Kapitel 3
Mayas PoV
Ich holte tief Luft und pustete alle Kerzen auf meinem Geburtstagskuchen gleichzeitig aus. Begeistertes Klatschen war zu hören. Ehrlich gesagt, kannte ich das genaue Datum meiner Geburt nicht. Aber die Anderen bestanden darauf, an einem Tag im Jahr meinen Geburtstag zu feiern, also tat ich ihnen den gefallen. "Wünsch dir was!" meinte Ella, die zu meiner rechten saß und mich freudig anstrahlte. Ich schloss für einen Moment die Augen und stellte mir vor wie es wäre, wenn die Xa'garr uns niemals angegriffen hätten.
Wenn sie uns weder zur Beute erklärt, noch ein drittel der Weltbevölkerung ausgelöscht hätten. Wie aus dem Nichts sind sie aufgetaucht und haben jeden, der ihren Weg kreuzte, auf grausame Art und Weise abgeschlachtet. Nunja, jeden außer mich. Weder Kinder noch Todkranke waren von ihnen verschont geblieben. Damals hatte uns ihr plötzliches Auftauchen
überrascht und wir mussten schwere Verluste hinnehmen. Nun jedoch, haben wir gelernt uns zu verteidigen.
Wasser ist seit Jahren unser bester Freund, die Viecher vertragen es aus irgendeinem Grund nicht. Selbst der kleinste Kontakt wirkt wie Säure auf sie und eignet sich hervorragend, um die Wesen auf Distanz zu halten. Glück für uns, denn ohne diese Waffe wären wir vermutlich schon längst tot. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich mich erneut daran erinnerte, dass ich eine Ausnahme darstellte und nicht sterben würde, wie alle anderen. Es ist ja nicht so, dass ich mich nicht darüber freuen würde Leben zu dürfen, aber die Tatsache, dass ich die Einzige war die verschont wurde, jagte mir Angst ein. Meiner Meinung nach lag der Grund dafür in meiner Kindheit. Eines dieser blutsaugenden Aliens hatte mich gebissen und ich nahm an, dass dieser Biss den anderen ihrer Art signalisieren sollte, mich besser nicht anzurühren. Natürlich war ich bereits selbst auf die Idee gekommen, dass wir es bei den Xa'garr womöglich mit einer weiterentwickelten Vampirspezies zutun hatten, die mit einem Biss den Fortbestand ihrer Rasse sicherten. Der Verdacht bestätigte sich glücklicherweise nicht. Weder ihr Speichel noch ihr Biss war auf irgendeine Weise ansteckend. Ich brauchte mir also nicht ausmalen wie es wäre, den Rest meines Lebens als blutdürstiges Monster zu verbringen. Warum mir eines dieser Dinger allerdings helfen sollte, war mir schleierhaft.
"Erde an Maya, bist du noch da?" fragte Ella ungeduldig und holte mich zurück in die Realität. Ich lächelte sie freundlich an und teilte den Kuchen in mehrere kleine Stücke, ehe ich ihr eins davon reichte. "Mein Wunsch ist es, dass die Xa'garr dorthin zurückkehren, wo sie hergekommen sind", sagte ich schließlich und reichte auch John ein Stück, der mir gegenüber saß.
"Du Dummerchen, es bringt Unglück, wenn du deinen Wunsch laut aussprichst!" schimpfte Ella und John musste lachen. Wie sehr hatte ich die Beiden bereits in mein Herz geschlossen, sie waren wie Ersatzeltern für mich. Theo, ein älterer Mann mitte fünfzig gehörte bis vor drei Jahren ebenfalls dazu, aber wie es das Schicksal nicht anders wollte, fiel er eines dieser Monster zum Opfer. Die Einzigen, die ich jetzt noch zu meiner Familie zählte, waren John und Ella. Wenigstens brauchte ich mir vorerst keine Gedanken darüber zu machen, sie ebenfalls zu verlieren. Wir lebten mittlerweile in einer der größeren Städte, die von Mauern umgeben war und Schutz vor den Xa'garr bot. Sollte auch nur eine dieser Kreaturen auf die Idee kommen uns hier anzugreifen, würde man sie umgehend mit Wasserschläuchen fortjagen. Überall auf der Welt wurden solche geschützten Orte errichtet, um unser überleben zu gewährleisten. Ohne diese Schutzwälle war das Leben einfach zu gefährlich geworden. Selbst Händler, die ihre Ware verkaufen wollten, wurden von mindestens drei bewaffneten Einheiten begleitet, wenn sie zwischen den Städten hin und her pendelten. Die wenigen, die sich ohne Schutzmaßnahmen nach draußen wagten, überlebten meist keinen Tag.
