3.
'Ich habe meine Wünsche und Bedürfnisse immer nach dir gerichtet und nichts im Gegenzug verlangt. Denn so funktioniert Liebe, aber das hast du nie verstanden.'
Ich spreche eine Nachricht nach der anderen auf die Mailbox. *piep* 'Es tut uns leid, diese Mailbox ist voll', erklingt eine Stimme aus meinem Handy. "Verdammt nochmal", fluche ich laut und schmeiße das Handy in hohem Bogen auf mein Bett.
Ich habe nun schon den ganzen Morgen versucht meine Mutter zu erreichen, jedoch sichtlich ohne Erfolg. Die letzten Nachrichten die ich ihr hinterlassen habe bestanden quasi nur noch aus "Ruf mich bitte zurück", "Es ist dringend wo steckst du", oder "Das darf doch nicht wahr sein, nimm endlich ab!"
8:40 Uhr. Mein Blick wandert von der Wanduhr zurück auf die Uhr von meinem Handy, als ob ich prüfen müsste, ob die Wanduhr auch ja nicht falsch geht. 'Mist', ein kurzer Schockmoment durchfährt meinen ganzen Körper. Ich muss in 20 Minuten im Büro sein und habe es noch nicht einmal geschafft mir die Zähne zu putzen, geschweige denn mich umzuziehen. Im Eiltempo binde ich mir meine Haare zusammen, stelle die fast halb volle Kaffeetasse in das Spülbecken und zieh mir quasi beim Laufen meine Schuhe an. Ich werfe noch einen letzten flüchtigen Blick in die Wohnung, dass ich auch ja nichts vergessen habe, greif nach meinen Schlüsseln und lasse die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fallen.
Mit jedem hetzenden Schritt den ich in Richtung S-Bahn mache, fluche ich ein wenig mehr. Endlich angekommen fährt die Bahn gerade ein und mein bebender Atem beruhigt sich weitestgehend. Auf der Fahrt wird mir allmählich klar, dass ich noch kein bisschen über das Gespräch mit Mr. Thompson von gestern Abend nachgedacht hatte. Ich habe jetzt noch genau vier Stationen Zeit, um mir darüber klar zu werden ob ich ab jetzt für Mr. Thompson Jr. arbeiten möchte oder nicht. Gebe ich damit meinen Job auf, wenn ich nicht zusage? Meine Gedanken springen hin und her, lassen aber keine Zeit genauer auf sie einzugehen.
Wie heißt er eigentlich mit Vornamen, was genau arbeitet er eigentlich und was meinte Mr. Thompson damit, dass ich nicht so leicht aufgeben soll? Mein Kopf ist so voll, dass er mir doch so leer vorkommt. Ich frage mich, wo sie gerade nach einer Assistentin suchen oder soll ich mich nach etwas ganz anderem umschauen? Ich spiele Szenario über Szenario durch, wie es sein wird mit einem neuen Boss oder ob ich vielleicht doch lieber nicht Zusagen sagen sollte.
Ein älterer Mann mir gegenüber lächelt mich leicht an, als sich unsere Blicke treffen. Ich studiere seine Gesichtszüge und Mimik. Seine riesige Retrobrille sitzt ihm schräg auf der Nase und er trägt ein ordentliches, bis oben hin zugeknöpftes Hemd. Ich schmunzle zurück und lasse meinen Blick wieder in Richtung Fenster schweifen.
Mit jeder Station die ich näher in Richtung Arbeit fahre, blende ich mehr und mehr meine Umgebung aus.
Mein Handy vibriert leicht in meiner Jackentasche. Bei dem Versuch nachzusehen wer mir geschrieben hat sehe ich, dass es mittlerweile 9:03 Uhr ist. 'Uff' seufze ich unter meinem Atem und lasse mich ein Stück tiefer in den Sitz sinken.
"Du schaffst das schon" stand da, mit drei 'Daumen hoch' von meiner Mutter. Na toll, wie immer ist sie eine super Hilfe.
Fünfzehn Minuten zu spät komme ich an meinem Platz im Büro an, schmeiße meine Jacke und Tasche über den Stuhl und suche zwischen den Köpfen der Mitarbeiter nach Olivia. Ich erhasche einen kurzen Blick auf ihre rote Mähne und laufe in ihre Richtung.
"Oh Gott Süße! Warum bist du zu spät, das ist ja noch nie passiert. Hast du etwa gestern noch jemanden abgeschleppt?" Ein schelmisches Lächeln breitet sich auf ihren Lippen aus, während sie nachfragend die Augenbrauen hochzieht. Ihre hochgesteckten Locken tragen eine auffällige Blume in sich und ihr Kleid ist heute mal wieder gewagter als es sein sollte. "Nein", gebe ich kopfschüttelnd zurück und kneife ihr dabei leicht in den Arm. "Weißt du wo Mr. Thompson ist?"
