1.
'Es ist jetzt genau 1 Jahr her, als ich dich das erste Mal gesehen habe und du kannst mir glauben, wenn ich sage, dass das sowohl das Beste als auch schlimmste Jahr meines Lebens war.'
In Gedanken versunken schaue ich aus dem Fenster auf die vorbeifahrenden Autos und Fußgänger. Ich frage mich was die Leute erwartet, wenn sie an diesem regnerischen Tag zuhause ankommen. Warten dort Frau und Kinder auf sie? Ein Hund der darauf wartet, dass sein Besitzer nachhause kommt? Eine Mutter die ihrem Sohn das Essen schon gekocht hat? Die Kinder einer alleinerziehenden Mutter welche darauf warten, dass sie ihnen bei den Hausaufgaben hilft?
Auf dem Weg aus dem Bürogebäude komme ich an so manchen bekannten Gesichtern vorbei, die sicherlich noch die ein oder anderen Überstunden heute Abend machen werden. Ich setzte ein leichtes Lächeln auf meine Lippen, während ich versuche den meisten Blicken meiner Kollegen aus dem Weg zu gehen. Mit einem kräftigen Schwung stoße ich die schwere Eingangstür auf, welche mit einem lauten Knall hinter mir wieder ins Schloss fällt. Meine Wohnung ist nur vier Stationen mit der S-Bahn von hier entfernt, denn in dieser Gegend eine Wohnung zu finden hat eine geringere Wahrscheinlichkeit als im Lotto zu gewinnen. Mit gehetzten Schritten rauschen die Leute nur so an mir vorbei durch den prasselnden Regen. Ich nehme mir einen kurzen Moment Zeit, schließe die Augen und inhaliere den Geruch des frischen Regens auf dem warmen Asphalt. Ich lasse flüchtig meinen Blick über die Masse gleiten, als sich kaum merklich jemand neben mich unter die kleine Überdachung des Gebäudes stellt.
"Mal wieder viel los heute Abend", erklingt eine raue und gedämpfte Stimme neben mir. Ich fahre herum und mustere die Person neben mir merklich. Ein gut gebauter, junger Mann steht nun neben mir, der wohl auch von diesem plötzlichen Regen überrascht wurde. Er hat seine Hände in den Hosentaschen vergraben und sein hellgraues T-Shirt hat sich in ein dunkelgraues verwandelt. Von seinen zerzausten Haaren tropfen vereinzelt Wassertropfen in sein Gesicht und seine grünen Augen sehen mich erwartend an. Ein leichtes schmunzeln ist auf seinen Lippen zu erkennen, doch er macht keine Anstalten seinen Blick von mir abzuwenden. "Eh ja...", gebe ich mit leicht verwirrtem Unterton zurück und versuche seinen Blicken auszuweichen. Ich merke wie seine Augen weiterhin auf mir ruhen und atme merklich genervt aus.
Eine dezente Spannung legt sich leise zwischen uns. Ich erwische mich dabei, wie ich ihn aus dem Augenwinkel neugierig mustere. Auf seinen muskulösen Armen kann man deutlich seine Adern erkennen. Er scheint in ziemlich gut Form zu sein und über seine Haut erstreckt sich eine leichte Gänsehaut. Seine Augen bleiben weiterhin auf mich gerichtet und unsere Blicke treffen sich für eine kurze Sekunde. Hektisch wende ich meinen Blick von ihm und starre ertappt hinunter zu meinen Schuhen. Ich beiße mir nervös auf meine Lippe und noch immer macht er keine Anstalten zu gehen, sondern geht sich lässig mit einer Hand durch sein Haar und neigt seinen Kopf mit einem breiteren Lächeln als zuvor leicht zur Seite. Eine unangenehme Stille legt sich trotz der vielen Fußgänger die an uns vorbeihuschen zwischen uns. Ich drehe mich erneut ein kleines Stück in seine Richtung und versuche meinen genervten Gesichtsausdruck wieder aufzulegen. "Ich bin nicht an deiner Nummer interessiert und meine gebe ich dir auch nicht. Danke!" Ich rolle mit den Augen und wende mich dann mit einer dramatischen Handbewegung wieder von ihm ab.
Ein großes, amüsiertes Grinsen zieht sich über sein Gesicht, doch in mein Gesicht ist nur eine sichtliche Verwirrung geschrieben. Mit meinen Händen greife ich nach dem Stoff meiner Jacke, ziehe sie enger an meinen Körper und verschränke die Arme schroff vor meiner Brust. Dezent mustere ich ihn noch einmal flüchtig. Meine Augen wandern von seiner muskulös geformten Brust, über seine breiten Schultern hinweg zu den dezenten Grübchen die sein Gesicht so markant wirken lassen. ‚Reiß dich zusammen Mia' knurre ich zu mir selbst und versuche durch schnelles blinzeln mein erneutes, intensives starren zu verbergen.
"Was zur Hölle schaust du denn immer noch so?", frage ich mit einem unüberhörbar genervten Unterton, als ich meinen Blick endlich von ihm lösen kann. Überzeugt davon klar genug gewesen zu sein, dass ich kein Interesse an einem dahergelaufenen Kerl habe, warte ich auf eine Antwort von ihm. Sein Blick wird weicher während er sich mit der Zunge über die Lippen fährt und seine Augen funkeln mich voller Intensität an. "Ich müsste mal durch genau diese Tür ins Büro, welche du nun schon seit sicherlich fünf Minuten stock und steif blockierst."
Er macht einen weiteren Schritt auf mich zu und greift an meinem Arm vorbei an die Türklinke. In die Spannung zwischen uns legt sich eine fesselnde Energie und mein Atem scheint sich zu verdreifachen. Ich merke wie mir die Hitze in mein Wangen schießt und sehe mich hilfesuchend und zugleich entschuldigend um. Sein Lachen wird breiter und ich mache einen hektischen Schritt zurück in den Regen, um ihm und dieser Situation ein Stück weit zu entkommen.
"Es tut mir unglaublich leid. Ich wollte nicht...", fange ich stotternd an, doch werde von ihm gleich unterbrochen. "Mach dir keinen Kopf. Ich war wohl einfach nicht deutlich genug. Aber falls du mir doch deine Nummer geben möchtest, sage ich auch nicht nein." Ein noch lauteres Lachen kommt über seine Lippen, während mir mittlerweile der Regen über mein Gesicht strömt. Er wischt sich derweil die letzten Regentropfen gekonnt aus dem Gesicht und geht einen kleinen Schritt weiter auf mich zu. Flüchtig versuche ich seinem immer noch anhaltenden Blick auszuweichen und in den vorbeilaufenden Fußgängern unter zu gehen. Mit schnellen Schritten tapse ich zwischen den Leuten hindurch, um Wort wörtlich aus dieser peinlichen Situation zu flüchten.
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