1.Kapitel- Angekommen
Welche Konsequenzen trage ich, wenn ich einem Menschen Leid zu füge?
Ich spreche nicht von dem seelischen Leid, sondern von dem Leid, wie ein Bewusstlosschlagen mit einem Koffer.
Freiheitsstrafe von 5 Jahren oder sowas?
Aber was ist, wenn ich es ganz unauffällig tun würde, sodass jeder denkt, es wäre ein Unfall gewesen? Ich könnte diese Leiche ganz einfach aus dem Zug werfen und sagen, sie wäre gestolpert. Niemand würde sie finden, ganz alleine würde sie verwesen und niemand könnte sie beerdigen. Aber dann würde ich einen Dämon in die Welt setzen und das will sich, glaube ich, niemand antun. Ich korrigiere mich. Gleich 2 Dämonen.
"Farah, gib mir meine Zeitschrift wieder!" quietscht die nervige Stimme, meiner Stiefschwester Haleyn. Wütend bückt sie sich über den kleinen Tisch und versucht Farah die Zeitschrift aus der Hand zu reißen. Da wird wohl nichts draus, Schwesterherz.
"Weißt du, das ist ganz einfach. Gib mir die Kopfhörer und du bekommst deine Zeitschrift." Farah hingegen lehnt etwas zurück und mustert ihre Schwester belustigt.
"Dann mach deine Musik leise, wenn wir schon am Verhandeln sind." ordnet Haleyn an und reckt ihr Kinn in die Höhe.
"Würde ich ja, wenn du aufhörst deine Finger zu beschmatzen. Die Seiten kleben auch so an deinen Finger, wie viel Feuchtigkeitscreme die schon abbekommen haben!" erwidert Farah und sieht angewidert auf die Hände von Haleyn. Da ist was dran.
"Ach bitte. Mein Schmatzen kann nur Balsam für die Ohren sein, ganz im Gegensatz zu dem schrecklichen Rap deinerseits!" versucht Haleyn zu kontern, was aber ganz tief in die Hose geht. Das hat selbst die pummlige Dame neben uns besser im Griff.
"Rap ist das beste! Du hast doch keine Ahnung, wie man rhythmisch zum Musikstil mitsingt!" Farah dreht auf Hochtouren und ich merke, dass ich sobald einschreiten sollte. Nicht ihrem Wohle zu liebe, sondern meinem. Von mir aus könnten Sie sich gegenseitigen den Messer rammen, aber im Zug sollte man ja etwas Anstand haben.
Entsetzt starrt Haleyn ihre Schwester an.
"Das hast du nicht gewagt." hebt sie ihren Finger drohend in die Luft. Ich seufze und lege mein Notizbuch auf dem Tisch ab. Gleich geht's los.
"Wie kannst du es wagen mein Talent in Frage zu stellen! Wie kannst du es wagen, es mit dem Heulen eines Rappers zu vergleichen!?" kreischt sie schon fast und erhebt sich immer weiter von ihrem Sitz. Meine Güte, komm runter Rapunzel.
"Stimmt. Ich wäre froh, dein Gesang überhaupt mit einem Heulen vergleichen zu können!" erhebt sich auch Farah von ihrem Sitz und beide lehnen sie sich nun über den kleinen Tisch.
"Ich kratz dir die Augen aus!" brummt Haleyn, während sie sich ihr nähert.
"Fang doch bitte mit meinen Ohren an, damit ich deine grässliche Stimme nicht mehr hören muss!" entgegnet Farah. Und diese Drohungen sind alle ernst gemeint. Wirklich. Deshalb stehe ich in Zeitlupe auf und packe mir den Arm von Haleyn, um sie wieder auf den Sitz zu ziehen.
"Kratzt mir lieber meine Ohren aus oder viel besser, tut mir den Gefallen und lasst mich euch wortlos aus dem Zug schupsen." brumme ich genervt und lasse mich auf meinen Sitz plumpsen. "Aber Farah hat noch-" wollte Haleyn entgegnen, doch ich schnitt ihr das Wort ab, indem ich mich wortlos zu Farah lehnte und ihr diese blöde Zeitschrift nahm,um auch anschließend Haleyn die Kopfhörer abzunehmen. "Hier." tausche ich die Sachen aus, bevor ich mich wortlos zum Fenster drehe und ihr nerviges Gezicke versuche auszublenden.
Dieser Tag hier hatte eine ganz andere Vorstellung meinerseits gehabt. In meinen Visionen, bin ich entspannt im Zug gesessen und habe mir Gedanken über meinen Aufenthalt in meiner Traumstadt gemacht.
Doch was ich bekomme sind zwei Hyänen, die sich auf Schritt und Tritt streiten und meine Laune abgrundtief runterziehen und auch mich bald zu einer von ihnen mutieren lassen.
