Kapitel 16
River
Zweimal klopfte ich an der Tür des Arbeitszimmers meines Vaters an, bevor ich eintrat und ihm seinen schwarzen Kaffee auf den Tisch stellte. "Brauchst du etwas?" Er packte seine restlichen Utensilien ein und schüttelte mit seinem Kopf.
Als er zu mir aufblickte, rümpfte er die Nase und guckte mich herabwürdigend an. Dass er selbst an meinem Geburtstag etwas an mir auszusetzen hatte, überraschte mich nicht im geringsten. Anders war ich es von David Adams nicht gewohnt.
"Zieh dir doch einmal etwas anständiges an. Was ist das denn für eine Hose?" Er zeigte auf die zerrissenen Stellen. Ich verdrehte die Augen, nickte aber trotzdem. Wäre besser für mich, wenn ich ihm nicht widersprach und tat, was er von mir verlangte.
Ich mied den Blickkontakt zu ihm. Je länger ich nämlich meinem Vater in die Visage schaute, desto größer wuchs die Wut in mir, die ich für ihn verspürte. Ich war froh darüber, dass er für die nächsten Tage wieder auf Geschäftsreise ging. Er ekelte mich an.
"Vergiss nicht, nach deiner Party hast du einen großen Kampf.", sprach er im ruhigen Unterton. "Ich würde dich bitten, dich dieses Mal mehr zu verteidigen. Die Leute schöpfen sonst verdacht, wenn sie dein Gesicht voller Wunden sehen. Und das wollen wir doch nicht."
Wie könnte ich die illegalen Kämpfe vergessen, für die mich mein Vater seit mehreren Wochen zwang? Sie hielten mich nachts manchmal wach, da die Schmerzen unerträglich waren.
"Klar, ich sage meinem Gegner einfach, dass er mir sanfter in die Fresse schlagen soll. Ich bin doch noch ein Frischling, da zeigt er sicherlich Verständnis.", entgegnete ich sarkastisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Dad nickte. "Das kannst du gerne versuchen."
Was zur Hölle dachte sich dieser Mann eigentlich? Dass das alles ein Kinderspiel war? Ihm war wohl nicht klar, dass ich bei diesen Kämpfen draufgehen könnte. Und selbst wenn, es was für ihn nicht von großer Bedeutung.
Für ihn war ich nicht mehr, als ein wertloser Diener, der bloß für seine Gunsten handelte.
"Was wünscht du dir zu deinem Geburtstag?", erkundigte er sich im nächsten Moment mit bester Laune und klappte den Aktenkoffer zu. Seitdem dieser ganze Horror angefangen hatte, gab es nur eine Sache, die ich mir wünschte.
"Dass Mom nach Hause kommt.", flüsterte ich und senkte den Blick. Mein Vater hatte mich dennoch gehört und lachte kurz auf. "Du weißt, dass das nicht passieren wird. Sie darf von all dem nichts erfahren, River."
Das war mir durchaus bewusst. Schließlich war Dad Schuld daran, dass Mom mit meiner Schwester nach South Carolina gezogen war. Seit meinem zehnten Geburtstag hatte ich sie nie wieder gesehen. Lediglich bekam ich von ihr jedes Jahr eine Postkarte geschenkt.
Kaum zog aber diesen Sommer meine Schwester zurück bei meinem Vater ein, verlor ich sie keine zwei Wochen später wieder. Daran war ebenfalls einzig und allein Dad Schuld.
Ich hasste diesen Mann. Er hatte mir alles genommen, was mir heilig war. Stück für Stück. Selbst von Antoinette musste ich mich seinetwegen trennen. Und das war bisher das Schlimmste, wofür er mich kaltblütig gezwungen hatte.
"Wäre Mom hier, würdest du mit all dem Mist, den du hier gerade veranstaltest, nicht durchkommen. Sie hätte es niemals so weit kommen lassen!" Diese Worte wurden mit so viel Missachtung ausgesprochen, dass ich selbst nicht glauben konnte, wie hasserfüllt und bitter ich in diesem Moment klang. So eine Person war ich nie.