Ich schob mir ein Stück Kuchen in den Mund und kaute genüsslich darauf herum. Der Geschmack war einfach herrlich und seit langem das Beste, was ich gegessen hatte. Es war nicht so, dass wir uns nur noch von Dosenfutter ernähren mussten, aber seit die Xa'garr über uns hergefallen sind, war es deutlich schwerer geworden, an bestimmte Lebensmittel zu gelangen. Hinzu kam, dass die Preise mindestens auf das Dreifache angestiegen sind.
John zwinkerte mir zu und ich fragte mich, was wohl aus mir geworden wäre, wenn mich die Beiden damals nicht aus der Hölle befreit hätten. Heute trug John ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift seiner Lieblingsband Soilwork, die er mehr als alles andere vergötterte. Die langen Narben an seinen Armen waren noch immer deutlich zu sehen und erinnerten mich zurück an jenen Tag, den ich mit aller Macht vergessen wollte. Das Bild, wie eines dieser Monster seine Klauen in Johns Fleisch schlug, ließ mich jedesmal aufs neue erschaudern. Meinetwegen hätte er beinahe sein Leben verloren.
Erst jetzt, wo ich ihn genauer betrachtete, fiel mir auf, dass sich zwischen seinen blonden Haaren ein paar graue Strähnen gemischt hatten. Seine Gesichtszüge waren weich, die Augen hellblau und als er mich anlächelte, war ich mir sicher, dass sein Lächeln das schönste auf der Welt war. Es strahlte solche Wärme und Zuversicht aus, dass man bei seinem Anblick einfach gute Laune bekommen musste. Ich bewunderte ihn für seine Lebensfreude. Nichts und niemand konnte ihm den Tag verderben, nicht einmal die Xa'garr. Egal wie schrecklich oder aussichtslos eine Lage auch sein mochte, er wäre ganz bestimmt der Letzte, der kampflos Aufgeben würde.
"Jetzt erzähl schon Maya, wie fühlt man sich so mit neunzehn Jahren?" fragte er mich und zog eine Augenbraue nach oben. Ich zuckte zur Antwort mit den Schultern "wie immer würde ich sagen."
Ella murmelte etwas unverständliches und reichte mir ein kleines Paket, dass sie unter dem Tisch versteckt haben musste. "Das hätte ich ja fast vergessen, hier das ist für dich"
"Danke!" rief ich ihr zu und strahlte bis über beide Ohren, als ich das Geschenk entgegennahm. Neugierig löste ich die roten Schleifen und öffnete den Deckel. Beinahe wäre ich vor Freude in Tränen ausgebrochen, als mein Blick auf ein wunderschönes Sommerkleid fiel, dass ich vor einigen Wochen in einem Schaufenster gesehen hatte. Blau war meine absolute Lieblingsfarbe und die Beiden wussten das ganz genau. Sicher hatten sie eine Menge Geld hinblättern müssen, um mir diesen Traum erfüllen zu können.
Mit der Freude kam auch gleich das schlechte Gewissen. "Versteht mich bitte nicht falsch, ich liebe dieses Kleid und danke euch von ganzem Herzen, aber ich kann das einfach nicht annehmen. Wir könnten von dem Geld bestimmt eine ganze Woche Leben."
"Keine Widerrede Maya, es gehört dir.
Freu dich darüber oder lass es, aber wir werden es auf keinen Fall zurückbringen" fiel mir Ella ins Wort und ihre Stimmlage machte deutlich, dass sie nicht mit sich reden ließ.
