Kapitel 9
Wieviel Zeit mittlerweile vergangen war, konnte ich nicht genau sagen, aber es mussten mehrere Stunden gewesen sein. In der Ferne hörte ich verschiedene Vögel singen, die fröhlich einen neuen Tag ankündigten. Wie gerne würde ich mit einem von ihnen tauschen und unbeschwert durch die Lüfte fliegen, den Wind an meinen Federn spüren und einfach frei sein.
Es dämmerte bereits und der Himmel erstrahlte in kräftigen gelb und orange Tönen. Ich beobachtete das wunderschöne Schauspiel und konnte für einen Augenblick vergessen, in welcher Situation ich mich befand. Als der obere Rand der Sonne über dem flachen Horizont sichtbar wurde, seufzte ich erleichtert. Die Dunkelheit hatte mir Unbehagen bereitet und ich war froh darüber, dass es langsam hell wurde. Da ich schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr vor der Stadtmauer gewesen war, hatte ich fast vergessen, wie schön die Natur außerhalb sein konnte. Überall wuchsen die unterschiedlichsten Blumen und Pflanzen, die sich ohne menschliches Eingreifen ausbreiten konnten, wie sie wollten. Grashalme sowie Bäume bewegten sich leicht im Wind und das Rascheln der Blätter beruhigte mich.
"Wir sind bald da" meinte Cadeon und unterbrach den Zauber der Natur, der mich gefangen hielt. "Danke für die Info" entgegnete ich schnippisch und hätte ihn am liebsten getreten, als er daraufhin lächelte. Als wir die Wiese hinter uns ließen und einer alten Straße folgten, fiel mein Blick auf einen Lastwagen, der umgekippt und halb zerstört am Wegesrand lag. Der rote Lack wies Kratzspuren der Xa'garr auf und sofort wusste ich, dass sie für den Unfall verantwortlich waren. Der hintere Teil des Wagens war aufgerissen und gab den Blick auf zerstörte Holzkisten und vergammeltes Obst frei. Der Gestank war bestialisch und ich verzog angeekelt das Gesicht, als wir an dem Lieferwagen vorbei kamen. Die eingeschlagene Windschutzscheibe jagte mir einen Schauer über den Rücken und ich wollte mir gar nicht erst ausmalen, was die Xa'garr mit dem bemitleidenswerten Fahrer angestellt hatten.
Die Gegend wirkte vollkommen verlassen und ich fragte mich, wo sich die ganzen Bestien aufhielten, die hier eigentlich rumstreunern sollten. Behielten sie uns möglicherweise aus der Ferne im Auge, ohne dass ich etwas davon mitbekam? Die Vorstellung ließ mich frösteln und ich zwang mich dazu, an etwas anderes zu denken. Cadeon bog rechts von der Straße ab und trug mich einen steilen Abhang hinunter. Ich kniff die Augen fest zusammen und gab keinen Mucks von mir, obwohl ich tierische Angst hatte, dass er mich fallen ließ. Unten angekommen, blieb er kurz stehen und sah mich an. "Alles in Ordnung?" erkundigte er sich, doch mir fehlten die Worte bei dem Anblick, der sich mir bot. Vor uns erstreckte sich ein weitläufiges Gebiet, dass einem riesigen Schlachtfeld glich. Krater waren in der Erde zu sehen und als mein Blick auf die Trümmerteile einiger Helikopter fiel, musste ich sofort an die Aufklärungsdrohnen des Militärs denken, von denen letztens im Radio berichtet wurde. Nach Angaben des Militärs sollten die unbemannten Hubschrauber nähere Informationen über die fremdartigen Riesengewächse bringen, die sich in den nicht geschützten Gebieten auf der ganzen Welt ausbreiteten. Das Einzige, was sie bisher herausfinden und mit Sicherheit bestätigen konnten war, dass diese Pflanzen eigene Abwehrmechanismen besaßen und das die Xa'garr von ihnen angezogen wurden.
Mein Herz schlug schneller, als ich in einiger Entfernung eine dieser Wucherungen ausmachen konnte. Hunderte schwarze Punkte hatten sich dort in der Nähe versammelt und jetzt wusste ich auch, wo die Biester hin waren. Als ich Begriff, dass Cadeon mich genau dorthin bringen wollte, geriet ich in Panik. "Vergiss es, da geh ich nicht hin" schrie ich ihn an und konnte mich mithilfe eines Adrenalinschubs von ihm lösen. Es dauerte genau zwei Sekunden, ehe er meinen Arm packte und mich erneut festhielt. "Lass verdammt nochmal los!" schnauzte ich ihn an und versuchte mich mit aller Macht von ihm loszureißen, leider erfolglos. "Denkst du ernsthaft, dass du auch nur die geringste Chance hast zu fliehen?" Belustigt hob er eine Augenbraue und funkelte mich provokant an. Eine Sicherung brannte bei mir durch und ich sah rot. Dieses einäugige Mischlingsvieh würde schon noch sehen, zu was ich fähig bin. Ohne darüber nachzudenken, biss ich fest in seinen schuppigen Arm, mit dem er mich festhielt. Sein Blut füllte meinen Mund und ich würgte es angewidert herunter, während ich meine Zähne noch tiefer in sein Fleisch schlug. Mit dieser Aktion hatte er scheinbar nicht gerechnet, denn er wirkte überrascht und ließ mich los. Ich nutzte die Gelegenheit und rannte so schnell ich konnte fort von ihm. Gerade als ich rechts den Abhang entlang laufen wollte, wickelte sich etwas um meine Knöchel und zog mir die Beine weg. Mit dem Kopf voran landete ich auf dem harten Boden und schlug mir die Lippe auf. Die Schmerzen waren kaum auszuhalten und ich wünschte Cadeon die Pest an den Hals. Es war nicht schwer zu erraten, dass es sein Schwanz war, der mich umklammert hielt. Wie von selbst gruben sich meine Finger in die Erde um Widerstand zu leisten, als er mich Zentimeter um Zentimeter über den Boden zurückzerrte. Ich biss mir fest auf die Lippe, sodass sie nochmehr aufplatzte, aber anders hätte ich die Schmerzen nicht ertragen können. Ich hatte das Gefühl, als würde meine gesamte Haut nur noch aus offenen Stellen bestehen, die höllisch brannten.