Vielleicht hätte meine Mutter nichts gegen die Kämpfe ausrichten können, jedoch wäre es mit ihrer Hilfe niemals dazu gekommen, dass ich Antoinette abwimmelte. Mom war nämlich wahrhaftig der einzige Mensch, den ich kannte, der so einen starken Glauben an die Liebe besaß und alles dafür tun würde, um die liebenden zusammenzubringen. Noch dazu war sie die einzige Person, die meinen Vater zu Vernunft bringen könnte.
"Geht es dir etwa immer noch um das Mädchen, River? Ich bitte dich, sie ist eine von vielen!", kam es nach einer Weile, nachdem er mich nachdenklich gemustert hatte, genervt zurück. Gemütlich saß er nun auf seinem Bürostuhl, trank seinen schwarzen Kaffee und guckte auf seinen Laptop.
Augenblicklich spannte ich mich an. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu halten. Ich durfte nicht die Beherrschung verlieren. Auch wenn ich ihn für die Art, wie er über Antoinette dachte, am liebsten schlagen wollte. Dank den Kämpfen hatte ich den Dreh raus. Ich müsste nur die Hand bewegen und er lag blutend auf dem Boden.
Sie war nicht eine von vielen. Das war sie nie. Antoinette war einzigartig und ich hatte sie keinesfalls verdient. Sie war viel zu gut für mich.
"Du hast mir gedroht, dass du ihr und ihrer Familie schadest, wenn ich sie nicht von mir fernhalte!", entfuhr es mir fassungslos. Meine Stimme nahm an Lautstärke zu. "Denkst du wirklich, dass ich das zwei Tage später vergesse? Du wusstest, wie wichtig sie mir ist und trotzdem hast du mich dazu gezwungen, ihr wehzutun!"
Dad winkte ab und schüttelte mit seinem Kopf. Sein Blick haftete nach wie vor an seinem Laptop. "Du redest Unsinn, River. Ich habe dir alles vereinfacht."
Plötzlich kickte ich das Kissen, das auf dem Boden lag zur Seite und raufte mir durch die Haare, während aus meiner Kehle ein kurzer verzweifelter Schrei entfloh. Seine Worte provozierten mich und machten mich umso wütender. "Du vereinfachst mir nichts, Dad.", brachte ich atemlos hervor. "Du schadest mir bloß!"
Wieso hatte dieser Schlappschwanz von Vater nur so viel Macht über mich? Er genoss es sichtlich, mich wie eine Marionette zu behandeln. Als gefürchteter Geschäftsmann fügte er eben zu vielen Mitteln, um anderen Menschen das Leben zu ruinieren. Selbst das Leben seines eigenen Sohnes.
Dad atmete hörbar aus. In seiner Miene erkannte ich deutlich, wie er sich gerade zu beherrschen versuchte. "Übertreib es nicht. Immerhin hast du für die Liebe auch später Zeit, aber jetzt musst du dich einzig und allein auf deine Kämpfe konzentrieren. So ist es sowohl für dich als auch für sie besser."
"Inwiefern ist das besser?", wollte ich verständnislos wissen. Mein Vater seufzte tief auf, bevor er den Laptop zuklappte. "Sohn, denk bitte einmal logisch nach! Es war das Beste, sie aus deinem Leben herauszuhalten. Wenn du nämlich deine kleine Prinzessin vor den anstehenden Gefahren beschützen möchtest, darf sie unter keinen Umständen unser Geheimnis erfahren. Weder von deinen Kämpfen noch von dem Vorfall mit deiner Schwester. Sonst erleidet sie dasselbe Schicksal wie Liliana. Also je weniger sie weiß, desto besser." Er lächelte scheinheilig und nippte kurz darauf an seiner Tasse.
"Das einzige, wovor ich sie beschützen muss, bist du, Dad!" Das war das Letzte, was ich ihm sagte. Keine Sekunde länger wollte ich in diesem Zimmer bleiben. Schließlich würden meine Worte sowieso nichts an der Situation ändern. Wozu also die Mühe? Mein Vater blieb nach wie vor der Mistkerl, den ich nur zu hassen gelernt hatte.
Und ich steckte nach wie vor in einer Sackgasse und kam nicht weiter.
