Kapitel 4
1.Fisch - Frühling auf Yumiya
Nachdenklich betrachtete Thilito den silbernen Anhäger, auf dem seine Zimmernummer stand. Er wusste jedoch nicht, ob er hier richtig war. Er war durch zwei große Statuen in dieses Gebäude gelangt und nun recht verwirrt. Die Wände waren mit großen Spiegeln behangen. Sie waren alle komplett unterschiedlich, was ihn irgendwie unruhig machte. War das normal?
Thilito sah sich um, während Koa immer wieder um seine Beine wuselte. Daher musste er auch noch aufpassen, nicht zu fallen.
Schließlich blieb er vor einem Spiegel stehen, über dem seine Nummer eingraviert war. Er runzelte die Stirn. War er hier richtig?
Der junge Mann sah sich nach links und rechts um, doch es war niemand zu sehen, der ihm helfen konnte.
Weil er nicht genau wusste, was er tun sollte, hob er die Marke in Richtung Spiegel. Wenn das hier wirklich seine Tür war, musste sie irgendwie geöffnet werden. Es musste also einen Spalt geben. Immerhin war es ein Schlüssel.
Thilito wollte die Platte eigentlich gegen das Glas drücken, um damit einen Spalt zu finden, doch stattdessen verschwand sein Arm darin.
Er gab einen überraschten Laut von sich und zog ihn zurück, bevor er ihn betrachtete. Alles war noch heil.
Funktionierte die Tür vielleicht magisch wie die Portale?
Thilito nahm allen Mut zusammen und schloss die Augen, bevor er mehr oder weniger durch den Spiegel stolperte und dabei fast fiel.
Gerade noch rechtzeitig konnte er sich an einer Wand auffangen, um sich nicht unter lautem Poltern auf den Boden zu legen. Koa hatte sich derweil Schutz suchend um sein rechtes Bein gewickelt, während seine gefährliche Schwanzspitze unnachgiebig gegen sein Bein peitschte. Seine neugierigen Augen dabei die Umgebung in sich aufnehmend, die sich nun hinter dem Spiegel offenbart hatte.
Es war ein kleiner Gang, der scheinbar in eine Art Wohnzimmer führte.
Thilito versuchte sich wieder normal hinzustellen, achtete dabei aber auf Kao. Dieser wollte nicht loslassen, weshalb der Drachenwandler das einfach erst einmal so hinnahm. Viel wichtiger war jetzt die Umgebung.
„... und... was genau macht das nun?", drang eine dumpfe, männliche Stimme an seine Ohren, die eindeutig vom Ende des Korridors kam. Er war wohl nicht der erste, der diesen Komplex gefunden hatte. Es dauerte nicht lange, als schon eine weitere Männerstimme erklang, in Form eines geradezu verspielten Kicherns.
Waren das vielleicht seine Mitbewohner?
Zögerlich folgte er dem Flur und bemerkte mehr aus den Augenwinkeln die Türen, die er jedoch ignorierte. Er war viel zu neugierig darauf, neue Leute kennenzulernen. Er hoffte nur, dass sie sich gut verstanden.
Das erste was ihm ins Auge fiel, waren zwei glimmende Hörner, die von einem sinnlichen Violett, über intensives Pink, in ein mildes Gelb verliefen. Platziert auf einem Wuschelkopf mit dunklem, unbändigen Haaren. Die Kleidung des Jungen war rudimentär. Als hätte sich der Schneider gedacht: Weniger ist mehr. Beinahe der komplette Oberkörper lag unter vereinzelten schwarzen Stoffstreifen frei und gab so den Blick auf dunkle Haut frei.
Thilito blieb stehen und kam nicht umhin einfach zu starren. Was war das für ein Wesen? So etwas hatte er noch nie gesehen. War das überhaupt ein Schüler? Irgendwie hatte er die Größe, sah aber seltsam aus. War er vielleicht ein Dämon?
Um sich etwas zu fangen, wandte er den Blick zu der zweiten Person im Raum. Diese wirkte mit den blonden, schulterlangen Haaren wesentlich menschlicher.
Die tiefblauen Augen, die an einen mystischen Ozean erinnerten, waren forschend auf den Inhalt einer nicht einsehbaren Box gerichtet. Der Junge mit den Hörnern, von dem scheinbar das Kichern stammte, hielt nach einigen Sekunden inne, als er Thilito mit einem freudigen: „Ah!", bemerkte und sogleich mit strahlendem Ausdruck auf ihn zukam, um ihn zu begrüßen. „Du musst der dritte Mitbewohner sein. Willkommen, Gleichgesinnter!"