"Das kann doch nicht dein Ernst sein! Mach dein Müll leise!" kreischt Haleyn wieder auf und zieht Farah brutal ihre Kopfhörer aus den Ohren. Ich verdrehe bloß genervt meine Augen und quetsche mich zwischen dem Tisch und Haleyn durch, um etwas runterzukommen.Noch nie habe ich so eine schlechte Geschwisterbeziehung gesehen. Anfangs fand ich ihr Gezicke lustig und habe mich gerne daran amüsiert, doch jetzt und gerade zu diesem Zeitpunkt geht es mir so auf die Nerven. Genervt verkrame ich meine Hände in den Taschen meines Pullis und hole im nächsten Moment eine kleine Packung Gummibärchen raus. Enttäuscht muss ich feststellen, dass nur noch die Gelben und Orangenen vorzufinden sind. Ih. Hoffnungslos packe ich die Packung wieder weg und trete den Weg zum Nest der Hyänen an. Nur noch 2 Stunden. 2 Stunden, bevor ich auf Wienerboden stehe und dadurch meine Traumreise beginnt.
(...)
"Liebe Gäste. In kürze erreichen wir den Wiener Westbahnhof. Die Türen werden Ihnen von Mitarbeitern geöffnet. Achten Sie auf den Abstand zwischen dem Gehsteig und dem Zug.
Schönen Aufenthalt noch."
Glücklich klatsche ich in die Hände und springe auf, um mein Gepäck aus dem Fach oberhalb der Sitze zu nehmen.
"Super, jetzt muss ich wieder meinen Koffer mit mir schleppen." verdreht Haleyn ihre Augen und klappt ihre Zeitschrift zu.
Haleyn ist die einzige Person, die 3 Stunden. Ich wiederhole 3 Stunden, an einer Zeitschrift sitzen kann. Die einzige Zeitschrift, die ich noch lese ist die Cosmopolitan und das auch nur dann, wenn auf dem Cover die Gewinnerin von Germanys Next Topmodel zu sehen ist.
Ja und selbst dann verbringe ich nicht einmal eine Stunde mit dem Lesen. Richtige schöne eingebundene Bücher sind eher mein Ding.
Als der Zugführer endlich die Bremse zog, drängelte ich mich durch die ganzen Leute und konnte kaum erwarten, bis uns diese Türen geöffnet wurden. 'Mach schon, mach schon, mach schon.' murmle ich immer wieder, weshalb mich meine Nebenstehenden blöd anglotzen. Ich ignoriere es und springe aus dem Zug, nicht darauf achtend ob mein Koffer hart auf dem Boden aufkommt. Mit einem tiefen Atemzug, atme ich die frische Luft ein, bevor ich mich, immer noch aufgeregt, nach dem Namen unseres Hotels umsehe. Wieder und wieder überfliegen meine Augen die Menge, bis ich eine pummlige Frau entdecke und schon auf sie zulief, als mir die zwei Blockaden einfielen. Das wäre meine Chance, sie loszuwerden. Meine Chance, auf den traumhaftesten Aufenthalt. Die Chance, zwei Wochen ohne den Hyänen zu leben. Aber meine Mutter hat mich zu gut erzogen, weshalb ich meinen Koffer positioniere und mich dann auf ihn setze. Quatsch, ich hätte sie liebend gerne im Zug gelassen, aber dann müsste ich mir das Gelaber meiner Mutter anhören. Auch nach 5 Minuten tauchen sie nicht auf und ich fing an, von dem einen auf den anderen Bein zu springen, während ich immer wieder nervös zwischen dem Zug und der pummligen Frau blicke. Nach weiteren 3 Minuten, beobachte ich, wie die Frau all die Leute nochmal durchzählt, mit den Schultern zuckt und sie anschließend dazu auffordert, ihr zu folgen.
Panik übermannt mich und ich stürme in den Zug, an den ganzen Leuten vorbei, die immer noch aussteigen. Diese Raubtiere schaffen es noch nicht einmal aus dem Zug zu kommen, wie sollen sie es da in Wien überleben? Wütend weite ich meine Augen, als ich die zwei entspannt auf unseren Sitzen sehe und sie auch keinerlei Anstalten machen, ihren verdammten Hintern aus diesem verdammt stickigen Zug zu bewegen.
"Was glaubt ihr, was ihr da macht?" frage ich überraschend ruhig und lehne mich mit meinen Ellenbogen auf eines der Sitze. Ihr seid gleich tote Raubtiere. Das könnt ihr mir glauben.
"Wir warten, bis die Leute den Zug verlassen, damit wir uns da nicht durchdrängeln müssen." zuckt Farah mit den Schultern und legt ihren Kopf in den Nacken.