"River!" Ich verweilte sofort an Ort und Stelle und ließ meine Hand auf der Türklinke ruhen. Die Art, wie er meinen Namen ausgesprochen hatte, hielt mich davon ab, dass Zimmer zu verlassen. Es klang nämlich fast schon liebevoll. "Du hast am Mittwoch das Richtige getan!"
Wie kann aber das Richtige, sich nur so falsch anfühlen?
•°
Gegen halb neun klingelte es an der Tür. "Hey, da ist ja mein Lieblingsbruder!", trat Keshav Freude strahlend ein und hielt mir zwei Sechserpack Bier entgegen. "Ich dachte, dass du um sieben kommen wolltest.", erwiderte ich belustigt und schloss die Haustür. Ziemlich bald würden auch die anderen Gäste erscheinen.
Kesh zuckte mit den Schultern. "Hab geschlafen. Wohin stelle ich das Bier?" Ich zeigte in die Küche, worauf er allwissend nickte und für einen kurzen Augenblick in dieser Richtung verschwand.
"Sag mal, River..." Keshav ließ sich sofort auf das Sofa fallen, als er ins Wohnzimmer herein. Währenddessen holte ich die Servietten Packungen aus dem Schrank heraus. "Ja?"
"Wie alt bist du jetzt? Neunzehn oder achtzehn?" Ich warf ihm einen irritierten Blick zu.
Wollte der mich gerade verarschen? "Achtzehn, Keshav. Ich bin achtzehn geworden!" Mein Gegenüber lächelte mich entschuldigend an. "Aber sicher doch! Wollte nur testen, ob du es auch weißt." Kopfschüttelnd lachte ich leise auf. "Hilf mir mit den Gläsern und sei still.", verlangte ich schließlich und öffnete derweil erneut die Schranktür. "Wird gemacht, Captain!"
"Ich wollte dich das schon viel früher fragen, aber was ist mit deiner Lippe passiert?" Im Augenwinkel erkannte ich, dass Kesh mich besorgt musterte.
Ich hatte herbe was aufs Maul bekommen, das war passiert. Mein letzter Gegner am Samstag hatte es wirklich in sich.
"Ich habe mich irgendwo angestoßen.", log ich schulterzuckend. Keshav schaute mich prüfend an. Nach Hunter war er der einzige, der mich sehr gut kannte. Es würde mich nicht wundern, wenn er meine Lüge durchschauen würde.
"Und die blauen Flecken an deinem Oberkörper? Glaub nicht, dass ich die beim Training nicht bemerkt habe." Dafür fiel mir auf die Schnelle dummerweise keine Ausrede ein. Die Wahrheit kam jedenfalls nicht infrage.
Die Haustürklingel befreite mich plötzlich aus dieser unangenehmen Situation. Zweifellos kamen so langsam aber sicher die restlichen Gäste an. "Ich gehe die Tür aufmachen!", setzte ich mich blitzschnell in Bewegung. Kesh würde dieses Gespräch sowieso vergessen, sobald er nicht mehr nüchtern war. Daher brauchte ich mir fürs Erste keine Sorgen zu machen.
•°
Den ganzen Abend lang hielt ich mich in der Nähe des Fensters auf. Immer wieder schaute ich nach draußen mit der Hoffnung, dass ich sie vielleicht in der Dunkelheit erkennen würde.
Das war doch erbärmlich.
Ich konnte von Antoinette keine Distanz verlangen und dann aber hoffen, dass sie auf meinem Geburtstag auftauchen würde.
Die ganze Feier war nicht auszuhalten. Immerhin feierte ich mein Leben, worüber ich mittlerweile sowieso nicht mehr bestimmen durfte. Mein Vater hatte mich in der Hand und das letzte Bisschen Freude hatte er mir bei unserem letzten Gespräch geraubt. Warum also dieser große Aufwand?
Zuerst wollte ich dieses Jahr sogar keine Party schmeißen, doch die Jungs aus dem Team waren ganz anderer Meinung. Sie sagten, dass eine Geburtstagsfeier ein Muss sei, zumal ich der Mannschaftskapitän war. Hätte ich ihnen hierbei widersprochen, hätten sie sofort bemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmte.