Als würde dieser Fremde Thilito bereits seit Äonen kennen, nahm er den überrumpelten Drachenwandler in die Arme und drückte ihm ungefragt einen Kuss auf die Lippen.
Thilito stolperte zurück. "W-Was?", brachte er überrascht hervor. "Hast du mich gerade geküsst?", wollte er perplex wissen, während er selbst erst einmal realisieren musste, was hier vor sich ging.
Der Dämonenjunge seufzte schwer und ließ einen Moment enttäuscht die Schultern hängen. „War das schon wieder zu viel? Ich versteh das mit dem richtigen Zeitpunkt noch nicht so ganz", schmollte er enttäuscht auf Thilitos Reaktion. Der Blonde lächelte etwas verlegen und hob mit einem unbehaglichen Lachen die Hand an die Schläfe, um sich eine Strähne zurückzustreichen. Erst jetzt erkannte Tilo das verschrammte Gesicht des Jungen, als wäre er von einem kratzbürstigen Wyvern angefallen worden. „Verstehe, das machst du also bei jedem...", murmelte auf die sich anspielende Szenerie.
Thilito blickte zwischen dem Blonden und dem Dämon hin und her. "Wie jetzt? Hat er dich auch zur Begrüßung geküsst?", fragte Thilito überrascht, entspannte sich aber etwas. Wenn das da auch der Fall gewesen war, dann war es vielleicht eine recht seltsame Art der Begrüßung und nicht das, was er gedacht hatte.
Leicht legte Angesprochener den Kopf schief und zuckte leicht die Schultern. „Ja... ich fand es schon etwas merkwürdig, dachte aber es liegt an meinem Charme", gestand er nachdenklich.
Der Dämon blinzelte perplex und wandte sich zu dem Blonden um. „Du hast dich jedenfalls nicht beschwert!", erwiderte er bestürzt auf diese fehlende Wertschätzung seiner Begrüßung.
„Ich wollte eben nicht unhöflich sein", antwortete der Blonde lediglich und platzierte die rätselhafte Box vor sich auf einen Tisch, um darin zu wühlen.
"Ich ... ähm ... bin Thilito", bemerkte der Drachenwandler irgendwann, da sie sich die beiden gar nicht vorgestellt hatten. Dabei beobachtete er den Blonden. Was war das für eine Box? Hatte er etwas verpasst?
„Ach ja", lächelte der Dämon entschuldigend und legte sich stolz eine Hand auf die Brust. „Lux Luxuria. Sohn der Herrin der südlichen Hölle und noch dazu begnadeter Koch in allen Köstlichkeiten, die die Hölle zu bieten hat", stellte sich Lux augenzwinkernd vor, mit einem schelmischen Schmunzeln auf den Lippen. Auch wenn Thilito nicht so genau verstand, wo dieses herrührte.
Der Blonde dagegen schielte nach dieser prunkvollen Ankündigung jedoch nur zwischen den beiden hin und her. „Ich bin Usiel... nur Usiel."
Thilito starrte Lux an. "Hölle? Sowas gibt es wirklich?", fragte er perplex. War das vielleicht ein Witz? "I-Ich bin Thilito De Ceviere", erwiderte er, auch wenn er sich nach Lux Vorstellung irgendwie unwichtig vorkam. Gleichzeitig fand er die beiden aber auch recht interessant und nett. Irgendwie sehr aufgeschlossen. Er hoffte, dass das so blieb.
„Hm?", machte Lux fragend und legte den Kopf leicht schief. „Was meinst du? Natürlich gibt es die Hölle", lachte er amüsiert. „Vermutlich würdest du ohne die Hölle nicht mal hier stehen können."
Stirnrunzelnd zog Usiel ein schwarzes Metallgebilde hervor, welches mit magischen Gravuren versehen waren. „Ist das sowas wie eine Waffe?", fragte er irritiert und begann das Gebilde von allen Seiten zu betrachten, welches doch stark an modifizierte Handschellen erinnerte. Lux folgte dem Blick von Usiel und schnippte mit den Fingern, als wäre ihm soeben wieder etwas eingefallen.
„Genau!", rief er aus und wandte sich um, um kurze Zeit später Tilo eine identische Box zu überreichen, wie sie auch Usiel hatte. „Als Willkommensgeschenk", verkündete er mit einem strahlenden Lächeln.