Für eine Frau in ihrem Alter hatte sich Ella gut gehalten. Ihre braunen Haare waren stets zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden und ihre blauen Augen ähnelten denen von John sehr. Zu jeder Tageszeit trug sie winzige Perlenohringe sowie eine schlichte Halskette, die ihr wichtig war. Ein Erbstück ihrer Familie, wie sie selbst behauptete. Der winzige Leberfleck an ihrer Wange und die leichten Spuren des Alters störten nicht im geringsten. Sie war schon immer eine schöne Frau gewesen und ich hätte mir nie eine andere an Johns Seite vorstellen können, sowohl aufs Äußere als auch aufs Innere bezogen. Die Beiden gaben ein absolutes Traumpaar ab. "Nun, wenn ihr darauf besteht, dann kann ich wohl nichts daran ändern" gab ich klein bei und knabberte an meiner Unterlippe. John stand auf und kam zu mir. Er legte beruhigend eine Hand auf meine Schulter und sagte "mach dir keine Sorgen Maya Maus, wenn wir nicht wüssten, dass das Geld für diesen Monat ausreicht, hätten wir das Kleid sicher nicht gekauft." Er knuffte mir in die Seite um mich aufzuheitern und wie so oft funktionierte es.
Der restliche Tag verlief ohne besondere Zwischenfälle. Am Nachmittag waren wir in der Stadt unterwegs und gegen Abend spielten wir Skat. Als die Uhr schließlich Mitternacht schlug, schlenderte ich müde in mein Zimmer und vergewisserte mich, dass Biene noch immer auf dem Bücherregal saß, wo ich sie hingesetzt hatte. Vielleicht mag ich mittlerweile zu Alt für Kuscheltiere sein, aber Biene bedeutete mir viel und ich würde mich niemals freiwillig von ihr trennen. Ella war so freundlich gewesen und hatte das Plüschtier eine Woche nach dem Vorfall aus unserem Keller geholt und zu mir zurückgebracht, weil ich keine Ruhe geben wollte. Sie ertrug es einfach nicht mich dauerhaft weinen zu sehen und als Kind hatte ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht, dass diese Aktion womöglich ihr Leben kosten könnte. John hatte nur den Kopf geschüttelt und von "leichtsinnig" und lebensmüde" gesprochen, als er es herausfand. Und in der Tat, nun wo ich Älter war konnte ich auch nicht nachvollziehen warum sie das getan hatte. Vermutlich würde sie auch heute noch alles für mich tun und selbst ihr letztes Hemd hergeben, wenn sie mir damit irgendwie helfen konnte.
Hastig zog ich meine Kleidung aus und warf sie über einen Stuhl, ehe ich in mein lieblings Nachthemd schlüpfte und das Licht ausknipste. Erschöpft ließ ich mich aufs Bett fallen und schaute aus dem Fenster. In einiger Entfernung konnte ich eindeutig die Umrisse der schützenden Mauer erkennen, die unsere Stadt umgab.
Manchmal wünschte ich mir in einer der höheren Etagen zu wohnen und nicht im Erdgeschoss. Sicher hatte man von dort oben einen wundervollen Ausblick, besonders in einer Nacht wie dieser. Ich kuschelte mich in meine Bettdecke und blickte zum klaren Nachthimmel empor. Der Mond leuchtete hell und warf sein fahles Licht durchs Fenster, sodass ich sowohl meinen Kleiderschrank als auch den Schreibtisch in der Dunkelheit erkennen konnte. Die vielen Sterne funkelten um die Wette und während ich langsam in den Schlaf dämmerte, stellte ich mir vor, dass meine leiblichen Eltern zu ihnen gehörten und von dort oben über mich wachten.
Ein unheimliches Geräusch riss mich aus dem Schlaf und ein Blick zum Wecker verriet mir, dass es gerade mal drei Uhr morgens war. Nicht dazu fähig irgendetwas zu denken, drehte ich mich auf die Seite und versuchte wieder einzuschlafen. Ein paar Sekunden später war das Geräusch erneut zu hören, diesmal lauter. Meine Nackenhaare richteten sich auf, als ich feststellte, dass irgendetwas über die Fensterscheibe kratzte.
"Wer ist da?" fragte ich nervös, wagte es aber nicht mich umzudrehen. Natürlich erhielt ich keine Antwort und beruhigte mich langsam wieder. Sicher hatte ich mir das Ganze nur eingebildet, wäre ja nicht das erste Mal, dass ich mir vor Angst in die Hose machte, wenn mir der Wind mal wieder einen Streich spielte. Ein weiteres mal bereute ich es, dass ich das Fenster zu jeder Tageszeit auf Kipp stellte.
