Kapitel 12
"Du erwartest jetzt von mir, dass ich für dich dein Bild zeichne, damit du nicht durchfällst. Im Gegenzug liest du aber für mich die Lektüre und schreibst anschließend die Zusammenfassung?", fasste Josh meinen Vorschlag zusammen. Zu meinem großen Bedauern wirkte er nicht sonderlich überzeugt davon. Dennoch blickte ich hoffnungsvoll in seine blauen Augen und nickte.
Er lachte verächtlich auf. "Das kannst du vergessen, Toni!" Augenblicklich verschränkte ich beleidigt die Arme vor der Brust. "Aber du bist mein bester Freund! Wir sind seit der ersten Klasse unzertrennlich, da kannst du doch auch sicherlich Risiken für mich eingehen."
Belustigt schaute er mich an. "Dieses Risiko bin ich schon eingegangen. Als unser kleiner Tausch aber herausgekommen ist, sind wir beide durchgefallen." Kein Grund, es nicht noch einmal zu versuchen. Vielleicht würden die Lehrer es diesmal nicht bemerken?
"Willst du, dass ich gleich weine? Wo ist bitteschön dein Mitgefühl?" Joshua schüttelte mit seinem Kopf. "Deine Mitleidstour funktioniert dieses Mal nicht.", erwiderte er unbeeindruckt und griff erneut nach der Lektüre, da er diese wegen mir oft aus der Hand legen musste.
So langsam gingen mir die Ideen aus. Sonst konnte ich ihn doch auch immer ziemlich schnell überreden. Mein Blick fiel plötzlich auf die zerknüllten Blätter. Sie waren alle meine gescheiterten Versuche eine Unterwasserwelt zu zeichnen.
Vorwurfsvoll deutete ich im nächsten Moment auf das Papier. "Siehst du denn nicht, dass ich eine Blattverschwendung bin?" Josh zog eine Augenbraue in die Höhe. "Doch- Was das angeht, bist du wahrlich eine Katastrophe.", meinte er. Eifrig nickte ich. Noch war die Hoffnung nicht verloren. "Trotzdem helfe ich dir nicht.", fügte er dann aber kühl hinzu und konzentrierte sich schließlich wieder auf sein Buch. Meine Mundwinkel zuckten automatisch nach unten. Dieser Wichser.
Genervt atmete ich aus und nahm meinen Bleistift in die Hand. "Dann eben nicht.", grummelte ich und riss ein neues Blatt aus meinem Zeichenblock heraus. Das Problem war, dass ich morgen mein Bild meinem Lehrer abgeben musste, jedoch hatte ich immer noch nichts.
Natürlich hätte ich vor Wochen anfangen können, doch dazu hatte mir die nötige Motivation gefehlt. Es hörte sich eben verlockender an eine ganze Serienstaffel anzuschauen und mit River nächtliche Telefonate zu führen.
Aus diesem Grund war ich auch tagsüber ziemlich müde, doch das brauchte natürlich niemand zu wissen. Noch dazu vergaß ich, dass ich kein bisschen talentiert darin war Dinge zu zeichnen. Welcher Idiot kam auch auf die Idee, die Unterwasserwelt als Zeichnungsaufgabe zu nehmen?
Ich fing an mich zu konzentrieren und starrte zuallererst minutenlang das leere Blatt an. Selbst diese Leere überforderte mich. Als nächstes schaute ich mir die Spitze meines Bleistifts an und bemerkte, dass dieser ziemlich stumpf wirkte. Ich kramte sofort meinen Spitzer aus meinem Etui heraus und wollte gerade anfangen den Stift zu spitzen, da riss mir Josh das kleine Ding aus der Hand. Perplex schaute ich den Blondschopf an.
"Nein, du spitzt den Stift jetzt nicht noch einmal! Er ist spitz genug, also fang jetzt endlich mit diesem beschissenen Bild an!" War er nicht noch bis vor einigen Sekunden völlig in die Lektüre vertieft gewesen? Irgendetwas sagte mir, dass er nie wirklich mit dem Buch beschäftigt war, sondern mich beobachtet hatte. "Warum interessiert dich das so?", wollte ich vorsichtig wissen.
"Tut es nicht. Mich nervt es nur, dass du deine Aufgabe hinauszögerst, obwohl du schon längst damit fertig sein müsstest. Immerhin ist der Abgabetermin morgen." Ich fing an zu grinsen.
"Nein, das ist eine fette Ausrede! Du bist nämlich derjenige, der seine Aufgabe hinauszögert, indem du den Fehler bei mir suchst." Joshua schüttelte seinen Kopf und presste die Lippen zusammen. Und nun hatte ich ihn genau da, wo ich ihn haben wollte.