Dazu hatte mich der Gedanke, dass zumindest Antoinette den Abend erträglicher machen würde, ziemlich beruhigt. Es wäre das erste Mal gewesen, dass sie auf einer meiner legendären Partys anwesend war. Schicksal eben, war nicht immer gerecht.
Erschöpft setzte ich mich auf einen freien Stuhl. Meine Beine schmerzten und mein Kopf pochte, dabei brauchte ich für heute Nacht viel Kraft.
Mir wurde nämlich gesagt, dass mein letzter Gegner ein harter Brocken sei. Niemand besiegte mit Leichtigkeit Akira.
Sobald ich mir vorstellte, wie er mich in eine Ecke schleuderte und solange auf mich einschlug, bis ich keine Luft mehr bekam, wurde mir ganz flau im Magen.
Manche beschenkten mich mit materiellen Gegenständen, andere hingegen mit Verletzungen. Auch eine Art, seinen Geburtstag zu feiern.
Jedoch musste ich stark bleiben und das Schlimmste erdulden. Für meine Schwester.
Plötzlich tauchte eine Blondine vor mir auf, riss mich somit aus meinen Gedanken heraus und versuchte mich verführerisch anzulächeln. Betonung lag auf versuchte.
"Kann ich dir behilflich sein?", fragte ich höflich nach. Das Mädchen schüttelte ihren Kopf, kam mir währenddessen noch näher und biss sich auf die Unterlippe.
Auf irgendeiner Art und Weise sah das ziemlich ab turnend aus. "Nein, aber ich kann dich gleich richtig glücklich machen, Süßer!" Mit diesen Worten beugte sich sich hinunter und ich erkannte, selbst als Kerl, dass ihre Extension schlecht befestigt worden waren.
Auf einmal fasste sie mir ohne zu zögern an den Gürtel, woraufhin ich sofort verstand, was sie vorhatte. "Ich glaube, du hast ein bisschen zu viel getrunken.", entfuhr es mir leicht panisch und ich sprang in Sekundenschnelle auf, hielt sie kurz fest, ehe ich sie auf den Stuhl drückte. "Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest..."
Anschließend suchte ich sofort das Weite und schüttelte mich kurz angeekelt. Das war gerade so was von schräg gewesen.
"Da ist ja mein Geburtstagskind!", fing mich Kesh auf dem Weg in mein Zimmer ab. "Wie läuft dein Abend?", erkundigte er sich. "Ziemlich...", ich überlegte mir ein Wort, welches nicht direkt ausdrückte, dass die Party für mich die reinste Katastrophe war. "Interessant.", vervollständigte ich schließlich meinen Satz. "Ich habe Toni gar nicht gesehen. Ist sie nicht da?" Er klang verwundert.
Im selben Augenblick verfluchte ich ihn dafür, dass er mich daran wieder erinnert hatte. Ein Kopfschütteln diente als meine Antwort, während ich die Lippen zusammenpresste. "Sie wird auch nicht kommen.", ergänzte ich. "Oh.", entfuhr es Keshav und ich erkannte, dass er nicht wusste, was er mir dazu noch sagen könnte. Daher winkte ich schnell ab und zwang mich zu einem Lächeln.
"Jedenfalls muss ich jetzt gehen." Kesh runzelte die Stirn. Anscheinend hatte er vergessen, dass ich die Party früher verlassen würde. Natürlich war das nicht gerade ideal, zumal ich der Gastgeber war, aber ich hatte schließlich keine andere Wahl. "Ich habe dir doch erzählt, dass ich noch etwas anderes zu erledigen habe. Ich würde dich bitten, dass du mich bei den Leuten entschuldigst und dafür sorgst, dass das Haus ganz bleibt."
Nun schien er sich wieder zu erinnern, worauf er grinsend nickte. "Mach dir dabei keine Sorgen. Ich habe hier alles unter Kontrolle!" Dankbar lächelte ich ihn an. Da war ich mir sicher, denn auf Keshav war immer Verlass.
Ich wollte weitergehen, da hielt er mich jedoch am Arm zurück. Fragend schaute ich in seine grauen Augen. "Pass auf dich auf, River. Bitte."
Ganz gewiss würde ich auf mich aufpassen. Ob ich aber unversehrt und vor allem lebend zurückkommen würde, konnte niemand garantieren.
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