12.
Als Kind habe ich mir immer Kitschfilme reingezogen, in wahnsinnigen Mengen.
Und jedesmal, wenn der Junge endlich das Mädchen küsste, habe ich mit großen Augen den Bildschirm angesehen und mich gefragt, wie mein erster Kuss so verlaufen würde, wann es passiert, wie, mit wem?
Irgendwann passierte es dann auch.
Meinen ersten Kuss hatte ich mit einem Jungen aus meiner alten Klasse.
Wir waren eigentlich noch viel zu jung für sowas und schön war es kaum.
Unsere Lippen hatten sich für nicht mal eine Sekunde berührt und ich hatte es kaum mitbekommen.
Aus Enttäuschung habe ich sogar fast geweint, es war furchtbar.
Aber der Kuss mit Bryn, der war es wert.
All das Warten und Träumen und auch die Enttäuschung und Unsicherheit, die sich in mir aufgebaut hatte, war es wert.
Für diesen einen Moment.
Manchmal enttäuscht einem das Leben.
Manchmal gibt es Momente, die man sich schön ausmalt, aber eigentlich unangenehm und langweilig sind. Das Leben ist neunmal enttäuschend.
Aber dieser Moment gehört nicht zu denen.
Bryn atmet langsam ein und aus.
Sie wirkt schläfrig und entspannt.
Ihre Augen sind halb zu, ihre Haare total zerstrubbelt und zerzaust.
Sie liegt auf der Seite, mit dem Kopf an meiner Schulter gedrückt, und spielt mit meinen Haaren.
Ich war nie jemand, der geschwänzt hat. Ich bin einfach nicht gut in so etwas.
Für so etwas bin ich einfach nicht mutig genug. Manchmal habe ich wirklich keine Lust auf den Unterricht. Überhaupt nicht.
Aber ich habe sowieso nichts Besseres zu tun. Und ich will nichts Wichtiges verpassen.
Ich habe also nie im Leben wirklich geschwänzt.
Dazu bin ich nicht mutig genug.
Oder klug genug. Oh Gott, ich verpasse gerade so viel Lernstoff. Wie soll ich das nur aufholen?
Ich bin total dämlich, alleine kriege ich das niemals hin. Ich sollte jetzt im Unterricht sein.
Ich sollte jetzt im Unterricht sein, aber...
Ihre Hände sind warm.
Friedlich. Sanfte Sonnenstrahlen wirbeln durch den Raum. Es ist schön.
Hell und weich, wie in einem Gemälde, aus Pastellkreide.
Ihr Zimmer ist hübsch.
Die Wände sind weiß. Über all hängen Poster und selbstgemachte Zeichnungen.
Auf der Fensterbank stehen etliche Kerzen, in allen Farben und Formen.
Ihr Schreibtisch ist chaotisch und ungeordnet.
Ich fühle mich hier wirklich wohl.
,,Wieso warst du so gemein zu mir?", ihre Stimme ist rau und schläfrig, tief.
,,Am Anfang?"
Melodisch, fließend angenehm.
,,Ich hatte Angst vor dir.", murmelte ich leise.
Und im ehrlich zu sein, habe ich immer noch Angst.
Sie sieht so anders aus.
Die riesigen, dunklen Augenringe, all die schwarzen Klamotten und diese negativen Gefühlen, die sich in ihr aufzustauen scheinen.
Diese einschüchternde Aura.
Sie ist total unheimlich.
Es ist nicht so als hätte ich wirklich Angst vor ihr gehabt. Sie hat mich einfach nur nervös gemacht. Und das war nervig.
Bryn runzelt die Stirn.
,,Als ich dich das erste Mal sah, warst du ein lauter, wütender Gremlin. Und beim zweiten Mal hast du mir dein Mittagessen auf die Bluse gehauen.''
,,Ausversehen!'', murrte sie hastig.
Sie sieht wirklich süß aus. Ihre Augen glänzen im Sonnenlicht. Sie schmunzelt leicht.
,,Außerdem hast du mich ständig angestarrt. Gruselig.'', meinte ich mit einem neckendem Unterton und für einen kurzen Moment halte ich ihne und frage mich, wieso ich es so sehr liebe, die Menschen um mich herum zu ärgern.
Mit einem schiefen Lächeln neigt sie den Kopf zur Seite. ,,Du bist eben hübsch.''
Ich hasse Komplimente. Ich bin furchtbar darin sie anzunehmen, ich werde immer sofort so verlegen. Ich kann damit einfach nicht umgehen.
Bryn lehnt sich nach vorne und drückt mir einen sanften Kuss auf die Lippen.
Sie lächelt strahlend. ,,Lass uns etwas essen gehen.''
Ich nicke zögernd. Um ehrlich zu sein, wäre ich lieber in ihrem Bett geblieben.
Wahrscheinlich für immer. Wenn ich entscheiden könnte. Es ist gemütlich. Warm und weich und abgeschieden vom Rest der Welt.
Aber Essen ist auch schön. Essen ist gut.
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