5. Unsinn mal vier
Arthurs Grinsen gefiel mir nicht. Ganz und gar nicht! Was hatte ich mir bloß dabei gedacht, einem fremden Waschbären in den Wald zu folgen? Wenn meine Mutter das wüsste, würde sie mir die Mähne Haar für Haar einzeln ausrupfen, da war ich mir sicher.
Die dunklen Knopfaugen des Waschbären funkelten amüsiert, doch ich blieb einfach stehen. Ich fand das ganz und gar nicht lustig. Unruhig drehte ich meine Ohren hin und her. War da ein Geräusch gewesen? In meiner Brust wallte erneut die Panik auf, als hätte jemand frisches Holz in ein Glutnest geworfen.
Du brauchst keine Angst zu haben. Wirklich! Bekräftigte Artuhrs Stimme in meinem Kopf, doch meine Augen waren starr auf etwas hinter ihm gerichtet. So langsam hatte ich von leuchtenden Augen die Nüstern voll!
In dem Moment, als ich die dunkle Gestalt sah, die aus dem Gestrüpp kam, wie ein flüssiger Schatten, fühlte ich auf einmal das Esel-untypische Verlangen, umzudrehen und wegzurennen. Als Esel war ich kein schlechter Läufer, aber ob ich das schlagen konnte, wusste ich nicht.
Geschockt beobachtete ich die grellen, orangefarbenen Augen die sich mir und Arthur näherten. Als das Wesen ins Mondlicht trat machte mein Herz vor Angst einen fast schmerzhaften Sprung. Ein Wolf. Und nicht gerade ein Welpe, sondern ein ausgewachsener. Sein zottiges, schwarzes Fell ergoss sich über seinen von Muskeln gezeichneten Körper wie ein Vorhang aus Efeu, die silbergrau gefärbten Beine waren von schmalen, Kratz- und Bissnarben geziert, welche im Mondlicht wie Perlen glitzerten. Hinter dem Wolf schwang eine kräftige Rute ruhig herum, während mich die runden, orangefarbenen Augen mit einem undeutbaren Blick erdolchten. Ich hätte einen ganzen Heuballen darauf verwettet, dass sowohl ich, als auch der Waschbär zum letzten Mal den Mond gesehen hatten, aber niemand rührte sich. Nicht Arthur, nicht der Wolf und ich schon gar nicht.
Meine schmalen, hellgrauen Beine waren wie im Boden verwurzelt und weigerten sich, mir zu gehorchen und die Flucht zu ergreifen. In freier Wildbahn, wo meine Vorfahren auf steinigem Gebiet gelebt hatten, hätte eine kopflose Flucht, wie ich sie vorhatte, in einigen gebrochenen Beinen, oder, im schlimmsten Fall, in einem gebrochenen Hals geendet. Aber hier, auf freiem, nur leicht hügeligen Gelände hatte ich vielleicht eine Chance.
Doch noch bevor ich diesen Gedanken zu Ende denken konte, ergriff Arthur das Wort.
Gray? Das ist mein Freund Phelan. Der Mal wieder nicht auf den Plan gehört hat. Habe ich nicht gesagt, du sollst dich verstecken, damit genau das nicht passiert? Letzteres gebührte offensichtlich dem grimmig dreinblickenden Wolf. Zurück kam nur ein halbherziges "Sorry".
Trotzdem fragte ich mich, ob mein neuer Waschbär-Bekannter, noch alle Mistgabeln auf dem Heuboden hatte.
Dir ist schon klar, dass das ein Wolf ist, oder?! Bist du lebensmüde? Hätte ich in dem Moment eine echte Stimme gehabt, hätte sie sich vermutlich überschlagen vor Panik. Ich schwankte zwischen Flucht ergreifen und dem Wolf meine Vorderhufe in die spitze Schnauze zu rammen, als Arthur sich aufrichtete und eine Geste mit den Vorderpfoten machte, die ich bisher nur bei Menschen gesehen hatte.
Beruhige dich. Du kannst Phelan vertrauen, ich gebe dir mein Wort.
Ich entschied mich vorerst gegen beide Möglichkeiten und stand nur weiter da, wie eingegraben und stehengelassen. Plötzlich vernahmen meine Ohren ein zartes Geräusch aus der Luft. Flügelschläge. Kurz darauf flatterte mir ein bräunliches, zappeliges Wesen um die Nase herum.
Ist er das? Ist das Gray? Eine neue Stimme. Diesmal weiblich. Ob das von dem Insekt kam, das mich ganz kirre machte, als es um mein Gesicht herumschwirrte?