Zögerlich nahm Thilito diese Box entgegen und öffnete sie ein Stück. Dann runzelte er die Stirn und verstand nicht ganz, was diese Sammlung an Gegenständen bedeuten sollte. Er griff hinein und zog einen Silberring hervor, den er sich näher betrachtete. "Ist der nicht etwas zu groß für einen Ring?", wollte er wissen.
Mit einem belustigten Lachen klopfte Lux dem Wandler auf die Schulter und steckte symbolisch den schlanken Zeigefinger durch den großen Ring. „Der ist ja auch nicht für deinen Finger, Dummerchen. Sondern für deinen Penis", gab er mit einem selbstverständlichen Lächeln von sich und blickte Thilito abwartend an.
Thilito lief rot an. "Ähm ... äh ...", stammelte er vor sich hin. "D-Danke", sagte er, weil er sich völlig überfahren fühlte. Was waren das denn für seltsame Geschenke und warum sollte er dort unten einen Ring tragen?
Usiel, der das ganze beobachtete, gab ein verstehendes: „Ah", von sich und nahm dem verlegenen Thilito den Ring aus den Fingern. „Ich wusste gar nicht, dass es Schmuck für... sowas gibt", gab er zu bedenken, ohne jegliche Wertung in der Stimme, während er sich das schlichte Objekt im Licht betrachtete.
Thilito wandte sich an Usiel, um ihn verwirrt anzusehen. "Ich auch nicht", gestand er, konnte sich aber auch nicht unbedingt vorstellen, warum dort unten jemand Schmuck tragen sollte. Wobei ihm der junge Mann in den Sinn kam, der nach Sezuna verlangt hatte. So wie dieser mit Schmuck behangen war, trug er vielleicht auch dort unten derartigen Schmuck.
Die Vorstellung sorgte dafür, dass sein Gesicht ein wenig heiß wurde.
Abwiegend lehnte Lux den Kopf nach links und rechts, als würde er überlegen, ob diese Bezeichnung denn nun zutraf oder nicht. „So könnte man es natürlich betrachten...", setzte er an, lächelte dann jedoch erfreut. „Aber schön, dass euch die Mitbringsel von zu Hause gefallen. Mein letzter Mitbewohner hat mir darauf eine gescheuert", gestand er kichernd, winkte dann jedoch ab.
Thilito warf Usiel einen fragenden Blick zu, weil er sich dort noch weitere Informationen erhoffte, doch dieser zuckte unwissend die Schulter, bevor er den Ring zurück in Thilitos Box legte.
"Was heißt eigentlich dein letzter Mitbewohner?", wollte der Drachenwandler wissen, da er sich fragte, ob Lux vielleicht in einem höheren Jahrgang war.
„Na einer der Typen, mit denen ich letztes Jahr zusammen gewohnt habe", erwiderte Lux wie selbstverständlich, da er die Frage nicht so recht verstand. „Der ist allerdings schon nach den ersten zwei Wochen in einen anderen Komplex gezogen, so dass ich ganz allein war... ich schätze er war auf sozialer Ebene einfach hoffnungslos inkompetent", schüttelte der Dämon bedauernd den Kopf, mit der festen Überzeugung, dass es keinesfalls an ihm selbst liegen konnte.
"Ähm ... scheint so", stimmte Thilito zu, der nicht zu unfreundlich werden wollte. Vielleicht war Lux etwas eigenartig und möglicherweise für den ein oder anderen seltsam, aber er wirkte nicht bösartig. Und solange das nicht der Fall war, würde Thilito damit umzugehen wissen. "Was hat es eigentlich mit dem Fest draußen auf sich?", wechselte er das Thema, in der Hoffnung noch mehr interessante Dinge zu erfahren.
„Oh, du meinst das Frühlingsfest?", fragte Lux lächelnd und hievte sich auf den dunklen Holztisch, neben Usiels Box, in der er noch immer neugierig stöberte. „Das findet jedes Jahr zum Schulbeginn statt und dient als eine Art Willkommen für die neuen Schüler."
"Echt jetzt? Jedes Jahr?", fragte Thilito erstaunt. "Da hat man ja was, worauf man sich freuen kann." Mit so viel Freizeit hatte er eigentlich nicht gerechnet. Es gab sicherlich sehr viel zu lernen.
„Hast du eine Ahnung", lachte Lux amüsiert. Die Yorukage hatte reichlich Feiertage, die jährlich zelebriert wurden. Doch zugegeben war das Frühlingsfest schon eines der überwältigendsten, aufgrund der bloßen Länge. Doch diente gerade dieser gelassene Einstieg zur Eingewöhnung der neuen Schüler. Es war nicht selten, dass diese von weit herkamen und teilweise noch nie andere Planeten gesehen hatten. Sich allein in einer fremden Welt zurechtfinden zu müssen, war für viele beängstigend.
