nach wie vor schwer, mich in eine Menschenmenge zu mischen, der Gedanke jagte mir immer noch Angst ein, aber als ich Linda und Mary sah, kam plötzlich diese Sehnsucht nach Schule. Ob ich es mir auch zutraute, in den Alltag wiederzukehren, war ein anderes Thema.
River merkte mir wohl meine Unsicherheit an, denn er ergriff erneut das Wort. "Wie wäre es, wenn du erstmals in Ruhe darüber nachdenkst und mit deinen Eltern darüber sprichst? Geh wieder zur Schule, wenn du dich auch wirklich bereit dazu fühlst."
Irgendwann musste ich doch sowieso wieder am Unterricht teilnehmen, ewig konnte ich mich nicht zu Hause einkasteln. Da machte es letztendlich keinen Unterschied, ob ich mich mit einem guten oder schlechten Gefühl der Normalität zuwandte.
Außerdem war es zumindest einen Versuch wert. Wenn ich es nicht schaffte, konnte ich weiterhin wegbleiben, bis ich gezwungen zurückkommen musste. "Doch, ich möchte es versuchen", entschied ich mich im nächsten Augenblick entschlossen. "Ich gehe am Montag in die Schule."
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