Ich fasse es nicht. Macht sie es sich gerade noch gemütlicher?!
Fassungslos sehe ich die beiden an, bevor ich mein Gesicht mit meinen Händen bedecke und einen schrillen Schrei von mir gebe.
"Was macht die da?" höre ich Haleyn zu Farah flüstern. "Ich denke das nennt sich Nervenzusammenbruch oder sowas." antwortet Farah. Vorsichtig spicke ich durch meine Finger, was ich sogleich bereue, denn ich werde gleich zur tollwütigen Ratte. "Steht. Auf." presse ich die Worte durch meine fletschenden Zähne. Beide sehen mich genervt an, bevor sie sich langsam erheben und ihre Koffer anpacken. Wenn ich wegen Ihnen meine Reise in den Müll werfen kann, dann werfe ich sie gleich hinterher. Tot und von grünen ekelhaften Fliegen umgeben.
Schnell laufe ich durch den Gang, zur Tür und stelle fest, dass die Dame verschwunden ist. Auch die Stelle, auf der mein Koffer stand ist leer. Stopp. Leer. Oh. Mein. Gott. Panisch suche ich mit meinen Augen nach meinem grünen Koffer, als ich ihn auch bei einem jungen Mann erblicke, der vor ihm kniet und sich nach etwas umguckt.Nach großen Schritten stehe ich vor ihm und tippe ihn an der Schulter an. Als er sich umdreht durchfährt mich eine Gänsehaut. Kleine gelbe Sprenkel tanzen auf dem dunklen Braun seiner Augen. 'Dein Koffer!' erinnere ich mich selber daran und verschränke nun meine Arme vor der Brust, bevor ich monoton zu ihm runterblicke. "Ist das ihr Koffer?" frage ich.
"Nein, nein. Ich schätze es ist ihrer?" stellt er fest und erhebt sich. Er überragt mich mindestens um einen Kopf, doch einschüchternd ist es nicht. Ich nicke und fange an mit meinem Finger ungeduldig auf meinem Ellenbogen zu trommeln. Er räuspert sich kurz, bevor er sich seine Hände an seiner Hose abwischt und mir eine hinhält. "Nathaniel, aber nenn mich lieber Nathan." stellt er sich vor und hält mir immer noch seine Hand hin. Trotzig wollte ich ihm seine Hand schütteln, als eine andere seine ergriff. "Haleyn und das ist meine Schwester Farah." stellt sich Haleyn in den Vordergrund, als ich sie mit einem genervten Blick und einem kleinen Hüftschwung auf die Seite schubse.
"Also Danke, dass du hier Wache für meinen Koffer gestanden hast, aber wir müssen jetzt los." packe ich meinen Koffer und gerade als ich mich umdrehen wollte, macht er wieder seinen Mund auf. "Wohin müsst ihr denn?" fragt er. Haleyn sieht mich auffordernd an, während Farah gelangweilt auf ihrem Kaugummi kaut. "Zum Hotel." entgegne ich und möchte mich nochmals umdrehen.
Wir müssen doch die pummlige Frau aufsuchen! "Zu welchem denn? Ich kann euch hinbringen wenn ihr möchtet. Ich bin mit dem Auto hier." zuckt er mit den Schultern und vergräbt seine Hände in seinen Hosentaschen.
Ich sollte absagen. Wir kennen ihn doch gar nicht.
"Klar, wir kommen gerne mit." willigt Haleyn ein, bevor ich verneinen konnte.
Nein eben nicht!
"Solange ich mich nicht weiterhin durch die ganzen Menschen quetschen muss. Warum nicht." zuckt Farah ihre Schultern.
"Wo geht's lang?" sie setzt ihr charmantes Lächeln ein und packt ihren Koffer an.
"Ich nehme schon deinen Koffer." zwinkert er Haleyn zu "Folgt mir."
Schon abermals verdrehe ich meine Augen und packe meinen Koffer an, als ich sehe, dass Nathaniel ihn mir wegnehmen möchte.
Mit erhobenem Haupt laufe ich voraus und merke noch ein kleines Schmunzeln seinerseits.
"Ist das euer erstes Mal in Wien?" fragt Nathaniel und schiebt nun beide Koffer, der zwei Furien.
"Ja leider. Ich und meine Schwester hatten nicht vor mitzukommen, aber Hope's Mutter bestand darauf."
"Ihr werdet es nicht bereuen Mädels. Wien ist atemberaubend und steckt voller Überraschungen." versichert er grinsend.
"Umso mehr danke ich ihr, uns vorgeschlagen zu haben, mit Hope mitzufahren." ihre Lügen scheinen nicht wie Lügen. Es ist wirklich bemerkenswert, wie sie dieses falsche Getue beherrscht und keiner auf die Schliche kommt.