Nein, weißt du, das ist mein Großmutter, kam es da spöttisch von der Stimme, die dem Wolf gehörte.
Na dann weiß ich ja jetzt, warum du immer so ein Esel bist. Liegt in der Familie, konterte die weibliche Stimme spitz und nun war ich mir sicher, dass es dieses Insekt sein musste, als es provokant vor die Phelans Schnauze schwebte und sich schließlich darauf niederließ. So ein Tier hatte ich noch nie gesehen, allerdings schien es eine Art Schmetterling zu sein.
Kann mir mal bitte jemand erklären, was hier abgeht? fragte ich zwischen die beiden streitenden Stimmen, die abrupt verstummten.
Arthur? Machst du das?
Gedankliches Seufzen, dann wieder Arthurs Stimme.
Bestimmt wunderst du dich, warum du uns hören kannst, stimmts? Das liegt daran, dass wir keine normalen Tiere sind. Wir sind etwas besonderes und wir wissen, dass du auch so jemand bist, wie wir.
Ich verstand nichts davon. Was sollte das heißen? War der schwarze Wof etwa ein Werwolf? Langsam aber sicher glaubte ich, in eine Runde verrückter Tiere hineingeraten zu sein.
Wir sind Woodwalker. Das sind Menschen, die sich in Tiere verwandeln können und weil du auch ein Woodwalker bist, kannst du unsere Gedanken verstehen. Das ist so ein Woodwalker-Ding.
Ich wusste nicht genau, ob ich lachen oder abhauen sollte. Meine Instinkte, die mir offenbar einen Streich spielten, konnten sich jedenfalls im Moment für gar nichts entscheiden.
Ihr veräppelt mich, brachte ich mühsam hervor. Das ist doch Unsinn mal vier, gequirrlter Quatsch und was weiß ich noch alles.
Der Waschbär und der Wolf sahen mich ernst an. Der Schmetterlich tat das wohl auch, nur sah man es bei ihr nicht. Sie lachten nicht, dabei hoffte ich so sehr, dass sie in schallendes Gelächter ausbrechen würden. Das konnte doch alles nur ein schlechter Scherz sein!
Die drei starrten mich nur an, warteten wohl auf irgendwas. Darauf dass ich etwas sagte oder tat, aber ich war einfach nur geschockt. Am liebsten hätte ich mich zurück hinter meinen Weidezaun verkrochen, da wäre ich sicher vor all dem hier, aber irgendetwas sagte mir, dass sie nicht logen. Sie erlaubten sich auch keinen dummen Witz mit mir. In meinem Kopf fügten sich einige Splitter zusammen. Pearl hatte ich auch hören können. Und die war ein Mensch. Hieß das, dass sie die Wahrheit sagten?
Ich war verwirrt und scharrte mit den Hufen im Boden, mein Körper erlaubte mir offenbar wieder etwas Bewegung.
Plötzlich erklang wieder Arthurs Stimme, ich zuckte erschrocken zusammen.
Ich zeige es dir.
Wie gedanklich abgesprochen wandte sich der Wolf um, weshalb auch immer.
Ich starrte den Waschbären an und plötzlich wurde das Kribbeln in meinem Nacken immer stärker. Bildete ich mir das ein, oder wurde Arthur größer? Nein, das war keine Einbildung!
Ich traute meinen Augen nicht. Das weißgraue Fell des Waschbären zog sich geschmeidig wie eine Schlange zurück, bis nur noch bleiche, rosafarbene Haut übrig blieb. Arthur atmete tief ein und aus, als sein Körper sich zu strecken begann, seine kurzen Beinchen wurden zu langgestreckten, menschlichen Gliedern und seine spitze, fuchsähnliche Schnauze schrumpfte zu dem zusammen, was die Zweibeiner ihre Nase nannten. Wuschelige, dunkle Haare, die aussahen wie ein Stachelschwein wucherten auf dem Kopf des jungen Menschen, der da vor mir stand. Er trug nicht die Stofffetzen, die die Menschen immer anhatten, alles was er hatte, war der Pelz auf dem Kopf, den ein Vogel sicher gerne zum Nestbau benutzt hätte. Alles was jetzt noch an Arthur erinnerte, waren die dunklen Knopfaugen.
Ich glaub mich tritt ein Pferd, stieß ich aus. Den Ausspruch hatte ich irgendwo einmal aufgeschnappt und er erschien mir gerade unheimlich passend. Mein Kopf fühlte sich überfordert und schwummrig an, als hätte ich eben einen Huf gegen die Stirn bekommen.
Glaubst du uns jetzt? Hörte ich die Mädchenstimme leise.
Habe ich eine andere Wahl?
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