"Gib doch zu, dass du das Buch nicht lesen willst." Wieder ein Kopfschütteln. "Mein Angebot steht immer noch...", versuchte ich weiter. "Du brauchst nur zuzustimmen Joshi..."
Ich erkannte deutlich, wie er in diesem Moment mit sich selbst kämpfte, damit er bloß nicht den Vorschlag annahm. "Wir lösen unsere Probleme und die nächsten fünf Pizzen gehen alle auf mich.", legte ich noch einen drauf und lächelte zuckersüß, als er immer noch nichts sagen wollte.
Schließlich atmete er aus. "Du bist ein manipulatives Stückchen Scheiße. Weißt du das eigentlich?" Da hatte ich wohl vom Meister höchstpersönlich gelernt. Ich brauchte nicht zu erwähnen, dass dieser gerade vor mir saß.
Außerdem war ich doch nicht manipulativ. Ich versuchte nur für meine Gunsten zu handeln. Bekanntlich tat ich dies aber nur bei Josh gerne, zumal er das auch bei mir machte. "Soll das ein Ja sein?", ignorierte ich seinen Vorwurf.
"Nein.", kam es mit eisiger Stimme zurück. Ach verdammt!
"Was geht ab?", gesellte sich plötzlich Keshav Wilson zu uns und nahm neben meinem besten Freund Platz. Die beiden Jungs begrüßten sich freudig mit einem Handschlag, während ich ihnen ein wenig überrascht dabei zusah. Seit wann war Joshua mit Kesh befreundet? Da fiel mir wieder ein, dass Kesh Cecilias Stiefbruder war. Nun wurde mir einiges klar.
"Was zeichnest du Toni?", erkundigte sich der Basketballspieler im nächsten Moment und bemerkte die zerknüllten Papiere. "Nichts, sie ist zu unfähig dafür.", antwortete Josh schulterzuckend. Ich warf ihm auf der Stelle einen finsteren Blick zu, worauf ich Keshav lachen hörte. "Vielleicht kann dir River gleich helfen." Sofort wurde ich hellhörig. "River sagst du?"
Keshav und Josh tauschten augenblicklich Blicke aus. Komischerweise grinsten beide, als er schließlich erneut zu mir sah. Ich schaute nochmals verwirrt zwischen den Jungs hin und her. Hatten sich die beiden Idioten gerade durch Blicke verständigt?
"Der Coach wollte ihn sprechen, falls du es genauer wissen möchtest. Wenn das Gespräch beendet ist, kommt er auch in die Cafeteria.", erklärte Kesh. Verstehend nickte ich, bekam aber trotzdem das Gefühl nicht los, dass ich mich gerade ziemlich verraten hatte. Wie peinlich- Das nächste Mal sollte ich nicht offensichtlich reagieren, sobald jemand River erwähnte.
"Ich wusste gar nicht, dass River zeichnen kann.", meinte Joshua im nächsten Augenblick nachdenklich. Ich genauso wenig. Er steckte wirklich voller Überraschungen. Kesh zuckte bloß mit den Schultern. "River ist richtig gut darin, zeichnet aber nicht sonderlich oft. Lieber konzentriert er sich auf den Sport." Mein Junge hatte eben Talent.
Plötzlich bemerkte ich, wie mich zwei Augenpaare geschockt ansahen.
"Ist was?", fragte ich verunsichert. "Dein Junge, also?", raunte mir jemand in nächster Sekunde verführerisch ins Ohr. Sofort drang mir ein vertrauter Geruch in die Nase, während sich meine Augen weiteten, mein Herz für einen Bruchteil einer Sekunde aussetzte und ich nur noch am liebsten im Erdboden versinken wollte.
"Scheiße!", entfuhr es mir. "Habe ich das gerade laut gesagt?" Joshua grinste mich vielsagend an, während Keshav amüsiert nickte. Das konnte ja noch was werden.
Langsam drehte ich meinen Kopf zur Seite und lächelte River unsicher an. "Wie viel hast du mitgehört?", verlangte ich zu wissen. Er grinste frech. "So viel, dass ich jetzt weiß, dass ich anscheinend dir gehöre. Seit wann so besitzergreifend, Mandoza?" Verfluchte Scheiße. So gut wie ich River mittlerweile kannte, würde er sich nun daraus einen Spaß erlauben.
"Seit wann so eingebildet, Adams?", gab ich genauso ruhig zurück. "Seitdem ich Keshav kenne." Von Kesh hörte man augenblicklich ein beleidigtes brummen, doch das blendeten River und ich komplett aus. Der intensive Augenkontakt zwischen uns raubte mir den Atem.