Fast war ich eingeschlafen, da nahm ich ein leises Klicken wahr und keine Sekunde später füllte kalte Luft den Raum. Die Kälte kroch mir bis in die Knochen und ich riss die Augen weit auf, als mir klar wurde, dass Jemand das Fenster vollständig geöffnet hatte. Senkrecht saß ich im Bett und blickte nach draußen in die Finsternis.
"Was willst du?" schrie ich schon fast, hatte aber keine Ahnung wen ich eigentlich meinte, denn es war niemand zu sehen. Die dunklen Vorhänge bewegten sich leicht im Wind und trugen auch nicht gerade dazu bei, dass ich mich besser fühlte.
Rasch schaltete ich die Nachttischlampe ein und sprang aus dem Bett, um das Fenster zu schließen. Auf halber Strecke blieb ich stehen und runzelte verwirrt die Stirn, als ich einen sorgfältig gefalteten Brief auf meinem Schreibtisch entdeckte. Rechts daneben lag eine schöne blaue Blume, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Hastig schloss ich das Fenster und zog die Vorhänge davor, ehe ich mich an den Tisch setzte und mit zitternden Fingern das Papier auseinander faltete.
Meine Kehle war wie zugeschnürt und ich hatte keine Ahnung, wie ich auf diesen Brief reagieren sollte. Tausend Fragen schossen mir durch den Kopf, begleitet von einem unwohlen Gefühl in der Magengegend. Wer zum Teufel war dieser Unbekannte und warum sollte ich mich verabschieden, wenn ich doch vorhatte hier zu bleiben? Der Brief stank förmlich nach Xa'garr und wenn ich mir nicht sicher wäre, dass die Viecher weder deutsch sprechen noch Briefe schreiben könnten, dann würde ich meinen, dass einer von ihnen diese Worte geschrieben hat. Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Die Vorstellung von schreibenden, echsenähnlichen Monstern war einfach völlig absurd. Mit ihrem Körperbau und der Art wie sie sich auf allen vieren fortbewegten, erinnerten sie eher an Tiere. Nein, sie mochten vielleicht in einer anderen Sprache kommunizieren können, aber mehr auch nicht. Mein Unbehagen wuchs und beinahe hätte ich mich übergeben. Wie oft hatte ich verdrängt, dass ich ihre Sprache ebenfalls verstand, zumindest kurze Sätze. Mein Kopf dröhnte und das Wort "Schwarzblut" blitzte unangenehm in meinem Gedächtnis auf. Noch immer wusste ich nicht, was dies zu bedeuten hatte.
Wie von selbst wanderte mein Blick zur Blume. Die Blütenblätter waren weit geöffnet und als ich sie mit einem Finger berührte, begannen sie hellblau zu leuchten. Ich traute meinen Augen kaum, so eine Pflanze war mir völlig Fremd. Es machte fast den Eindruck, als würde sie von einem anderen Planeten stammen. Unwillkürlich dachte ich über diesen "C" nach. Was wollte er nur von mir und welcher Name verbarg sich hinter der Abkürzung?
Ich biss mir so fest auf die Lippe, dass ich Blut schmeckte. Die geschriebenen Worte klangen so endgültig, als bliebe mir garkeine andere Wahl. Alles was bisher geschehen ist, war erst der Anfang. Der Anfang vom Ende der Menschheit ging es mir immer wieder durch den Kopf. Wenn es sich bei dieser Nachricht um keinen dummen Scherz handelte, waren wir womöglich alle in Gefahr. Sicher wusste John was zutun ist, ich sollte ihm den Brief zeigen. Gerade als ich das Zimmer mit dem Papier in der Hand verlassen wollte, wurde es weicher und zog sich von selbst zusammen. Ungläubig beobachtete ich das Schauspiel und konnte nicht verhindern, dass sich das Blatt langsam in Luft auflöste. Innerhalb weniger Sekunden war meine Hand leer. Fassungslos rieb ich mir über die Schläfen und ging unruhig auf und ab. Drehte ich etwa langsam durch? Alle Anzeichen sprachen dafür, denn selbst die Blume auf dem Tisch war verschwunden. Mit Schrecken musste ich feststellen, dass auch die Vorhänge zurückgezogen waren und dass das Fenster wieder auf Kipp stand. Ganz so, als wären die letzten Minuten garnicht passiert.
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