Kopfüber zog er mich in die Höhe, bis er mir in die Augen sehen konnte. Ich zappelte wie ein Fisch am Haken, aber als ich bemerkte, dass die Iris seines intakten Auges tiefschwarz war und er trotz seiner menschlichen Gesichtszüge nur noch an ein blutrünstiges Ungeheuer erinnerte, wurde ich ganz still. Ein Knurren drang aus seiner Kehle und mein Puls beschleunigte sich. Was würde er nun mit mir tun? Hatte er es sich womöglich anders überlegt und wollte mich doch noch fressen? Er schien sich zumindest kaum unter Kontrolle zu haben. Ein falsches Wort und ich war mir sicher, dass dies mein Ende wäre. Cadeon legte den Kopf schief und betrachtete mich intensiv, als würde er darüber nachdenken, was er nun mit mir anstellen sollte.
Meine Gedanken schweiften zu Ella und John die bereits mit meinen leiblichen Eltern im Himmel auf mich warteten. Vielleicht sollte ich ihm einfach einen Grund geben, sich zu beeilen. Meine Zukunft sah ohnehin nicht rosig aus und ich wollte unter keinen Umständen die Gefangene einer bösartigen Alienspezies werden, die mich für was auch immer missbrauchten. Ich fürchtete mich vor dem Ende, aber lieber starb ich gleich hier, als zuvor noch als Spielzeug der Xa'garr zu dienen.
"Na los du hässliches Echsenvieh, worauf wartest du" spornte ich Cadeon an, der seine messerscharfen Zähne entblößte und mich angrinste. Sein schauriger Anblick jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken und meine Nackenhaare richteten sich auf. Es machte nicht den Eindruck, als würde meine Provokation irgendetwas bewirken, ganz im Gegenteil, er schien sich sogar absichtlich länger Zeit zu lassen, um mich zu mustern. Langsam wurde mir schwindelig, da er mich noch immer kopfüber festhielt. Dass mein Oberteil nach oben gerutscht war und er mehr von meiner Haut zu sehen bekam, als mir lieb war, machte die Sache auch nicht besser. Während sein Blick meinen Körper entlang wanderte, fühlte ich mich wie eine Fliege im Spinnennetz. Es war kaum zu übersehen, dass es ihm gefiel die Fäden in den Händen zu halten und mich zu erniedrigen.
Schließlich blieb sein Blick an meiner blutenden Lippe hängen und er zog mich näher an sich. "Ashhrras te'garrun a'garr, schmeckt dir mein Blut, kleines Lämmchen? Halt still, ich will ebenfalls kosten" drang Cadeons Stimme in mein Bewusstsein ein und merkwürdigerweise entspannte sich mein Körper augenblicklich. Mit all meiner Willenskraft schaffte ich es gerade mal, meine rechte Hand zur Faust zu ballen. "Trrassh zag'esh a'garr, du weißt wo dein Platz ist, Lämmchen. Ich stehe über dir" meinte er mit strengem Ton und wie von selbst öffnete sich meine Hand wieder. Ein triumphierendes Lächeln legte sich auf seine Lippen und ich fragte mich, was zum Teufel hier eigentlich los war. Eine lange, schwarze Zunge schnellte aus seinem Mund hervor und noch ehe ich Begriff was er vorhatte, leckte er über meine aufgeplatzte Lippe. Dabei ging er so behutsam vor, dass ich keinerlei Schmerzen spürte. "Du schmeckst köstlich" stellte er fest und ich hatte das Gefühl, als müsse ich mich gleich übergeben. Ein letztes Mal glitt seine Zunge über meine Lippen, ehe er sie zurückzog. Vorsichtig legte er mich auf dem Boden ab und es dauerte einige Sekunden, bis ich mein Gleichgewicht wiederfand.
"Ich muss schon sagen, du bist einfallsreicher, als ich annahm" gab Cadeon zu und sah von oben auf mich herab. "Aber im Endeffekt bringt dir das nichts, du wirst nicht entkommen können, dafür werde ich schon sorgen" fügte er selbstsicher hinzu. Wütend wischte ich mit dem Ärmel über meinen verletzten Mund, um Cadeons widerlichen Speichel wegzuwischen. Die Geste schien ihn zu amüsieren und kaum hatte ich es geschafft auf meinen wackeligen Beine zum stehen zu kommen, nahm er mich wieder auf den Arm und trug mich in Richtung der riesigen Pflanze. Egal wie sehr ich ihn hasste, egal wie sehr ich ihm den Tod wünschte, er hatte recht. Ich würde nicht entkommen können, das hatte er mir gerade ein weiteres Mal bewiesen. Ich schluchzte. Was auch immer er und die anderen Xa'garr mit mir vorhatten, ich werde mich damit auseinandersetzen müssen.
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