"Okay, Leute! Führt euren Augensex woanders fort. Toni muss hier immerhin noch ein Bild fertigstellen.", unterbrach plötzlich Joshua das Schweigen. River und ich blickten gleichzeitig zu ihm. Während ich ihn fassungslos ansah, da er aller ernstes Augensex gesagt hatte, zwinkerte River ihm zu. Was zum Teufel ging hier eigentlich vor sich?
Nein, nein- Josh und River waren definitiv keine gute Kombination. Schon damals nicht und auch jetzt nicht. Sie verstanden sich einfach viel zu gut.
"Was ist dein Thema?", fragte mich schließlich River neugierig. "Die Unterwasserwelt." Er schnappte sich ein zerknülltes Papier und faltete ihn vorsichtig wieder auf. "Schau dir das lieber nicht an. Ihre vorherigen Versuche sind schrecklich!", warnte Joshua ihn, weshalb ich bloß die Augen verdrehte.
"Das glaube ich nicht. So schlimm wird es schon nicht- Oh, also das ist wirklich...", River suchte das passende Wort und räusperte sich kurz. "Außergewöhnlich?"
Genervt ausatmend riss ich ihm das Papier aus den Händen und guckte es mir selbst nochmal an, bevor ich das Blatt wieder aggressiv zerknüllte.
"Ich bin viel zu unfähig dafür.", meckerte ich. "Sagte die Fotografin...", erwiderte Kesh belustigt.
Klar, er dachte wohl, weil ich mich mit der Kunst der Fotografie auskannte, auch das Zeichnen beherrschen würde. Das dachte ich auch. Leider war es dann doch nicht der Fall.
"Also mit dieser Einstellung wirst du es nie können. Ehrlich gesagt ist deine Skizze nicht schlecht. Du musst die Linien nur ein wenig schwungvoller machen, dann sieht es auch schöner aus.", belehrte mich River und nahm ein frisches Blatt.
"Wenn ich mich nicht irre, hatten wir letztes Jahr auch dieses Thema. Zeig Toni doch, wie du es gemacht hast.", sprach Kesh zu seinem Captain. Dieser nickte und nahm anschließend einen Bleistift.
"Dann lass uns mal sehen, was Picasso numero due so drauf hat.", witzelte Josh. Er brachte River somit zum Lachen, während ich bloß darüber schmunzeln musste. Dann bewegte er den Stift auf dem Papier. Gespannt schaute ich River dabei zu und hoffte, dass ich wenigstens ein kleines bisschen von ihm lernen würde.
"Kommt ihr beide am Samstag auf die Party?", fragte Kesh nach einer Weile an meinen besten Freund und mich gerichtet. Neugierig blickte ich ihn an, während Joshua sofort nachfragte, wessen Party das überhaupt sei.
"Meine. Mom und Dad machen irgendeine Geschäftsreise, da haben sie gesagt, dass ich ein paar Freunde einladen darf, solange nichts kaputt geht." Er meinte doch wohl eher die halbe Schule.
"Wird Cecilia auch dort sein?", war Joshuas zweite Frage. Ich bekam wiederum das starke Bedürfnis mir mit der flachen Hand auf die Stirn zu schlagen. Er hätte das doch nicht ihren Bruder fragen sollen. Bekanntlich reagierten ältere Brüder nämlich empfindlich, wenn es sich in diesem Zusammenhang um die eigene Schwester handelte.
"Sie wohnt da, du Honk!", antwortete im nächsten Augenblick eine bekannte Stimme. Welch eine große Überraschung- Cece höchstpersönlich stand hinter Josh.
"Tja, da hat er sich wohl in eine unangenehme Situation reingeritten, so wie du vorhin.", murmelte River neben mir, sodass nur ich es hören konnte. Ich warf ihm einen kalten Seitenblick zu, den er sicherlich im Augenwinkel bemerkte. Er grinste nämlich breit. "Aber dein Junge fand das wirklich süß!", fügte er hinzu. "Hör doch auf!", säuselte ich peinlich berührt und spürte, wie das Blut in meine Wangen schoss. Jetzt wurde ich wegen diesem heißen Idioten auch noch rot. Zum Glück bemerkten die anderen unsere kleine Unterhaltung nicht.
"Kesh hast du die Hausschlüssel? Ich bin früher als erwartet fertig und habe meinen nicht mitgenommen, weil ich dachte, dass wir gemeinsam nach Hause fahren würden.", wandte sich Cecilia sofort an ihren Bruder.
Anscheinend würde es dieses Mal nicht zu einer Diskussion kommen. Josh hatte ich jedenfalls nichts mehr sagen hören und Keshav ebenso wenig.
"Schau in meiner Tasche nach.", meinte er zu seiner Schwester und lächelte ihr zu. Cece nickte schnell, bevor sie sich umgedreht und die Cafeteria kurz darauf verlassen hatte.
