15
Das Fenster in der Küche war zu und die Gardinen dahinter zugezogen. Mina fluchte. In ihrer Jackentasche befand sich zwar der Hausschlüssel, doch in etwa vier von fünf Fällen quietschte die Haustür so laut, dass sie die gesamte Nachbarschaft wecken könnte. Doch jetzt hatte sie keine Wahl. Langsam wurden ihre Finger starr und die Kälte kroch ihr bis ins Knochenmark.
Das Mädchen umging das Haus und stand unentschlossen vor der Tür. Noch paar Mal verlagerte sie ihr Gewicht vom rechten auf den linken Fuß, ehe sie den Schlüssel im Schloss drehte und sich gegen den Hauseingang lehnte. Leise schwang sie auf und Mina dankte für ihre erhörten Gebete.
So leise es ging schlich sie in Richtung Treppe, da bemerkte sie die Geräusche aus dem Wohnzimmer. Vor dem Eingang blieb sie stehen und lugte hinein. Ihre Mutter lag auf der Couch, die Decke nur halb über ihren Körper gezogen und den Kopf in einer ungemütlich wirkenden Position verrenkt. Der Fernseher lief noch und erhellte den Raum, inzwischen lief eine der Reality Shows mit platinblonden Mädchen und muskelösen Surferboys.
Sie wagte die wenigen Schritte hinein und schaute hinunter zu ihrer Mutter. Ihre Augen hatte sie geschlossen und seit langer Zeit wirkte sie wirklich ruhig und frei. Vorsichtig platzierte sie ein auf dem Boden liegendes Kissen unter den Kopf ihrer Mutter. Dann richtete sie die Decke und schaltete mit einem Klick den Fernseher aus. Noch einen kurzen Blick warf sie auf ihre schlafende Mutter und nahm dann die Treppen hoch.
In ihrem Zimmer angekommen, ließ sie sich erstmal auf ihr Bett fallen. Sie spürte wie sich die losen Blätter in ihrer Tasche knickten, die beschrifteten Blätter, welche Nils Allistor mithilfe des Internets für sie übersetzt hatte. Eigentlich müsste sie nun wissen was drauf stand, doch während des Übersetztens hatte sie nur auf einzelne Worte und nicht auf ganze Sätze, geschweige denn Zusammenhänge geachtet.
Nichts wollte sie jetzt mehr, als einen langen und tiefen Schlaf zu genießen. Müde schälte sie sich aus der Jacke und warf sie in die allerletzte Ecke. Glück begann genau jetzt und sollte ein paar Stunden andauern.
"Mina Hilfe!", schrie eine Frau krächzend. "Hilf mir doch!", ein weinerlicher Unterton legte sich in die Stimme und erweckte all Mitgefühl in ihr. Es war Lily, ihre Lily. Ein Schmerzensschrei durchbrach die Nacht und zerriss Minas Herz in tausende Teile. Wo war sie, was war los? "Lily!", rief sie und sah sich um.
Überall um sie herum war es dunkel, die Wände wirkten steinern und kalt. Auch sonst erkannte sie kaum etwas. Die Härchen auf ihren Armen stellten sich auf und Unbehagen breitete sich in ihr aus. Jeden einzelnen Schritt den sie ging, begleitete ein dumpfer Schlag und sein nachhallendes Echo. Nirgends schien es ein Fenster zu geben, denn kein einziges Fleckchen Licht drang durch die dicken Mauern.
"Bitte, Mina", erklang erneut die Stimme ihrer Freundin. Panik machte sich in ihre breit, bisher war an jedem ihrer Träume etwas wahr ... "Lily", schrie sie, doch ihre Stimme brach. Sie rannte los, direkt in die Schwärze dieses Gebäudes. Langsam fühlte sie sich wie in dem Spiel Marco Polo und es gefiel ihr gar nicht. In ihrem Gehirn herrschte die größte Unordnung, sie konnte nicht mehr klar denken.
Plötzlich spürte sie, wie sich jemand an ihrer Schulter festhielt und sie zurückzog. Mina schrie auf vor Schreck und wandte sich um. Vor ihr stand eine Gestalt in einem weißen Gewand und mit einem blassen Gesicht. Es war Lily, aber nicht die fröhliche und lebhafte Lily, die sie kannte. Diese Lily wirkte leblos und kalt. Ein Schauder fuhr durch Minas Körper.
"Mina, du musst hier weg. Es ist gefährlich hier", flüsterte Lily und zog Mina mit sich. Sie rannten durch die dunklen Gänge, vorbei an Türen und Treppen, die ins Nichts führten. Mina konnte nur hoffen, dass sie ihrer Freundin vertrauen konnte und dass sie bald aus diesem Alptraum erwachen würde. Doch sie glaubte er ihr nicht ganz. An einem Arm riss sie Lily zurück. Ihre Freundin wehrte sich nicht und blieb einfach neben ihr stehen.