Sie zuckt mit der Schulter und legt einen Stapel Unterlagen auf Ihren sowieso schon chaotischen Schreibtisch. Ich sehe mich noch einmal um und merke wie sie mich an meinem Arm Richtung Kaffeemaschine zieht. Ich folge ihr und nimm die Tasse entgegen die sie mir hinstreckt.
Ich nehme einen kräftigen Schluck, gefolgt von noch zwei weiteren.
"Na los sag schon. Warum warst du zu spät? Das ist in den letzten 3 Jahren noch kein einziges Mal vorgekommen." In ihren Augen sieht man förmlich die Neugier. Sie nagt leicht an ihrer Kaffeetasse, wendet den Blick aber nicht von mir ab. Ich versuche mir die Worte zurechtzulegen und male mit meinem Finger kleine Kreise auf meine Tasse. Olivias Fuß tippt während dessen ungeduldig neben mir.
"Mr. Thompson will das ich für seinen Sohn arbeite", gebe ich schließlich kleinlaut von mir. Ich setze ein gespieltes Lächeln auf und füge schnell hinzu, dass es vielleicht gar nicht so schlimm sein wird wie alle immer sagen.
Keine Regung. Weder ein blinzeln, noch ein Wort gibt Olivia von sich. Sie sieht mich einfach nur an und lehnt sich langsam wieder zurück an die Küchentheke. Ihrem Blick kann ich eindeutig erkennen, wie sie diese Information verarbeitet.
„Oh wow", sie atmet hörbar aus. „Ich hätte jetzt erwartet, dass du die Bahn verpasst hast oder du einen One-Night-Stand hattest aber nicht das." In ihren Blicke sehe ich sichtliche Enttäuschung von meiner Antwort. Ich nehme einen weiteren Schluck von meinem Kaffee und stelle die Tasse vor mich auf die Theke. Ich stütze mich auf die Arbeitsfläche und warte auf eine weitere Reaktion. "Vielleicht wirst du ja sein neuer Betthase und hast endlich auch mal ein bisschen Spaß." Sie zwinkert mir neckend zu und stoßt ihren Ellenbogen fest in meine Rippen. Mit einem giftigen Blick wende ich mich von ihr ab und mach mich auf den Weg zu meinem Schreibtisch. „Du solltest es tun" ruft sie mir hinterher und aus dem Augenwinkel sehe ich wie sie mir noch einen 'Daumen hoch' hinterher streckt.
Zurück an meinem Schreibtisch bemerke ich wie Sam über einem kleinen Stapel Unterlagen hängt. Seine Lippen bewegen sich leicht während er leise vor sich hin liest. Ein kleines Schmunzeln huscht mir über die Lippen und mein Blick wandert von ihm direkt zu der Bürotür an der Mr. Thompson Jr. steht. Was soll ich bloß tun? Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm für ihn zu arbeiten. Es wäre möglich, dass die ganzen Gerüchte über ihn überhaupt nicht wahr sind und er sich als engagierter Geschäftsmann entpuppt. Jemand der das Geschäft seines Vaters mit Würde übernehmen will und es mit Eigeninitiative schafft seine Vision in dieser Firma umzusetzen. Ich atme tief ein und hate die Luft für ein paar Sekunden an. In Gedanken spreche ich mir selbst Mut zu und atme wieder aus. Wem mach ich denn hier was vor? Wenn dieser Typ sich für das Geschäft interessieren würde, dann wäre er schon vor Jahren den Fußstapfen seines Vaters gefolgt. Ein reicher Junggeselle, der sich zu fein ist zu arbeiten, sein eigenes Geld zu verdienen und immer noch abhängig von großzügigen Taschengeldspenden seines Vaters ist. Ich werde absagen. Ich werde Mr Thompson sagen, dass ich das nicht machen werde. Ich bin doch kein Babysitter dessen Schuld es hinterher ist, wenn sein Vater einsieht das sein Goldjunge seine Firma an die Wand fährt.
„Mia? Ist alles okay?" Sam's Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Zügig drehe ich mich zu ihm um und lege ein schnelles lächeln auf. Er sieht mich fragend an und deutet mit einem stirnrunzelnden Blick auf meine Hände. Ich sehe an mir herunter und bemerke, dass ich die Büroklammer in meiner Hand nun nichts mehr als ein verknotetes Metallgewirr ist.
„Ja alles super." gebe ich mit leichtem Räuspern von mir. Ein Schwung Entschlossenheit überkommt mich mit einem Mal. „Ja alles ist super, Sam" wiederhole ich, werfe die Büroklammer in dem Müll und setzte einen selbstbewussten Gesichtsausdruck auf. Ich werde Mr. Thompson sagen, dass ich es tun werde. Ich bekomme einfach einen neuen Boss, kümmere mich weiterhin um meine Aufgaben und meine Zweifel werden sich in Luft auflösen. Ich denke nicht das Mr. Thompson diese Entscheidung getroffen hätte, wenn er sich nicht sicher wäre, dass sein Sohn dazu bereit wäre.
Das wird schon nicht in einer Katastrophe enden.
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