Die beiden waren zwar bloß Stiefgeschwister, jedoch sah man dies ihnen gar nicht an. Laut Joshuas Erzählung lebten sie schon seit klein auf miteinander und waren aus diesem Grund auch sehr zueinander gebunden. Keshav war zu ihr der perfekte Bruder schlechthin.
"Würdet ihr nun kommen?", kam Kesh auf seine Frage zurück und blickte zwischen Josh und mir hin und her. "Klar, warum nicht?", erwiderte der Blondschopf und lehnte sich zurück.
Jetzt wurde nur noch ich von dem Basketballspieler erwartungsvoll angesehen. "Und du, Toni?"
Im gleichen Moment legte River den Stift aus der Hand und richtete sich auf. "Fertig!" Kesh, Josh und ich begutachteten sofort seine Skizze und kamen nicht mehr aus dem Staunen heraus.
"Aber du hast doch nur ein paar Linien gezeichnet! Wie hast du jetzt eine ganze Unterwasserwelt hinbekommen?", entfuhr es mir vollkommen überwältigt. Im Gegensatz zu meinen Versuchen, wurde seine Skizze wirklich zu einem Meisterwerk, wodurch ich mich schlagartig mickrig fühlte. Und er sagte auch noch, dass es bei mir gar nicht mal so schlimm aussah.
"Da siehst du, wie viel solche Linien bei einem Bild ausmachen können.", meinte River grinsend. Ich verdrehte nochmals die Augen, lächelte jedoch dabei. "Respekt!", kam es von Josh und Kesh synchron. Ohne den Blick von mir zu nehmen bedankte er sich bei den Jungs.
"Du musst eigentlich nur noch alles nachfahren und verdeutlichen, dann ist die Zeichnung fertig. Jetzt da du das Muster hast, fällt es dir bestimmt auch einfacher." River deutete auf das Blatt. Ich hatte ihm zwar nicht ganz zugehört, aber fiel ihm dennoch glücklich um den Hals. Immerhin hatte er mir auch dieses Mal sehr geholfen und mich somit vor einem Notenabzug bewahrt.
"Danke, danke, danke!", flüsterte ich immer wieder in sein Ohr. "Weil ich ja dir gehöre, mache ich das doch gern!", kam es leise zurück.
Dieses Mal störte es mich nicht, denn ich war ihm gerade viel zu sehr dankbar und ignorierte einfach diese Anspielung auf vorhin. Außerdem hörten die Jungs auch das nicht, daher war es mir schlichtweg egal.
"Also, Leute! Führt euren-", fing Josh wieder an, doch dieses Mal war ich darauf vorbereitet, weshalb ich ihm sofort ins Wort fiel. "Nein, du verkneifst dir diesen Kommentar!", zischte ich, währenddessen ich mich von River löste. "Ist ja gut...", hob dieser abwehrend die Arme hoch und grinste. "Meine Frage wurde aber immer noch nicht beantwortet.", schaltete sich auch Kesh wieder ein. Ach ja, da war ja noch etwas.
"Aber natürlich kommt Mandoza auch zu der Party!", antwortete stattdessen River für mich und lächelte mich an. Perplex blinzelte ich mit meinen Augen. Wann wurde das denn bitteschön beschlossen?
"Vor einigen Sekunden.", zwinkerte mir der Grünäugige zu. Woher wusste er- "Du denkst einfach viel zu oft laut nach.", unterbrach er abrupt meinen Gedanken. Ich seufzte.
Konnte man das laute Denken nicht einstellen? So langsam wurde mir das nämlich ziemlich unangenehm.
"Gut, dann sehen wir uns am Samstag!", stand Keshav freudig auf. "Josh kommst du mit?" Joshua nickte, nahm seine Sachen und erhob sich ebenfalls. "Wir sehen uns später, Toni!", verabschiedete er sich schnell von mir, ehe er Keshav nachgelaufen war.
"Dann holt dich dein Junge am Samstag pünktlich um zwanzig Uhr ab!", informierte River mich und ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht. Erneut seufzte ich und schaute ihn mit gequälter Miene an. "Dir macht das sehr viel Spaß, nicht wahr?" Er erwiderte dazu nichts. Das Grinsen genügte mir schon als Antwort.
"Wie lange möchtest du mir meinen Ausrutscher noch unter die Nase reiben?" Mit einem Male wirkte River ziemlich ernst. Er blickte mir tief in die Augen, sodass ich mich glatt in diesem wunderschönen Grün verlieren könnte. "Solange, bis es vollkommen der Realität entspricht."
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Endlich habe ich meine Motivation und die Zeit zum Schreiben wieder gefunden. Wünsche euch schöne Ferien! ~ Lynn 🕊
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