Haleyn's Schauspielkünste bewundere ich Tag für Tag. Durch ihre Lügen arbeitet sie sich durch jeden Tag, damit nur ihr alles zu recht liegt. Eine Diskussion mit ihr? Ist das Schlimmste, was man sich anzetteln kann.
Ich bin schon einer der stursten Menschen, doch wenn ich sehe, dass ich unrecht habe, dann gebe ich die Diskussion auf. Doch sie bleibt bis zu dem Moment dickköpfig, in welchem du dir deine Stirn blutig geschlagen, deine Augen müde verdreht hast und am Ende weinend auf dem Boden liegst. Deswegen halte ich mich bei ihr an "Der Klügere gibt nach.".
In Gedanken versunken bekam ich nicht mit, dass ich mittlerweile hinter ihnen laufe, statt vor ihnen und wir gerade auf den Parkplatz zusteuern.
Vor einem schokobraunen Audi bleiben wir stehen und er holt seinen Autoschlüssel raus.
Einem nach dem anderen, verfrachtet er unsere Koffer in das Auto, bis er uns dazu anweist einzusteigen. Gerade als ich die Wagentüre öffnen wollte, kam er mir zuvor und hält mir nun die Türe auf. Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen und sehe zu ihm hoch.
Diese kleinen gelben Sprenkel tanzen fröhlich auf dem dunklen, dunklen Braun.
Das kann nicht echt sein. So eine Kunst habe ich noch nie gesehen. Es ist, als hätte ein Künstler diese gelben Punkte gezielt aufgemalt. Das Braun ähnelt beinahe einem Schwarz, weswegen seine Augen dem Himmel nachts ähneln.
Sein Räuspern erweckt mich aus der Starre und seine Lippen ziehen sich zu einem Grinsen. Beschämt senke ich meinen Kopf und steige ein.
"Also in welches Hotel soll ich euch bringen?" fragt er, als er sich hinsetzt und anschnallt.
"Für die ganzen Namen ist Hope zuständig." erwidert Haleyn, die neben ihm vorne sitzt.
"InterCity Hotel, in der Mariahilfer Straße." beantworte ich ihm seine Frage.
"Die Shoppingstreet also." grinst er, was ich gut durch den Rückspiegel sehen kann.
"Shoppingstreet?" fragt Haleyn und setzt sich aufmerksam hin.
"Ja, 1,8km Hölle für den Mann. Zumindest für mich."
Bei seinen Worten muss ich etwas Grinsen. Die restliche Autofahrt verlief still und entspannt. Farah sitzt neben mir und schreibt in ihrem Notizblock, während Haleyn vorne ihre Augen ausruht. Auch ich habe meinem Körper die Last genommen und lehne meinen Kopf gegen die Fensterscheibe, während ich die Leute draußen beobachte. Immer wieder spüre ich den Blick von ihm auf mir, wenn wir an einer Ampel stehen bleiben. Seine Augen strahlen eine Wärme aus, die meine Wangen zum Glühen bringen, falls unsere Blicke sich hin und wieder kreuzen. So eine Intensität habe ich noch bei keinem in den Augen gesehen. Noch keine Augen haben mich überzeugen können, in ein fremdes Auto zu steigen.
"Wir sind da." flötet Nathaniel und steigt aus. Er öffnet mir wieder die Tür, bevor er schon den Kofferraum öffnet und mir meinen Koffer abstellt.
"Macht ihr auch bei einer Visitergruppe mit?" fragt er, als er Haleyn ihren Koffer reicht.
"Eine Wasgruppe?" fragt Haleyn und sieht ihn verwirrt an.
Ich ignoriere sie und schnitt ihm das Wort zur Erklärung ab.
"Ja, haben wir." antworte ich ihm und streiche mir meine Haare aus dem Gesicht.
Sein Grinsen, das sich auf seinem Gesicht bildet, sieht ein wenig verstörend aus. Er sieht von dem Boden zu mir hinauf und sein Grinsen wandelt sich in ein kleines Schmunzeln um, bevor er mich anzwinkert und seine Autotür öffnet.
"Naja gut. Wir sehen uns noch." hebt er seine zwei Finger an und zückt sie zur Seite, ehe er in sein Auto steigt und wegfährt.
Wir alle sehen ihm dümmlich hinterher, bevor Farah tief seufzt.
"Er ist merkwürdig." meint sie und rollt ihren Koffer in das Hotel.
"Ich find ihn süß." gibt Haleyn verträumt zu und folgt Farah.
Ich zucke bloß meine Schultern und folge ihnen.
-🦋
Erstes Kapitel wuhuu.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro