Kapitel 10
Mit jedem Schritt, den er mich näher an diese fremdartige Pflanze herantrug, wuchs mein Unwohlsein. Das Teil war mindestens so groß wie das Einkaufzentrum in meinem alten Zuhause und ich konnte deutlich sehen wie die stacheligen Ranken atmeten. Das schwarze Gewächs besaß keine Blätter und erinnerte mich an einen gewaltigen Dornenbusch, an dem einige Beeren wuchsen. Anders konnte ich die roten Kugeln nicht beschreiben, die in regelmäßigen Abständen an den Ranken hingen. Mein Körper begann unkontrolliert zu zittern, als ich bemerkte, dass sich der Boden unter der Pflanze ebenfalls rot gefärbt hatte. War das etwa Blut? Ich erschauderte. "Bitte Cadeon, ich tue alles was du von mir willst, aber bitte bring mich nicht dorthin" flehte ich ihn an und schob meinen Stolz beiseite. Vielleicht konnte ich ihn ja doch noch umstimmen, auch wenn die Chancen sehr gering waren.
Zu meiner Überraschung sah er mich interessiert an, als würde er den Wahrheitsgehalt meiner Worte prüfen wollen. Für einen Moment fiel sein Blick auf meine verletzte Lippe und ich bildete mir ein, etwas Dunkles in seinem Auge aufblitzen zu sehen, ehe es wieder verschwand. "Auch wenn deine Worte sehr verlockend sind muss ich leider ablehnen, kleines Lämmchen. Bitte verzeih mir" sagte er entschuldigend und deutete ein Lächeln an. So ein Mistkerl. Ich wollte garnicht wissen an was genau er gedacht hatte, aber eines stand mit Sicherheit fest, ihm war von vorne rein klar gewesen, dass er ablehnen würde. Er wollte nur sehen, wie sich meine Hoffnung in Luft auflöste.
Unzählige Xa'garr hielten sich in der Nähe der Pflanze auf und ließen uns keine Sekunde aus den Augen. Manche von ihnen beobachteten uns aus der Ferne, während andere auf uns zukrochen und erst ein paar Meter entfernt stehen blieben. "Arr garunn te'garr, das ist sie also" zischte eines der Monster und sah mich misstrauisch an. Cadeon nickte kaum merklich und ließ sich nicht weiter durch die Xa'garr ablenken, sein Blick war streng auf sein Ziel nach vorne gerichtet. Die Viecher taten ja gerade so, als wäre ich etwas ganz besonderes, Jemand auf den sie schon eine halbe Ewigkeit warteten. Mir drehte sich der Magen um. Was würden sie wohl erst mit mir anstellen, wenn ihnen klar wurde, dass sie die Falsche erwischt hatten? Ich war weder eine Göttin noch irgendjemand anders, der ihnen von Nutzen sein könnte. Noch ehe ich meine Gedanken zu Ende denken konnte, blieb Cadeon stehen und rührte sich keinen Zentimeter weiter.
"Verhalte dich ruhig", riet er mir und ich wurde von Sekunde zu Sekunde nervöser. Gerade wollte ich ihn fragen was los war, da löste sich eine stachelige Ranke von dem Gewächs und bewegte sich geradewegs auf uns zu. Im Gegensatz zu den anderen Ranken war diese hier viel dünner und die Spitze endete mit einem langen Stachel, der direkt auf mich gerichtet war. Ich quiekte vor Schreck, als ich mich daran erinnerte, was die Pflanze mit den Helikoptern und den anderen Menschen gemacht hatte, die es wagten so nahe an sie heran zu treten. Reflexartig krallte ich meine Finger in Cadeons Haut und vergrub meinen Kopf an seiner Brust. Es herrschte Totenstille und das Einzige was ich jetzt noch wahrnahm, war sein ruhiger und regelmäßiger Herzschlag.
"Schau sie an", befahl mir Cadeon, doch ich hörte nicht auf ihn und vergrub meinen Kopf noch weiter. Er drückte mich näher an sich und gab mir ein wenig Sicherheit, seine Hand streichelte sanft meinen Rücken entlang.
"Du brauchst keine Angst zu haben, ich werde dich vor allem beschützen, was dir wirklich gefährlich werden könnte", hörte ich seine Stimme in meinem Kopf und wie zuvor, als er so zu mir sprach, beruhigte ich mich.