Usiel wurde auf den Themenwechsel hin hellhörig und hob den blauen Blick zu den beiden jungen Männern. „Ich hatte leider noch gar keine Gelegenheit es mir anzuschauen. Geht ihr später noch hin?", fragte er nun neugierig, als würde er es kaum abwarten können. Der bittende Blick ließ bereits darauf schließen, dass er ungern allein gehen wollte. Vermutlich war es auch sein erstes Mal auf der Yorukage, im Gegensatz zu Lux, der die Schule schon länger zu kennen schien.
"Lass mich meine Sachen einräumen, dann komm ich mit", gab sich Thilito geschlagen. "Welches Zimmer kann ich eigentlich nehmen?"
Da er erst angekommen war und nicht wusste, wie die Zimmerverteilung zwischen den beiden Jungen aussah, wollte er sich nicht einmischen. Zudem brauchte er ein paar Minuten, um durchzuatmen.
Lux lächelte breit und deutete in den Flur, aus dem Thilito zuvor gekommen war. "Erste Tür links. Wir können aber auch gern tauschen, wenn du möchtest. Ich hab das Zimmer gegenüber von euch beiden", bot er höflich an.
Thilito winkte ab. Er wollte einfach nur seine Koffer unterbringen, weshalb er auf diese Tür zuging. Als er jedoch die Tür öffnete und eintrat, musste er erst einmal innehalten und das Zimmer bestaunen. Es war genau wo, wie er es sich gewünscht hatte.
Im Mittelpunkt stand ein großes Bett mit einer weichen Matratze und relativ schlichtem Bettzeug. Es gab viele Regale an den Wänden, in denen sogar schon Bücher standen. Der Schreibtisch, der unter dem Fenster stand, lud förmlich dazu ein, zu lernen und der Schrank für seine Kleidung war definitiv groß genug für eine Person.
Sogar ein Korb für seinen Begleiter hing an der Wand, neben ein paar großen Topfpflanzen, die einen angenehmen Geruch verströmten.
Thilito trat ein und entdeckte mit einem Lächeln den Axthalter an der Wand. Das war perfekt.
Mit gespielter Unschuld spazierte Lux vor seiner Tür auf und ab und grinste breit, als er sich Thilitos Faszination besah. „Bevor du fragst: Nein die Lehrer observieren nicht deine Gedanken", beantwortete dieser die ungestellte Frage des Drachenwandlers und lehnte sich, gegenüber der offenen Tür, gegen die Wand. „Der Raum passt sich lediglich seinem Besitzer an. Raffiniert, nicht wahr?"
"Der Raum passt sich ...", begann Thilito fragend, schüttelte dann jedoch den Kopf. Es war sinnlos zu hinterfragen, wie das möglich war. Es schien hier einiges zu geben, was er nicht sofort verstand. Magie war wohl vielfältiger, als er angenommen hatte.
In seiner Heimat, auf Xaboss, hatte er zwar eine Schule besucht und auch eine ziemlich strenge Ausbildung genossen, doch war dieser Ort nochmal ein ganz anderes Level.
Vielleicht lag es an der Reputation der Schule. Immerhin wurden hier besonders Königinnen und Könige ausgebildete. Für diese musste es wahrscheinlich immer etwas Besonderes sein. Zumindest hatte er nach dem Zusammentreffen mit Talisa dieses Gefühl.
Thilito stellte seinen Koffer ab, bevor er Koa aus dem Körbchen nahm, worin dieser es sich bereits gemütlich gemacht hatte. "Wir gehen jetzt nochmal raus", sagte er, was den Wyvern grummeln ließ.
Auch wenn es mehr ein kindisches Grummeln war, als würde er sich nur aus Prinzip dagegen sträuben. Sollte Koa wirklich so erschöpft sein, dass er Ruhe brauchte, hätte Thilito das schon längst gemerkt. Er kannte seinen Begleiter schon lange genug, um diesen bis ins Detail durchschauen zu können, auch ohne das besondere Band, welches die beiden Seelen verband.
Thilito streichelte Koa beruhigend, bevor er hinaus in den Gang trat. Dort wurde er bereits ungeduldig erwartet, weshalb sie sich auf den Weg nach draußen machten. Er war schon gespannt, was ihn erwarten würde.
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