Entsetzt schaute MJ ihre Freundin an, sie war ja wirklich wie tot. Nur ein NPC in ihrem Traum. Das Mädchen schüttelte ihren Kopf, um diesen Gedanken zu vertreiben. Sie griff nach der Klinke einer Tür und rüttelte an ihr, vergeblich. Die Tür blieb zu. Schnell lief sie zur nächsten und blieb direkt vor ihr stehen. Sie atmete einmal tief durch und drückte dann die Klinke hinunter. Mit einem Knarzen schwang die Tür auf. Aus Nebel und Staub bildete sich langsam ein Szenario vor ihr. Ein Stuhl, drei Schlafsäcke auf dem Boden und allmählich auch drei Silhouetten. Drei Menschen, die anscheinend in einer aufgeregten Diskussion steckten.
"Ich brauche dieses Buch", knurrte eine Stimme. Sie war hoch, aber klang gefährlich und hatte etwas angekratztes. Unsicher wagte Mina einen Schritt vorwärts und drückte sich in eine dunkle Nische rein. "Wozu denn? Wir wissen wo wir den Schatz finden können, das Tagebuch ist nur noch unnötig", antwortete eine tiefe, männliche Stimme. Das Mädchen blinzelte gegen die Dunkelheit an und versuchte etwas von den Gesichtern der Fremden zu erkennen.
"Auch wenn wir den Ort finden, werden wir nicht die Antwort auf die Frage wissen", fauchte die Fremde und drehte sich ruckartig zu dem anderen. Kurz hob sie die Hand, so als wollte sie ihm eine Knallen, ließ es dann doch aber. "Welche Frage Rosy? Du musst schon mit uns reden und uns in die Geheimnisse einweihen, wenn wir dir helfen. Wo ist nur dein Vertrauen?", antwortete nun die dritte Person.
Sie hieß Rose, oder zumindest Rosy. Es war wichtig für Mina. Angespannt hielt sie den Atem an und hoffte auf weitere Informationen. Natürlich blieb die Frage offen, wie viel von ihrem Traum der Realität entsprach. "Wenn ihr soviel wissen würdet, könnte man euch gut ausquetschen. So ist die Gefahr einfach niedriger", erklärte die Frau und sprach dabei betont langsam.
Mina beobachtete weiterhin die Szene aus ihrer Position heraus. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. Die Fremden sprachen von dem Tagebuch und einem Schatz. Es war alles so surreal und unlogisch. Ob sie das Versteck des Schatzes im Tagebuch finden konnte? Nun wagte sie einen Schritt näher zu ihnen. Sie versuchte in ihre Gesichter zu sehen. Mina war sich sicher, dass niemand sie sehen konnte. Wieso sonst hätten sie sie noch nicht gehört?
Plötzlich drehte sich die Fremde namens Rosy um und sah direkt in Minas Richtung. Mina erschrak und zog sich wieder weiter in ihre Versteckposition zurück. Sie konnte nur hoffen, dass Rose sie nicht bemerkt hatte. Doch ihre Hoffnung erfüllte sich nicht. Rosy sprang auf und lief direkt auf Mina zu. "Wer bist du?", fragte sie mit einer bedrohlichen Stimme, "Ich sehe dich immer und doch bist du nicht da!" Die anderen zwei sahen zu der Frau, welche anscheinend ihre Chefin war. "Da ist niemand", wagte einer zu sagen. Wütend drehte sie sich zu ihm um. "Natürlich ist dort jemand, dieses Mädchen", Rose hielt inne, "Eine von denen, die uns in der Nacht beobachtet hatten."
Mina war wie gelähmt. Sie konnte nichts sagen und nichts tun. Sie fühlte sich wie in einem Albtraum gefangen und konnte nicht aufwachen. Rosy näherte sich ihr immer weiter und Mina spürte ihre Angst immer stärker werden. Doch plötzlich löste sich alles auf. Die Dunkelheit, die fremden Menschen und auch Rosy. Alles war wie weggeblasen und Mina lag wieder in ihrem Bett. "Wir müssen sie unbedingt finden, ich glaube sie wissen zu viel", waren die letzten Worte, welche Mina vernahm.
Sie atmete schwer und konnte immer noch nicht glauben, was sie gerade erlebt hatte. War das alles nur ein Traum gewesen oder war es tatsächlich Realität gewesen? Warum konnte diese Rosy sie sehen? Um welchen Schatz ging es und welchen Wert hatte er? Mina wusste es nicht. Aber sie wusste eins sicher: Sie musste herausfinden, was hinter diesem Traum steckte und was es mit dem Tagebuch und dem Schatz auf sich hatte.
Dann bemerkte sie etwas und ein Schauder durchfuhr ihren Körper. "Wir müssen sie finden", hatten sie gesagt. Diese Gruppe war niemals in ihrem Zimmer, sie hatten es nicht nach dem Tagebuch durchsucht.
Jemand anderes hatte sich in ihr Zuhause geschlichen. Es gab mindestens eine andere Person, welche nach dem Schatz suchte und diese hielt sich in der Dunkelheit.
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