"Sie wird nur eine kleine Probe von dir nehmen, halt einfach still", fügte Cadeon hinzu und zog den Stoff an meiner rechten Schulter zur Seite. Noch ehe ich etwas erwidern konnte, fühlte ich einen Stich an meiner entblößten Haut und wusste, dass die Ranke ihren Stachel in meine Schulter bohrte. Es fühlte sich an wie ein Nadelstich, aber bevor ich in Panik ausbrechen konnte, ließ der Schmerz wieder nach. Als ich meinen Kopf drehte, um die Ranke anzusehen, war sie bereits wieder verschwunden.
"Siehst du, war doch halb so schlimm", meinte Cadeon und sah mich an, als würde er sich aus irgendeinem Grund tierisch freuen.
"Was ist das für ein Ding?", wollte ich wissen und unterdrückte den Drang, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Auch wenn ich genau das am liebsten tun würde, wäre es wohl nicht sonderlich schlau, ihn gegen mich aufzubringen, zumal er mein Leben in den Händen hielt. "Das meine Liebe, ist eine Xetag'rrassassh, oder in eurer Sprache übersetzt, eine Blutdornpflanze" klärte er mich auf und ich verzog angewidert das Gesicht.
"Wir haben einige ihrer Setzlinge von unserem Heimatplaneten mit hierher gebracht und sie in die Erde gepflanzt, schließlich brauchen wir sichere Orte an denen wir uns zurückziehen können, wenn ein Unwetter droht", meinte er.
"Ihr stellt euch unter ihre Ranken, um dem Regen zu entkommen?", fragte ich ungläubig. "Nicht nur das, wir wohnen in ihnen, sie dienen uns sogesehen als Häuser", sprach er weiter.
Verblüfft blickte ich zu dem Ding und fragte mich, wie man in einem anderen Lebewesen leben konnte. Das hörte sich einfach nur falsch und völlig absurd an. Mittlerweile hatten wir das Gewächs erreicht und der blutdurchtränkte Boden schmatzte, als mich Cadeon unter die dunklen Ranken trug. Was ich dann sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Neben zwei Xa'garr die hier auf der Erde lagen und schliefen, war ein menschlicher Leichenstapel zu sehen, der von einigen Dornranken bearbeitet wurde. Ohne meinen Blick von diesem widerlichen Prozess abwenden zu können, sah ich dabei zu, wie mehrere Ranken, die bereits verstorbenen Menschen aufspießten und über dem Boden ausbluten ließen, als würde sich die Pflanze selbst gießen. Die blutleeren Leichen wurden achtlos in eine Ecke geworfen, ehe sie ihre Aufmerksamkeit den nächsten Leichen widmeten. Ich begann zu Würgen und Cadeon ließ mich runter. Keine Sekunde später leerte ich meinen gesamten Mageninhalt, ohne etwas dagegen tun zu können. Die Ranken stellten ihre derzeitigen Aktivitäten ein und ihre Spitzen zeigten auf mich, als würden sie mich für die Sauerei Tadeln wollen, die ich hinterlassen hatte. Ich glaubte ernsthaft mitten in einem Horrorfilm gelandet zu sein. Cadeon nahm meine Hand und führte mich zu einer dicken Ranke, die knapp über dem Boden wuchs. Auch diese endete in einem spitzen Stachel, vor dem wir stehen blieben. Noch immer fassungslos über das, was ich eben gesehen hatte, zuckte ich nicht einmal zusammen, als sich der Stachel öffnete und den Blick auf einen langen Tunnel freigab. Cadeon half mir nach oben und wenn er mich nicht festgehalten hätte, wäre ich einfach losgerannt. Egal wo dieser Weg auch hinführen mochte, alles war besser, als bei diesen ekelhaften Ranken zu bleiben und ihnen bei der Arbeit zuzusehen. Gemeinsam gingen wir den organischen Tunnel entlang und ich versuchte die rosafarbenen Wände auszublenden, die sich leicht bewegten. Adern zogen sich durch den gesamten Boden, der bei jedem Schritt ein wenig nachgab, als würden wir über Fleisch laufen. Mehrere Xa'garr kamen uns aus dem Gang entgegen und ich wich jedesmal soweit zur Seite aus, dass Cadeon lauthals lachte. Schließlich erreichten wir eine Abzweigung und er führte mich zielsicher durch ein schier endloses Labyrinth aus Gängen, in dem ich mich alleine sicher fürchterlich verlaufen würde. Wie sollte ich mich nur jemals an einen Ort wie diesen hier gewöhnen können?
Gefühlte zehn Abzweigungen später, blieben wir vor einem Teil der Wand stehen, der eher rot statt rosa wirkte, aber sonst keine Veränderungen zum Rest des Tunnels aufwies. "Willkommen in deinem neuen Heim, Maya", raunte Cadeon und zog mich ohne zu zögern mitten durch die Wand.
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